Stiftung Kindergesundheit informiert über Warnsymptome und Risiken
depressiver Störungen
Die Jahre der Kindheit und Jugend werden von Erwachsenen gern als
„fröhlich und unbeschwert“ verklärt. Doch nicht jedes Kind erlebt sie so:
Die oft als „sorgenfrei“ gepriesene Kindheit erweist sich in Wirklichkeit
häufig als von psychischen und emotionalen Problemen belastet. Selbst
schwere Depressionen kommen schon bei Kindern und Jugendlichen vor:
Mindestens jeder zehnte Jugendliche erlebt bis zum Erreichen der
Volljährigkeit wenigstens eine depressive Episode, berichtet die Stiftung
Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme.
Kinder- und Jugendärzt*innen, Kinderpsychiater*innen und
Kinderpsychotherapeut*innen haben in den letzten Jahren eine Zunahme von
depressiver Symptomatik bei jungen Menschen registriert. Allerdings ist es
im Kindes- und Jugendalter nicht immer leicht, eine Depression von den
üblichen, „normalen“ Verhaltensweisen abzugrenzen: Erst ab dem
Grundschulalter können Kinder ihre gedrückte Stimmungslage und emotionale
Niedergeschlagenheit selbst einigermaßen in Worte fassen. Sie sind traurig
oder unglücklich, weil sie sich ungeliebt, nicht geborgen oder
vernachlässigt fühlen. Wenn sie sich äußern, beklagen sie sich zum
Beispiel mit Sätzen wie: „Niemand hat mich lieb“, oder: „Keiner will mit
mir spielen,“ oder sogar: „Ich wünschte, ich wäre tot“.
Ein oft unterschätztes Problem
„Depressive Symptome bei Kindern und Jugendlichen sind häufiger als Eltern
annehmen. Gerade in den letzten Jahren ist die Zahl neudiagnostizierter
depressiver Störungen deutlich angestiegen ", sagt die Münchner Fachärztin
für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -Psychotherapie Priv.-Doz. Dr. med.
Katharina Bühren, ärztliche Direktorin des kbo-Heckscher-Klinikums und
stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kindergesundheit.
„Bereits vor der Coronapandemie war fast jedes fünfte Kind und Jugendliche
in Deutschland von psychischen Auffälligkeiten betroffen. Im Jahr 2019
benötigten rund 823 000 Kinder und Jugendliche psychotherapeutische Hilfe,
104 Prozent mehr als im Jahr 2009. Im Verlauf der Pandemiejahre hat sich
dann ihr Wohlbefinden und ihre psychische Gesundheit weiter
verschlechtert: Depressive und psychosomatische Symptome, Ängste und auch
Essstörungen kommen zurzeit insbesondere bei Mädchen wesentlich häufiger
vor als vor Corona“.
Wie die Pandemie die Kinder belastet
Besonders die Corona-bedingten Schulschließungen haben die Kinder und
Jugendlichen stark belastet: Laut einer neuen Studie des Bundesinstituts
für Bevölkerungsforschung (BiB) wiesen junge Menschen während der
Schulschließungen zu 75 Prozent häufiger allgemeine Depressionssymptome
auf als vor Ausbruch der Pandemie.
Die Kinder waren während dieser Zeit nicht nur von der zeitweisen
Schließung von Spielplätzen, Kitas und Schulen betroffen: Gleichzeitig
wurden ihre sozialen Kontakte zu Freunden, Mitschülern und selbst zu den
Großeltern zwangsläufig eingeschränkt.
„Besonders die Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien , mit
Migrationshintergrund und beengten räumlichen Verhältnissen zeigten mehr
depressive Symptome als Gleichaltrige“, berichtet Priv.-Doz. Dr. Katharina
Bühren.
Wie sich die Symptome mit der Zeit verändern
Depressive Kleinkinder (1 bis 3 Jahre) zeigen sehr unspezifische Symptome.
Sie können still und zurückhaltend sein oder durch Spielunlust auffallen.
Nicht selten sind sie aber auch unruhig, weinen und schreien oft, essen
und schlafen schlecht oder wiederholen bestimmte Bewegungen immer wieder.
Bei Kindern im Vorschulalter (3 bis 6 Jahre) äußert sich eine Depression
oft mit einem traurigen Gesichtsausdruck und mit verminderter Gestik und
Mimik. Das Kind ist häufig bedrückt und kann sich über nichts mehr so
richtig freuen, bewegt sich ungern und zeigt psychosomatische Beschwerden
wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Nicht selten sind diese Kinder leicht zu
irritieren, schlafen schlecht ein und haben oft Albträume.
Im Schulkindalter (7 bis 13 Jahre) zeigt sich eine Depression häufig durch
leichte Reizbarkeit und gedrückte Stimmung, Lustlosigkeit,
Unkonzentriertheit und Leistungsabfall in der Schule. Die Betroffenen
beschreiben Selbstzweifel und auch Selbstmordgedanken.
Depressive Jugendliche (14 bis 18 Jahre) sind niedergestimmt, ziehen sich
zurück und neigen zu Grübeleien. Es können auch Stimmungsschwankungen und
Appetitstörungen sowie psychosomatische Beschwerden dazu kommen.
Schlafstörungen, eine Verschlechterung der Schulleistungen, aber auch ein
Gefühl der Leere und Lustlosigkeit werden häufig berichtet. Umso
ausgeprägter die depressive Symptomatik ist, desto eher kommen auch
Suizidgedanken dazu. Mit zunehmendem Alter können Todeswünsche und
-vorstellungen die Gedanken gefährlich verdüstern: Selbsttötungen stellen
mit 12 Prozent der Todesursachen bei Jugendlichen nach Verkehrsunfällen
die zweithäufigste Todesursache dar.
Zu oft übersehen und zu spät erkannt
Depressionen werden bei Kindern und Jugendlichen nicht selten übersehen
und nicht behandelt, selbst wenn deutliche Anzeichen vorhanden sind, sagt
Kinder- und Jugendpsychiaterin Dr. Katharina Bühren: „Auch ernste Symptome
einer Depression wie Freudlosigkeit oder Niedergeschlagenheit werden bei
Kindern im Teenageralter häufig als eine Phase fehlinterpretiert, die zur
Pubertät gehört“.
Weil sich aber eine Depression ohne Behandlung verstärken und zu weiteren
Störungen führen kann, sollten depressive Symptome immer ernst genommen
werden, betont die Expertin der Stiftung Kindergesundheit mit großem
Nachdruck: „Wer schon als junger Mensch psychisch erkrankt, hat auch als
Erwachsener ein höheres Risiko für eine psychiatrische Erkrankung. Über
die Hälfte der psychischen Störungen entsteht vor dem neunzehnten
Lebensjahr“. Die Häufigkeit von Depressionen steigt von unter zwei Prozent
bei Kindergartenkindern auf etwa neun Prozent während der Pubertät bis auf
20 Prozent bis zum 18. Lebensjahr an.
Psychische Gesundheit von Kindern stärken!
Zur Stärkung der psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen
empfiehlt die Stiftung Kindergesundheit folgende Maßnahmen:
• Verbesserung der ambulanten und stationären kinder- und
jugendpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Versorgung durch
Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen
• dauerhafte Förderung psychotherapeutischer und psychiatrischer
Angebote, die niedrigschwellig an Schulen angebunden sind, sowie Angebote
der Jugendhilfe in besonders belasteten Wohnquartieren, und
• Schulfach „Gesundheit“ einführen, um die Gesundheitskompetenz von
Kindern und Jugendlichen zu verbessern und so auch das Risiko für
psychische Erkrankungen zu verringern.
Düstere Gedanken? Reden kann Schlimmeres verhüten
Häufig ist es allerdings nicht leicht, an ein Kind oder einen Jugendlichen
mit Depressionen heranzukommen, räumt die Stiftung Kindergesundheit ein.
Manchmal möchten sich Betroffene am liebsten in einem Loch verkriechen und
vermeiden es, über ihre Gefühle zu sprechen. Dabei wäre es wichtig, dass
sie ihre Empfindungen in Worte fassen und mit anderen teilen können.
Deshalb sollten Eltern die Gefühle ihres Kindes ernst nehmen und auch
ansprechen. Offene Gespräche schaffen Vertrauen und helfen psychische
Probleme frühzeitig wahrzunehmen.
Zur Behandlung einer depressiven Störung bei Kindern und Jugendlichen
stehen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung: Ob das Kind mit einer
Psychotherapie oder zusätzlich mit Medikamenten behandelt werden soll,
muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden.
Wenn Kinder und Jugendliche, ihre Eltern selbst oder andere Angehörige
depressive Gedanken haben oder sogar überlegen, sich das Leben zu nehmen,
sollten sie unbedingt versuchen, mit jemandem darüber zu sprechen, ganz
gleich ob aus der Familie oder aus dem Freundeskreis, betont Priv.-Doz.
Dr. Katharina Bühren: „Außerdem sollten sie sich an Menschen werden, die
sie professionell unterstützen können. Erste Ansprechpartner können
Beratungsstellen, Hausärzte und Hausärztinnen, Kinderärztinnen oder
Kinderärzte sein, die dann die Eltern mit ihrem Kind in eine Kinder- und
Jugendpsychiatrische Praxis überweisen können.“
Hier finden Familien Rat und Hilfe
Geschulte Gesprächspartner*innen, die in psychischen Lebenskrisen eine
Hilfe anbieten können, erreichen Betroffene telefonisch:
• bei der Telefonseelsorge (Evang.: 0800-111 0 111, Kath.: 0800-111
0 222),
• im Notfall bei der Polizei (110) oder dem Rettungsdienst (112),
• bei der „Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche“ unter
Tel. 116 111, oder
• bei der „Nummer gegen Kummer für Eltern“ unter Tel. 0800-111 0
550.
Eine weitere umfangreiche Liste von möglichen Hilfen bietet die
Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter
www.suizidprophylaxe.de.