„Spritze gegen den Herzinfarkt“: Wie ordnet ein Kardiologe neuartigen Cholesterinsenker ein?
Herz- und Lipidspezialist erläutert im Interview neuartige Cholesterin-
Therapie nach dem RNA-Wirkprinzip. Wirkstoff Inclisiran bietet
möglicherweise ganz neue Therapieperspektive
Ein hoher Cholesterinspiegel zählt zu den größten Risikofaktoren für Herz-
Kreislauf-Erkrankungen. Insbesondere hohe Werte des LDL (LDL=Low Density
Lipoprotein)-Cholesterins (LDL-C) steigern dieses Risiko. Überschüssiges
LDL-C im Blut lagert sich nachweislich in den Gefäßwänden ab und
verursacht Gefäßverkalkungen (Arteriosklerose). Gemeinsam mit anderen
Risikofaktoren steigern diese Verkalkungen das Risiko für Herzinfarkte und
Schlaganfälle. Allein in Deutschland werden pro Jahr fast 200.000
Herzinfarkt-Patienten stationär in Kliniken versorgt. Nun macht neuerdings
eine „Spritze gegen Herzinfarkt“ in Fachkreisen und in den Medien von sich
reden. Was hat es damit auf sich? Und wie ordnen Experten wie der
Kardiologe Professor Dr. Ulrich Laufs vom wissenschaftlichen Beirat der
Deutschen Herzstiftung und Direktor der Klinik und Poliklinik für
Kardiologie am Universitätsklinikum Leipzig diese medizinische Entwicklung
zur Senkung von Cholesterin ein?
Konkret handelt es sich bei dem derzeit viel diskutierten Medikament um
den Cholesterinsenker Inclisiran, einen Vertreter der noch jungen
Substanzklasse der sogenannten PCSK9-Hemmer. PCSK9-Hemmer sind Antikörper
gegen das körpereigene Enzym PCSK9, das am Abbau von LDL-Rezeptoren auf
den Leberzellen beteiligt ist. Wird PCSK9 am Rezeptorabbau gehindert, kann
die Leber mehr LDL-C aus dem Blutkreislauf aufnehmen und abbauen. Das
führt zu einem Absinken der LDL-C-Werte im Blut und soll so die Ablagerung
von Blutfetten in den Gefäßen (Arteriosklerose) verhindern. Das vor rund
zwei Jahren zur Lipidtherapie in besonderen Fällen zugelassene Inclisiran
nimmt unter den bisher zugelassenen PCSK9-Hemmern eine Sonderstellung ein,
denn es handelt sich hierbei um einen siRNA-Wirkstoff. Er wird dabei
genauso wie die herkömmlichen PCSK9-Hemmer (Evolocumab, Alirocumab) unter
die Haut gespritzt.
„Das Besondere an der neuen Substanz ist, dass sie direkt und
hochspezifisch in den genetisch programmierten und über RNA vermittelten
Produktionsprozess des Enzyms PCSK9 eingreift. Unsere Erbinformation
selbst, die DNA, wird durch diesen Wirkstoff in keiner Weise berührt“,
erklärt Prof. Laufs, der auch Leiter der Lipidambulanz am Leipziger
Uniklinikum ist, im Herzstiftungs-Podcast unter www.herzstiftung.de
/spritze-gegen-herzinfarkt
Einsatz von Inclisiran noch stark begrenzt
Das Medikament mit dem RNA-Wirkstoff kann nach bisher bekannten
Studienergebnissen den LDL-C-Wert um im Mittel 50 % senken. „Wir könnten
rechnerisch mit so einer 50-Prozent-Senkung des LDL-Cholesterins die
Arteriosklerose zu 60 bis 90 Prozent verhindern“, so Prof. Laufs im
Herzstiftungs-Podcast, „wenn die Therapie in jungen Lebensjahren beginnt
und dauerhaft durchgeführt werden kann – vorausgesetzt, es kommt zu keinen
Nebenwirkungen.“
Die Indikation für eine Verordnung von Inclisiran auf Kassenrezept ist
allerdings bisher sehr eng gestellt. Es muss noch in einer klinischen
Endpunktstudie auf Sicherheit und Wirksamkeit dahingehend geprüft werden,
ob es neben der Cholesterinsenkung auch zu einer Verminderung von
kardiovaskulären Ereignissen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen kommt.
Daher kann Inclisiran von Fachärzten bisher nur in besonderen Fällen
Patienten mit primärer heterozygoter familiärer oder nicht familiärer
Hypercholesterinämie sowie mit gemischter Dyslipidämie verschrieben
werden: wenn eine Unverträglichkeit für andere Cholesterinsenker (Statine)
besteht oder wenn eine maximal cholesterinsenkende Therapie mit
Medikamenten und Lebensstiländerung nach 12 Monaten nicht zum
LDL-C-Zielwert führt. „Wir brauchen bei allem Optimismus natürlich auch
sorgfältige klinische Prüfungen zu Sicherheit und Wirksamkeit des
Medikaments, die bis zur breiten Anwendung von Inclisiran bei hohen
LDL-C-Werten noch durchzuführen sind“, stellt Prof. Laufs klar.
Entsprechende Ergebnisse soll die ORION-4-Studie mit 15.000 Patienten
liefern. Die Auswertung der Daten bezüglich eines Schutzes vor Herzinfarkt
und Schlaganfall wird 2024 erwartet.
Spritze nur alle sechs Monate: Arzt-Patienten-Kontakt darf nicht leiden
Als Therapievorteil wertet Laufs, dass Inclisiran im Vergleich zu den
anderen verfügbaren PCSK9-Hemmern (Evolocumab, Alirocumab) nicht alle zwei
bzw. vier Wochen gespritzt werden muss, sondern nach der ersten Injektion,
einmalig nach drei Monaten und dann nur noch alle sechs Monate. Diese lang
anhaltende Wirkung über ein halbes Jahr sei eine Chance für die Therapie,
so der Lipid-Spezialist: „Das größte Problem bei Dauertherapien – sei es
gegen Bluthochdruck, Diabetes, aber insbesondere auch gegen zu hohes
Cholesterin – das sind nämlich die vergessenen Tabletten. Und in dem
Moment, wo eine Tablette vergessen ist, kann natürlich die Wirkung nicht
da sein.“
Allerdings dürfe aufgrund der langen Wirkdauer des Medikaments der
regelmäßige Austausch zwischen Arzt und Patient nicht ausbleiben. Bei
aller Euphorie, die diese Therapie in Zukunft zum Schutz vor
Arteriosklerose und damit Herzinfarkten bieten könnte, sei bei einer
Cholesterin-Behandlung die Prävention stets in das Gesamtkonzept mit
einzubinden, betont Laufs. Arzt und Patient sollten dies gemeinsam
besprechen. „Und das umfasst an erster Stelle den Lebensstil und dann erst
Medikamente. Das muss bleiben.“
Bei leicht erhöhtem LDL-C häufig zunächst Lebensstil-Anpassung
Häufig reicht zur Senkung des kardiovaskulären Risikos bei leicht erhöhten
LDL-C-Werten eine Umstellung der Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten.
Erst bei stark erhöhten Werten oder wenn Lebensstilmaßnahmen nicht
ausreichen, um das Infarktrisiko zu verringern, kommt eine medikamentöse
Therapie zum Einsatz. „Am besten wissenschaftlich gesichert ist hierfür
der Einsatz von Statinen“, so Laufs. „Dabei gilt: Je niedriger die LDL-
Cholesterinwerte, desto niedriger das Risiko. Wie hoch die
Cholesterinwerte sein dürfen, ist aber individuell und hängt von
verschiedenen Faktoren wie dem Gesamtrisiko für Herz-Kreislauf-
Erkrankungen und damit von zusätzlich bestehenden Risikofaktoren ab.“
Lässt sich der Cholesterinspiegel mit Statinen nicht ausreichend senken,
kann auch eine Kombinationstherapie sinnvoll sein. Dazu stehen z.B.
Ezetimib, Bempedoinsäure und auch die PCSK9-Hemmer zur Verfügung. Infos:
www.herzstiftung.de/cholesteri
(wi/ne)
Jetzt reinhören! Podcast „Eine Spritze gegen Herzinfarkt – ist das
realistisch?“
Der Podcast mit dem vollständigen Gespräch mit Prof. Dr. Ulrich Laufs ist
zu hören unter: www.herzstiftung.de/spritze-ge
Alle Podcasts können auf der Herzstiftungs-Website unter
www.herzstiftung.de/podcasts direkt gehört werden und sind ebenso bei den
einschlägigen Podcast-Anbietern wie Spotify und Apple iTunes zu finden.
Alle 14 Tage gibt es einen neuen „imPULS“-Podcast.
Informationen über Ursachen und Folgen hoher Cholesterinwerte sowie
Möglichkeiten der Therapie finden Betroffene und Interessierte unter
www.herzstiftung.de/cholesteri
Den kostenfreien Ratgeber „Hohes Cholesterin: Was tun?“ kann man unter
www.herzstiftung.de/bestellung oder per Tel. unter 069 955128-400
anfordern.