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Wohnraum clever nutzen: Projekt „LebensRäume“ im Kreis Steinfurt gestartet

In vielen ländlichen Kommunen ein vertrautes Bild: In die Jahre gekommene
Neubaugebiete, Einfamilienhäuser auf dem Standard der 1960er oder 70er
Jahre. Im Garten schneidet vielleicht eine ältere Dame die Hecke, die
Kinder sind längst aus dem Haus. Schwierig für die Dame: Die große
Wohnfläche macht Arbeit, das Haus verbraucht viel Energie, für eine
energetische und barrierefreie Sanierung fehlt das Geld. Aber auch
schwierig für die Kommune, in der diese Dame wohnt: Klimaschutzziele
geraten durch den hohen Energieverbrauch unsanierter Häuser in Gefahr.

Vorhandener Wohnraum wird nicht voll genutzt, zugleich fehlt es an Platz
für junge Familien. Zusätzliche Neubaugebiete müssen ausgewiesen werden.
Deren Erschließungskosten sind hoch, die Zersiedelung geht weiter. Der
Kreis Steinfurt und der dortige Verein „energieland 2050 – Haus im Glück“
suchen jetzt zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom
Öko-Institut, ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung und mit
Unterstützung des ifeu Institut für Energie und Umweltforschung Heidelberg
nach Lösungen für dieses Dilemma. „LebensRäume“ heißt das dreijährige
Projekt, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
im Rahmen der Fördermaßnahme „Kommunen Innovativ“.

Wohnraum klüger nutzen

Im Zentrum steht die Frage, wie Wohnraum in diesen Gebieten aufgewertet,
effizienter genutzt und stärker an Nutzerbedürfnissen orientiert werden
kann. „Man könnte etwa Einfamilienhäuser umbauen und Einliegerwohnungen
schaffen“ sagt Projektleiterin Dr. Corinna Fischer vom Öko-Institut. „Mit
den Mieteinnahmen könnte man eine energetische und barrierefreie Sanierung
mitfinanzieren. Oder man vermittelt der alleinstehenden Bewohnerin eine
attraktive, barrierefreie Stadtwohnung. Das frei werdende Haus wird einer
jungen Familie zu günstigen Bedingungen angeboten, zusammen mit Konzepten
für die Sanierung.“

Beratung, Förderung und praktische Hilfen

Der Landrat der Kreises Steinfurt, Dr. Klaus Effing, freut sich auf die
konkreten Ergebnisse des Projektes: "Wichtiger Baustein ist eine zentrale
Stelle für Beratung und Wohnraumvermittlung. Ein Angebot dieser Art könnte
sehr spannend sein für die Städte und Gemeinden im Kreis! Über unsere gut
bekannte Marke 'Haus im Glück' können wir auf Kreisebene eine
übergreifende Plattform organisieren."
Neben der Beratungsstelle ist an praktische Hilfen wie Umzugsunterstützung
gedacht. Zudem entwickelt das ISOE ein Kommunikationskonzept, um die
Bewohnerinnen und Bewohner vor Ort persönlich anzusprechen.

Nutzen für Mensch und Klima

Auf diese Weise würden Kommunen, Einwohner und Klima profitieren. Eine
Begleitforschung soll ermitteln, wie das aussähe: Untersucht werden
Einsparungen an Energie und Treibhausgasen, Auswirkungen auf
Flächenbedarf, Ortsentwicklung und Wohnraumverfügbarkeit, sowie die
Zufriedenheit der Nutzerinnen und Nutzer. Unter Leitung des ifeu sollen
die Erfahrungen auf Veranstaltungen und in Veröffentlichungen mit anderen
Kommunen geteilt werden

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Thüringen wird Modellregion für betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention

Ministerin übernimmt Schirmherrschaft für „Gesund arbeiten in Thüringen“
Thüringen wird zur Modellregion für eine
bessere betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention. Die BARMER und
die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin e. V.
(DGAUM) haben dazu das Leuchtturm-Projekt „Gesund arbeiten in Thüringen“
auf den Weg gebracht.

In den nächsten fünf Jahren werden gemeinsam Lösungen entwickelt, um
flächendeckend Beschäftigte und Betriebe besser mit entsprechenden
Angeboten versorgen zu können. „In vielen kleinen Unternehmen gibt es noch
keine Strukturen für eine nachhaltige Gesundheitsförderung von
Mitarbeitern. Oft fehlt die Zeit, ein fester Ansprechpartner oder andere
Dinge sind gerade wichtiger. Das ist verständlich. Aber
Gesundheitsförderung lohnt sich auch für kleine Betriebe. Hier sehen wir
uns als BARMER mit in der Verantwortung. Gerade Thüringen mit der
ländlichen Struktur und mittelständisch geprägten Wirtschaft eignet sich
hervorragend als Modellregion“, sagt Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin
der BARMER in Thüringen.

Neue Internet-Plattform schafft schnellen Kontakt zu Medizinern

Dreh- und Angelpunkt des Projekts sind Arbeitsmediziner, Betriebs- und
niedergelassene Ärzte, die gemeinsam mit Angeboten in die Betriebe gehen
werden. Ein wesentliches Element dazu sind leistungsfähige und
praxisorientierte telemedizinische Strukturen, beispielsweise eine Online-
Sprechstunde mit Betriebs- oder niedergelassenen Ärzten. „Kleine Betriebe
brauchen manchmal nur einen arbeitsmedizinischen Rat, beispielsweise zum
Mutterschutz, oder sie haben Fragen zu Impfungen. Für diesen Bedarf wollen
wir einfache und niedrigschwellige Angebote schaffen“, sagt Professor Dr.
Hans Drexler, Präsident der DGAUM. Dazu wird im Rahmen der Vorstellung der
neuen Website www.gesund-arbeiten-in-thueringen.de auch das Konzept für
ein telemedizinisches Konsil vorgestellt. Dieses ermöglicht es
Arbeitgebern, direkt mit kompetenten Ansprechpartnern Kontakt aufzunehmen.
Oder auch den Austausch zwischen Ärzten untereinander. Über ein
Kontaktformular können Interessierte – darunter Arbeitgeber, Ärzte oder
Arbeitnehmer – bereits zum Start der neuen Website sich an
Arbeitsmediziner wenden und Fragen stellen.

Prof. Drexler erläutert die Tragweite des Vorhabens: „Der Arbeitsplatz
stellt mit über 43 Millionen Beschäftigten in Deutschland das größte
Präventionssetting in unserer Gesellschaft dar. Arbeitsmediziner und
Betriebsärzte sind deshalb sowohl Lotsen und also auch neutrale Berater in
Sachen betrieblicher Gesundheitsförderung und Prävention,
arbeitsmedizinischer Vorsorge und beruflicher Wiedereingliederung.
Langfristiges Ziel ist es, gute Ideen in Thüringen zu generieren und dann
auf andere Regionen in Deutschland zu übertragen.“

Werner: Prävention muss zu einer tragenden Säule werden

Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (DIE LINKE) hat die
Schirmherrschaft für das Modellvorhaben übernommen: „Wir wollen Prävention
zu einer tragenden Säule im Gesundheitssystem machen. Dazu ist es auch
notwendig, die Arbeitswelt stärker in den Blick zu nehmen, insbesondere
die Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Allein in
Thüringen sind über 95 Prozent aller Erwerbstätigen dort beschäftigt.
Viele kleine und mittelständische Unternehmen haben jedoch nicht die
nötigen Ressourcen für eigene Aktivitäten. Deshalb freue ich mich, dass
wir hier in Thüringen gemeinsam nach Unterstützungsmöglichkeiten suchen.
Ziel muss es sein, den Unternehmen und Beschäftigten Angebote zu machen,
die ihnen im betrieblichen Alltag unmittelbar praktische Hilfen bei der
Gesundheitsförderung bieten.“ Wünschenswert sei insbesondere auch die
bessere Verzahnung zwischen Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten sowie den
niedergelassenen Haus- und Fachärzten, um den Beschäftigten eine
koordinierte Versorgung zu ermöglichen.

Darüber hinaus bestehen schon heute zahlreiche Angebote im Bereich
Firmengesundheit, die aber noch zu wenig nachgefragt werden, erklärt
Birgit Dziuk. „In einer Firma, deren Beschäftigte vor allem im Sitzen
arbeiten, sind zum Beispiel ergonomische Arbeitsplätze hilfreich. Für
einen Betrieb, in dem die Beschäftigten viel heben müssen, sind spezielle
Rückenkurse interessant. Seminare zum Stressabbau oder die gesunde
Ernährung am Arbeitsplatz sind weitere Elemente. In diese Richtung wird
auch unsere Kooperation mit der DGAUM gehen. Auf diesem Wege profitieren
Unternehmen am Ende durch weniger krankheitsbedingte Ausfälle, bessere
Arbeitsabläufe, weniger Reibungsverluste, leistungsfähige Mitarbeiter,
aber auch durch einen Imagegewinn.“

Abrechnung von Impfungen beim Betriebsarzt möglich

Neben der gemeinsamen Entwicklung neuer Leistungsangebote für
gesundheitsbewusste Betriebe kommt den Arbeitsmedizinern und
Betriebsärzten eine zentrale Rolle bei der Vermeidung von
Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz, der Früherkennung möglicher
Krankheiten und deren Behandlung zu. Auch bestimmte Impfungen im Betrieb
können die Betriebsärzte künftig direkt mit der BARMER abrechnen.

Weitere Infos zu Prävention in der Arbeitswelt:
<www.gesund-arbeiten-in-thueringen.de>
<www.dgaum.de>
<www.barmer.de/arbeitgeber/firmenangebote-gesundheit/firmenangebote>

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„Können Menschen den Lauf der Geschichte steuern?“

Prof. Dr. Kurt Bayertz  upm/GrewerWissenschaftler am Exzellenzcluster erörtern die jahrhundertealte Frage,
inwiefern Menschen die Zukunft gestalten können und die Geschichte nicht
nur schicksalhaft erleiden – Geschichtsvorstellungen von der Antike bis
heute – Ab Montag Tagung mit Philosophen, Juristen, Historikern –
Öffentlicher Abendvortrag „We the people“ von Rechtswissenschaftler Horst
Dreier

Ob Klimakatastrophe, weltweite Konflikte oder wachsender Populismus:
Menschen können den Verlauf der Geschichte nach Einschätzung von
Wissenschaftlern nur dann bewusst gestalten, wenn sie bei allen
Zukunftssorgen an diese Möglichkeit der Einflussnahme glauben. „Menschen
verhalten sich anders, wenn sie es nicht für möglich halten, die
Geschichte durch ihr Handeln zu steuern“, erläutern die Philosophen Prof.
Dr. Kurt Bayertz und Dr. Matthias Hoesch vom Exzellenzcluster „Religion
und Politik“ vor einer Tagung über das frühere und heutige
Geschichtsbewusstsein. „Viele fragen sich gegenwärtig, ob globale Systeme
wie die Finanzwelt oder internationale Politik nicht durch
Handlungslogiken bestimmt sind, die einer menschlichen Gestaltung der
Geschichte geradezu entgegenstehen. Andere halten es gar für gefährlich,
wenn Einzelne geschichtsträchtige Entscheidungen fällen wollen.“ Die
Vorstellung, dass Menschen Geschichte machen können und sie nicht nur
schicksalhaft erleiden, sei ohnehin erst etwa 250 Jahre alt, so die
Forscher. „Zuvor herrschte in Europas Geistesgeschichte zweieinhalb
Jahrtausende die Idee vor, dass Geschichte entweder zyklisch verlaufe oder
nach göttlichem Plan.“

Auf der Tagung „Die Gestaltbarkeit der Geschichte“ am Exzellenzcluster
befassen sich ab kommenden Montag, vom 27. bis 29. März, Philosophen,
Historiker, Rechtswissenschaftler und Germanisten anhand zahlreicher
Textzeugnisse von Philosophen, Dichtern und Politikern mit der Frage, ob
Menschen den Verlauf der Geschichte gestalten oder ob er ihnen
schicksalhaft zustößt. „Das ist bis heute wissenschaftlich umstritten und
lässt sich nur mit einer Bandbreite an Fächern erörtern“, führt Hoesch
aus. Die Forschung sei etwa uneins darüber, welche Rolle in der
historischen Gestaltung den Individuen, besonders den „großen Männern“, im
Vergleich zu Institutionen und Kollektiven zukomme. Debattiert werde auch,
welche Kollektive – das Volk, das Bürgertum, die Menschheit –
einflussreich seien, und ob die Gestaltung „materialistisch“ an realen
Bedingungen ansetze oder „idealistisch“ an Ideen und Bildung. Schließlich
sei strittig, ob historische Prozesse überhaupt in ihrer Gesamtheit
beeinflusst werden könnten. „Während etwa die Systemtheorie davon ausgeht,
dass globale Systeme eine Eigenlogik entwickeln und sich nicht voll
steuern lassen, meinen andere, Geschichte werde von Zufällen bestimmt.
Viele ökonomische Theorien halten die Steuerung zumindest implizit für
möglich.“

Von der Forschung lange vernachlässigt

Die Forschung hat das Thema lange vernachlässigt: „Nachdem der Marxismus
im 20. Jahrhundert damit scheiterte, Geschichte gezielt zu gestalten,
geriet die ganze Gestaltbarkeitsidee unter Ideologieverdacht.“ Auf der
Tagung greifen die Forscher nun einen intellektuellen Paradigmenwechsel
auf, der sich vor allem zwischen 1750 und 1850 vollzog. „Damals wurde die
traditionelle Vorstellung von Geschichte durch eine neue abgelöst, nach
der uns Geschichte nicht nur ‚zustößt‘“, so die Forscher. Interessant sind
für sie vor allem Textquellen, die die Idee der Gestaltbarkeit nicht offen
ansprachen: neben den philosophischen Klassikern sind das Bücher,
Briefwechsel und Reden von Literaten, politischen Aktivisten und
Naturwissenschaftlern. „Wichtig war in dieser Phase die Entstehung der
Ökonomie und der Sozialwissenschaft, die Formulierung von Verfassungen in
vielen Staaten und die Rolle der Französischen Revolution. Dass das Volk
sich in der Lage sieht, politisch aktiv zu werden, setzt möglicherweise
eine Änderung im Geschichtsbild voraus. Die in der Revolution erlebte
Wirkmächtigkeit lässt wiederum einen Nachhall in der theoretischen
Wahrnehmung der Geschichte vermuten.“ Tatsächlich sei die Formulierung,
dass „der Mensch die Geschichte macht“, genau in dieser Zeit entstanden,
und seit den 1790ern schlagartig allgegenwärtig.

Öffentlicher Abendvortrag „We the people“

Im Rahmen der Tagung „Die Gestaltbarkeit der Geschichte“ sind
Interessierte zum öffentlichen Abendvortrag „We the people“ von
Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosoph Horst Dreier eingeladen. Der
Würzburger Wissenschaftler, der im Wintersemester Hans-Blumenberg-
Gastprofessor am Exzellenzcluster war, spricht über Verfassunggebung als
Gestaltungsprozess. Der Abendvortrag ist am Montag, 27. März, um 19.00 Uhr
im Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, Johannisstraße 4 im Hörsaal JO 1
zu hören.

Die Philosophen Prof. Dr. Kurt Bayertz und Dr. Matthias Hoesch vom
Exzellenzcluster veranstalten die Tagung im Rahmen ihres
Forschungsprojektes A2-1 „Die materialistische Weltanschauung im
europäischen Kontext des 18. Jahrhunderts“. (vvm)

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So hält sich der Gepard fit und gesund

Sonja Heinrich bei der Blutabnahme für die Immuntests und Jörg Melzheimer bei der Besenderung eines narkotisierten Geparden in Namibia.  Bettina Wachter/Leibniz-IZWGeparde sind als bedrohte Art eingestuft – unter anderem, weil sie bisher
als krankheitsanfällig galten, da ihnen eine schwache Immunabwehr
bescheinigt  wurde. Tatsächlich sind Geparde in freier Wildbahn jedoch so
gut wie nie krank. Ein Forscherteam des Leibniz-Instituts für Zoo- und
Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Berlin entdeckte nun, dass Geparde eine
besonders effiziente angeborene Erstabwehr-Immunität entwickelt haben, mit
denen sie mögliche Unzulänglichkeiten in anderen Bereichen der
Immunantwort ausgleichen können. Die WissenschaftlerInnen veröffentlichten
ihre Ergebnisse in der frei zugänglichen Fachzeitschrift „Scientific
Reports“ der Nature Publishing Group.

Geparde besitzen eine geringe genetische Variabilität, daher weisen die
Individuen innerhalb einer Population eine ähnliche genetische Ausstattung
auf. Das trifft auch auf den Haupthistokompatibilitätskompl

ex (MHC) zu,
ein Bereich des Erbgutes, der das sogenannte „adaptive“ Immunsystem
reguliert und im Tierreich typischerweise sehr variabel ist. Das adaptive
Immunsystem stellt eine spezifische Abwehr gegen Krankheitserreger bereit,
falls ihnen der Körper bereits einmal ausgesetzt war. Eine geringe MHC-
Variabilität sollte demnach zu einer schwachen adaptiven Immunantwort
führen und sich somit in einer hohen Anfälligkeit gegenüber Krankheiten
äußern. Das trifft auch oft für Tierarten mit geringer MHC-Variabilität
zu. Geparde sind tatsächlich davon eine Ausnahme. „Während unserer seit
2002 andauernden Langzeitstudie in Namibia  untersuchten wir über 300 frei
lebende Geparde, die auf Weideflächen-Farmland leben. Dabei zeigte kein
einziger Gepard Symptome, die auf eine akute Infektion hindeuteten, und
auch keines der von uns untersuchten toten Tiere wies
Krankheitsveränderungen auf“, erklärt Bettina Wachter, Leiterin des
Geparden-Forschungsprojektes.
Warum können Geparde trotz ihrer vermutlich schwachen adaptiven
Immunantwort so gut mit Krankheitserregern fertig werden? Das Immunsystem
wird in drei Komponenten eingeteilt: (1) das grundlegende „angeborene“
Immunsystem, das die erste rasche Abwehr gegen Eindringlinge bereitstellt,
(2) das induzierte angeborene Immunsystem, das zum Beispiel eine lokale
und systemische Entzündung hemmt und die Genesung beschleunigt sowie das
Erregerwachstum verlangsamt, und (3) das adaptive Immunsystem.
„Wir entschieden uns, alle drei Komponenten gleichzeitig zu untersuchen,
eine Vorgehensweise, die nur selten durchgeführt wird, obwohl sie sehr
vielversprechend ist. Ein gut funktionierendes Immunsystem ist  für jedes
Tier aufwendig. Das setzt aber nicht voraus, dass alle Immunkomponenten
gleich stark ausgebildet sein müssen. Wenn eine Art nicht
krankheitsanfällig  ist, muss sich im Laufe der Zeit eine gute Immunabwehr
durch Stärkung anderer Immunkomponenten entwickelt haben“, sagt Gábor
Czirják, Wildtier-Immunologe am Leibniz-IZW.
Um die Ergebnisse mit einer anderen Art zu vergleichen, bezogen die
WissenschaftlerInnen Leoparden in die Untersuchung ein. „Leoparden leben
in Namibia im gleichen Gelände wie Geparde, sind aber mit einer hohen
Variabilität im MHC ausgestattet. Sie sollten daher ein starkes adaptives
Immunsystem aufweisen und weniger Aufwand bei den anderen Immunkomponenten
betreiben“, erklärt Wachter.
„Zuerst mussten wir sechs Immuntests aus der Wildtierimmunologie an
Geparde und Leoparden anpassen“, erklärt Sonja Heinrich, Erstautorin der
Studie. „Da wir die Tests im Labor des Leibniz-IZWs durchführen, mussten
wir die in Namibia gesammelten Proben nach Deutschland transportieren und
dabei eine ununterbrochene Kühlkette vom Tier im Feld bis zum Leibniz-IZW
sicherstellen.“ Die Immuntests bestätigten, dass Leoparden ein stärkeres
adaptives Immunsystem als Geparde besitzen. Das Ergebnis passt zu den
Unterschieden in der MHC-Variabilität der beiden Arten. Wie erwartet,
wiesen Geparde im Vergleich zu Leoparden ein stärkeres angeborenes
Immunsystem für die Erstabwehr auf. Das deutet darauf hin, dass Geparde
damit ihr schwächeres adaptives Immunsystem kompensieren.
Das induzierte angeborene Immunsystem reagiert sowohl  auf eindringende
Krankheitserreger als auch auf kurzzeitigen Stress. Die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmten daher die
Konzentration des Hormons Cortisol, das abbauende (katabole)
Stoffwechselvorgänge aktiviert und bei Stress vermehrt freigesetzt wird.
Obwohl beide Tierarten den gleichen Untersuchungsmethoden ausgesetzt
waren, wiesen Leoparden signifikant höhere Cortisolkonzentrationen im Blut
als Geparde auf. Dies deutet darauf hin, dass Leoparden stärker auf die
Untersuchungsmethoden reagierten. Kurzzeitiger Stress könnte also das
induzierte angeborene Immunsystem stimuliert haben, was die Beurteilung
erschwert, ob diese Immunkomponente mithilft, das schwache adaptive
Immunsystem der Geparde auszugleichen, wenn der Stresseffekt nicht
berücksichtigt wird. Das ist die erste Studie bei Säugetieren, die zeigt,
dass verschiedene Arten unterschiedlichen Aufwand bei der Entwicklung der
verschiedenen Komponenten des Immunsystems betreiben. Geparde haben
offensichtlich eine Strategie entwickelt, bei der sie trotz ihrer geringen
genetischen Variabilität beim MHC erfolgreich im Kampf gegen
Krankheitserreger sind. Die Zukunft dieser gefährdeten Tierart ist
allerdings ungewiss, da sich der Großteil ihres Lebensraumes in nicht
geschützten Gebieten befindet und sie immer wieder in Konflikte mit
Menschen geraten. Nur wenn diese Konflikte entschärft werden, können
Geparde auch in Zukunft in freier Wildbahn überleben.
Publikation:
Heinrich SK, Hofer H, Courtiol A, Melzheimer J, Dehnhard M, Czirják GÁ,
Wachter B (2017): Cheetahs have a stronger constitutive innate immunity
than leopards. Scientific Reports 7. www.nature.com/articles/srep44837.
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