Wer an Burgen denkt, hat gewisse Bilder im Kopf: große Steinbauten mit
Zugbrücken, errichtet auf einem Berg, zu ihren Füßen ein Tal mit der
dazugehörigen Stadt. Gedanklich liegt dieses Szenario meist im deutschen
Mittelgebirge oder in Süddeutschland. Doch auch Schleswig-Holstein hat
eine reiche Burgengeschichte, mit der sich Professor Oliver Auge vom
Historischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU),
Abteilung Regionalgeschichte, schon seit längerem befasst. Nun hat er
gemeinsam mit einem Team aus der Stiftung Museum Turmhügelburg Lütjenburg,
dem Archäologischen Landesamt Schleswig-Holstein sowie dem Historiker
Stefan Magnussen (derzeit noch Universität Leipzig) eine Förderung der
Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben. Zweck des
Transferprojektes ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse für alle Menschen
nachvollziehbar zu machen.
Bereits in den vergangenen Jahren hatte der zukünftige Projektkoordinator
Stefan Magnussen zusammen mit zwei weiteren Doktoranden, Jens Boye
Volquartz und Frederic Zangel, die Burgen in Schleswig, Holstein, Stormarn
sowie Dithmarschen und den nordfriesischen Inseln intensiv erforscht.
Hierfür wurden erstmals die dingliche und archivalische Überlieferung
zusammen mit der archäologischen Erforschung aufgearbeitet und mit
modernen Techniken wie Laserscanaufnahmen verknüpft. „Inhaltlich haben wir
uns dem Thema schon in zahlreichen Studien angenähert, jetzt geht es um
den zeitgemäßen Transfer der Befunde in eine Ausstellung“, erklärt Auge
das Ziel der Förderung. „Das neue DFG-Projekt ‚Burgenland Waterkant.
Transferprojekt zur kulturellen Inwertsetzung der hoch- und
spätmittelalterlichen Burgen in Schleswig-Holstein‘ passt perfekt zur
Arbeit der Regionalgeschichte, deren Markenkern der Wissenstransfer in die
Gesellschaft ist.“ Die Gesamtsumme des Projekts beläuft sich auf 1,8
Millionen Euro. Davon stehen seitens der DFG 390.000 Euro für die
Forschung und universitäre Transferleistung über drei Jahre zur Verfügung.
Mit dem durch die Projektpartner beigesteuerten Mittel wird der
Museumsneubau und die technische Ausstattung finanziert. Starttermin des
Vorhabens ist der 1. Januar 2022.
Verborgenes sichtbar machen
Im Rahmen des Projekts sollen die jüngsten Erkenntnisse über die Burgen im
Land in ein multimediales Vermittlungsangebot einfließen, das das
bestehende Freilichtmuseum Turmhügelburg Lütjenburg didaktisch ergänzt und
aufwertet. Anhand von Karten, archäologischen Funden, schriftlichen
Überlieferungsträgern, aber auch mittels digitalen Informationsangeboten
möchte das Projektteam die Burgengeschichte Schleswig-Holsteins modern
erzählen. Denn Schleswig-Holstein hat zwar weder imposante Bauwerke wie
die Hohenzollernburg noch Burgruinen wie in der Eifel vorzuweisen, verfügt
aber doch über ein reichhaltiges, verborgenes Burgenerbe. „Wir wollen auch
ganz bewusst die heute noch sichtbaren Überreste der Burgen einbinden,
wodurch auch das touristische Potenzial des Themas genutzt werden soll. Zu
diesem Zweck wird eigens eine Smartphone-Anwendung entwickelt“, so Auge.
„Es ist der besondere Reiz des Themas, dass Burgen seit jeher die Menschen
faszinieren. Viele verbinden Burgen jedoch nicht mit Schleswig-Holstein,
so dass die Neugier stets groß ist“, ergänzt Magnussen. Dabei gibt es im
ganzen Bundesland vielfach landschaftliche Bezeichnungen, Orts- oder
Straßennamen mit dem Wortpartikel „Burg“ und in manch einer Gemeinde haben
sich Geschichten überliefert, nach denen dort vor langer Zeit einmal eine
Burg gestanden habe. „Dies ist jedoch nicht immer korrekt. Manchmal wurde
ein vermeintlicher Burgberg auch einfach später angelegt, die Wortherkunft
ist nicht selten das altnordische ‚borg‘, das ‚Anhöhe‘ oder ‚Wall‘
bedeutet.“ Es kommt aber auch immer zu Überraschungen. „Wir trafen auf
Menschen, die eine solche ‚vergessene‘ Turmhügelburg im eigenen Garten
stehen haben“, sagt Oliver Auge. Gleichwohl sei es aber, wie Magnussen
betont, „durchaus spannend, wie diese lokalen Mythen entstehen und sich
entwickeln, weshalb wir auch diese als Überlieferung ernst nehmen und ins
Konzept einbinden wollen.“
Neues Kapitel in der Regionalgeschichte
Das Vermittlungskonzept entsteht in enger Zusammenarbeit mit der Stiftung
Museum Turmhügelburg Lütjenburg und dem Archäologischen Landesamt
Schleswig-Holstein, die ihre langjährige Expertise auf dem Gebiet der
Öffentlichkeitsarbeit in das Projekt einbringen werden. Die Koordination
des Vorhabens und die Entwicklung des didaktischen Konzepts liegt bei der
Kieler Regionalgeschichte. Für das museumsdidaktische Konzept zeichnet die
Kieler Regionalgeschichte voraussichtlich zusammen mit der Agentur
#regionaldigital verantwortlich. Diese ist eine schon länger erfolgreich
arbeitende Ausgründung von Angehörigen der Kieler Abteilung für
Regionalgeschichte.
„Wir wollen auch überregional zeigen, dass Schleswig-Holstein hinsichtlich
seiner Burgengeschichte den klassischen Burgenregionen wie Tirol oder dem
Harz eigentlich in nichts nachsteht. So kann sich der Blick auf das
nördlichste Bundesland noch einmal verändern“, ist sich Magnussen sicher.
Eine zweite Besonderheit gibt es hier aus wissenschaftlicher Sicht: Das
Projekt ist trans-epochal angelegt. Es nimmt also nicht nur den Status Quo
der Burgen im Mittelalter in den Blick, sondern betrachtet auch deren
Entwicklung über die Zeit bis hin zu den Überresten und ihrer Rezeption in
der Gegenwart.
Zwischen dem Ende der Arbeit am Transferprojekt und der Fertigstellung des
Museumsneubaus werden voraussichtlich einige Jahre vergehen. Für die
Zwischenzeit planen die Wissenschaftler daher eine Wanderausstellung an
verschiedenen Standorten im Land. „Dies ist dann auch eine Art Testlauf,
um zu sehen, wie gut unser Vermittlungskonzept funktioniert“, sagt Oliver
Auge.
Weiterführende Informationen:
Publikationen zur Burgengeschichte:
• Oliver Auge (Hrsg.): Burgen in Schleswig-Holstein. Zeugen des
Mittelalters jetzt und einst. Kiel/Hamburg, 2019.
• Stefan Magnussen: Burgen in umstrittenen Landschaften. Eine Studie
zur Entwicklung und Funktion von Burgen im südlichen Jütland (1252-1443),
Leiden, 2019.
• Frederic Zangel: Castrum, curia, berchvrede. Die Burgen Holsteins
und Stormarns in ihrer geschichtlichen Bedeutung und Wahrnehmung (1134 bis
1534) (Kieler Schriften zur Regionalgeschichte, Bd. 6), Kiel/Hamburg 2021.
Links:
• Im Aufbau befindliches Verzeichnis von Burgen in Schleswig-
Holstein: <www.kuladig.de>
• Museum Turmhügelburg Lütjenburg: <www.turmhuegelburg.de>