Ökologische Nachhaltigkeit kommt beim Lausitzer Strukturwandel zu kurz
10,3 Milliarden Euro Bundes- und mehrere hundert Millionen Euro
Landesmittel fließen in den Strukturwandel in der brandenburgischen
Lausitz. Bringen die geförderten Projekte die Region auf einen
nachhaltigen Kurs? Eine Analyse von RIFS-Wissenschaftlern schürt daran
Zweifel. Selbst Ziele, die in der Landesnachhaltigkeitsstrategie verankert
sind, spielen derzeit in der Praxis kaum eine Rolle. Um das zu ändern,
müssen die zuständigen Ministerien der Nachhaltigkeit mehr Gewicht
einräumen und bei der Fördermittelvergabe an einem Strang ziehen.
Die Forscher untersuchten anhand von Dokumentenanalysen und Interviews mit
Expertinnen und Experten aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft die
Rolle von Nachhaltigkeitszielen bei der Gestaltung des Kohleausstiegs in
der brandenburgischen Lausitz. Ihre Studie ist im „Journal of
Environmental Policy & Planning“ erschienen. „Wir haben festgestellt, dass
viele der Interviewten ein eher schwaches Nachhaltigkeitsverständnis
haben, die Nachhaltigkeitsziele sind für sie also nicht handlungsleitend.
Nichtsdestotrotz gibt es Projekte, die Nachhaltigkeitsaspekte adressieren,
vor allem in den Bereichen Emissionsreduzierung, Klimaschutztechnologien,
Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur. In anderen Bereichen, darunter
Naturschutz, Wasser und nachhaltiger Konsum, finden sich dagegen kaum oder
keine Projekte“, sagt Studienautor Konrad Gürtler. Der Schwerpunkt der
geförderten Projekte liege stattdessen auf Wirtschaftswachstum und
-diversifizierung und der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Jedes Ministerium hat andere Prioritäten
Die UN-Nachhaltigkeitsziele und die Landesnachhaltigkeitsstrategie spielen
beim Strukturwandel keine entscheidende Rolle: In Bundes- und
Landesgesetzen wird Nachhaltigkeit nicht als Ziel, sondern nur als
Kriterium für die Vergabe von Mitteln genannt. In den Experteninterviews
wurde deutlich, dass Nachhaltigkeit in den Entscheidungsgremien kaum
diskutiert wird. Dies betrifft auch den Werkstatt-Prozess, bei dem in fünf
thematischen Bereichen und unter Mitwirkung von Interessensgruppen
Projekte für den Strukturwandel auf Landesebene ausgewählt werden. Die
politische Kohärenz, also das Zusammenspiel von Projekten, sowie die
Beteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen, darunter auch der jungen
Generation sind nicht hinreichend ausgeprägt, um einen tiefgreifenden
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Strukturwandel zu
gestalten. Ebenso mangelt es an einer systematischen Überwachung der
Nachhaltigkeitsauswirkungen der Projekte sowie an der Möglichkeit, im
Laufe der Zeit nachzusteuern.
Andererseits gibt es in Bereichen wie Technologie und erneuerbarer
Infrastruktur deutliche Schritte in Richtung Wandel, ebenso wie
vorsichtige Experimente mit demokratischen Innovationen. Die
transformative Wirkung dieser Initiativen bleibt jedoch ungewiss. „Während
der Umfang der Finanzhilfen für Kohleregionen darauf hindeutet, dass die
Bundes- und Landesregierungen mehr als nur einen Technologieaustausch
erreichen wollen, gibt es keine starken Signale für einen grundlegenden
Wandel in Richtung Nachhaltigkeit. Dafür müssten die Bundes- und
Landesregierung den regionalen Wandel stärker lenken“, sagt Ko-Autor David
Löw-Beer. Derzeit setze jedes Ministerium andere Prioritäten, es gebe
wenig Absprachen.
Mehr Überwachung und Beteiligung nötig
Für eine Verbesserung seien Überwachungs- und Bewertungssysteme sinnvoll,
nicht zuletzt, um die Nachvollziehbarkeit und die Möglichkeiten zur
Nachsteuerung zu erhöhen. Zudem könnten verbesserte Programme zur
Beteiligung von Zivilgesellschaft, Bürgern und Bürgerinnen, und Kindern
und Jugendlichen dazu beitragen, den Veränderungsprozess nachhaltiger zu
gestalten. Gerade angesichts der außergewöhnlich hohen finanziellen Mittel
für den Kohleaussieg sei wichtig, solche Hebelpunkte für eine umfassende
Nachhaltigkeitstransformation zu identifizieren und anzuwenden. Die Lehren
daraus könnten aus künftige Strukturwandelprozesse stärken.
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