Sitta von Reden erhält Advanced Grant
Der Europäische Forschungsrat fördert das Projekt „Jenseits der
Seidenstraße“ der Althistorikerin mit 2,5 Millionen Euro
Sitta von Reden, Professorin für Alte Geschichte an der Universität
Freiburg, erhält für das Projekt „Jenseits der Seidenstraße“ den mit 2,5
Millionen Euro dotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats
(ERC). Mit einem internationalen und fächerübergreifenden Forschungsteam
möchte sie ein umfassendes Modell des Austauschs zwischen den Imperien in
der Antike entwickeln: Sie wird den Zusammenhang von Wirtschaft,
kulturellem Austausch, Migration und die Bedeutung von Grenzregionen
untersuchen – jene Faktoren also, die es unter anderem ermöglichten, dass
chinesische Seide bis nach Rom gelangte. Der Advanced Grant zählt zu den
renommiertesten Forschungsförderungen Europas. Der ERC vergibt ihn für
Projekte, die einen hohen internationalen Ertrag versprechen, aber auch
Risikobereitschaft verlangen.
„Wir möchten verstehen, wie Wirtschaften und Weltkulturaustausch in alten
Imperien und Königreichen funktionieren, was die wirtschaftlichen Systeme
des Mittelmeerraums, des indischen Subkontinents und Chinas voneinander
unterschied und dann erklären, warum und in welcher Form sie über ihr
Einflussgebiet hinaus Güter tauschten“, erklärt von Reden. Die frühe
Seidenstraße, die im 1. Jahrhundert nach Christus erstmals geboomt haben
soll, als sich Römerinnen mit dem zarten Gewebe aus China schmückten, sei
indes ein Mythos: „Sie ist eine Erfindung des Geographen Ferdinand von
Richthofen aus dem 19. Jahrhundert. Kein Händler legte die Strecke von
Xi’an bis Rom, ob zu Wasser oder zu Land, je zurück.“
Entscheidend dagegen waren differenziertere Strukturen, wobei Handel nur
eine von vielen Formen des Austauschs war. Mit den Nomaden an den Grenzen
Chinas und Baktriens, des heutigen Afghanistans, wurden viel eher Tribute
und Geschenke ausgetauscht als Waren gehandelt. In Grenzregionen
stationierte Heere versorgten sich vor Ort und pflegten Kontakte über
Grenzen hinweg. Hochmobile Menschengruppen migrierten über weite Strecken.
Buddhistische Mönche standen mit Glaubensvertretern über Grenzen in
Kontakt und stifteten ihren Tempeln, was den Erwerb fremder Prestigegüter
ermöglichte und ein einzigartiges, kulturell hybrides Kunsthandwerk in
Gandhara, heute Nordindien und Pakistan, entstehen ließ.
Im Mittelpunkt der Forschung werden „frontier zones“ stehen –
Grenzregionen also, die geographisch dem Nachbarimperium näher waren als
dem Zentrum des eigenen Reiches. Doch seien historische Untersuchungen
gerade dort schwierig: „Wir werden mit komplizierten und oft vereinzelten
archäologischen Befunden arbeiten, Münzen analysieren und Texte in vielen
Sprachen lesen.“ Daher sei die Multidisziplinarität der Forschungsgruppe
so wichtig. Keine einzelne Wissenschaftlerin und kein einzelner
Wissenschaftler könne heutzutage die komplexen Ökonomien entlang der
antiken Austauschrouten zwischen dem Mittelmeer, Indien und China
überblicken.
Warum aber ist das Projekt riskant? Die historische Forschung zur
griechisch-römischen Antike ist viel umfangreicher als die zu den
Dynastien Qin und Han in China oder zu Indien zur Zeit des Herrschers
Ashóka. Seit Jahrzehnten untersuchen Althistoriker und Archäologen in
aller Welt die antike mediterrane Wirtschaft. Es gibt eine große antike
Geschichtsschreibung auf Griechisch und Latein. Sie berichtet auch über
Zentralasien und Indien und hat die nationale Forschung in diesen Ländern
ebenfalls beeinflusst. Die Gefahr des Eurozentrismus sei deshalb immens,
erklärt von Reden: „Wir könnten eine imperiale Geschichte übernehmen, in
der die Griechen nach dem Feldzug Alexander des Großen und dann die Römer
in Asien alles veränderten. Gerade das wollen wir vermeiden.“
Sitta von Reden lehrt in Freiburg seit 2010. Nach ihrem Studium der
Volkswirtschaft, Geschichte und Latein in Freiburg und Berlin zog es sie
nach England: Sie promovierte in Cambridge und begann ihre akademische
Laufbahn in Oxford und Bristol. 2005 kehrte sie nach Deutschland zurück
und wurde in Augsburg habilitiert. 2013 und 2014 verbrachte sie am
Institute for Advanced Study in Princeton/USA, wo sie das vom ERC
geförderte Projekt entwickelte.
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