RWI: Ja zum Tempolimit, Nein zur Städtemaut – bundesweite Akzeptanz verkehrspolitischer Maßnahmen variiert stark
Das RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hat die Akzeptanz in
der deutschen Bevölkerung gegenüber 25 verkehrspolitischen Maßnahmen im
Jahr 2024 mittels einer bundesweiten Befragung untersucht. Wenn die
Verkehrspolitik Alternativen zum Auto attraktiver macht, befürworten das
die meisten Befragten. Soll der Autoverkehr dagegen teurer oder
unattraktiver werden, sinken die Zustimmungsraten in der Bevölkerung. Eine
umstrittene Maßnahme erfährt inzwischen eine hohe Zustimmung: Die
Einführung des Tempolimits auf Autobahnen wird von der Mehrheit der
Befragten befürwortet. Zu diesen und weiteren Ergebnissen kommt die
Auswertung der Befragung in einer neuen RWI-Kurzstudie. ...
... Für die Analyse wurden zudem im Rahmen des RWI Klima-Mobilitäts-Panels
regelmäßig bundesweit Befragungen durchgeführt, gefördert durch die
Stiftung Mercator.
Das Wichtigste in Kürze:
- Auf Basis der neuen Befragungswelle des RWI Klima-Mobilitäts-Panels hat
das RWI die Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung gegenüber 25
verkehrspolitischen Maßnahmen im Jahr 2024 untersucht. Auf Grundlage
vorheriger Befragungen können zudem die Zustimmungsraten für eine Reihe
von Maßnahmen über die Zeit betrachtet werden. Während sogenannte Push-
Maßnahmen den Verkehr nachhaltiger gestalten sollen, indem Autofahren
teurer oder unattraktiver wird, können sogenannte Pull-Maßnahmen über
attraktivere Mobilitätsangebote zu mehr Nachhaltigkeit im Verkehrssektor
führen. Wie auch frühere Untersuchungen zeigen konnten, werden Pull-
Maßnahmen generell besser akzeptiert als Push-Maßnahmen.
- Push-Maßnahmen, bei denen es um andere Verkehrsmittel als das Auto geht
– wie beispielsweise die Einführung einer Kerosinsteuer für den
Luftverkehr – erfahren in der Bevölkerung eine relativ hohe Zustimmung.
Die Push-Maßnahme mit der höchsten Zustimmung ist allerdings die
Einführung eines Tempolimits von 130 km/h auf Autobahnen. Rund 63 Prozent
der Befragten und auch die Mehrheit der Autofahrer unter ihnen befürworten
ein solches Tempolimit. Dabei ist die Zustimmung seit 2019 gestiegen.
Allerdings: Die Einführung eines Tempolimits gehört zu den am stärksten
polarisierenden Maßnahmen, da sie gleichzeitig auf starke Zustimmung und
große Ablehnung stößt. Es ist zudem die Maßnahme, bei denen die
allermeisten Befragten eine eindeutige Präferenz angeben, also entweder
dafür oder dagegen sind.
- Die Ergebnisse des RWI zur Akzeptanz verschiedener verkehrspolitischer
Maßnahmen zeigen für 2024 überdies, dass die Zustimmung zu den 25
erfassten Maßnahmen erheblich variiert. Unter den Befragten ist die
Zustimmung für eine Autoabgabeprämie – Geldzahlung gegen Abmeldung des
Verbrenners – am geringsten mit einer Zustimmungsrate von 19 Prozent.
Ähnlich unbeliebt sind die Städtemaut, ein Verbot von Neuwagen mit
Verbrennungsmotor ab 2035 und eine generelle Pkw-Maut mit Zustimmungsraten
von 22 bis 24 Prozent. Dagegen befürworten rund 73 Prozent der Befragten
den Ausbau von Fahrradwegen.
- Unter den abgefragten Pull-Maßnahmen erfährt nach dem Ausbau von
Fahrradwegen die Fortführung des Deutschlandtickets die größte Zustimmung
mit ca. 70 Prozent. Dahinter folgt die Ausweisung von Bus- und Bahnspuren
auf staubelasteten Straßen mit 67 Prozent. Die Zustimmung gegenüber dem
Deutschlandticket wurde 2024 erstmalig abgefragt und hat höhere
Zustimmungswerte als der kostenlose ÖPNV, den rund 67 Prozent der
Befragten befürworten.
- Die Analyse der verkehrspolitischen Maßnahmen zwischen 2018 und 2024
zeigt, dass Zustimmungswerte über die Zeit relativ stabil sind. Ausnahmen
hiervon sind insbesondere die Einführung des Tempolimits auf deutschen
Autobahnen von 130 km/h und die Erhöhung von Parkkosten. Bei diesen
Maßnahmen ist die Zustimmung bei den Befragten kontinuierlich gestiegen.
Die größten Veränderungen traten zwischen 2019 und 2022 auf: Die
Zustimmung gegenüber einem Verbot von Inlandsflügen ist in der Zeit um 11
Prozentpunkte und beim Tempolimit auf Autobahnen um 7 Prozentpunkte
gestiegen. In der Zeit nach 2022 ist die Zustimmung gegenüber dem Verbot
von Inlandsflügen geringfügig gesunken.
- Die RWI-Studie basiert auf Daten des RWI Klima-Mobilitäts-Panels für die
Jahre 2018 bis 2024. Insgesamt haben bundesweit 6.107 Teilnehmerinnen und
Teilnehmer aus dem repräsentativen Online-Panel forsa.omninet mit derzeit
rund 100.000 Personen die Befragung beantwortet und abgeschlossen. Die
aktuelle Befragung wurde im Rahmen des von der Stiftung Mercator
geförderten RWI-Projekts „Die Mobilitätswende in Deutschland gemeinsam
gestalten – Lehren aus dem Ruhrgebiet“ durchgeführt.
- Einschränkungen: Die ermittelten Zustimmungswerte können durch
verschiedene Faktoren beeinflusst werden, unter anderem durch die Art, wie
konkret abgefragt wurde. In dieser Befragung wurden die verschiedenen
verkehrspolitischen Maßnahmen nur kurz und neutral beschrieben und keine
weiteren Erläuterungen oder Argumentationen für oder gegen die Maßnahmen
hinzugefügt. Zudem können sich Zustimmungswerte in der Bevölkerung nach
Einführung der Maßnahmen deutlich verändern.
„Die Bevölkerung wünscht sich Maßnahmen zur Förderung von nachhaltiger
Mobilität. Maßnahmen, die das Autofahren einschränken oder verteuern,
lehnen die Befragten bis auf wenige Ausnahmen eher ab“, sagt RWI-
Umweltökonom Mark A. Andor. „Allerdings befürworten inzwischen die meisten
Befragten und auch die Mehrheit der Autofahrer unter ihnen ein generelles
Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 km/h. Preisbasierte Maßnahmen,
die häufig im Zentrum ökonomischer Lösungsvorschläge stehen, wie eine
Städtemaut oder dynamische Preise im öffentlichen Nahverkehr, haben
dagegen aktuell keine hohen Zustimmungswerte“, so Andor. „Neben der
Erarbeitung von effizienten und effektiven Maßnahmen halte ich die weitere
Erforschung der Beweggründe für die Akzeptanz oder Ablehnung von Verkehrs-
und Umweltpolitiken für ein sehr wichtiges Forschungsfeld, um die
Verkehrswende im konstruktiv-kritischen Sinne zu begleiten.“