Mikrobe des Jahres 2017: Halobacterium salinarum - einzellige Urform des Sehens
Am 24. Januar 1917 stach Heinrich Klebahn mit einer Nadel in den
verfärbten Belag eines gesalzenen Seefischs, übertrug ihn auf festen
Nährboden – und entdeckte einige Wochen später rote Kolonien eines
"Salzbakteriums". Heute heißt es Halobacterium salinarum und ist genau 100
Jahre später Mikrobe des Jahres 2017, gekürt von der Vereinigung für
Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM). Halobacterium salinarum
zählt zu den Archaeen, dem Reich von Mikroben, die zwar Bakterien ähneln,
aber tatsächlich enger verwandt mit Pflanzen und Tieren sind.
Rot und salzig
Archaeen sind häufig an außergewöhnliche Lebensräume angepasst,
beispielsweise heiße Quellen, extrem saure Gewässer oder – wie H.
salinarum – an hohe Salzkonzentrationen. Der Mikroorganismus wächst in
Salinen und Salzlaken, die er rot-violett färbt. Dank spezieller
Kanalproteine in der Zellhülle kann H. salinarum seinen Salzgehalt an die
äußeren Bedingungen anpassen. Sogar in Salzkristallen überlebt es hunderte
von Jahren.
Vorläufer unseres Sehsystems
Pigmente in der Zellmembran sind für die Rotfärbung verantwortlich – und
für eine besondere Art der Photosynthese, die Licht in für die Zelle
verwertbare Energie umwandelt. Die Entdeckung des dafür wichtigen
Bacteriorhodopsins aus H. salinarum gelang dem Biochemiker Dieter
Oesterhelt 1971. Das Faszinierende daran: ein vergleichbares Rhodopsin ist
in unserem Auge für den Sehvorgang verantwortlich. Die Evolution der
molekularen Grundlage unseres Sehsinns hat vermutlich seine Wurzeln in
uralten Mikrobenformen.
Lichtschalter für neue Heilmethoden
Aus der Entdeckung des Bacteriorhodopsins von Halobacterium salinarum hat
sich mittlerweile ein ganz eigenständiges Forschungsfeld entwickelt: die
Optogenetik. Rhodopsine werden heute als molekulare „Lichtschalter“
eingesetzt, um so gezielt das Verhalten von Nervenzellen zu untersuchen
und zu steuern. Erste Erfolge deuten darauf hin, dass neuronale Defekte
damit in Zukunft behandelbar sein könnten, beispielsweise
Netzhauterkrankungen, Parkinson oder Epilepsie.
Wie Halobacterium Flamingos rot färbt und weitere Informationen finden Sie
unter <www.mikrobe-des-jahres.de>. Dort stehen auch Fotos zum Download zu
Verfügung.
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Die Mikrobe des Jahres weist auf die bedeutsame Rolle der Mikroorganismen
für die Ökologie, Gesundheit, Ernährung und Wirtschaft hin. Mikrobiologen
der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) wählen
sie seit 2014 jährlich aus, um auf die Vielfalt der mikrobiologischen Welt
aufmerksam zu machen.
Die VAAM ist Gründungsmitglied im VBIO und vertritt über 3500
mikrobiologisch orientierte Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler aus
Forschung und Industrie. Die Bandbreite der Forschung reicht von
Bakterien, Archaeen und Pilzen in allen Ökosystemen und in Lebensmitteln
über Krankheitserreger bis hin zu Genomanalysen und industrieller Nutzung
von Mikroorganismen, ihren Enzymen und Stoffwechselprodukten.
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