Wahrnehmungsstörung Neglect nach Schlaganfall: Neuropsychologen helfen mit neuer Online-Therapie

Wenn das menschliche Gehirn durch einen Schlaganfall oder eine
Kopfverletzung Schaden nimmt, kann es passieren, dass die betroffene
Person nur noch einen Teil der Außenwelt oder ihres eigenen Körpers
wahrnimmt. Diese Erkrankung wird als Neglect bezeichnet. Die Patienten
haben dann Probleme, mehrere Dinge oder Personen gleichzeitig visuell zu
erfassen. Neuropsychologen der Universität des Saarlandes haben jetzt eine
Therapie entwickelt, mit der den Betroffenen dies nach kurzer Zeit wieder
gelingt.
Die neue Therapie wurde in der Saarbrücker Hochschulambulanz für
Neuropsychologie getestet und kann auch zu Hause online durchgeführt
werden. Sie wird vielen Patienten dabei helfen, sich wieder im Alltag
zurechtzufinden. Allein in Deutschland leiden schätzungsweise
fünfzigtausend Menschen pro Jahr an dem Neglect-Syndrom, das meist durch
einen Schlaganfall verursacht wird. Es wirkt sich auf viele
Alltagsbereiche aus, besonders häufig und anhaltend ist dabei die
beschriebene Unfähigkeit der Betroffenen, mehrere Dinge gleichzeitig
visuell zu erfassen. Sie können die Gegenstände oder Personen mit ihren
Augen sehen, aber es gelingt ihnen nicht, diese Informationen im Gehirn zu
verarbeiten. „Für verschiedene Symptome der akut an einem Neglect
erkrankten Menschen gibt es bereits wirksame Behandlungen, nicht jedoch
für chronische Restsymptome des Neglects wie diese häufig auftretende
Wahrnehmungsstörung“, erklärt Georg Kerkhoff, Professor für Klinische
Neuropsychologie der Universität des Saarlandes.
Sein Team hat in zwei verschiedenen Studien jeweils 23 bzw. acht
Patientinnen und Patienten mit dieser Symptomatik über mehrere Wochen mit
der neu entwickelten Therapie behandelt. „Schon nach etwa 18
Therapiestunden konnten alle Betroffenen wieder besser mehrere visuelle
Dinge gleichzeitig erfassen, wie etwa verschiedene Gegenstände oder
Personen auf einem Bild“, erläutert Professor Kerkhoff. Die
Studienteilnehmer nahmen diese Fortschritte auch selbst wahr, da sie sich
wieder sicherer im Alltag fühlten und sich auch wieder besser
zurechtfanden. Zwei Drittel der Betroffenen konnten nach der Behandlung in
ihren früheren Beruf zurückkehren.
„Das Besondere an unserer Therapie ist, dass die Betroffenen eine neue
Blickstrategie schrittweise erlernen, mit der sie visuelle Reize im
gesamten Gesichtsfeld schneller erfassen. Erst werden ihnen verschiedene
Reize nacheinander angezeigt, dann in immer kürzeren Abständen, am Ende
fast gleichzeitig“, erklärt der Forscher. Die Patientinnen und Patienten
wurden für die Studien in der Neuropsychologischen Hochschulambulanz an
der Universität des Saarlandes behandelt. Das neue Programm kann aber auch
als Home-Training verwendet werden, wenn Betroffene in abgelegenen
ländlichen Regionen wohnen oder keinen Behandlungsplatz für diese Therapie
bekommen. Für die Therapie zu Hause ist lediglich ein PC mit einem
Internetzugang nötig.
„Mit dieser neuen Form der ‚hybriden‘ Therapie des Rest-Neglects könnten
in Zukunft noch viel mehr Betroffene behandelt werden. Da jährlich mehrere
zehntausend Patienten unter dieser Wahrnehmungsstörung leiden, liegt hier
ein enormes Potential, damit diese Menschen wieder ins Berufsleben
zurückkehren können“, sagt Georg Kerkhoff.
Die Ergebnisse der Studien hat Georg Kerkhoff, Professor für
Neuropsychologie der Universität des Saarlandes, gemeinsam mit Julian
Poschenrieder von der Technischen Universität München sowie Antje Kraft
vom Zentrum für ambulante Neuropsychologie und Verhaltenstherapie in
Berlin in den Fachzeitschriften „Zeitschrift für Neuropsychologie“ sowie
„Neurologie & Rehabilitation“ veröffentlicht.
Originalpublikationen:
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Sie können Telefoninterviews in Studioqualität mit Wissenschaftlern der
Universität des Saarlandes führen, über Rundfunk-Codec (IP-Verbindung mit
Direktanwahl oder über ARD-Sternpunkt 106813020001). Interviewwünsche
bitte an die Pressestelle (0681 302-2601) richten.
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