Satelliten messen Trockenstress bei Pflanzen


Mit einem Satellitensystem, das den Trockenstress von Pflanzen misst,
haben zwei Forscher aus dem Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik,
Ernst-Mach-Institut, EMI, jetzt das Spin-off ConstellR gegründet. Die
Technologie ermöglicht es der Landwirtschaft, die Bewässerung der
Anbauflächen zu optimieren und damit den Ernteertrag zu steigern. Das
erste Sensorsystem startet Anfang 2022 ins All, um an Bord der
Internationalen Raumstation ISS installiert zu werden.
Die Weltbevölkerung wächst und mit ihr der Bedarf an Nahrungsmitteln. Da
die Ackerflächen begrenzt sind, muss die Landwirtschaft künftig auf
derselben Fläche mehr ernten. Das bedeutet auch, dass der Anbau verbessert
werden muss. Ein wichtiger Hebel ist die optimale Versorgung mit Wasser.
Denn wenn Pflanzen in Wasserstress geraten, stecken sie weniger Energie in
ihre Früchte, und die Ernte fällt kleiner aus. Das Problem besteht darin,
dass sich der Zustand der Pflanzen auf den riesigen Ackerflächen weltweit
nur schwer messen lässt. Zwar nutzt man schon seit den 1970er-Jahren
Satellitendaten für den Überblick, doch sind diese relativ ungenau. Zum
Einsatz kommen bisher vor allem visuelle und sogenannte nah-infrarote
Sensoren, die den Pflanzenfarbstoff Chlorophyll erkennen. Das Chlorophyll
baut sich ab, wenn Pflanzen zu wenig gewässert werden. »Dann ist es aber
bereits zu spät«, sagt Dr. Max Gulde, Physiker am Fraunhofer-Institut für
Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI, in Freiburg. »Was wir brauchen,
ist eine Technologie, die innerhalb weniger Stunden verrät, ob Pflanzen
ausreichend mit Wasser versorgt sind.«
Algorithmen bestimmen Temperatur auf der Blattoberfläche
Genau diese Technologie hat Max Gulde gemeinsam mit seinem Kollegen Marius
Bierdel am Fraunhofer EMI entwickelt. Auch hier kommt Satellitentechnik
zum Einsatz. Das Forschenden-Team nutzt dabei eine weiterentwickelte
Wärmebildkamera im Satelliten. Spezielle Algorithmen werten die Daten aus
und bestimmen damit die Temperatur auf der Blattoberfläche der Pflanzen.
Daraus wiederum lassen sich Rückschlüsse auf deren Wasserversorgung
ziehen. Bei Wassermangel verringert sich die Verdunstung von Wasser über
die Blätter. Damit steigt die Temperatur an der Blattoberfläche.
»Innerhalb von zwei Stunden kann sich die Temperatur um zwei bis drei Grad
Celsius verändern«, sagt Max Gulde. »Unser Verfahren misst auf ein
Zehntelgrad genau und löst die Temperatur-Differenzen sehr fein auf.«
Technisch gesehen misst der Sensor die in Form von Photonen von den
Pflanzen abgestrahlte Energiemenge.
Eine Herausforderung bei der Entwicklung bestand darin, störende Wärme,
die von der Atmosphäre, der Erdoberfläche oder vom Satelliten selbst
abgestrahlt wird, herauszurechnen. Diese verfälscht die Temperaturdaten
von der Blattoberfläche. Auch das ist den Forschenden am Fraunhofer EMI
mit den Algorithmen gelungen. Die Nachricht, wie gut das System
funktioniert, kam von der Europäischen Weltraumorganisation ESA. »Wir sind
ganz unbedarft an die Sache herangegangen, bis die ESA uns mitgeteilt hat,
dass das ein echter Durchbruch sei. Das Problem der Temperaturmessung
hatte vor uns niemand auf so kompakte Weise lösen können«, sagt Max Gulde.
Die Daten werden von den Satelliten auf Bodenstationen heruntergeladen, in
Rechenzentren prozessiert, für den Anwender aufbereitet und schließlich
auf die App der landwirtschaftlichen Nutzer übertragen.
Optimale Bewässerung fast in Echtzeit
Der entscheidende Vorteil der Technologie: Die Daten und Informationen
über die Wasserversorgung von Pflanzen liegen schon nach Stunden vor.
Landwirte und Landwirtinnen können damit praktisch in Echtzeit ihre
Bewässerung anpassen und gezielt jene Äcker oder Pflanzen wässern, die
besonders betroffen sind. Die punktgenaue Bewässerung hilft dabei auch,
Wasser zu sparen. Darüber hinaus lassen sich genauere Ernteprognosen
erstellen und dementsprechend Preise für landwirtschaftliche Produkte
frühzeitig kalkulieren, weil schon viele Wochen im Voraus zu erkennen ist,
wie stark eine Dürre eine Ernte schädigen könnte. »Das gibt den
landwirtschaftlichen Produzenten deutlich mehr Planungssicherheit«, sagt
Gulde.
Schon Anfang 2022 soll die neue Technologie im All an Bord der
Internationalen Raumstation in Betrieb gehen. »Ich freue mich sehr, dass
das erste Spin-off des Fraunhofer EMI mit den am Institut entwickelten
Technologien dazu beitragen wird, weltweit die Bewässerung von Feldern und
Äckern und damit den Ernteertrag zu optimieren. Sie verbessern die
Ernährungssicherheit für die Menschen und stellen deshalb gerade in Zeiten
des Klimawandels einen bedeutenden Fortschritt dar«, sagt Prof. Dr. Frank
Schäfer, Leiter der Abteilung Systemlösungen am Institut.
Der Weg zur Ausgründung ConstellR
Für die weitere Entwicklung und Vermarktung der Technologie haben Gulde
und Bierdel die Firma ConstellR gegründet. Seit 2015 sind die beiden
Wissenschaftler an Forschungsarbeiten zur Nanosatellitenmission ERNST
beteiligt, bei der eine kompakte Wärmebildkamera zum Einsatz kommt. Die
Idee, eigene Satelliten mit räumlich hochauflösenden Wärmebildkameras zur
Temperaturmessung auszustatten, hatten sie schon im Jahr 2017. Damals galt
es für junge Forscherinnen und Forscher im Rahmen des europäischen
Ideenwettbewerbs Copernicus Masters, den »kleinsten Satelliten mit dem
größten gesellschaftlichen Nutzen« zu konzipieren. Die Forscher am
Fraunhofer EMI wurden mit ihrer Idee in ein Existenzgründerprogramm –
einen Accelerator – aufgenommen. »In der Zeit haben wir das ganze
Einmaleins des Unternehmertums gelernt«, sagt Max Gulde. Doch erst eine
Förderung in Höhe von 1,8 Millionen Euro durch das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie, an der sich das Fraunhofer EMI mit zehn Prozent
beteiligte, machte die Entwicklung des Satellitensystems und die Gründung
von ConstellR möglich.
Ende 2022 werden die beiden Experten die Fraunhofer-Gesellschaft
verlassen, um sich voll ihrer Entwicklungsfirma widmen zu können. Jetzt
schon sind aus ihrer Forschungsarbeit drei Patente hervorgegangen.