Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2025: Geopolitischer Umbruch verschärft Krise – Strukturreformen noch dringlicher

Die deutsche Wirtschaft tritt auch 2025 auf der Stelle. In ihrem
Frühjahrsgutachten prognostizieren die führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute für das laufende Jahr eine Zunahme des
Bruttoinlandsprodukts von lediglich 0,1 Prozent.
Für das Jahr 2026
erwarten die Institute einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 1,3
Prozent. Kurzfristig belasten die neue US-Zollpolitik und die
wirtschaftspolitische Unsicherheit die Wirtschaft in Deutschland. Die
Mittel aus den zusätzlichen Verschuldungsspielräumen dürften nach und nach
expansiv wirken, drohen aber den privaten Konsum und private Investitionen
zu verdrängen.
„Die geopolitischen Spannungen und die protektionistische Handelspolitik
der USA verschärfen die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in
Deutschland“, sagt Torsten Schmidt, Konjunkturchef des RWI – Leibniz-
Institut für Wirtschaftsforschung. „Zusätzlich sehen sich deutsche
Unternehmen einem verstärkten internationalen Wettbewerb ausgesetzt – vor
allem aus China. Nicht zuletzt lasten strukturelle Schwächen wie der
Fachkräftemangel und hohe bürokratische Hürden auf den Wachstumskräften.“
Bundestag und Bundesrat haben die Finanzverfassung geändert, um
öffentliche Verschuldungsspielräume zu schaffen – für Verteidigung,
Klimaschutz und Infrastruktur. Unklar ist jedoch, wie die erweiterten
Ausgabespielräume des Staates genutzt werden. Die Institute erwarten, dass
in diesem Jahr kaum zusätzliche Mittel für Verteidigung und Investitionen
abgerufen werden. Allerdings werden voraussichtlich
Konsolidierungsschritte unterbleiben, die ohne die Änderung der
Finanzverfassung erforderlich gewesen wären. Für das kommende Jahr rechnen
die Institute mit Mehrausgaben in Höhe von rund 24 Milliarden Euro
verbunden mit einem Expansionsimpuls von etwa 0,5 Prozentpunkten für das
Bruttoinlandsprodukt. Von Mehrausgaben für Verteidigung und Infrastruktur
profitieren eher kleine Wirtschaftsbereiche. Da diese bereits gut
ausgelastet sind, könnten die Preise dort weiter steigen.
Die US-Zölle auf Aluminium-, Stahl- und Kfz-Importe dürften den Zuwachs
des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr und im kommenden Jahr um jeweils
0,1 Prozentpunkte verringern. Die weitergehenden Zölle, die am 2. April
angekündigt wurden, könnten die negativen Effekte verdoppeln. Die
konkreten Auswirkungen sind jedoch schwer zu quantifizieren, da im
derzeitigen globalisierten Wirtschaftsgefüge Zollsätze noch nie so stark
angehoben wurden.
Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich spürbar verschlechtert. Seit Mitte
2022 stieg die Zahl der Arbeitslosen um 20 Prozent. Das entspricht mehr
als 400.000 Personen. Damit nahm die Arbeitslosenquote von 5,0 Prozent auf
6,3 Prozent zu. Der Abbau von Arbeitsplätzen findet vor allem im
Verarbeitenden Gewerbe, dem Baugewerbe und den Unternehmensdienstleistern
statt. Gleichzeitig legt die Beschäftigung im öffentlichen Dienst, in der
Erziehung und im Gesundheitsbereich weiter zu. Für die kommenden Monate
gehen die Institute davon aus, dass die Arbeitslosigkeit zunehmen wird.
Erst wenn sich die wirtschaftliche Situation im Verlauf des Jahres 2026
verbessert, ist wieder von einer sinkenden Arbeitslosigkeit auszugehen.
Die Phase der Leitzinssenkungen dürfte demnächst zu Ende gehen. In den USA
gefährden die höheren Zölle die Preisstabilität. Im Euroraum lässt eine
expansivere Finanzpolitik die Kapitalmarktzinsen steigen, sodass der
Leitzins mit 2,5 Prozent nicht mehr weit von seinem neutralen Niveau
entfernt ist. Wird das fiskalische Regelwerk im Euroraum gelockert, werden
die Kapitalmärkte als Kontrollinstanz für nachhaltige Staatsfinanzen
wichtiger.
Deutschland leidet nicht nur unter einer Konjunkturschwäche, sondern hat
vor allem Strukturprobleme. Sie lassen sich nicht durch eine bloße
Erhöhung der Staatsausgaben lösen und machen potenzialstärkende Reformen
umso dringlicher. So braucht etwa das Sozialsystem Anpassungen an den
demografischen Wandel, damit die Lohnnebenkosten nicht weiter stark
steigen.
Langfassung des Gutachtens
Die Langfassung des Gutachtens ist unter
www.gemeinschaftsdiagnose.de/c
Über die Gemeinschaftsdiagnose
Die Gemeinschaftsdiagnose wird zweimal im Jahr im Auftrag des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz erstellt. Am
Frühjahrsgutachten 2025 haben mitgewirkt:
• Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin)
• ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der
Universität München e.V. in Kooperation mit dem Österreichischen Institut
für Wirtschaftsforschung (WIFO)
• Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)
• Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)
• RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Kooperation mit dem
Institut für Höhere Studien (IHS) Wien