Etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Angststörung. Shutterstock/ Chinnapong
Etwa sieben Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Angststörung. Viele haben einen langen Leidensweg hinter sich, bevor sie adäquate Unterstützung bekommen. Bietet eine Smartphone-App schnelle erste Hilfe für Menschen mit einer Panikstörung und Agoraphobie, also Platzangst? Das wollen klinischen Psycholog:innen der Jacobs University in einer Studie herausfinden, für die noch Teilnehmende gesucht werden.
„Menschen, die Panikstörungen und Platzangst haben, erleben wiederholt plötzliche und unerwartete Panikattacken oder Angstanfälle, die zum Beispiel mit starkem Herzrasen, Schwindel, Schweißausbrüchen und Todesangst einhergehen“, sagt Dr. Thomas Lang, Psychologieprofessor an der Jacobs University.
In ihrem Alltag sind diese Menschen durch die Angst häufig stark einschränkt. Um Abhilfe zu schaffen wurde die App „Mindable“ entwickelt, die Betroffene dabei unterstützen soll, ihre Ängste aktiv und eigenständig zu reduzieren. Die App wurde auf Grundlage eines wissenschaftlich überprüften Behandlungsvorgehens erstellt, allerdings ist über ihre tatsächliche Wirksamkeit wenig bekannt. Das Department of Psychology and Methods der Jacobs University führt daher in Kooperation mit Institutionen in Bremen, Hamburg und Münster eine randomisierte, kontrollierte Studie durch. Überprüft werden soll, ob sich der Gesundheitszustand von Betroffenen durch die Smartphone-App tatsächlich verbessern lässt.
Teilnehmen an der Studie können Personen, die mindestens 18 Jahre alt sind und unter plötzlichen Angst- oder Panikattacken mit Körpersymptomen leiden, sowie durch die Angst im Alltag eingeschränkt sind – zum Beispiel beim Busfahren, bei Kaufhausbesuchen oder auch durch die Angst, alleine das Haus zu verlassen. Sie sollten sich aktuell nicht in einer Psychotherapie befinden.
Interessierte können sich bei der zentralen Studienkoordination an der Jacobs University melden. Sie werden dann, abhängig von ihrem Wohnort, zunächst zu einer Eingangsuntersuchung in eines der Studienzentren in Bremen, Hamburg oder Münster eingeladen. Im Rahmen der Untersuchung erfolgt eine standardisierte, psychologische Diagnostik. Anschließend entscheidet der Zufall, ob die App direkt oder nach Ablauf des achtwöchigen Untersuchungszeitraums genutzt werden kann. Alle Teilnehmenden werden außerdem gebeten, zu Hause einen Online-Fragebogen auszufüllen. Die Abschlussuntersuchung erfolgt erneut in dem jeweiligen Studienzentrum.
Über die Jacobs University Bremen: In einer internationalen Gemeinschaft studieren. Sich für verantwortungsvolle Aufgaben in einer digitalisierten und globalisierten Gesellschaft qualifizieren. Über Fächer- und Ländergrenzen hinweg lernen, forschen und lehren. Mit innovativen Lösungen und Weiterbildungsprogrammen Menschen und Märkte stärken. Für all das steht die Jacobs University Bremen. 2001 als private, englischsprachige Campus-Universität gegründet, erzielt sie immer wieder Spitzenergebnisse in nationalen und internationalen Hochschulrankings. Ihre mehr als 1500 Studierenden stammen aus mehr als 120 Ländern, rund 80 Prozent sind für ihr Studium nach Deutschland gezogen. Forschungsprojekte der Jacobs University werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder aus dem Rahmenprogramm für Forschung und Innovation der Europäischen Union ebenso gefördert wie von global führenden Unternehmen. Für weitere Informationen: www.jacobs-university.de Facebook | Youtube | Twitter | Instagram | Weibo
v.l.n.r.: Keynote-Sprecher Claire Steves, Ulrich Liener, Nathalie van der Velde und Rainer Dziewas v.l.n.r.: privat, Marienhospital Stuttgart, Dirk Gillissen, Klinikum Osnabrück
Am Donnerstag startet der wichtigste Online-Kongress für Altersmediziner im deutschsprachigen Raum. An drei Tagen werden in 24 digitalen Symposien aktuelle Themen und die neuesten Erkenntnisse der Geriatrie diskutiert. „Wir bieten ein überaus abwechslungsreiches und interdisziplinär gestaltetes Programm, hochkarätige nationale und internationale Keynote- Speaker sowie ein Veranstaltungsformat, das sich einfach und flexibel auch ohne Präsenz verfolgen lässt“, sagt Kongresspräsident Professor Rainer Wirth.
Der Online-Kongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) findet vom 2. bis 4. September statt unter dem Motto „Geriatrie – Brücke zwischen Generalisten und Spezialisten“. Kurzentschlossene können sich noch an den Veranstaltungstagen über die Kongress-Website registrieren.
Premiere feiert in diesem Jahr der „DGG-Preis für das Lebenswerk“, der jetzt am ersten Kongresstag erstmals verliehen wird. „Damit zeichnen wir ab sofort Persönlichkeiten aus, die auf Jahrzehnte geriatrischer Tätigkeit zurückblicken können und große Verdienste für die Altersmedizin in Deutschland erzielt haben“, so Wirth. „Wir verraten allerdings noch nicht, wer das sein wird – die Online-Teilnehmenden können gespannt sein, wer die mit dem Preis verbundene Special-Lecture halten wird.“
Gespannt sein dürfen Teilnehmende des DGG-Online-Kongresses auch auf vier hochkarätige Keynotes in den Themenbereichen Alterstraumatologie, Schluckstörungen, Long-COVID und Sturzprophylaxe. Hier eine Kurzübersicht zu den vier Keynote-Höhepunkten des DGG-Kongresses:
Keynote-Lecture Ulrich Christoph Liener: Die Meilensteine aus 20 Jahren Alterstraumatologie
Rund 800.000 alterstraumatologische osteoporotische Verletzungen und 170.000 hüftgelenksnahe Frakturen bei vornehmlich älteren Menschen wurden allein im letzten Jahr in Deutschland verzeichnet. Diese Zahlen werden aufgrund der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Sie sind nur ein Indikator dafür, wie wichtig die enge Zusammenarbeit von Unfallchirurgen und Geriatern für eine gute Patientenversorgung ist. Prof. Dr. med. Ulrich Christoph Liener, Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Marienhospital Stuttgart, ist einer der führenden Mediziner im Bereich Alterstraumatologie mit über 20 Jahren Erfahrung. Er hat unter anderem das erste Weißbuch Alterstraumatologie miterstellt, dessen zweite Ausgabe derzeit in Arbeit ist. Beim Online-Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) stellt er in seiner Keynote „Unfallchirurgie beim geriatrischen Patienten – modernes Handwerk mit Grips und Technik“ Meilensteine aus zwei Jahrzehnten Alterstraumatologie vor.
Termin: Donnerstag, 2. September, 16:45 Uhr, Unfallchirurgie beim geriatrischen Patienten – modernes Handwerk mit Grips und Technik
Keynote-Lecture Rainer Dziewas: Schluckstörungen im Alter verstehen – Ursachen, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten
Im Alter steigt das Risiko, eine Schluckstörung zu entwickeln, drastisch an: Bei mehr als 50 Prozent der Pflegeheimbewohner und rund 70 Prozent aller im Krankenhaus behandelten geriatrischen Patienten treten altersabhängig bedingte Veränderungen des Schluckaktes (Presbyphagie) auf – mit möglichen Folgen wie Pneumonie, Mangelernährung oder Dehydratation. Das Bewusstsein und das Wissen darüber haben in der medizinischen Fachwelt in den letzten Jahren stark zugenommen. Einen wichtigen Beitrag zu dieser erfreulichen Entwicklung leistet Deutschlands führender Dysphagie-Experte Professor Dr. Rainer Dziewas, Chefarzt der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation am Klinikum Osnabrück. Der renommierte Neurologe hat unter anderem wesentlich bei der Erstellung eines Curriculums zur Flexiblen endoskopischen Evaluation des Schluckakts (FEES) beigetragen, das gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) entwickelt wurde. Wie sich mit FEES und anderen Diagnose-Tools individuelle Schluckmuster erkennen und darauf aufbauend, adäquate therapeutische Strategien auswählen lassen, zeigt Dziewas in seiner Keynote-Lecture.
Termin: Freitag, 3. September, 15:45 Uhr, Dysphagie verstehen – die Pathophysiologie der oropharyngealen Dysphagie
Keynote-Vortrag Claire Steves: Wie Zwillingsstudien neue Erkenntnisse über den Einfluss von Long-COVID auf das Altern liefern
In der öffentlichen Debatte wird das Thema Long-COVID derzeit vor allem im Zusammenhang mit Menschen unter 60 Jahren diskutiert. Doch auch viele ältere Menschen leiden unter den Langzeitfolgen, wie Geriater im klinischen Alltag erleben. Das wirft viele wichtige Forschungsfragen auf, zum Beispiel: Wie wirkt sich die Langzeiterkrankung auf den Alterungsprozess der über 60-Jährigen aus? Welche Mechanismen liegen diesem Prozess zugrunde? Wie kann die Immunantwort bei älteren, gebrechlichen Menschen gestärkt werden? Was lässt sich daraus für den Umgang mit anderen Infektionskrankheiten lernen? Dr. Claire Steves (Foto), Clinical Senior Lecturer am King's College London und Consultant Geriatrician am Guys and St Thomas's NHS Foundation Trust, sucht nach Antworten auf diese Fragen, indem sie Zwillinge im größten Zwillingsregister Großbritanniens untersucht. In ihrem mit Spannung erwarteten Hauptvortrag auf dem Online-Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) wird sie die ersten Ergebnisse dieser potenziell wegweisenden Forschung vorstellen.
Termin: 3. September, 16:45 Uhr, COVID in the older population – new insights from symptom tracking and twins
Keynote-Lecture Nathalie van der Velde: Falls in older persons – does medication play a role?
Stürze sind die Hauptursache für Verletzungen und verletzungsbedingte Todesfälle bei älteren Menschen – maßgeblichen Anteil daran haben auch Nebenwirkungen bestimmter Medikamente: Rund 90 Prozent aller Sturz- Patienten nehmen sogenannte „Fall-risk-increasing Drugs“, kurz FRIDs, ein, die zum Beispiel zur Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen oder Depressionen verschrieben wurden. Die Gründe dafür, warum FRIDs im klinischen Alltag dennoch zu selten abgesetzt werden, beziehungsweise ihre Einnahme nicht modifiziert wird, sind vielfältig: Zum Beispiel Unwissenheit über FRIDs sowie die Neigung, positive Effekte bei Medikamenten zu überschätzen, aber auch negative Effekte zu unterschätzen. Und vor allem: fehlende Leitlinien zu diesem Thema. Zudem sind medikamentöse Nebenwirkungen höchst individuell. Klare und strukturierte Guidelines und Vorhersagemodelle für den klinischen Alltag zu schaffen, die sturzgefährdete ältere Menschen identifizieren helfen und individuelle Sturzprophylaxe ermöglichen – das ist das Forschungsziel von Prof. Nathalie van der Velde (Foto), Geriaterin am Amsterdam University Medical Center (AMC). Als Leiterin der Task and Finish Group on FRIDs der Europäischen Gesellschaft für Geriatrische Medizin (EuGMS) hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, diese wichtige Forschung auch europaweit zu fördern, zu optimieren und zu harmonisieren. Das Deprescribing-Tool STOPPFall, eine der aktuellen Errungenschaften dieser Forschungsgruppe, kann Geriatern im Alltag eine wertvolle Entscheidungshilfe zur Medikation von Patienten bieten. Dieses Tool sowie weitere spannende Resultate und Erfahrungen aus ihrer Forschungsarbeit wird van der Velde ihm Rahmen ihrer Keynote-Lecture beim DGG-Online-Jahreskongress vorstellen.
Termin: Samstag, 4.September, 9:45 Uhr, Falls in older persons – does medication play a role?
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Landwirtschaftliche Flächen, vom Satelliten aus mit der Wärmebildkamera betrachtet. ConstellR
Mit einem Satellitensystem, das den Trockenstress von Pflanzen misst, haben zwei Forscher aus dem Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, jetzt das Spin-off ConstellR gegründet. Die Technologie ermöglicht es der Landwirtschaft, die Bewässerung der Anbauflächen zu optimieren und damit den Ernteertrag zu steigern. Das erste Sensorsystem startet Anfang 2022 ins All, um an Bord der Internationalen Raumstation ISS installiert zu werden.
Die Weltbevölkerung wächst und mit ihr der Bedarf an Nahrungsmitteln. Da die Ackerflächen begrenzt sind, muss die Landwirtschaft künftig auf derselben Fläche mehr ernten. Das bedeutet auch, dass der Anbau verbessert werden muss. Ein wichtiger Hebel ist die optimale Versorgung mit Wasser. Denn wenn Pflanzen in Wasserstress geraten, stecken sie weniger Energie in ihre Früchte, und die Ernte fällt kleiner aus. Das Problem besteht darin, dass sich der Zustand der Pflanzen auf den riesigen Ackerflächen weltweit nur schwer messen lässt. Zwar nutzt man schon seit den 1970er-Jahren Satellitendaten für den Überblick, doch sind diese relativ ungenau. Zum Einsatz kommen bisher vor allem visuelle und sogenannte nah-infrarote Sensoren, die den Pflanzenfarbstoff Chlorophyll erkennen. Das Chlorophyll baut sich ab, wenn Pflanzen zu wenig gewässert werden. »Dann ist es aber bereits zu spät«, sagt Dr. Max Gulde, Physiker am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, in Freiburg. »Was wir brauchen, ist eine Technologie, die innerhalb weniger Stunden verrät, ob Pflanzen ausreichend mit Wasser versorgt sind.«
Algorithmen bestimmen Temperatur auf der Blattoberfläche
Genau diese Technologie hat Max Gulde gemeinsam mit seinem Kollegen Marius Bierdel am Fraunhofer EMI entwickelt. Auch hier kommt Satellitentechnik zum Einsatz. Das Forschenden-Team nutzt dabei eine weiterentwickelte Wärmebildkamera im Satelliten. Spezielle Algorithmen werten die Daten aus und bestimmen damit die Temperatur auf der Blattoberfläche der Pflanzen. Daraus wiederum lassen sich Rückschlüsse auf deren Wasserversorgung ziehen. Bei Wassermangel verringert sich die Verdunstung von Wasser über die Blätter. Damit steigt die Temperatur an der Blattoberfläche. »Innerhalb von zwei Stunden kann sich die Temperatur um zwei bis drei Grad Celsius verändern«, sagt Max Gulde. »Unser Verfahren misst auf ein Zehntelgrad genau und löst die Temperatur-Differenzen sehr fein auf.« Technisch gesehen misst der Sensor die in Form von Photonen von den Pflanzen abgestrahlte Energiemenge.
Eine Herausforderung bei der Entwicklung bestand darin, störende Wärme, die von der Atmosphäre, der Erdoberfläche oder vom Satelliten selbst abgestrahlt wird, herauszurechnen. Diese verfälscht die Temperaturdaten von der Blattoberfläche. Auch das ist den Forschenden am Fraunhofer EMI mit den Algorithmen gelungen. Die Nachricht, wie gut das System funktioniert, kam von der Europäischen Weltraumorganisation ESA. »Wir sind ganz unbedarft an die Sache herangegangen, bis die ESA uns mitgeteilt hat, dass das ein echter Durchbruch sei. Das Problem der Temperaturmessung hatte vor uns niemand auf so kompakte Weise lösen können«, sagt Max Gulde. Die Daten werden von den Satelliten auf Bodenstationen heruntergeladen, in Rechenzentren prozessiert, für den Anwender aufbereitet und schließlich auf die App der landwirtschaftlichen Nutzer übertragen.
Optimale Bewässerung fast in Echtzeit
Der entscheidende Vorteil der Technologie: Die Daten und Informationen über die Wasserversorgung von Pflanzen liegen schon nach Stunden vor. Landwirte und Landwirtinnen können damit praktisch in Echtzeit ihre Bewässerung anpassen und gezielt jene Äcker oder Pflanzen wässern, die besonders betroffen sind. Die punktgenaue Bewässerung hilft dabei auch, Wasser zu sparen. Darüber hinaus lassen sich genauere Ernteprognosen erstellen und dementsprechend Preise für landwirtschaftliche Produkte frühzeitig kalkulieren, weil schon viele Wochen im Voraus zu erkennen ist, wie stark eine Dürre eine Ernte schädigen könnte. »Das gibt den landwirtschaftlichen Produzenten deutlich mehr Planungssicherheit«, sagt Gulde.
Schon Anfang 2022 soll die neue Technologie im All an Bord der Internationalen Raumstation in Betrieb gehen. »Ich freue mich sehr, dass das erste Spin-off des Fraunhofer EMI mit den am Institut entwickelten Technologien dazu beitragen wird, weltweit die Bewässerung von Feldern und Äckern und damit den Ernteertrag zu optimieren. Sie verbessern die Ernährungssicherheit für die Menschen und stellen deshalb gerade in Zeiten des Klimawandels einen bedeutenden Fortschritt dar«, sagt Prof. Dr. Frank Schäfer, Leiter der Abteilung Systemlösungen am Institut.
Der Weg zur Ausgründung ConstellR
Für die weitere Entwicklung und Vermarktung der Technologie haben Gulde und Bierdel die Firma ConstellR gegründet. Seit 2015 sind die beiden Wissenschaftler an Forschungsarbeiten zur Nanosatellitenmission ERNST beteiligt, bei der eine kompakte Wärmebildkamera zum Einsatz kommt. Die Idee, eigene Satelliten mit räumlich hochauflösenden Wärmebildkameras zur Temperaturmessung auszustatten, hatten sie schon im Jahr 2017. Damals galt es für junge Forscherinnen und Forscher im Rahmen des europäischen Ideenwettbewerbs Copernicus Masters, den »kleinsten Satelliten mit dem größten gesellschaftlichen Nutzen« zu konzipieren. Die Forscher am Fraunhofer EMI wurden mit ihrer Idee in ein Existenzgründerprogramm – einen Accelerator – aufgenommen. »In der Zeit haben wir das ganze Einmaleins des Unternehmertums gelernt«, sagt Max Gulde. Doch erst eine Förderung in Höhe von 1,8 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, an der sich das Fraunhofer EMI mit zehn Prozent beteiligte, machte die Entwicklung des Satellitensystems und die Gründung von ConstellR möglich.
Ende 2022 werden die beiden Experten die Fraunhofer-Gesellschaft verlassen, um sich voll ihrer Entwicklungsfirma widmen zu können. Jetzt schon sind aus ihrer Forschungsarbeit drei Patente hervorgegangen.
Bambus lässt sich ähnlich wie Holz zu stabilen Platten verarbeiten. Fraunhofer
Als schnell nachwachsender Rohstoff ist Bambus ein idealer Ersatz für Holz. Doch bei Feuchtigkeit ist die Anfälligkeit für Schimmelpilze ein Problem. Nun haben Fraunhofer-Forschende das Feuchteverhalten von Bambus unter bestimmten klimatischen Bedingungen analysiert. Mithilfe einer Simulations-Software können Bauherren Maßnahmen planen und umsetzen, die das Auftreten von Schimmelpilzen verhindern.
In Zeiten des Klimawandels zählt die Bambusstaude zu den Hoffnungsträgern. Bambus ist ein schnell nachwachsender Rohstoff, bindet CO2, lässt sich ressourcenschonend verarbeiten und ist biologisch abbaubar. Deshalb setzt auch die Baubranche zunehmend auf Bambus als Ersatzstoff für Holz, das angesichts der weltweit steigenden Bautätigkeit knapp wird.
Allerdings hat die Bambusoideae (wiss. Name) aus der Familie der Süßgräser aus bautechnischer Sicht ein Problem: Bäume entwickeln im Laufe ihres jahrhundertelangen Lebens Abwehrstoffe gegen schädliche Bakterien und Schimmelpilze. Die Lebensdauer einer Bambusstaude liegt bei nur 20 Jahren. Dementsprechend hat sie weniger Abwehrstoffe und ist daher anfällig gegen Schimmelpilzbefall.
Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP stellt nun eine Lösung vor, die das Feuchteverhalten von Bambus prognostizierbar macht und damit ein effizientes Feuchtemanagement des Werkstoffs ermöglicht. »Ziel ist, das Auftreten von Schimmelpilzen zu vermeiden, ohne dass man chemische Gifte einsetzen müsste, die auch für den Menschen schädlich sind«, erklärt Prof. Dr. Hartwig Künzel, Leiter der Abteilung Hygrothermik am Fraunhofer IBP.
Labortest ermittelt die Stoffkennwerte
Im ersten Schritt werden die hygrothermischen Stoffkennwerte von Bambus unter bestimmten klimatischen Bedingungen ermittelt. Nach Untersuchungen in China fanden weitere Tests auf dem Freilandversuchsgelände des Fraunhofer IBP in Holzkirchen bei München statt. Hier wurden Bambusprodukte der Witterung ausgesetzt und dabei die klimatischen Bedingungen detailliert von einer meteorologischen Station protokolliert. Anschließend untersuchte ein Expertenteam den Werkstoff im Labor. Wie viel Wasser bzw. Wasserdampf nimmt Bambus auf? Wie viel gibt er wieder ab und wie vollzieht sich der Feuchtigkeitstransport innerhalb des Werkstoffs? Für Letzteres wurde das Material im Kernspintomografen untersucht, der anzeigt, wie sich das aufgesogene Wasser innerhalb des Werkstoffs verteilt und bewegt.
Simulations-Software für alle klimatischen Bedingungen
Technologisches Herzstück des Projekts ist die hygrothermische Simulations-Software WUFI®. Es handelt sich um ein instationäres und weltweit experimentell validiertes Rechenverfahren. Sie ermöglicht eine realitätsnahe Simulation der Wärme- und Feuchteverhältnisse in Bauteilen und Gebäuden. Mit den im Labor ermittelten Kennwerten simuliert die Software das Verhalten von Bambus unter bestimmten klimatischen Bedingungen und stellt die Entwicklung als animierte Grafik mit einem zeitlichen Verlauf dar. Daraus lässt sich ableiten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Schimmelpilzbefall auftritt. Bei Bambus beginnt der gefährliche Bereich typischerweise bei Umgebungsbedingungen von 80 Prozent relativer Luftfeuchte. Ein Bauunternehmen, das Bambus für den nachhaltigen Gebäudebau einsetzt, kann auf Basis der Software-Analyse Maßnahmen einplanen, die für wirksame Rahmenbedingungen wie beispielsweise den Schutz vor Feuchte sorgen.
»Die Software WUFI® liefert verlässliche und detaillierte Ergebnisse zum Feuchteverhalten von Bambus. Bauunternehmen und Architekten können damit baubiologisch einwandfreie und nachhaltige Gebäude mit Bambus als Werkstoff planen und realisieren«, freut sich Künzel. Daneben können die Erkenntnisse auch genutzt werden, um neue Anwendungsgebiete für unterschiedliche Bambuswerkstoffe zu erschließen.
Die Simulationssoftware hatten die Forschenden schon vor Jahren entwickelt. Angesichts des aktuell steigenden Bedarfs an Holzersatzstoffen haben die Fraunhofer-Forschenden die Software nun auch für den Werkstoff Bambus validiert. »Je nach Anwendung und Anspruch stehen verschiedene Varianten von WUFI® zur Verfügung, die wir auch an internationale Partner lizenzieren«, sagt Künzel. Als Ersatzstoff für Holz ist Bambus bestens geeignet. Der faserige Werkstoff ist leicht, bietet enorme Langzeitstabilität und lässt sich ähnlich wie Holz zu Platten verarbeiten, etwa für Wandverkleidungen. Da Bambus sehr hart ist, eignet er sich auch als Fußboden. Aufgrund seiner Flexibilität ist Bambus für Gebäude in Erdbebengebieten ideal.
Ein weiterer umweltfreundlicher Holzersatz, den das Fraunhofer IBP bereits erforscht hat, ist Rohrkolben (Typha), der als stabiler, dämmfähiger und nachwachsender Baustoff für Wände gute Dienste leistet. Das Know-how im Bereich der Holzersatzstoffe ist aber nur ein Teil der Kompetenzen des Fraunhofer IBP. Das Institut mit Standorten in Stuttgart und Holzkirchen verfügt über langjährige Expertise auf den Gebieten der Bauphysik. Dazu gehören beispielsweise Bautechnik, Raumklima und Biohygrothermik – immer auch unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. So erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch das Raumklima in Flugzeugen oder das Feuchtigkeitsmanagement bei Verpackungen. Aktuell ist ein Projekt geplant, bei dem die Möglichkeiten für einen klimastabilen Transport von empfindlichen Waren geprüft werden.