15 Jahre GRACE: Satelliten-Duo fliegt dreimal so lange wie geplant
Wie viele Revolutionen begann GRACE mit einem radikalen Gedanken: „Die
völlig neue Idee bei GRACE war, dass man Messungen der Masse nutzen
könnte, um Informationen über das System Erde zu gewinnen“, sagt der
leitende Wissenschaftler Byron Tapley vom Center for Space Research der
University of Texas (UTCSR) in Austin. Massenverlagerungen zu verfolgen
war der Schlüssel zu einem besseren Verständnis dafür, wie Wasser und die
feste Erde sich tief im Untergrund verhalten, wo niemand hinsehen kann.
Wenn über GRACE berichtet wird, fällt oft das Wort „revolutionär“. Seit
das deutsch-amerikanische Satelliten-Duo am 17. März 2002 angefangen hat
zu senden, haben die Daten des „Gravity Recovery and Climate Experiments“
(GRACE) den Blick der Wissenschaft auf die Bewegung des Wassers und auf
Grundwasserspeicher grundlegend verändert. „GRACE hat es uns ermöglich,
mittels der Beobachtung von Massenverlagerungen nachzuverfolgen, wie
Wasser sich im Untergrund verhält“, sagt Reinhard Hüttl,
Vorstandsvorsitzender und Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen
GeoForschungsZentrums GFZ. „Dieser Bereich war der Weltraum-gestützten
Fernerkundung davor nicht zugänglich“, so Hüttl weiter, „und das hat uns
neue Möglichkeiten eröffnet, Klimaveränderungen zu beobachten und zu
quantifizieren.“ Das GFZ betreibt die Satellitenmission zusammen mit dem
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und auf amerikanischer
Seite mit dem Jet Propulsion Laboratory (JPL) der US-Raumfahrtbehörde
NASA.
Wie viele Revolutionen begann GRACE mit einem radikalen Gedanken: „Die
völlig neue Idee bei GRACE war, dass man Messungen der Masse nutzen
könnte, um Informationen über das System Erde zu gewinnen“, sagt der
leitende Wissenschaftler Byron Tapley vom Center for Space Research der
University of Texas (UTCSR) in Austin. Massenverlagerungen zu verfolgen
war der Schlüssel zu einem besseren Verständnis dafür, wie Wasser und die
feste Erde sich im Untergrund verhalten, wo niemand hinsehen kann.
Das Gewicht des Wassers
Je größer die Masse eines Objektes ist, desto größer ist auch dessen
Anziehungskraft. So üben die Alpen beispielsweise eine höhere
Anziehungskraft aus als die norddeutsche Tiefebene. Die winzigen
Unterschiede merkt kein Mensch, aber Satelliten können die Veränderung
messen. Wenn sie die Erde umkreisen und auf über eine massereiche Region
fliegen, dann beschleunigen sie minimal, wenn sie darauf zufliegen, und
werden langsamer beim Wegfliegen.
Der weitaus größte Teil der Erdanziehungskraft rührt von der Masse im
Erdinneren. Ein winziger Bruchteil allerdings geht auf das Wasser auf oder
nahe der Oberfläche zurück. Ozeane, Flüsse, Seen, Gletscher und
Grundwasser verändern sich viel rascher als das zähflüsssige Gestein im
Erdinneren, denn sie reagieren auf Jahreszeiten, Stürme, Dürren oder
andere Wettereffekte. GRACE entstand nun aus der Erkenntnis, dass die
daraus resultierenden winzigen Schwerkraftänderungen aus dem All zu messen
seien und so die Geheimnisse des Wasserkreislaufs lüften könnten.
Das Prinzip: GRACE misst die Massenveränderungen, indem es deren Effekt
auf das Satelliten-Duo aufzeichnet, das mit 220 Kilometer Abstand
hintereinander unseren Planeten umkreist. Wird ein Satellit schneller,
weil er als erstes auf ein massereiches Objekt zufliegt, vergrößert sich
der Abstand um den Bruchteil einer Haaresbreite. Mittels Mikrowellen
können diese Änderungen gemessen werden: Die Satelliten senden sich
wechselseitig Pulse zu und registrieren, wann die Wellen zurückgestrahlt
werden. Hinzu kommen GPS-Sensoren an Bord sowie Beschleunigungsmesser, um
die Überflughöhe zu bestimmen und Bremseffekte zu erkennen, die etwa durch
Reibung an atmosphärischen Teilchen entstehen. Aus all diesen Daten
errechnen die Forscherinnen und Forscher monatliche Karten der regionalen
Änderungen der Erdanziehungskraft und der daraus resultierenden
Veränderungen der Massen an der Oberfläche.
“Als die NASA diese komplexe Hochpräzisionsmission für ihr Earth System
Science Pathfinder-Programm auswählte und ich Ende der 1990-er Jahre ins
GRACE-Projekt kam, hatte ich schon meine Zweifel, ob mit GRACE jemals
monatliche Schwerefeldkarten produziert werden”, erinnert sich Frank
Flechtner vom GFZ. Er war als deutscher GRACE-Projektmanager eingestiegen
und ist heute einer der beiden leitenden Wissenschaftler bei GRACE. Er
folgte in dieser Funktion auf Christoph Reigber, den ursprünglichen “Co-
Principal Investigator” und früheren Direktor des GFZ-Departments
Geodäsie. “Schon gar nicht dachte ich, dass wir so lange Zeitreihen
erhalten würden”, fügt Flechtner hinzu.
Der Erfolg rühre aus der engen und sehr glatt verlaufenden deutsch-
amerikanischen Zusammenarbeit, sagt Flechtner. Die beteiligten Partner
sind NASA, UTCSR, das DLR, Airbus Defense and Space in Friedrichshafen und
das GFZ.
Hintergrund
Die GRACE-Satelliten wurden in Deutschland bei Airbus D&S gebaut.
Auftraggeber war das JPL der NASA in Pasadena, Kalifornien. Die Mission
wird von Oberpfaffenhofen aus gesteuert, wo das DLR ihr
Raumfahrtkontrollzentrum GSOC (German Space Operations Center) betreibt.
Gestartet wurde GRACE von einer russischen Rockot-Rakete. Das GFZ ist in
mehrfacher Hinsicht an der Mission beteiligt: Es ist Teil des GRACE
Science Data Systems mit den Partnern bei JPL und UTCSR, es trägt mit
seiner Satellitenempfangsstation auf Spitzbergen zur Steuerung des
Missionsbetriebs bei und es stellt den stellvertretenden “Mission
Operations Manager“, derzeit Heiner Massmann. Die Finanzierung des
Missionsbetriebs wird getragen durch GFZ, DLR und durch ein Programm der
europäischen Raumfahrtagentur ESA (Third Party Mission Programme).
Was hat GRACE gesehen?
In den vergangenen 15 Jahren haben Forschende weltweit Methoden der
Auswertung entwickelt, um die Schwerefelddaten mit Modellen und anderen
Beobachtungssystemen zu verknüpfen. Zu den Highlights zählen unter
anderem:
Grundwasserbeobachtung: In Böden und wasserführenden Gesteinsschichten
(Aquiferen) gespeichertes Grundwasser wird weltweit nur selten gemessen.
Der Hydrologe Matt Rodell vom Goddard Space Flight Center der NASA in
Greenbelt, Maryland (USA) schrieb seine Doktorarbeit über die
Möglichkeiten, GRACE-Daten hydrologisch zu nutzen. “Vor dem
Satellitenstart hätte niemand gedacht, dass GRACE helfen könnte, den
Raubbau an Grundwasserressourcen zu dokumentieren”, sagt Rodell. Doch in
den letzten zehn Jahren haben Rodell, Jay Famiglietti (JPL) und andere
mehr und mehr Aquifere identifiziert, die von Menschen rascher entleert
werden als sie sich erneuern können. 2015 publizierte Famiglietti
gemeinsam mit Kollginnen und Kollegen eine Übersicht, die zeigte, dass
weltweit ein Drittel der größten Grundwasserbecken dramatisch übernutzt
werden.
Hochwasservorhersage: Systeme zur Prognose von Überflutungen brauchen
Informationen in nahezu Echtzeit (near-real time oder NRT), um die
Entstehung und Entwicklung von Flutwellen abschätzen zu können. Für große
Einzugsgebiete ergeben sich so Vorwarnzeiten von einigen Tagen. Die EU
fördert das Projekt EGSIEM (European Gravity Service for Improved
Emergency Management), um genau solche NRT-Daten zum Schwerefeld und
korrespondierende Flutindikatoren zusammenzuführen. Dies soll innerhalb
des Zentrums für Satellitengestützte Kriseninformationen (ZKI) am DLR
geschehen. Der Testbetrieb wird am 1. April beginnen.
Eisschilde und Gletscher: Die Antarktis ist ein extrem unwirtlicher Ort,
um Daten zu sammeln, und Grönland ist nicht viel besser. Gleichwohl müssen
wir wissen, wie schnell die Eisschilde dort abschmelzen, um die
Schwankungen des Meeresspiegels weltweit besser zu verstehen. Forschende,
die sich mit der Kryosphäre befassen, gehörten zu den Pionieren bei der
Nutzung von GRACE-Daten. Es stellte sich schnell heraus, dass der
Massenverlust sowohl auf Grönland als in der Antarktis weitaus
dramatischer war als vorher angenommen. Seit dem Start von GRACE hat
Grönland 280 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr verloren, die Antarktis rund
120 Milliarden Tonnen.
Ingo Sasgen vom GFZ (heute beim Alfred-Wegener-Institut für Polar- und
Meeresforschung in Bremerhaven) hat zusammen mit seinem GFZ-Kollegen
Henryk Dobslaw und anderen gezeigt, wie jahreszeitlichen Schwankungen des
Schneefalls und die damit verbundene Massenzunahme auf der Antarktischen
Halbinsel mit der Stärke eines Tiefdrucksystems über der Amundsensee
zusammenhängen. Dieses Tiefdruckgebiet wiederum ist mit dem tropischen La-
Niña-Phänomen (dem Gegenstück zu El Niño) verknüpft. So haben GRACE-Daten
erstmals ermöglicht, den Effekt von atmosphärischen “Telekonnektionen”,
die das Klima der Tropen sogar mit entlegenen Regionen wie der Antarktis
verbinden, zu quantifizieren.
GRACE-Daten zeigen jedoch auch den Massenverlust von Inlandsgletschern in
vielen Bergregionen weltweit. Das geht einher mit einer Gefährdung der
Wasserversorgung in den Bergen vorgelagerten Gebieten. So hat ein
internationales Team von Forschenden unter der Leitung der GFZ-
Wissenschaftler Daniel Farinotti und Andreas Güntner anhand von GRACE-
Daten abgeschätzt, dass das Tian Shan-Gebirge derzeit jährlich doppelt
soviel Eis verliert wie ganz Deutschland an Wasser pro Jahr verbraucht.
Gekoppelt an ein glaziologisches Modell ergaben die Daten, dass die Hälfte
allen Gletschereises des Tian Shan im Jahr 2050 verschwunden sein könnte.
Ozeandynamik: Das Meerwasser erwärmt sich und dehnt sich daher aus. Hinzu
kommen die erhöhten Zuflüsse aus den Gletscherregionen und Eisschilden der
Erde. Beides trägt zum Anstieg der Meeresspiegel weltweit bei. Zwar gibt
es seit 1992 hochpräzise Meeresspiegelmessungen über die US-französische
Topex-Poseidon- und die folgenden Jason-Missionen, aber diese zeigen nur
die gesamten Höhenänderungen der Meeresoberfläche an. Um nun
herauszufinden, ob sich die (temperaturbedingte) Ausdehnung des Wassers
oder schmelzendes Eis oder der Zufluss von Land mehr auf diese Änderungen
auswirkt, muss man die Massenverteilung des Wassers untersuchen. Genau das
hat Inga Bergmann vom GFZ mit GRACE-Daten für den antarktischen
Zirkumpolarstrom getan. Gemeinsam mit Henryk Dobslaw gelang es ihr, sogar
Schwankungen in Zeiträumen von weniger als einem Monat zu dokumentieren.
Damit eröffnete sie einen weit besseren großräumigen Blick auf die Dynamik
der weltweit stärksten Meeresströmung als bisherige Messungen vor Ort
ergeben hatten.
Änderungen der festen Erde. Als Reaktion auf die Veränderung der Masse des
oberflächennahen Wassers bewegt sich sogar der zähflüssige Mantel unter
der Erdkruste, wenn auch nur um Winzigkeiten. Eine Gruppe von GRACE-
Nutzern berechnet diese Verschiebungen für ihre Forschung. Kürzlich haben
Surendra Adhikari und Erik Ivins vom JPL Daten von GRACE genutzt, um zu
ermitteln, wie nicht nur der Verlust der Eisschilde, sondern auch der
Schwund des Grundwassers die Erdrotation verändert haben, weil sich das
System diesen Massebewegungen anpasst.
Die Planer von GRACE hatten wenig Hoffnung, dass die Mission dazu führen
könnte, die abrupten Masseänderungen im Zusammenhang mit Erdbeben präzise
bestimmen zu können. Das liegt an den unterschiedlichen Skalen: Erdbeben
treten plötzlich und lokal auf, während die monatlichen GRACE-Karten
durchschnittlich eine Fläche doppelt so groß wie Bayern und eben einen
ganzen Monat abbilden. Dennoch haben die Forscher neue Datenverarbeitungs-
und Modellierungstechniken entwickelt, um die Erdbebeneffekte
herauszudestillieren. „Wir sind in der Lage, die unmittelbaren
Masseverschiebungen in einem Erdbeben zu messen und wir haben dabei
herausgefunden, dass es eine messbare Entspannung bis zu ein bis zwei
Monate nach dem Beben gibt“, sagt der leitende Wissenschaftler bei GRACE,
Byron Tapley. Diese Messungen eröffnen bisher nicht gekannte Einsichten in
das Geschehen weit unter der Erdoberfläche.
Atmosphärenbeobachtung. Das zweite wissenschaftliche Ziel der GRACE-
Mission ist es, unter Nutzung der GPS-Radio-Okkultations-Technik (RO)
täglich über 150 sehr präzise weltweit verteilte vertikale Temperatur- und
Feuchtigkeitsprofile zu erhalten. „Diese Messungen sind von größtem
Interesse für Wetterdienste und Studien zum Klimawandel. Daher stellen wir
diese Profile spätestens 2 Stunden nach Messung durch einen der GRACE-
Satelliten den führenden Wetterzentren der Welt auf einer 24/7-Basis
bereit, wie z.B. ECMWF (European Center for Medium-Range Weather
Forecasts), MetOffice, MeteoFrance, NCEP (National Centers for
Environmental Predictions) oder dem DWD (Deutscher Wetterdienst), um deren
globale Vorhersagen zu verbessern“, sagt Jens Wickert, RO-Manager am GFZ.
Die Zukunft
Mit 15 Jahren hat GRACE dreimal so lange wie ursprünglich geplant
funktioniert. Die Projektmanager haben alles getan, um ihr Leben zu
verlängern, aber das Satelliten-Duo wird demnächst seine Treibstoffvorräte
aufgebraucht haben – vermutlich in diesem Sommer. Die NASA und das GFZ
haben seit 2012 an einer Nachfolge-Mission, GRACE Follow-On (GRACE-FO),
gearbeitet, wobei Deutschland erneut die Trägerrakete und die
Missionssteuerung bezahlt. Die Zwillings-Satelliten wurden, wieder im
Auftrag von JPL, bei Airbus D&S in Deutschland gebaut.
Es ist geplant, dass GRACE-FO zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 an
den Start geht. Die neue Mission konzentriert sich auf die Fortsetzung der
erfolgreichen GRACE-Zeitreihen. Die neuen Satelliten werden eine ähnliche
Hardware wie GRACE benutzen, sollen aber außerdem eine Technologie
demonstrieren, die ein neuartiges Laser Ranging Interferometer (LRI)
benutzt, um die Distanz zwischen beiden Satelliten zu überwachen.
Das LRI ist eine deutsch-amerikanische Entwicklung, die das Potenzial hat,
noch genauere Intersatelliten-Messungen und daraus resultierende
Schwerkraftkarten zu produzieren.
Da die GRACE-FO Mission das revolutionäre Erbe von GRACE fortsetzen wird,
sind aus ihr sicherlich weitere innovative Erkenntnisse zu erwarten. Das
Wichtigste ist aber, dass die Forschenden weiterhin Veränderungen in
unseren kostbaren globalen Wasserressourcen überwachen können.
Mehr Informationen:
http://www.gfz-potsdam.de/grace
http://grace.jpl.nasa.gov
http://www.csr.utexas.edu/grace
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