23. bis 25. Januar, Princeton-Historiker Grafton zur Gelehrsamkeit des Humanismus
Die 5. Dagmar-Westberg-Vorlesung übernimmt vom 23. bis 25.
Januar der Historiker Anthony T. Grafton, Henry Putnam Professor of
History an der Princeton University. Der renommierte amerikanische
Wissenschaftler hält drei öffentliche Vorträge zum Thema „Early
Christianity in Early Modern Europe: Religion and Scholarship“ und ein
Kolloquium zum Thema „Christianity, Antiquarianism and the Sense of the
Past“.
Vom 15. bis zum 17. Jahrhundert entstand in Europa eine neue faszinierende
Welt humanistischer Gelehrsamkeit. Diese Epoche, die der Historiker in den
Blick nimmt, ist entscheidend in der Geschichte der Geisteswissenschaften.
Anthony Grafton entwickelt in seinen wissenschaftsgeschichtlichen
Vorträgen eine vollkommen neue Sicht auf die humanistische Gelehrsamkeit.
Rückblickend erscheint der Humanismus vielfach als eine säkulare Bewegung.
Grafton stellt aber heraus, dass sich die Gelehrten dieser Zeit mit
überraschender Intensität der philologischen und historischen Erforschung
der Kirchengeschichte widmeten und dabei höchst innovative
Forschungsmethoden entwickelten. In der Frühen Neuzeit erforschten
Gelehrte die Geschichte der Frühen Kirche, um ihre Vision einer modernen
Kirche aufzuzeigen und zu verteidigen. Ihre wissenschaftlichen
Entscheidungen wurden in einem hohen Maße von bestehenden religiösen
Bindungen und von dem Empfinden bestimmt, dass es sich bei ihren
Forschungen selbst um einen religiösen Akt handelte.
Anhand dreier Fallstudien, die Teil eines umfassenderen Projekts sind,
interpretiert Grafton die Entwicklung der frühneuzeitlichen Gelehrsamkeit
zum Frühen Christentum und zieht daraus vorläufige Schlussfolgerungen für
die Charakterisierung des Verhältnisses von Religion und Wissenschaft in
dieser Epoche. In dieser Zeit der christlichen Renaissance sammelten
Bibliografen die verstreuten Texte der Kirchenväter und andere
frühchristliche Dokumente. Gelehrte edierten die Schriften aus der Feder
von Tertullian, Augustinus und Hieronymus, kommentierten sie kritisch und
machten deutlich, dass die Kirchenväter keine Heiligen waren, denen
vollkommene Autorität zukam, sondern Menschen, die häufig in theologische
Streitigkeiten verstrickt waren. Historiker dieser Epoche verfassten auf
der Grundlage neuer Archive mit kirchlichen Dokumenten ausführliche, auch
widerstreitende geschichtliche Darstellungen der Ursprünge und der frühen
Entwicklung des Christentums.
Termine und Themen im Einzelnen
23.1. (Montag), Beginn 18 Uhr, Campus Westend, Festsaal Casino: „Judaizing
the Last Supper“
24.1. (Dienstag), Beginn 18 Uhr, Campus Westend, Hörsaalzentrum, HZ 3:
„Reading the Witnesses“
25.1. (Mittwoch), Beginn 18 Uhr, Campus Westend, Hörsaalzentrum, HZ 3:
„Finding the First Christians“
Kolloquium „Christianity, Antiquarianism and the Sense of the Past“ zu den
Vorlesungen: 24.1. (Dienstag) von 10 bis 12 Uhr, Forschungskolleg
Humanwissenschaften der Goethe-Universität, Am Wingertsberg 4, 61348 Bad
Homburg v.d. Höhe (Anmeldung unter
Zur Person des Vortragenden
Nach seinem Studium am University College London (bei dem berühmten
Althistoriker Arnaldo Momigliano) und an der University of Chicago, wo
Grafton 1975 auch promovierte, lehrte der Historiker für kurze Zeit am
Department of History der Cornell University. Noch im selben Jahr erhielt
er einen Ruf an die Princeton University, an der er bis heute wirkt. Seine
Forschungsinteressen liegen im Bereich der Kulturgeschichte der
Renaissance, der Geschichte des Buches und seiner Leser, der Geschichte
der Gelehrsamkeit in Westeuropa von der Antike bis ins 19. Jahrhundert
sowie der Wissenschaftsgeschichte von der Antike bis zur Renaissance.
Zu seinen zahlreichen Büchern zählt eine profunde Studie der Gelehrsamkeit
des herausragenden Philologen der Spätrenaissance, Joseph Justus Scaliger,
eine Darstellung der Bedeutung des Bildungsprogramms der Renaissance (From
Humanism to the Humanities, 1986) sowie Studien zu dem Astrologen Girolamo
Cardano (1999) und zu dem Humanisten Leon Battista Alberti (2000). Sein
originellstes und zugleich zugänglichstes Werk ist „The Footnote: A
curious history“ (1997; in der deutschen Übersetzung: „Die tragischen
Ursprünge der deutschen Fußnote“), eine Fallstudie zur Geschichte der
Geschichtsschreibung von unten.
Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, darunter ein Guggenheim
Fellowship (1989), den Los Angeles Times Book Prize (1993), den Balzan
Prize for History of Humanities (2002) sowie den Mellon Foundation’s
Distinguished Achievement Award (2003). Er ist zudem Mitglied der American
Philosophical Society and der British Academy.
Zur Dagmar-Westberg-Vorlesung
Die Gastprofessur ist nach dem Vorbild amerikanischer Lectures konzipiert.
Sie wird aus einem Stiftungsfonds finanziert, den die Mäzenin Dagmar
Westberg zur Verfügung gestellt hat. Nach dem Willen der Stifterin soll
das Geld ausschließlich für die Geisteswissenschaften verwendet werden. So
kann die Goethe-Universität jährlich eine/n weltweit renommierte/n
Forscher/in nach Frankfurt einladen. In den vergangenen vier Jahren fiel
die Wahl auf den Germanisten Peter Strohschneider, der nun DFG-Präsident
ist, die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum, den deutsch-
amerikanischen Archäologen Lothar von Falkenhausen und den Berliner
Theologen Christoph Markschies.
- Aufrufe: 91