Zum Hauptinhalt springen

Vermischtes

Nachdenken über Architektur und Kapitalismus

Neue Publikationsreihe des LOEWE-Schwerpunkts „Architekturen des Ordnens“
mit Beiträgen zur interdisziplinären Architekturforschung / Start mit
einem Essay über Siegfried Kracauer

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen moderner Architektur und
Kapitalismus? Dieser Frage geht ein Essay des Architekturhistorikers
Carsten Ruhl nach, in dessen Zentrum der Soziologe, Philosoph und
Journalist Siegfried Kracauer steht. Der Essay ist in der neuen
Publikationsreihe „Architekturen des Ordnens“ erschienen. Seit 2020
forschen mehr als 20 Mitglieder im gleichnamigen LOEWE-Schwerpunkt an der
Goethe-Universität Frankfurt und der Technischen Universität Darmstadt.

FRANKFURT. Unter dem Titel „Kracauer’s Architecture“ ist nun der erste
Band der Reihe „Architekturen des Ordnens“ erschienen, Verfasser des
Essays ist Carsten Ruhl, Professor für Architekturgeschichte an der
Goethe-Universität Frankfurt und Sprecher des LOEWE-Schwerpunkts
„Architekturen des Ordnens“. Ruhl befasst sich darin mit den Überlegungen
des deutschen Soziologen, Philosophen und Journalisten Siegfried Kracauer
zur Architektur. Während Kracauers Texte allgemein häufig Gegenstand
soziologischer und medienwissenschaftlicher Forschung sind, wurden sie aus
architekturwissenschaftlicher Perspektive bisher kaum beleuchtet. So ist
auch wenig bekannt, dass Kracauer ein Architekturstudium absolviert hat,
während des Ersten Weltkriegs als Architekt arbeitete und 1915 mit einer
architekturhistorischen Arbeit promoviert wurde. Nach dem Krieg,
mittlerweile war Kracauer Redakteur bei der „Frankfurter Zeitung“, äußerte
er sich in seinen journalistischen Texten immer wieder zu zeitgenössischen
architektonischen Entwicklungen. Von diesen Beiträgen bis zu seiner 1928
erschienenen autobiografischen Novelle „Ginster, von ihm selbst
geschrieben“ zeigt sich ein starkes Interesse an architektonischen
Phänomenen. Die Frage des Ornaments ist darin von zentraler Bedeutung für
Kracauers Analyse der Gesellschaft und ihrer Architektur. Carsten Ruhl
argumentiert mit Kracauer, dass die Abwesenheit des Ornaments in der
modernen Architektur als ornamentales Konzept der neuen sozialen Ordnung
des Kapitalismus verstanden werden kann.

Die Publikationsreihe erscheint in englischer Sprache innerhalb der CCSA
Topics, der Publikationsreihe des Center for Critical Studies in
Architecture, einer Kooperation der Goethe-Universität Frankfurt am Main
(Kunstgeschichtliches Institut), der Technischen Universität Darmstadt
(Fachbereich Architektur) und des Deutschen Architekturmuseums. Die Bände
der AO-Reihe werden als Print- und mit zeitlicher Verzögerung als Open
Access-Publikation veröffentlicht. Die nächsten Titel der Reihe sind
bereits in Planung. Dabei wird es um so unterschiedliche Themen wie die
Architektur der Herrnhuter Brüdergemeine gehen oder den Topos des
Glashauses in weiblich codierten Entwürfen in der Literatur und
Architektur der Moderne. Die Reihe bildet damit nicht nur die Bandbreite
der im Schwerpunkt behandelten Forschungsthemen ab, sondern auch die
disziplinäre Vielfalt der im Projekt forschenden Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler. Vertreten sind neben der Geschichte und Theorie der
Architektur auch die Themen Digitales Gestalten, Entwerfen und Städtebau,
Geschichte der Frühen Neuzeit, Kultur- und Wissenssoziologie,
Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und Rechtsgeschichte.

„Architekturen des Ordnens“ ist ein auf vier Jahre (2020-2023) angelegtes
interdisziplinäres Forschungsprojekt der Goethe-Universität Frankfurt und
Technischen Universität Darmstadt, mit dem Max-Planck-Institut für
Rechtsgeschichte und Rechtstheorie und dem Deutschen Architekturmuseum als
außeruniversitären Partnern. Der Schwerpunkt besteht aus 26 Mitgliedern
und widmet sich der Untersuchung von Architektur als einer Kulturtechnik,
welche sich sowohl ästhetisch, materiell, räumlich, diskursiv als auch
epistemologisch manifestiert.

Heimische Alternativen zu tropischen Fetten – künftiges Weihnachtsgebäck ohne Palmöl?

Das Forscherteam Dr. Bertrand Matthäus und Sharline Nikolay vom Max
Rubner-Institut in Detmold sowie Professor Eckhard Flöter von der
Technischen Universität Berlin und Till Wettlaufer, ehemals TU Berlin, hat
in einem gemeinsamen Forschungsprojekt Alternativen zu tropischen Fetten
unter Verwendung von Rapsöl entwickelt und gehört zu den drei Finalisten
für den Otto von Guericke-Preis 2022. Die AiF Arbeitsgemeinschaft
industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. vergibt den
mit 10.000 Euro dotierten Preis seit 1997 an Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler für besondere Innovationsleistungen auf dem Gebiet der
vorwettbewerblichen Industriellen Gemeinschaftsforschung.

Palmöl ist im mehrfachen Sinne in aller Munde. Der Anbau und das Vorkommen
von tropischen Fetten in nahezu jedem zweiten fetthaltigen
Supermarktprodukt sind ökologisch in der Diskussion und werden auch
ernährungsphysiologisch kritisch gesehen. Das Forscherteam Dr. Bertrand
Matthäus und Sharline Nikolay vom Max Rubner-Institut in Detmold sowie
Professor Eckhard Flöter von der Technischen Universität Berlin und Till
Wettlaufer, ehemals TU Berlin, hat in einem gemeinsamen Forschungsprojekt
Alternativen zu tropischen Fetten unter Verwendung von Rapsöl entwickelt
und gehört zu den drei Finalisten für den Otto von Guericke-Preis 2022.
Das Forschungs- und Transfernetzwerk Mittelstand AiF Arbeitsgemeinschaft
industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von Guericke“ e.V. vergibt den
mit 10.000 Euro dotierten Preis seit 1997 an Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler für besondere Innovationsleistungen auf dem Gebiet der
vorwettbewerblichen Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF), die vom
Bundeswirtschaftsministerium mit öffentlichen Mitteln gefördert wird.

Industrie reagiert auf umwelt- und ernährungsbewusste Verbraucher

Backwaren, Brotaufstriche, Marinaden oder Eiscremes scheinen heute nicht
ohne Palmöl und andere tropische Fette auszukommen. Viele ernährungs- und
auch umweltbewusste Verbraucherinnen und Verbraucher meiden Palmöl; so ist
die Lebensmittelindustrie daran interessiert, diese festen Fette in ihrer
Produktion deutlich zu reduzieren. „Allerdings werden solche Fette
aufgrund ihrer funktionellen und technologischen Eigenschaften eingesetzt
und ein Ersatz durch flüssige Pflanzenöle würde die Produktqualität
deutlich verändern. Eine Alternative sind Oleogele, also strukturierte
Öle, die allerdings hinsichtlich ihrer industriellen Einsetzbarkeit noch
nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht worden sind“, erklärt Dr.
Bertrand Matthäus vom Institut für Sicherheit und Qualität bei Getreide
des Max Rubner-Instituts, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und
Lebensmittel in Detmold.

Die Inhalte des gemeinsamen IGF-Forschungsprojekts mit dem Titel
„Oleoboost – Regionale Pflanzenöle als Palmölersatz“ beschreibt seine
Institutskollegin Sharline Nikolay: „Wir konnten klar zeigen, dass
Oleogele auf der Basis von heimischem Rapsöl feste Fette bei der
Herstellung von Lebensmitteln ohne Qualitätseinbußen ersetzen können.“
Durch das Einlagern des Rapsöls in die Struktur des Gelators bleibe der
gesundheitsfördernde Charakter von Rapsöl erhalten und die Funktionalität,
wie zum Beispiel das Mundgefühl und die Härte des Produkts, würde durch
das Gefüge des Gelators geliefert, ergänzt Till Wettlaufer detailliert.
Die Projektergebnisse beweisen, dass Oleogele eine Alternative für
konventionelle Fette sein können.

Industrielle Umsetzbarkeit ist „natürlich Pflicht“

Eine der Herausforderungen dabei: Je nach Produkt wird die feste Struktur
der Fettphase zu unterschiedlichen Zeitpunkten benötigt. Die Herstellung
von Blätterteig macht beispielsweise eine Oleogelierung im Vorhinein und
bei erhitzten Schokocremes im Laufe der Verarbeitung sowie nach der
Herstellung notwendig. Bei der anwendungsorientierten Untersuchung
verschiedener Strukturbildner sei die industrielle Umsetzbarkeit
„natürlich Pflicht“, stellte Professor Eckhard Flöter vom Institut für
Lebensmitteltechnologie und Lebensmittelchemie, Fachgebiet für
Lebensmittelverfahrenstechnik der Technischen Universität Berlin fest.

Die Forschungsergebnisse sind hochrelevant und wirtschaftlich von großer
Bedeutung für die gesamte deutsche Lebensmittelindustrie.
„Speiseölproduzenten eröffnet sich die Chance, international neue
Absatzmärkte zur erschließen. Hersteller von Backwaren und vielen
kulinarischen Lebensmitteln werden künftig ernährungsphysiologisch
verbesserte Produkte mit einem verringertem CO2-Fußabdruck anbieten
können“, betont Dr. Volker Häusser, Geschäftsführer des AiF-Mitglieds
Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. - FEI. Das bestätigt auch
Jens Haunhorst, Leiter der Produktion und Entwicklung bei der VORTELLA
Lebensmittelwerk W. Vortmeyer GmbH: „Als mittelständischer Produzent von
Spezialölen und Margarinen für die Lebensmittelindustrie haben wir das
Forschungsprojekt von Anfang an begleitet und unterstützt. Mit den
gewonnenen Erkenntnissen können wir unseren Kunden proaktiv neue
Anwendungen und Lösungen anbieten und auch in Zukunft weitere zahlreiche
Produktinnovationen daraus ableiten.“

Einen vierminütigen Film zum Projekt  und den Mitschnitt der Otto von
Guericke-Preisverleihung 2022 finden Sie im Medienraum der AiF-Website.

Ansprechpartner zum IGF-Projekt:
Sharline Nikolay, Max Rubner-Institut, Bundesforschungsinstitut für
Ernährung und Lebensmittel, Institut für Sicherheit und Qualität bei
Getreide, E-Mail: sharline.nikolay(at)mri.bund(.)de, Tel.: +49 5231
741-222

Dr. Volker Häusser, Geschäftsführer des Forschungskreises der
Ernährungsindustrie e.V. – FEI, E-Mail: fei(at)fei-bonn(.)de, Tel. +49 228
3079699-0

Über die AiF
Die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto von
Guericke“ e.V. ist das Forschungs- und Transfernetzwerk für den deutschen
Mittelstand. Sie fördert Forschung, Transfer und Innovation. Als
Dachverband von 100 gemeinnützigen Forschungsvereinigungen mit mehr als
50.000 eingebundenen Unternehmen und über 1.200 beteiligten
Forschungseinrichtungen leistet sie einen wichtigen Beitrag, die
Volkswirtschaft Deutschlands in ihrer Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu
stärken. Die AiF als gemeinnütziger Verein organisiert die Industrielle
Gemeinschaftsforschung und betreut über die AiF Projekt GmbH und die AiF
F∙T∙K GmbH, ihre einhundertprozentigen Tochtergesellschaften, weitere
Förderprogramme der öffentlichen Hand. Im Jahr 2021 setzte die AiF über
557 Millionen Euro an öffentlichen Fördermitteln ein. Seit ihrer Gründung
im Jahr 1954 lenkte sie rund 13,5 Milliarden Euro öffentliche Fördermittel
in neue Entwicklungen und Innovationen und brachte mehr als 245.000
Forschungsprojekte auf den Weg.

Flüssiggas aus Katar bei Deutschen im Abseits

Ende November hat das Bundeswirtschaftsministerium die Einigung über den
Bezug von Flüssiggas aus Katar verkündet. Dass Katar als alternativer
Energielieferant gewonnen wird, hatten im Vorfeld allerdings nur 32
Prozent von rund 6.000 Befragten des Sozialökologischen Panels
befürwortet. Andere Maßnahmen, mit denen ausbleibende russische
Gaslieferungen ersetzt werden sollen, genießen eine weitaus höhere
Zustimmung. Das ergeben die Auswertungen des RWI – Leibniz-Institut für
Wirtschaftsforschung im Rahmen des von der E.ON Stiftung geförderten
Projektes „Sozialökologisches Panel – Fortführung und Weiterentwicklung“.

Das Wichtigste in Kürze:

- Um ausbleibende russische Gaslieferungen zu ersetzen, sind in den
vergangenen Monaten verschiedene Maßnahmen öffentlich diskutiert worden,
darunter die Verschiebung des Kohle- und Kernenergieausstiegs sowie der
Bezug von Flüssiggas aus anderen Staaten. Ein Baustein ist die Ende
November zwischen der Bundesregierung und Katar geschlossene Vereinbarung
zur Lieferung von Flüssiggas. Inwieweit derartige energiepolitische
Maßnahmen befürwortet werden, war Gegenstand einer von der E.ON Stiftung
geförderten Erhebung unter rund 6.000 Mitgliedern des repräsentativ
zusammengestellten forsa.omninet-Haushaltspanels, aus denen sich das
Sozialökologisches Panel zusammensetzt. Die Befragung fand im Rahmen des
vierjährigen Projektes „Sozialökologisches Panel – Fortführung und
Weiterentwicklung“ im Sommer 2022 statt.

- Von den sechs Maßnahmen, die den Befragten vorgestellt wurden, genießt
die Gewinnung von Katar als alternativem Energielieferanten den mit
Abstand geringsten Zuspruch. Nur 32,0 Prozent der Befragten sprechen sich
dafür aus. Weitaus stärker als der Flüssiggasbezug aus Katar wird hingegen
der Bau von Terminals zur Anlandung von verflüssigtem Erdgas (Liquified
natural gas, LNG) befürwortet, wie sie in Deutschland in Wilhelmshaven,
Brunsbüttel, Stade und Lubmin entstehen sollen. In Wilhelmshaven befindet
sich das Terminal bereits seit Juli im Bau. 70,5 Prozent befürworten den
Bau dieser Terminals.

- Die Verschiebung des Kohle- bzw. Kernenergieausstiegs befürworten 49,2
Prozent bzw. 55,7 Prozent der Befragten. Eine noch höhere Zustimmung
erhält mit 77,5 Prozent der Ausbau der erneuerbaren Energietechnologien
bis zur Vollversorgung im Jahr 2035 sowie der Import von grünem
Wasserstoff mit 83,0 Prozent.

- Trotz der gegenwärtigen Energiekrise und der damit verbundenen Sorgen um
die Energieversorgungssicherheit spricht sich eine absolute Mehrheit von
57,5 Prozent der Befragten weiterhin für den Kohleausstieg aus. Der
Kernenergieausstieg wird von 45,2 Prozent der Befragten befürwortet, 21,6
Prozent sind in dieser Frage unentschlossen.

- Diese Ergebnisse sind lediglich ein kleiner Ausschnitt der Resultate,
die in der diesjährigen Erhebung für das Sozialökologische Panel gewonnen
wurden. In dieser Panelerhebungen werden u.a. Aussagen zur Akzeptanz der
Bevölkerung in Bezug auf die Energiewende ermittelt. So kann
beispielsweise festgestellt werden, ob und inwieweit aktuelle Diskussionen
und Ereignisse, etwa die Energiekrise, einen Einfluss auf die
Einstellungen zum Klimaschutz haben.

Zu den empirischen Ergebnissen sagt RWI-Umweltexperte Manuel Frondel: „Die
deutsche Bevölkerung steht Flüssiggas grundsätzlich positiv gegenüber. So
spricht sich eine deutliche Mehrheit für den Bau von LNG-Terminals und für
den Import von grünem Wasserstoff aus. Allerdings ist die Bevölkerung sehr
skeptisch gegenüber Lieferungen von Flüssiggas aus Katar. “

Der Geschäftsführer der E.ON Stiftung, Stephan Muschick, ergänzt: „Die
meisten Menschen haben verstanden, dass die konsequente Umsetzung der
Energiewende der beste Weg in Richtung Versorgungssicherheit und
Klimaneutralität ist.“

  • Aufrufe: 1

AWMF: Kritik an europäischer Medizinprodukteverordnung

„Praktikabilität nur durch gezielte Zusatzmaßnahmen – eine Gefahr für die
Innovationskraft“

Berlin, 19. Dezember 2022 – Die europäische Verordnung für
Medizinprodukte, die Medical Device Regulation (MDR), muss aus Sicht der
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften e.V. (AWMF) dringend in der praktischen Umsetzung
verbessert werden. Die aktuellen Regelungen führen dazu, dass das System
von Prüfung und Zulassung überlastet ist und Medizinprodukte aufgrund
aufwändiger Re-Zertifizierungsprozesse vom Markt genommen werden könnten,
kritisiert die AWMF.

Außerdem würden Hürden für die Entwicklung neuer Medizinprodukte die
Innovationskraft des Wissenschaftsstandorts Deutschland bedrohen. Die AWMF
fordert deshalb gestaffelte Zulassungsregelungen, Förderprogramme für
Registerdaten, sowie mehr Investitionen und risikoadaptierte
regulatorische Rahmenbedingungen für klinische Studien.

Ziel der MDR ist es, die Patientensicherheit durch höhere Anforderungen
bei der Marktzulassung von Medizinprodukten wie etwa Herzschrittmachern,
Implantaten oder Prothesen zu erhöhen. „Dieses Ziel unterstützen wir
vorbehaltlos“, erläutert Professor Dr. med. Rolf-Detlef Treede, Präsident
der AWMF. „Zugleich stellen die derzeitigen Regelungen der MDR große
Hürden für die Zulassung von Medizinprodukten dar, was aktuell zu
Versorgungslücken und langfristig zur Schwächung der Wissenschaft in
Deutschland führen kann. Als wissenschaftlich-medizinische
Fachgesellschaften wollen wir die Umsetzung der MDR praktikabel halten“,
kritisiert der AWMF-Präsident.

Die MDR sieht beispielsweise vor, dass bereits bewährte Medizinprodukte
eine komplette Re-Zertifizierung durchlaufen müssen. Zuständig dafür sind
sogenannte Benannte Stellen. „Die Re-Zertifizierung betrifft circa 24.000
Produkte und führt damit zu einer Überlastung der Benannten Stellen sowie
zu erheblichem Aufwand für die Medizinproduktehersteller“, betont
Professor Dr. med. Ernst Klar, Vorsitzender der Ad-hoc-Kommission
Bewertung von Medizinprodukten der AWMF. „Diese haben bereits Produkte vom
Markt genommen, von denen einige jedoch für bestimmte Operationen
notwendig sind. Hier drohen Versorgungslücken.“ Um potenzielle Ausfälle
von Medizinprodukten mit resultierenden Versorgungslücken aufzudecken und
belastbare Daten zu liefern, hat die AWMF ein Melderegister eingeführt.

Häufig fehlt es auch an klinischen Daten, die für die Re-Zertifizierung
von bereits verfügbaren Medizinprodukten nötig sind. Die AWMF schlägt
deshalb vor, verstärkt vorliegende Registerdaten für eine niederschwellige
Re-Zertifizierung zu nutzen. „Anhand von Registerdaten lässt sich häufig
problemlos aufzeigen, dass es in der Vergangenheit keine
Sicherheitsprobleme mit dem Produkt gab“, betont Klar. Außerdem böten die
Registerdaten die Möglichkeit, zusätzliche klinische Daten durch ein
Rolling Review im Sinne einer Zulassung unter Auflagen zu generieren.
„Aufgrund des großen Potentials, das in Registerdaten steckt, muss deren
Finanzierung strukturiert aufgesetzt werden. Hierzu braucht es
entsprechende Förderprogramme“, fordert der Experte.

Die AWMF sieht in den derzeitigen Vorgaben der MDR nicht zuletzt auch die
Innovationskraft der Wissenschaft in Deutschland gefährdet. „Klinische
Studien haben inzwischen ein erheblich größeres Gewicht für die
Zertifizierung von Medizinprodukten gewonnen. Gleichzeitig sind auch die
Anforderungen an klinische Studien gestiegen“, erklärt Professor Dr.
Andreas Markewitz, Stellvertretender Vorsitzender der Ad-hoc-Kommission
Bewertung von Medizinprodukten der AWMF. „Wir fordern deshalb, die
finanziellen Rahmenbedingungen für klinische Studien aus öffentlichen
Mitteln zu verbessern, damit die zusätzlichen Aufwände leistbar sind und
die Abhängigkeit von Drittmitteln reduziert wird“, so der Mediziner
weiter.

Eine weitere Gefahr für die Innovationskraft der Wissenschaft am Standort
Deutschland besteht aus Sicht der AWMF in den hohen Kosten der
Zulassungsprozesse. So ist eine Re-Zertifizierung eines auf dem Markt
befindlichen Bestandsproduktes in Europa unter MDR-Bedingungen deutlich
teurer als in den USA oder Kanada. Auch fehlen den europäischen
Medizinprodukteherstellern, bei denen es sich in mehr als 90 Prozent der
Fälle um kleine oder mittlere Unternehmen handelt, häufig die finanziellen
Mittel, um Erstzulassungen durchführen zu lassen. „Dies kann dazu führen,
dass innovative Forschende vergeblich Unternehmen suchen, die ihre Ideen
in die praktische Umsetzung begleiten“, erläutert Markewitz. Es sei zu
erwarten, dass Zulassungsstudien für innovative Produkte zukünftig primär
außerhalb Europas durchgeführt werden und diese Produkte erst spät für die
Krankenversorgung in Europa zur Verfügung stehen. „Die Regularien für
Zulassungsstudien müssen auf ein leistbares Maß reduziert werden – etwa
durch nach Unternehmensgröße gestaffelte Gebührenordnungen“, betont
Markewitz.

Das ausführliche Positionspapier der AWMF finden sie hier:
https://t1p.de/aowm8