Eine Prothese, die weiß, was ich will
FAU-Team erforscht in EU-Projekt die Intentionserkennung künstlicher
Gliedmaßen
Ein Glas anheben, die Faust ballen, mit dem Zeigefinger eine Telefonnummer
tippen – hochmoderne robotische Hände können mithilfe biomedizinischer
Technologie bereits Erstaunliches. Doch was im Labor gelingt, stößt im
Alltag an Grenzen. Denn die Absichten des einzelnen Menschen, seine
Umgebung und die Dinge darin sind zu vielfältig, um sie einmalig vorgeben
zu können. Ein Team der Friedrich-Alexander-Universitä
(FAU) erforscht, wie sogenannte intelligente Prothesen weiter verbessert
und zuverlässiger gemacht werden können. So soll die Prothese mithilfe
interaktiver künstlicher Intelligenz lernen, den menschlichen Willen
genauer zu erkennen, ihre Umwelt zu registrieren – und sich dabei ständig
weiterentwickeln. Das Projekt wird von der EU mit 6 Millionen Euro
gefördert, die FAU erhält 467.000 Euro.
„Wir arbeiten buchstäblich an der Schnittstelle von Mensch und Maschine“,
erklärt Prof. Dr. Claudio Castellini, Professur für Medizinrobotik an der
FAU. „Prothesen für die oberen Gliedmaßen haben sich in den letzten
Jahrzehnten technologisch stark weiterentwickelt.“ Mithilfe der
Oberflächen-Elektromyographie etwa können Haut-Elektroden am verbliebenen
Armstumpf feinste Muskelregungen erfassen. Diese Biosignale können
konvertiert und als elektrische Impulse auf die Prothese übertragen
werden. „Der Träger oder die Trägerin steuert die Handprothese also
selbstständig mit dem Armstumpf. Durch Methoden der Mustererkennung und
des interaktiven maschinellen Lernes kann der Mensch der Prothese zudem
seine individuellen Bedürfnisse beim Ausführen einer Geste oder einer
Bewegung beibringen.“
KI statt Kosmetik
Doch die fortschrittlichen robotischen Prothesen sind im Hinblick auf
Komfort, Funktion und Kontrolle noch nicht optimal ausgereift, weshalb
Menschen mit fehlenden Gliedmaßen oft funktionslose, rein kosmetische
Prothesen bevorzugen. Das neue EU-Horizon-Projekt „AI-Powered Manipulation
System for Advanced Robotic Service, Manufacturing and Prosthetics
(IntelliMan)“ befasst sich deshalb damit, wie diese noch effektiver und
zielgerichteter mit ihrer Umwelt interagieren können.
Die Forschenden der FAU ergründen dabei insbesondere, wie reale, aber auch
virtuelle Prothesen der oberen Gliedmaßen besser kontrolliert werden
können. Fokus ist die sogenannte „Intent Detection“, auf Deutsch
Absichtserkennung. Prof. Castellini und sein Team entwickeln dazu die
Erfassung und Analyse der menschlichen Biosignale weiter und entwerfen
innovative Algorithmen des maschinellen Lernens, um individuelle
Bewegungsmuster einer Person auszumachen. Ihre Ergebnisse validieren sie
in Nutzerstudien an Proband/-innen mit und ohne körperliche
Einschränkungen. Außerdem leitet das FAU-Team den Bereich „Shared Autonomy
between humans and robots“ des EU-Projekts, dessen Ziel es ist, die
Ergebnisse im Hinblick auf die Sicherheit zu prüfen.
Zwischen Mensch und Maschine
Prof. Castellini leitet das „Assistive Intelligent Robotics“-Lab (AIROB)
an der FAU, das sich mit der Steuerung von assistiver Robotik für die
oberen und unteren Gliedmaßen sowie funktionaller Elektrostimulation
befasst. „Wir nutzen die Möglichkeiten der Absichtserkennung zur Steuerung
von assistiver und rehabilitativer Robotik“, erklärt der Wissenschaftler.
„Dazu gehören am Körper tragbare Roboter, wie Prothesen und Exoskelette,
aber auch Roboterarme und Simulationen in der Virtual Reality.“ Die
Professur konzentriert sich dabei insbesondere auf die
Biosignalverarbeitung verschiedener Sensormodalitäten und Methoden des
maschinellen Lernens zur Absichtserkennung, forscht also an der
Schnittstelle und Interaktion zwischen Mensch und Maschine.
In seiner früheren Forschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) bis 2021 ging Castellini der Frage nach, wie virtuelle Handprothesen
Menschen mit Amputationen gegen Phantomschmerzen helfen können. Neben
Castellini ist Doktorand Fabio Egle, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der
Professur, maßgeblich an IntelliMan beteiligt. Der FAU- Anteil des EU-
Projekts wird über eine Zeit von dreieinhalb Jahren mit 467.000 Euro
gefördert, das Gesamtbudget liegt bei 6 Millionen Euro. Koordiniert von
der Universität von Bologna, sind an „IntelliMan“ unter anderem auch das
DLR, die Polytechnische Universität von Katalonien, die Universität Genua,
die Universität „Luigi Vanvitelli“ in Kampanien sowie die Bayerische
Forschungsallianz (BayFOR) beteiligt.