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Vermischtes

Prävention am Arbeitsplatz: Neue Arbeitsmedizinische Regel rückt die ganzheitliche Vorsorge in den Fokus

Arbeitsmedizinische Vorsorgen
sollen künftig verstärkt einem ganzheitlichen Prinzip folgen. So sieht es
die heute veröffentlichte neue arbeitsmedizinische Regel (AMR) vom
Ausschuss für Arbeitsmedizin (AfAMed im Bundesministerium für Arbeit und
Soziales) vor. Ziel ist es, das Präventionspotential der Arbeitswelt in
Deutschland besser zu nutzen.

Die AMR 3.3 trägt den Titel „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge
unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten
Gefährdungen“. Sie eröffnet neue Perspektiven zur Weiterentwicklung des
Arbeits- und Gesundheitsschutzes und stellt den Einstieg in eine
Neukonzeption der arbeitsmedizinischen Vorsorge dar. Darüber hinaus wird
das ärztliche Handeln gestärkt.

Die wesentlichen neuen Aspekte sind:

- Es soll im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen grundsätzlich immer auf
Erkrankungen und Risikofaktoren eingegangen werden, die die
Beschäftigungsfähigkeit der Probanden gefährden können.

- Alle Gefährdungen sollen beim Vorsorgetermin berücksichtigt werden, auch
Gefährdungen aus zurückliegenden Beschäftigungsverhältnissen
(Latenzschäden).

- Auch Gefährdungen, die nicht im Anhang der ArbMedVV gelistet sind,
können einen Vorsorgeanlass darstellen.

- Vorsorgeanlässe aus unterschiedlichen Anlässen sollen zusammengelegt
werden.

- Ein niederschwelliger Zugang zu arbeitsmedizinischen Sprechstunden wird
empfohlen.

- Die Wunschvorsorge soll gestärkt und vom Arbeitgeber aktiv angeboten
werden.

- Die Auswertung der Ergebnisse arbeitsmedizinischer Vorsorgen soll
verstärkt werden.

- Die Abgrenzung zwischen Vorsorge und Eignungsuntersuchungen wird
präzisiert.

Die AMR wurde in einem Arbeitskreis des UA III des Ausschusses für
Arbeitsmedizin erarbeitet und dort am 2. November 2022 verabschiedet. Die
Autoren der neuen Regel sind überzeugt, dass mit dem beschriebenen
Vorgehen das Präventionspotential des Settings „Arbeitsplatz“ besser
genutzt wird.

DGAUM-Präsident Prof. Thomas Kraus und VDBW-Präsident Dr. Wolfgang Panter
erläutern:
„Mit rund 46 Mio. Erwerbstätigen in Deutschland stellt die Arbeitswelt das
mit Abstand größte Präventionssetting dar. Die neue arbeitsmedizinische
Regel zeigt Wege auf, den Arbeitsplatz für die Prävention und den Erhalt
der Beschäftigungsfähigkeit besser zu nutzen. Vor dem Hintergrund des
demografischen Wandels der Gesellschaft gewinnt dies zunehmend an
Bedeutung.“

Hinweise zur Umsetzung der AMR sind in Vorbereitung. Sie werden die
Akteure im Gesundheitsschutz in Unternehmen umfassend informieren und bei
der Umsetzung unterstützen.  Die AMR 3.3. kann auf der Website der
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) abgerufen
werden: https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-
Regeln/Regelwerk/AMR/AMR.html

„Spritze gegen den Herzinfarkt“: Wie ordnet ein Kardiologe neuartigen Cholesterinsenker ein?

Herz- und Lipidspezialist erläutert im Interview neuartige Cholesterin-
Therapie nach dem RNA-Wirkprinzip. Wirkstoff Inclisiran bietet
möglicherweise ganz neue Therapieperspektive

Ein hoher Cholesterinspiegel zählt zu den größten Risikofaktoren für Herz-
Kreislauf-Erkrankungen. Insbesondere hohe Werte des LDL (LDL=Low Density
Lipoprotein)-Cholesterins (LDL-C) steigern dieses Risiko. Überschüssiges
LDL-C im Blut lagert sich nachweislich in den Gefäßwänden ab und
verursacht Gefäßverkalkungen (Arteriosklerose). Gemeinsam mit anderen
Risikofaktoren steigern diese Verkalkungen das Risiko für Herzinfarkte und
Schlaganfälle. Allein in Deutschland werden pro Jahr fast 200.000
Herzinfarkt-Patienten stationär in Kliniken versorgt. Nun macht neuerdings
eine „Spritze gegen Herzinfarkt“ in Fachkreisen und in den Medien von sich
reden. Was hat es damit auf sich? Und wie ordnen Experten wie der
Kardiologe Professor Dr. Ulrich Laufs vom wissenschaftlichen Beirat der
Deutschen Herzstiftung und Direktor der Klinik und Poliklinik für
Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig diese medizinische Entwicklung
zur Senkung von Cholesterin ein?
Konkret handelt es sich bei dem derzeit viel diskutierten Medikament um
den Cholesterinsenker Inclisiran, einen Vertreter der noch jungen
Substanzklasse der sogenannten PCSK9-Hemmer. PCSK9-Hemmer sind Antikörper
gegen das körpereigene Enzym PCSK9, das am Abbau von LDL-Rezeptoren auf
den Leberzellen beteiligt ist. Wird PCSK9 am Rezeptorabbau gehindert, kann
die Leber mehr LDL-C aus dem Blutkreislauf aufnehmen und abbauen. Das
führt zu einem Absinken der LDL-C-Werte im Blut und soll so die Ablagerung
von Blutfetten in den Gefäßen (Arteriosklerose) verhindern. Das vor rund
zwei Jahren zur Lipidtherapie in besonderen Fällen zugelassene Inclisiran
nimmt unter den bisher zugelassenen PCSK9-Hemmern eine Sonderstellung ein,
denn es handelt sich hierbei um einen siRNA-Wirkstoff. Er wird dabei
genauso wie die herkömmlichen PCSK9-Hemmer (Evolocumab, Alirocumab) unter
die Haut gespritzt.
„Das Besondere an der neuen Substanz ist, dass sie direkt und
hochspezifisch in den genetisch programmierten und über RNA vermittelten
Produktionsprozess des Enzyms PCSK9 eingreift. Unsere Erbinformation
selbst, die DNA, wird durch diesen Wirkstoff in keiner Weise berührt“,
erklärt Prof. Laufs, der auch Leiter der Lipidambulanz am Leipziger
Uniklinikum ist, im Herzstiftungs-Podcast unter www.herzstiftung.de
/spritze-gegen-herzinfarkt

Einsatz von Inclisiran noch stark begrenzt
Das Medikament mit dem RNA-Wirkstoff kann nach bisher bekannten
Studienergebnissen den LDL-C-Wert um im Mittel 50 % senken. „Wir könnten
rechnerisch mit so einer 50-Prozent-Senkung des LDL-Cholesterins die
Arteriosklerose zu 60 bis 90 Prozent verhindern“, so Prof. Laufs im
Herzstiftungs-Podcast, „wenn die Therapie in jungen Lebensjahren beginnt
und dauerhaft durchgeführt werden kann – vorausgesetzt, es kommt zu keinen
Nebenwirkungen.“
Die Indikation für eine Verordnung von Inclisiran auf Kassenrezept ist
allerdings bisher sehr eng gestellt. Es muss noch in einer klinischen
Endpunktstudie auf Sicherheit und Wirksamkeit dahingehend geprüft werden,
ob es neben der Cholesterinsenkung auch zu einer Verminderung von
kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen kommt.
Daher kann Inclisiran von Fachärzten bisher nur in besonderen Fällen
Patienten mit primärer heterozygoter familiärer oder nicht familiärer
Hypercholesterinämie sowie mit gemischter Dyslipidämie verschrieben
werden: wenn eine Unverträglichkeit für andere Cholesterinsenker (Statine)
besteht oder wenn eine maximal cholesterinsenkende Therapie mit
Medikamenten und Lebensstiländerung nach 12 Monaten nicht zum
LDL-C-Zielwert führt. „Wir brauchen bei allem Optimismus natürlich auch
sorgfältige klinische Prüfungen zu Sicherheit und Wirksamkeit des
Medikaments, die bis zur breiten Anwendung von Inclisiran bei hohen
LDL-C-Werten noch durchzuführen sind“, stellt Prof. Laufs klar.
Entsprechende Ergebnisse soll die ORION-4-Studie mit 15.000 Patienten
liefern. Die Auswertung der Daten bezüglich eines Schutzes vor Herzinfarkt
und Schlaganfall wird 2024 erwartet.

Spritze nur alle sechs Monate: Arzt-Patienten-Kontakt darf nicht leiden
Als Therapievorteil wertet Laufs, dass Inclisiran im Vergleich zu den
anderen verfügbaren PCSK9-Hemmern (Evolocumab, Alirocumab) nicht alle zwei
bzw. vier Wochen gespritzt werden muss, sondern nach der ersten Injektion,
einmalig nach drei Monaten und dann nur noch alle sechs Monate. Diese lang
anhaltende Wirkung über ein halbes Jahr sei eine Chance für die Therapie,
so der Lipid-Spezialist: „Das größte Problem bei Dauertherapien – sei es
gegen Bluthochdruck, Diabetes, aber insbesondere auch gegen zu hohes
Cholesterin – das sind nämlich die vergessenen Tabletten. Und in dem
Moment, wo eine Tablette vergessen ist, kann natürlich die Wirkung nicht
da sein.“
Allerdings dürfe aufgrund der langen Wirkdauer des Medikaments der
regelmäßige Austausch zwischen Arzt und Patient nicht ausbleiben. Bei
aller Euphorie, die diese Therapie in Zukunft zum Schutz vor
Arteriosklerose und damit Herzinfarkten bieten könnte, sei bei einer
Cholesterin-Behandlung die Prävention stets in das Gesamtkonzept mit
einzubinden, betont Laufs. Arzt und Patient sollten dies gemeinsam
besprechen. „Und das umfasst an erster Stelle den Lebensstil und dann erst
Medikamente. Das muss bleiben.“

Bei leicht erhöhtem LDL-C häufig zunächst Lebensstil-Anpassung
Häufig reicht zur Senkung des kardiovaskulären Risikos bei leicht erhöhten
LDL-C-Werten eine Umstellung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten.
Erst bei stark erhöhten Werten oder wenn Lebensstilmaßnahmen nicht
ausreichen, um das Infarktrisiko zu verringern, kommt eine medikamentöse
Therapie zum Einsatz. „Am besten wissenschaftlich gesichert ist hierfür
der Einsatz von Statinen“, so Laufs. „Dabei gilt: Je niedriger die LDL-
Cholesterinwerte, desto niedriger das Risiko. Wie hoch die
Cholesterinwerte sein dürfen, ist aber individuell und hängt von
verschiedenen Faktoren wie dem Gesamtrisiko für Herz-Kreislauf-
Erkrankungen und damit von zusätzlich bestehenden Risikofaktoren ab.“
Lässt sich der Cholesterinspiegel mit Statinen nicht ausreichend senken,
kann auch eine Kombinationstherapie sinnvoll sein. Dazu stehen z.B.
Ezetimib, Bempedoinsäure und auch die PCSK9-Hemmer zur Verfügung. Infos:
www.herzstiftung.de/cholesterinsenker
(wi/ne)

Jetzt reinhören! Podcast „Eine Spritze gegen Herzinfarkt – ist das
realistisch?“
Der Podcast mit dem vollständigen Gespräch mit Prof. Dr. Ulrich Laufs ist
zu hören unter: www.herzstiftung.de/spritze-gegen-herzinfarkt
Alle Podcasts können auf der Herzstiftungs-Website unter
www.herzstiftung.de/podcasts direkt gehört werden und sind ebenso bei den
einschlägigen Podcast-Anbietern wie Spotify und Apple iTunes zu finden.
Alle 14 Tage gibt es einen neuen „imPULS“-Podcast.

Informationen über Ursachen und Folgen hoher Cholesterinwerte sowie
Möglichkeiten der Therapie finden Betroffene und Interessierte unter
www.herzstiftung.de/cholesterin und www.herzstiftung.de/cholesterinsenker
Den kostenfreien Ratgeber „Hohes Cholesterin: Was tun?“ kann man unter
www.herzstiftung.de/bestellung oder per Tel. unter 069 955128-400
anfordern.

Tüpfelhyänen-Zwillingsbrüder zieht es bei Abwanderung aus ihrem Geburtsclan häufig in dieselbe neue Gruppe

Bei Säugetieren wandern die meisten Männchen nach Erreichen der
Geschlechtsreife in eine neue Gruppe ab. Diese Abwanderung ist oft mit
Gefahren verbunden. Neue Ergebnisse von Tüpfelhyänen zeigen, dass Männchen
aus der gleichen Geburtsgruppe – und insbesondere Zwillingsbrüder – sich
sehr oft gemeinsam auf Wanderschaft begeben und die gleiche Gruppe für ihr
künftiges Leben wählen. Das liegt zum einen daran, dass Männchen mit
ähnlichem sozialen und genetischen Hintergrund ähnliche Vorlieben haben.
Es gibt aber auch starke Hinweise darauf, dass sich miteinander verwandte
Männchen aktiv dazu entscheiden, gemeinsam abzuwandern, um sich in der
neuen Umgebung gegenseitig zu unterstützen.

Was das soziale Leben und die Evolution von Tüpfelhyänen antreibt, ist
seit einem viertel Jahrhundert Forschungsgegenstand des Hyänenprojektes
des Leibniz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) im
Ngorongorokrater in Tansania. Die neuen Ergebnisse sind in der Zeitschrift
„Biology Letters“ erschienen.

Tüpfelhyänen (Crocuta crocuta) sind hochsoziale Säugetiere, die in großen,
von Weibchen dominierten Gruppen (Clans) mit komplexer Sozialstruktur
leben. Während die Weibchen in ihrer Geburtsgruppe bleiben, müssen sich
die Männchen irgendwann entscheiden, ob sie in ihrem Clan weiterleben oder
in eine andere Gruppe abwandern. Diese Entscheidung ist wichtig für ihren
Fortpflanzungserfolg und die meisten Männchen entscheiden sich dafür, ihre
Geburtsgruppe zu verlassen. Abwanderung und die Eingliederung in die neue
Gruppe sind jedoch mit Hindernissen verbunden: Neuankömmlinge fallen in
der sozialen Hierarchie des neuen Clans ganz nach unten und müssen bei den
bereits etablierten Männchen als Sündenböcke herhalten. Wie entscheiden
die Männchen, wann, wo und mit wem sie abwandern? Ziehen sie allein oder
gemeinsam mit Freunden und Brüdern los? Handelt es sich bei der
koordinierten Abwanderung um eine bewusste Entscheidung oder um einen
passiven Prozess, der durch Ähnlichkeiten zwischen den Männchen in Bezug
auf ihren Genotyp und ihre soziale Herkunft bedingt ist?

Diese Fragen sind für Verhaltensbiologen und den Naturschutz von großem
Interesse, aber untersuchen lassen sie sich nur schwer, da sie
detaillierte Daten über das Verhalten und den Erfolg vieler Individuen im
Laufe ihres Lebens erfordern. Nur wenige Forschungsteams haben Zugang zu
solchen Daten über große Säugetiere. Das seit einem Vierteljahrhundert
laufende Hyänenprojekt im Ngorongoro-Krater in Tansania ist eines dieser
Projekte.
Im Ngorongoro-Krater leben ca. 400 Tüpfelhyänen, die sich in acht Clans
aufteilen Alle Hyänen dieser Population sind durch ihr Fleckenmuster
individuell bekannt und werden nahezu täglich überwacht. In den letzten 26
Jahren hat das Team des Leibniz-IZW detaillierte Daten von 2800 Hyänen mit
nahezu vollständigen individuellen Lebensläufen gesammelt. Dieser
Datensatz bietet weltweit einzigartige Möglichkeiten für die Verhaltens-
und Evolutionsforschung.

„Wir zeigen zum ersten Mal, dass bei Tüpfelhyänen Zwillingsbrüder und
Kumpel aus demselben Geburtsclan häufig in denselben Clan einwandern, um
sich fortzupflanzen“, erklärt Oliver Höner, Leiter des Ngorongoro-Krater-
Hyänenprojektes. Zwillingsbrüder wandern in 70 % der Fälle gemeinsam ab,
und männliche Verwandte gleichen Alters und gleichen Geburtsclans tun dies
in 36 % der Fälle. Im Gegensatz dazu lassen sich nicht verwandte Männchen
aus verschiedenen Clans nur in 7 % der Fälle im selben Clan nieder. „Das
ist neu und aufregend, denn bisher ging man davon aus, dass Tüpfelhyänen
alleine abwandern. Es bedeutet auch, dass Einwanderer oft genetisch
miteinander verwandt sind. Dies verbessert unser Verständnis der sozialen
Dynamik und des Genflusses in Wildtierpopulationen“, sagt Eve Davidian,
Erstautorin des Artikels.

Dass sich Zwillingsbrüder und Kumpels vom selben Geburtsclan oft gleich
entscheiden, kann theoretisch zwei Ursachen haben, eine aktive und eine
passive. Der passive Prozess entsteht, wenn Männchen mit ähnlichem
genetischen und sozialen Hintergrund ähnlich denken und handeln und
zufällig die gleiche Gruppe wählen. Alternativ könnte es eine bewusste und
adaptive Entscheidung sein, die von den Vor- und Nachteilen einer
gemeinsamen Abwanderung abhängt. „Ob die Vorteile die Kosten überwiegen,
hängt von der Größe des Clans ab“, erklärt Eve Davidian. „Wenn die Clans
groß sind und viele Männchen enthalten, kann es sehr vorteilhaft sein,
gemeinsam mit einem Verbündeten abzuwandern, um den Widerstand der
etablierten Männchen besser zu bewältigen.“ Mögliche Nachteile entstehen
dadurch, dass Männchen, die in die gleiche Gruppe abwandern, um die
gleichen Weibchen konkurrieren. „Dies ist besonders kostspielig bei
kleinen Clans mit nur wenigen Weibchen und für nahe Verwandte wie
Zwillinge, weil der Fortpflanzungserfolg des Bruders auch den eigenen
beeinträchtigt. Das ist wie eine doppelte Strafe", fügt Eve Davidian
hinzu.

Die Wissenschaftler:innen fanden heraus, dass Zwillingsbrüder und
Verwandte am ehesten gemeinsam auswanderten, wenn die Clans groß waren.
Dies zeigt, dass die Männchen eine aktive Wahl treffen. Dass aber nicht
nur Zwillingsbrüder, sondern auch Kumpels desselben Geburtsclans häufig
gemeinsam abwandern, zeigt, dass auch das soziale und ökologische Umfeld
während des Aufwachsens sowie der genetische Hintergrund die Entscheidung
beeinflussen.

Die gleichen Prozesse dürften sich auch in anderen Hyänenpopulationen
wiederfinden, da auch andere Verhaltensmuster bei Hyänen in verschiedenen
Untersuchungsgebieten ähnlich sind. Wann und wie Tiere kollektive
Entscheidungen treffen, ist ein wachsendes und spannendes
Forschungsgebiet. Die Tatsache, dass die gemeinsame Abwanderung durch eine
Kombination aus komplexen und flexiblen adaptiven Entscheidungen und
passiven Prozessen, die durch einen gemeinsamen sozio-ökologischen und
genetischen Hintergrund geprägt sind, angetrieben werden kann, wurde hier
zum ersten Mal bei einer Wildpopulation gezeigt.

Corona belastet Kinder und Jugendliche weiterhin – neue Krisen rücken nach

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist
auch im dritten Jahr der Corona-Pandemie noch spürbar beeinträchtigt: Zwar
sind die Belastungen nicht mehr so hoch wie während des ersten und zweiten
Lockdowns, aber sie liegen durchgehend über den Werten vor der Pandemie.
Das gilt für Sorgen und Ängste ebenso wie für psychosomatische
Beschwerden. Immer noch leidet jedes vierte Kind unter psychischen
Auffälligkeiten. Erneut sind insbesondere Kinder und Jugendliche aus
sozial schwächeren Verhältnissen betroffen. Während die Auswirkungen der
Pandemie auf die psychische Gesundheit abgenommen haben, rücken neue
Krisen in den Vordergrund.

Das sind die Ergebnisse der fünften Befragung der sogenannten COPSY-Studie
(Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die
COPSY-Studie ist die erste bevölkerungsbasierte Längsschnittstudie
bundesweit und gehört auch international zu den wenigen
Längsschnittstudien.

„Auch, wenn die psychischen Beschwerden langsam zurückgehen, sind sie
immer noch häufiger als vor der Corona-Pandemie. Daher brauchen wir jetzt
niedrigschwellige, nachhaltige und langfristige Konzepte und Strukturen,
um Kinder und Jugendliche mit psychischen Belastungen aufzufangen und
ihnen Hilfen anzubieten. Das ist wichtig, um für zukünftige Krisen
gewappnet zu sein“, sagt Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer, Leiterin der
COPSY-Studie und Forschungsdirektorin der Klinik und Poliklinik für
Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik des UKE.
„Es besteht dringender Handlungsbedarf, den belasteten Kindern und
Jugendlichen zu helfen, damit sie psychisch wieder gesunden und im
späteren Erwachsenenleben keine Langzeitschäden entwickeln. Unser
besonderes Augenmerk benötigen benachteiligte Kinder und Jugendliche aus
sozial schwächeren Verhältnissen, die überdurchschnittlich betroffen
sind.“

Lebensqualität, psychische und psychosomatische Auffälligkeiten in der
fünften Befragung

Gaben bei den ersten beiden Befragungen der COPSY-Studie während der
Lockdowns im Jahr 2020 fast 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen an,
eine geminderte Lebensqualität zu haben, sind es aktuell noch rund 27
Prozent. Auch der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit psychischen
Auffälligkeiten nimmt langsam ab und liegt bei etwa 23 Prozent – gegenüber
einem Spitzenwert von rund 31 Prozent während des zweiten Lockdowns zum
Jahreswechsel 2020/2021.
Insgesamt hat sich die allgemeine psychische Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen bis Herbst 2022 verbessert, doch die Werte für psychische
Auffälligkeiten liegen noch immer deutlich über denen vor der Corona-
Pandemie. Dies gilt ebenso für Symptome von Ängstlichkeit sowie
psychosomatische Beschwerden. Reizbarkeit, Schlafprobleme,
Niedergeschlagenheit und Nervosität sind immer noch deutlich stärker
ausgeprägt als vor der Pandemie. Jedes zweite Kind ist mindestens einmal
wöchentlich von Kopf- oder Bauchschmerzen betroffen. Allein die Symptome
für Depressivität sind wieder auf das Niveau vor der Pandemie gesunken.

Neue Auslöser für psychische Probleme

Die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit scheinen nach
drei Jahren etwas abgenommen zu haben. Die Kinder und Jugendlichen machen
sich mittlerweile weniger Sorgen um Corona – noch 10 Prozent gaben an,
dass sie die Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen als
besorgniserregend und seelisch belastend empfinden. Etwa die Hälfte der
Kinder machen sich wegen anderer Krisen Sorgen. Zunehmend scheinen
Ukraine-Krieg, Inflation sowie Energie- und Klimakrise die Kinder und
Jugendlichen psychisch zu belasten: Zwischen 32 bis 44 Prozent von ihnen
äußerten Ängste und Zukunftssorgen im Zusammenhang mit anderen aktuellen
Krisen.
Risiken und Ressourcen von Kindern und Jugendlichen bei der psychischen
Gesundheit
Kinder und Jugendliche, deren Eltern stark belastet sind, eine geringere
Bildung haben, über beengten Wohnraum verfügen und/oder einen
Migrationshintergrund aufweisen, gehören der Risikogruppe an.
Diese Kinder und Jugendlichen hatten in allen fünf Befragungswellen über
die drei Jahre der Pandemie ein höheres Risiko für eine geringe
Lebensqualität, für mehr psychische Gesundheitsprobleme, Angstsymptome und
Anzeichen von Depressivität. Demgegenüber haben Kinder und Jugendliche,
die über ein gutes Familienklima und gute soziale Unterstützung berichten,
ein deutlich geringeres Risiko für eine niedrigere Lebensqualität sowie
psychische und psychosomatische Auffälligkeiten.

Über die Studie

Die COPSY-Längsschnittstudie erfasst die seelische Gesundheit,
Lebensqualität, psychosomatischen Beschwerden sowie Ressourcen und
Risikofaktoren von Kindern und Jugendlichen seit Beginn der Pandemie in
bisher fünf Befragungswellen von 2020 bis 2022. Die 11- bis 17-Jährigen
haben ihre Fragebögen selbst ausgefüllt, außerdem wurden Eltern von 7- bis
17-Jährigen zu Familien- und Kindergesundheit befragt. Die Stichprobe
entspricht der Struktur der bundesdeutschen Grundgesamtheit laut aktuellem
Mikrozensus (2018). Die fünfte Befragungswelle wurde im September und
Oktober 2022 durchgeführt und mit präpandemischen Referenzwerten der
„Befragung zum seelischen Wohlbefinden und Verhalten“ (BELLA) verglichen.
Bei BELLA handelt es sich um ein Zusatzmodul der Studie zur Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) im Rahmen der
Bundesgesundheitsberichterstattung am Robert Koch-Institut (RKI).