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Interprofessionelle Lehre wird mit 1,4 Millionen Euro gefördert

Prof. Dr. Sven Dieterich ist Vizepräsident für Studium und Lehre an der Hochschule für Gesundheit in Bochum.  Jürgen Nobel  HS Gesundheit
Prof. Dr. Sven Dieterich ist Vizepräsident für Studium und Lehre an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Jürgen Nobel HS Gesundheit

Die Hochschule für Gesundheit in Bochum hat im Rahmen der Ausschreibung
'Hochschullehre durch Digitalisierung stärken' Fördermittel der Stiftung
Innovation in der Hochschullehre von rund 1.400.000 Euro eingeworben.

Digital, individuell und interprofessionell – die Hochschule für
Gesundheit in Bochum stellt ihre Bachelorstudiengänge auf ein gemeinsames
fachliches Fundament und erhält dafür insgesamt rund 1.400.000 Euro.

Mit dem Konzept 'Basisstudium Gesundheitswissenschaften: digital –
individuell – interprofessionell (BASTI)' hat die Hochschule für
Gesundheit in Bochum Fördermittel der Stiftung Innovation in der
Hochschullehre im Rahmen der Ausschreibung 'Hochschullehre durch
Digitalisierung stärken' eingeworben. Ziel des Projektes ist, ein
gesundheitswissenschaftliches Basisstudium in allen Bachelorstudiengängen
der Hochschule zu etablieren, dessen Lehreinheiten und Lehr-
Lernmaterialien in Blended Learning-Formaten – also als Kombination aus
Präsenzveranstaltungen und E-Learning – im Curriculum verankert werden
sollen.

"Durch die Kombination aus Präsenzlehre und digitalen Lernangeboten wollen
wir ein am individuellen Lernprozess orientiertes und motivierendes
Grundlagenstudium schaffen, das den Studierenden größtmögliche
Flexibilität bietet und sie auf zunehmend digitalisierte,
transdisziplinäre Arbeitskontexte vorbereitet", erklärt Prof. Dr. Sven
Dieterich, Vizepräsident für Studium und Lehre an der Hochschule für
Gesundheit. Das Projekt zur Konzeption und Etablierung des Basisstudiums
ist am 01. August 2021 gestartet und auf drei Jahre ausgelegt.

Für das Basisstudium sollen Module und Modulbausteine in den
Themenbereichen Wissenschaftliche Methoden, Kommunikation und
interprofessionelle Kooperation, biomedizinische Grundlagen, Sozial- und
verhaltenswissenschaftliche Grundlagen im Kontext von Gesundheit sowie
Public Health-Grundlagen entwickelt und in den Bachelorstudiengängen
implementiert werden.

"Wir möchten ein Grundgerüst gemeinsamer Kenntnisse und Kompetenzen für
Studiengänge im Bereich Gesundheit schaffen, auf das Studierende im Rahmen
ihres weiteren fachspezifischen Studiums aufbauen können. Dies soll
insbesondere durch den Einsatz digital gestützter Methoden gelingen und
damit die Chancen der Digitalisierung in Studium und Lehre nutzen.
Gleichzeitig soll dadurch auch der interprofessionelle Austausch zwischen
den Studierenden unterschiedlicher Fächer gestärkt und als elementare
Kompetenz in allen Berufsfeldern vermittelt werden", so Dieterich.

Im Rahmen des BASTI-Projektes sind aktuell Stellen für die inhaltliche
Ausgestaltung, die mediendidaktische Umsetzung und die operative
Projektleitung ausgeschrieben. Online-Bewerbungen sind bis zum 27. August
2021 unter https://www.hs-gesundheit.de/die-hochschule/stellenangebote
möglich.

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Wie Eichen, Buchen und Co. sich im Klimawandel behaupten können

Professorin Tina Romeis, Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie  IPB
Professorin Tina Romeis, Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie IPB

Pflanzen sind lebenswichtig und doch zunehmend von Trockenheit,
Nährstoffmangel und anderen Stressfaktoren bedroht. Mit ihrer Forschung
legt Professorin Tina Romeis vom Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie in
Halle die Grundlagen für eine gezielte Verbesserung pflanzlicher
Widerstandskräfte. In der GDNÄ vertritt die Wissenschaftlerin das Fach
Biologie.

Ähnlich wie der Mensch besitzt auch die Vegetation Abwehrkräfte, um sich
gegen Angriffe von außen zu wehren. Aktiviert werden diese Mechanismen bei
Attacken durch Bakterien und Fraßinsekten ebenso wie bei Wassermangel,
Nährstoffdefiziten und anderen Stressoren. Was dabei auf molekularer Ebene
passiert, erforscht die Biochemikerin Tina Romeis am Leibniz-Institut für
Pflanzenbiochemie (IPB) zusammen mit ihrem Team.

Klimawandel und Trockenstress seien für sie und für viele Forschende am
IPB ein großes Thema, sagt Romeis in einem Interview auf der GDNÄ-Website.
Dabei konzentriere man sich an ihrem Institut auf die biochemische
Grundlagenforschung. Sobald diese zu anwendungsreifen Erkenntnisse führen,
wenden Romeis und ihre Kolleginnen und Kollegen sich an das Leibniz-
Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) im
nahegelegenen Gatersleben.
„Das IPK verfügt  über   artenreiche Saatgutbanken, die sich hervorragend
für Neuzüchtungen oder gezielte genetische Veränderungen eignen“, sagt
Romeis und lobt die „hervorragende Zusammenarbeit“.

Im Mittelpunkt ihrer Forschung stehen sogenannte Kalzium-regulierte
Proteinkinasen. Diese Enzyme sind wichtig für die pflanzliche Immunabwehr
und ihre Stresstoleranz. Sie ermöglichen es Pflanzen auch, sich an
Gefahrenquellen zu erinnern. „Natürlich haben Pflanzen kein Gehirn oder
ein Nervensystem wie wir Menschen“, sagt Tina Romeis, „aber sie verfügen
über eine Art molekulares Gedächtnis.“ Wie es genau funktioniert, welche
Informationen Pflanzen kurz- oder langfristig speichern und welche
Faktoren das Vergessen regulieren, kann die Arbeitsgruppe der
Biochemikerin dank hochmoderner Geräteausstattung am IPB detailliert
untersuchen. Romeis:
„Was uns hier zur Verfügung steht, davon kann man an den meisten Unis nur
träumen.“

Angesichts der Herausforderungen durch Klimawandel und
Bevölkerungswachstum boome die internationale Grundlagenforschung in der
Pflanzenbiochemie, sagt die IPB-Forscherin. Noch könne Deutschland auf
diesem Gebiet gut mithalten. „Was die Zukunft angeht, bin ich jedoch etwas
skeptisch.“ Viele junge Leute wollten nach dem Studium nicht mehr
promovieren; statt für die Grundlagenforschung interessierten sie sich
primär für Naturschutz, Umweltmanagement und ökologische Bildung.

In der Gesellschaft beobachtet Tina Romeis eine gewisse
Wissenschaftsmüdigkeit. Die vielen Plagiatsaffären hätten zu einem
Vertrauensverlust geführt. „Da haben wir einiges aufzuholen und
gutzumachen.“ Als neutrale Instanz könne die GDNÄ hier viel bewirken, sagt
die Wissenschaftlerin, die von der Mitgliederversammlung zur
Fachvertreterin Biologie gewählt wurde. In dieser Funktion möchte sie die
Bedeutung der Pflanzenwelt für Ernährung, Energieversorgung und Ökosystem
stärker ins Bewusstsein rücken und deren faszinierende Schönheit
vermitteln. Romeis: „Die Programme der GDNÄ für Schüler und Lehrer bieten
dafür beste Möglichkeiten.“

Link

Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie: www.ipb-halle.de/


Zur Person

Seit 2019 leitet Tina Romeis die Abteilung „Biochemie pflanzlicher
Interaktionen“ am Leibniz- Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) in Halle
an der Saale. Gleichzeitig wurde die damals 54- Jährige als Professorin an
die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg berufen.  Zuvor hatte Tina
Romeis 15 Jahre lang den Lehrstuhl für Pflanzenbiochemie an der Freien
Universität Berlin geleitet. Dem Ruf nach Berlin ging eine
Forschungstätigkeit am Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung
in Köln voraus. Dort hatte sie sich dank des 2001 zuerkannten, hoch
dotierten Sofia-Kovalevskaja-Preises der Alexander-von-Humboldt-Stiftung
als unabhängige Gruppenleiterin etablieren können. Ihre Habilitation in
Genetik und Molekularer Phytopathologie erfolgte am Institut für Genetik
der Ludwig-Maximilians-Universtiät München. Promoviert und studiert hatte
die aus Franken stammende Forscherin in Tübingen. Das Forschungsinteresse
von Professorin Romeis richtet sich insbesondere auf Kalzium-abhängige
Proteinkinasen. Diese Enzyme sind nicht nur wichtig für die Immunabwehr
von Pflanzen, sie prägen auch deren Stresstoleranz gegenüber Trockenheit,
Kälte und Nährstoffmangel.

Über die GDNÄ
Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e. V. (GDNÄ) ist die
einzige wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland, die breit über die
naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen
hinweg allen an ihrer Zielsetzung Interessierten, auch Schülern, Studenten
und naturwissenschaftlichen Laien für eine Mitgliedschaft offensteht.
Insofern ergänzt und bereichert die GDNÄ die von Akademien und
Fachgesellschaften geprägte Landschaft wissenschaftlicher Gesellschaften
in Deutschland.
Wichtige Ziele der GDNÄ sind:
Förderung des wissenschaftlichen Austauschs über die Grenzen der
naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen
hinweg.
Vermittlung von Faszination und Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnis
gegenüber einer informierten Öffentlichkeit und besonders auch junge

Altreifen erneuern statt entsorgen DBU-Projekt zu nachhaltigem Umgang mit Rohstoffen

In Deutschland fallen jährlich ca. 570.000 Tonnen Altreifen an, die meist verbrannt oder zu Gummigranulaten und Gummimehl verarbeitet werden. Die umweltfreundliche Alternative wird nur selten genutzt. Das Netzwerks Allianz Zukunft Reifen will das ändern.  Kurz Karkassenhandel
In Deutschland fallen jährlich ca. 570.000 Tonnen Altreifen an, die meist verbrannt oder zu Gummigranulaten und Gummimehl verarbeitet werden. Die umweltfreundliche Alternative wird nur selten genutzt. Das Netzwerks Allianz Zukunft Reifen will das ändern. Kurz Karkassenhandel

n Deutschland fallen jährlich etwa 570.000 Tonnen Altreifen an,
die größtenteils verbrannt oder zu Gummigranulaten und Gummimehl
verarbeitet werden. Das kostet jedoch viel Energie und Material. Eine
Alternative gibt es bereits: Runderneuerung macht alte Reifen wieder fit,
wird aber nur selten genutzt. Das Netzwerk Allianz Zukunft Reifen (AZuR)
will mit wissenschaftlichen Fakten für mehr Klarheit sorgen, das Image der
Altreifen verbessern und Lösungen für einen nachhaltigeren Umgang mit
ihnen finden. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) fördert das
Vorhaben fachlich und finanziell im Rahmen ihrer Förderinitiative zur
Circular Economy, also einer umfassenden Kreislaufwirtschaft, mit rund
91.000 Euro.

Seit einigen Jahren wächst der Berg an Altreifen, und der Markt für
Altreifen-Recycling befindet sich im Umbruch. Auf Deponien dürfen sie
nicht gelagert werden und immer weniger Verwertungsbetriebe nehmen
Altreifen ab. „Wir brauchen neue Wege, damit die wertvollen Rohstoffe in
den Reifen erhalten bleiben und nicht einfach entsorgt werden“, sagt
Franz-Peter Heidenreich, DBU-Referatsleiter für Kreislaufführung und
Bautechnik. Das AZuR-Netzwerk erarbeitet dafür verschiedene Lösungen. Die
Runderneuerung ist eine Möglichkeit, die auf viele Reifen anzuwenden ist.
Bei den Nutzfahrzeugen macht sie bereits etwa ein Drittel des Marktes aus.
Bei Autos kommt sie dagegen fast gar nicht vor.

Runderneuerte Reifen bieten viele Vorteile

„Das liegt daran, dass viele Menschen unsicher sind, wenn es um
runderneuerte Reifen geht“, sagt Projektleiterin Christina Guth. Dabei
hätten sie viele Vorteile. Guth: „Wenn sich die Quote erhöht, könnte man
große Mengen Rohöl, Gummi und Stahl einsparen. Die Altreifen könnten für
einen zweiten Lebenszyklus genutzt werden und der Energieverbrauch und
CO2-Ausstoß würden sinken.“ Außerdem seien runderneuerte Reifen günstiger
als Neuware. Um Nutzerinnen und Nutzer zu überzeugen, müssten diese über
die ökologischen und wirtschaftlichen Vorteile runderneuerter Reifen
informiert werden, meint auch Heidenreich. Dazu erarbeiten die
Projektpartner zunächst die Ökobilanz zur Runderneuerung, prüfen außerdem
den Rollwiderstand und damit den Energieverbrauch sowie schließlich die
Lebensdauer der neuen alten Reifen. Auf diese Weise soll ein Öko- und
Qualitätslabel entstehen. Ein weiterer Vorteil der Altreifen laut Guth:
Runderneuerungsbetriebe sind in ganz Deutschland verteilt. Neureifen
dagegen werden meistens im Ausland gefertigt und haben lange Transportwege
hinter sich, was zugleich die Ökobilanz verschlechtert.

Russian National Youth Symphony Orchestra | Valentin Uryupin | Sergej Dogadin, KKL Luzern, 10. August 2021 besucht von Léonard Wüst

Russian National Youth Symphony Orchestra Foto Evgeny Razumny
Russian National Youth Symphony Orchestra Foto Evgeny Razumny

Besetzung und Programm:

Russian National Youth Symphony Orchestra
Valentin Uryupin  Dirigent
Sergej Dogadin  Violine
 
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky (1840–1893)
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35
Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 Pathétique

 

Bei der Rückkehr in eine “Teilnormalität» gehen die Konzertveranstalter verschiedene Wege. Während z.B. das Lucerne Festival und das Zürcher Kammerorchester kein COVID Zertifikat verlangen, dafür die Platzzahl auf 50 Prozent beschränken müssen und eine es besteht Maskenpflicht. Dafür können z.B. die Festival Strings Lucerne, bei denen ein COVID Zertifikat erforderlich ist, die Plätze bis zu 80 Prozent auslasten und die Besucher ohne Maskenpflicht empfangen. Alle Konzerte des diesjährigen Festivals werden aufgrund Corona ohne Pause durchgeführt.

Begrüssung durch den Intendanten

Intendant Michael Häfliger zeigte sich in seinem kurzen Begrüssungsspeech, dass man das Sommerfestival, wenn auch unter bestimmten Voraussetzungen, doch wie geplant durchführen könne, was natürlich besonders auch für die Künstler gelte, die endlich wieder ihren Beruf, der ja in den meisten Fällen auch Berufung ist, wieder ausüben können, nach der langen, anderthalbjährigen Zwangspause

Das Orchester wurde auf Vladimir Putins Wunsch gegründet

Für einmal eröffnete das, von Putin im Mai 2018 initiierte, Russian National Youth Symphony Orchestra das Festival, anstatt wie üblich das Lucerne Festival Orchestra. Es vereinigt die Elite junger Absolventen aus den Konservatorien ganz Russlands und alle Mitglieder sind negativ auf Corona getestet.

Das ganz schwarz gewandete Ensemble das die Konzertbühne enterte, die Musikerinnen mit etwas Glitter dazu, besteht momentan aus 108 Mitgliedern aus 42 Regionen des Riesenreiches. Zu ihnen gesellte sich der schlaksige, hochgewachsene Dirigent Valentin Uryupin, der als Klarinettist über 20 Wettbewerbe gewonnen hatte und weltweit konzertierte, bevor er sich ganz aufs dirigieren konzentrierte.

Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 in der ersten Konzerthälfte

Sergej Dogadin Foto  Anastasia Steiner
Solist Violine Sergej Dogadin Foto Anastasia Steiner

In Clarens am Genfersee entstand Tschaikowskys einziges Violinkonzert: ein
lebensfrohes Werk, das er im Frühjahr 1878  in gut drei Wochen niederschrieb. Als die Instrumente feingestimmt waren betrat auch der 1988 geborene Geigensolist Sergej Dogadin die Szene, der u.a. 2019 als Sieger aus dem renommierten Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb hervor ging. Bei diesem Werk ist, im Gegensatz zu vielen anderen Violinkonzerten, wo die Solisten nur ab und zu ins Geschehen eingreifen, der Solist fast dauernd am Spielen, was natürlich extrem fordernd und anstrengend ist.

Der berühmte Geiger Leopold Auer, dem Tschaikowski das Werk widmen wollte, lehnte es gar als unspielbar ab. Erst im Dezember 1881 fand in Wien die Uraufführung statt – mit dem jungen Geiger Adolf Dawidowitsch Brodsky, der in Wien studiert hatte und die Wiener Philharmoniker und den Dirigenten Hans Richter für das Werk gewinnen konnte. Die Kritiken fielen allerdings nicht rosig aus, so ließ sich etwa der gefürchtete Eduard Hanslick zu folgender Beurteilung hinreißen: «Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht Musikstücke geben könnte, die man stinken hört.»

Doch der vermeintliche «Gestank» verbreitete sich bald als beliebter konzertanter Wohlklang in der ganzen Musikwelt. Hanslicks Kritik erscheint auch insofern unverständlich, setzte doch Tschaikowski gerade im Violinkonzert äußerst subtil die thematischen Einfälle um. Die slawisch-romantische Ausdruckssprache ist von Innigkeit und Tiefe erfüllt, gerät nie an die Oberfläche und verbreitet nicht den Geruch des ungustiös Plakativen. In der Form und Gestaltung behält Tschaikowski klassisches Ebenmaß. So wie bei den Tonarten-Genossen, den Violinkonzerten von Beethoven und Brahms, verschmelzen in Tschaikowskis D-Dur-Konzert lyrisch-gesangliche Eigenschaften, wie sie zum Charakter des Soloinstrumentes gehören, mit symphonischen Konturen.

Aus verhaltener Bewegung zu epischer Grösse

Der Kopfsatz (Allegro moderato) entwickelt sich aus verhaltener Bewegung allmählich zu epischer Größe, bis am Ende der Exposition erstmals das edle Hauptthema im ganzen Orchester auftrumpft. Tschaikowski verdichtet dann Schicht für Schicht das Geschehen. So verteilt er etwa das Hauptthema auf virtuoses Figurenwerk der Solovioline, die die zunächst kantabel geschwungene Thematik zunehmend dramatisch verdichtet, darin unterstützt vom Orchester. Auch in der Kadenz, die im Rahmen des thematischen Prozesses bereits am Ende der Durchführung platziert ist, setzt die Violine die motivische Entwicklung fort und gefällt sich nicht bloß in virtuoser Selbstdarstellung. In der Reprise verstärkt Tschaikowski durch wonnevolle Ausbreitungen die Bedeutung des Seitenthemas. In der Coda zieht er das Tempo an und erzeugt die Wirkung einer Stretta. In der Canzonetta (Andante) folgt einem Holzbläservorspiel eine innige Hauptmelodie in der Violine, mit der Tschaikowski noch einmal in die Welt des melancholischen Lenski in der Oper «Eugen Onegin» eintauchte. Das zweite Thema bringt freudige Bewegung ins Spiel, bis die Kantilene, nun von typischen Tschaikowskischen Tontupfern in den Holzbläsern begleitet, wiederkehrt.

Akkord wie ein Peitschenschlag

Wie ein Peitschenschlag saust ein Akkord dazwischen, mit dem das Orchester das Finale (Allegro vivacissimo) eröffnet und ein Thema in Gang setzt, das – in der Canzonetta schon in einer Vorgestalt leise angekündigt – nun zur Triebfeder eines mitreißenden Rondos wird. Die Gestalt des Hauptmotivs hat durch und durch russische Wurzeln, die zu einem anderen Werk ausschlagen: Das Motiv ähnelt stark dem zweiten Thema aus Michail Glinkas Fantasie «Kamarinskaja», das wiederum auf ein russisches Volkslied zurückgeht. Das Seitenthema des Tschaikowski-Finales lässt sich hingegen in seinen Ursprüngen der russischen Zigeunermusik zurechnen (wir kennen eine solche volksmusikalische Note von Brahms, der gerne magyarische Anklänge ins Spiel brachte). Auch in dieses furiose Finale schiebt Tschaikowski noch lyrische Perioden mit einem sehnsuchtsvoll von der Oboe angestimmten und von Klarinette, Fagott und Solovioline aufgegriffenen dritten Themengebilde ein und schafft damit einen zyklischen Stimmungsbogen, der mit einem brillanten Ausklang geschlossen wird.

Der Solist meistert alle technischen Klippen bravourös

Alle technischen Klippen, die im Werk vom Komponisten *eingebaut» wurden, meisterte Sergej Dogadin ohne die geringste Unsicherheit in höchster technischer Perfektion und kraftvoll- emotionaler Ausdrucksweise, mit vollem Körpereinsatz und kongenialer Unterstützung durch seine jungen Mitmusiker. Den langanhaltenden kräftigen Applaus belohnte der Solist schliesslich mit einer kurzen Improvisation als Zugabe

Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 Pathétique in der 2. Konzerthälfte

Dirigent Valentin Uryupin Foto Daniil Rabovsky
Dirigent Valentin Uryupin Foto Daniil Rabovsky

Ist die sechste Sinfonie tatsächlich so etwas wie ein selbst verfasstes Requiem? Auftrieb erhält diese Theorie durch die „düstere“ Tonart h-Moll, die für große Leidenschaft und Tragik steht, und durch den ungewöhnlichen formalen Aufbau: Das Motiv einer fallenden Sekunde, das man als Klageruf deuten kann, durchzieht das ganze Werk. Nach der langsamen, dunklen Einleitung (ohne Geigen, ohne hohe Bläser) folgt ein Sonatensatz. Der Seitensatz ist dabei durch sein Andante-Tempo deutlich vom ersten Teil abgegrenzt. Nachdem es im völligen Pianissimo ausklingt, beginnt die Durchführung mit einem stürmischen Fugato. Nach einer Beruhigung und einem etwas versteckten Zitat aus der russisch-orthodoxen Totenliturgie vermischt sich im weiteren Verlauf die motivische Arbeit des Hauptsatzes mit der Reprise. Die Koda schließlich steht in ruhigem H-Dur.

Ungewöhnlicher 5/4 Takt

Der zweite Satz, eine Art Menuett oder Walzer, hätte kaum Ungewöhnliches an sich, stünde er nicht komplett im 5/4-Takt. Zwar ist dieser „krumme“ Takt in der russischen Volksmusik durchaus üblich und so bereits in zwei Opern Michail Glinkas, des „Vaters“ der russischen Oper, zu finden. In die große Sinfonik hatte er sich bisher jedoch nicht „verirrt“. Der dritte Satz beginnt als leise dahinhuschendes Scherzo. Allmählich setzt sich ein zunächst nur versteckt im Hintergrund erklingendes Marschthema durch, das immer mehr die Oberhand gewinnt und schließlich so lange durchgeführt wird, dass sich eine Finalwirkung einstellt. Der dritte Satz Scherzo beginnt ohne Thema – aufgeregte Vorbereitungen für ein großes Ereignis. Als dieses in Gestalt eines strahlend-fatalen Marsches eintritt, schlägt die Stunde des Schlagzeugs! Und hier führt der Dirigent sein Orchester nahe an die Grenze der noch ertragbaren Lautstärke ins vermeintliche Finale  „Wie so oft klatsche das Publikum spontan nach diesem Satz“,

Beim Finale führt Tschaikowsky uns an der Nase herum

Die Sinfonie ist hier jedoch noch nicht zu Ende, sondern es folgt als wirkliches Finale ein leidenschaftliches Adagio lamentoso. Beim Hauptthema verwendet Tschaikowsky einen besonderen Instrumentierungstrick. Die Töne der absteigenden Melodie sind abwechselnd auf die beiden Geigengruppen verteilt, sodass sich der gewünschte Klangeindruck nur aus dem Zusammenspiel der beiden ergibt. Der Schluss der im Pianissimo ausklingenden Sinfonie bleibt Celli und Kontrabässen vorbehalten.

Nach einem längeren Moment der absoluten Stille realisierte das Auditorium, dass dies das Finale war und es folgte ein donnernder Schlussapplaus.

Nachtrag: Rucksacktouristen der anderen Art

Bei der Anreise betraten wir zu zweit das 20 Plätze umfassende Zugabteil und erschraken, dass 15 Plätze schon belegt waren und zwar folgendermassen: 3 Damen, 5 Herren und 7 Rucksäcke. Da niemand die Idee hatte, von sich aus ihrem Rucksack im Gepäckfach oder sonst wo zu deponieren, musterte ich alle, überlegend, wer am wenigsten erbost reagieren würde, wenn ich um ebendieses bat. So nahm ich all meinen Mut zusammen, näherte mich einem jüngeren Herrn mit meiner Bitte, wohl wissend, dass, falls er dieser nachkam, ich mir seines abstrafenden Blickes bis zu unserem Ausstieg in Luzern sicher sein konnte. Dass aber je länger je mehr, diese Rucksäcke auch in die Konzert- oder Theatersäle mitgenommen werden, ist für mich unbegreiflich, kann man diese doch, notabene, fast überall kostenlos, an den Garderoben deponieren. Zudem ist sehr lästig für andere Konzertbesucher, wenn man äusserst aufpassen muss, dass man nicht über diese stolpert, wenn man seinen Platz aufsucht, da diese Utensilien ja am Boden, immerhin nicht auf einem Stuhl, herumliegen. Natürlich auch hier abstrafende Blicke, wenn man höflich bittet, die Dinger doch aus dem Weg zu räumen. Wahrscheinlich dauerts nicht mehr lange, bis die ersten auch noch das Picknick auspacken, die Petflasche in der Hand ist ja bereits Usus. Man kann nur hoffen, dass diese Unsitte bald aus den Konzertsälen verbannt wird.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch  Peter Fischli und Priska Ketterer

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