Die Additive Fertigung, insbesondere der metallische 3D-Druck, hat sich in
den letzten Jahren von einer vielversprechenden Technologie zu einem
ernstzunehmenden Bestandteil der industriellen Produktion entwickelt. Dr.
Stefan Leuders, Head of Technology & Innovation bei der voestalpine
Additive Manufacturing Center GmbH, Düsseldorf, und Dr. Tim Lantzsch,
Abteilungsleiter Laser Powder Bed Fusion am Fraunhofer-Institut für
Lasertechnik ILT, Aachen, diskutieren über die aktuellen Trends der
Additiven Fertigung (AM), analysieren Chancen und Risiken und zeigen auf,
welche Branchen besonders profitieren können.
Wir freuen uns, mit zwei ausgewiesenen Experten über die Zukunft des 3D-
Drucks zu sprechen. Was sind die aktuellen Trends in der Additiven
Fertigung? Welche Entwicklungen sind aus Ihrer Sicht vielversprechend?
Dr. Tim Lantzsch: Ein wichtiger Trend, den ich sehe, ist die zunehmende
Anpassung von Werkstoffen und Applikationen an die spezifischen
Anforderungen der Additiven Fertigung. Viele der bisherigen Materialien
waren ursprünglich nicht für additive Verfahren entwickelt. Außerdem sehen
wir, dass die Technologie zwar teuer ist, aber durch gezielte
Kostensenkungen und die Fokussierung auf Nischenanwendungen ihr Mehrwert
klarer herausgestellt werden kann.
Dr. Stefan Leuders: Die aktuellen Trends in der Additiven Fertigung
konzentrieren sich stark darauf, die spezifischen Vorteile der Technologie
für unterschiedliche Anwendungsfelder umfassender herauszuarbeiten und
natürlich auch zu nutzen. Besonders vielversprechend ist für mich dabei
die zunehmende Bereitschaft, auch seit langem bestehende
Entwicklungsansätze zu überdenken und diese nicht eins zu eins auf
Neuprodukte anzuwenden, die später ggf. über eine additive Prozessroute
gefertigt werden sollen. So geht es für mich in erster Linie nicht darum,
bestehende Verfahren zu ersetzen, sondern vielmehr um eine Erhöhung des
Produktnutzens durch AM.
»Zu teuer« hört man im Zusammenhang mit AM immer wieder. Mit welchen
wirtschaftlichen Herausforderungen der Additiven Fertigung beschäftigen
Sie sich?
Dr. Tim Lantzsch: Die wirtschaftlichen Herausforderungen liegen vor allem
in den hohen Kosten für Anlagen und Materialien. Diese Kosten bestimmen
maßgeblich die Bauteilpreise, und hier gibt es noch erheblichen Spielraum
für Optimierungen. Besonders kritisch ist die Prozesssicherheit, die noch
nicht in der Breite gegeben ist. Wir arbeiten daran, die Additive
Fertigung von einer Spezialisten-Nische zu einer robusten, breit
anwendbaren Technologie zu entwickeln, die auch in der Massenproduktion
wettbewerbsfähig ist.
Dr. Stefan Leuders: Ein zentraler wirtschaftlicher Faktor ist nach wie vor
der Anlagenstundensatz, das sehe ich genauso. Hinsichtlich der
Anlagenkosten sehen wir allerdings zunehmend Bewegung, insbesondere
getrieben durch den außereuropäischen Wettbewerb, wodurch gleichzeitig
natürlich der Kostenanteil des eingesetzten Materials steigt und somit
auch hier ein zunehmender Druck bzgl. Kostenreduktion zu verzeichnen ist.
Trotzdem bleibt das Thema Kostenreduktion hinsichtlich der industriellen
Nutzung von AM ein wesentlicher Schlüssel, um zukünftig weitere
Anwendungsfelder erschließen zu können.
Was sind Ihrer Meinung nach die Potenziale und Grenzen der Additiven
Fertigung? Was kann uns AM insbesondere bezüglich Nachhaltigkeit bieten?
Dr. Stefan Leuders: Die Additive Fertigung bietet erhebliche
Nachhaltigkeitspotenziale, insbesondere durch die Möglichkeit, den
Materialeinsatz drastisch zu reduzieren. So wird im Gegensatz zu
subtraktiven Fertigungsverfahren nur das Material aufgeschmolzen, das
tatsächlich für das Bauteil benötigt wird. Auch in der späteren
Nutzungsphase zeigen sich oftmals Vorteile, so z.B. durch reduzierte
Ausschussraten oder geringere Taktzeiten im Al-Druckguss bzw.
Kunststoffspritzguss, die durch additiv gefertigte Werkzeuge mit
konturnaher Kühlung ermöglicht werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist
die Reparatur und Wiederaufbereitung von Werkzeugen und Bauteilen, die
durch AM wesentlich erleichtert werden. Dies kann die Lebensdauer von
Produkten erheblich verlängern und somit ebenfalls den Ressourcenverbrauch
reduzieren. Allerdings gibt es auch Herausforderungen: Die Technologie ist
für eine industrielle Nutzung weiterhin als relativ jung einzustufen,
sodass es u.a. hinsichtlich Automatisierung und Prozesssicherheit noch
Optimierungsbedarf gibt.
Dr. Tim Lantzsch: Die Potenziale der Additiven Fertigung liegen vor allem
in ihrer Fähigkeit, komplexe Geometrien und maßgeschneiderte Lösungen zu
realisieren, die mit traditionellen Verfahren kaum oder gar nicht möglich
wären. Und klar: Durch die gezielte Materialnutzung, bei der nur das
tatsächlich benötigte Material verarbeitet wird, kann der
Ressourcenverbrauch erheblich reduziert werden. Dies ist besonders
relevant, wenn man den gesamten Lebenszyklus eines Produkts betrachtet.
Wir müssen aber auch sehen, dass die Herstellung und Aufbereitung des
Materials energieintensiv ist. Zudem ist die Integration in bestehende
Produktionsprozesse oft schwierig, da AM noch häufig als Inseltechnologie
betrachtet wird.
Vor welchen technologischen Hürden steht die Additive Fertigung derzeit,
woran forschen Sie?
Dr. Stefan Leuders: Ein entscheidender Punkt ist für uns die Entwicklung
von neuen Prozessrouten, um den technischen und wirtschaftlichen
Anforderungen unserer Kunden gerecht zu werden. Auch die Auslegung und
Gestaltung der so gefertigten Bauteile und Werkzeuge spielt dabei eine
erhebliche Rolle. Zudem ist AM in der voestalpine natürlich eng mit dem
Thema »Werkstoffe« verknüpft. So arbeiten wir im Konzern intensiv an der
Entwicklung neuer Materialien und deren Nachbehandlungen, um die
technologischen Potenziale von AM voll ausschöpfen zu können.
Dr. Tim Lantzsch: Genau, eine der größten technologischen Hürden, vor der
die Additive Fertigung derzeit steht, ist die Materialvielfalt. Viele der
aktuell verwendeten Materialien sind ursprünglich nicht für die Additive
Fertigung entwickelt worden, was oft zu Kompromissen in der Qualität und
Performance führt. Aus diesem Grund kooperieren wir mit
Materialherstellern, um die Qualifizierung neuer Materialien für die
Additive Fertigung zu beschleunigen.
Zudem arbeiten wir am Fraunhofer ILT intensiv daran, die Prozesssicherheit
zu verbessern und die bestehenden Anlagen weiterzuentwickeln, damit
additive Verfahren stabiler und effizienter eingesetzt werden können. Ein
weiteres großes Thema ist die Standardisierung von Prozessen, um eine
gleichbleibende Qualität in der Massenproduktion garantieren zu können.
Die Branche ändert sich also langsam aber sicher. Wer sind die Gewinner
dieser Entwicklung in der Additiven Fertigung?
Dr. Stefan Leuders: Die langfristigen Gewinner sind die Unternehmen, die
bereit sind, strategisch in neue Technologien zu investieren und
gleichzeitig mit den damit verbundenen Unsicherheiten umgehen können.
Prominente Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit finden sich in der
Luft- und Raumfahrt oder auch in der Medizintechnik. Dabei ist es für mich
allerdings nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Ressourcen, sondern
mitunter auch eine Frage der Unternehmenskultur.
Dementgegen werden sich Branchen und Unternehmen tendenziell schwerer tun,
die stark von einer kostengetriebenen Massenproduktion abhängig sind.
Wobei auch hier gibt es genügend Anwendungsfelder, nur halt viel mehr im
Werkzeugbau und weniger im Endprodukt.
Dr. Tim Lantzsch: Das sehe ich auch so. Klare Gewinner der Entwicklung
sind Branchen, die auf maßgeschneiderte, hochkomplexe Bauteile angewiesen
sind und die Vorteile der Flexibilität und Designfreiheit der Additiven
Fertigung voll ausschöpfen können. In der Luft- und Raumfahrt sowie die
Medizintechnik bietet AM enorme Möglichkeiten, Bauteile zu optimieren und
gleichzeitig Gewicht und Materialeinsatz zu reduzieren. Auch der High-End-
Automobilbau und der Motorsport werden von den Möglichkeiten der Additiven
Fertigung profitieren, insbesondere durch die Produktion leichterer und
leistungsfähigerer Komponenten.
Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Besuchen Sie uns vom 19. bis 22. Oktober in Frankfurt am Main am
Fraunhofer-Gemeinschaftstand in Halle 11, Stand D31, um mehr über die
Möglichkeiten von AM zu erfahren.