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Korallen – Zeugen des Klimawandels

Bedrohtes Ökosystem: ein tropisches Korallenriff  Lisa Röpke, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)
Bedrohtes Ökosystem: ein tropisches Korallenriff Lisa Röpke, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT)

Sie sind die Archive der Meere. An Korallen lässt sich feststellen, wie
stark sich menschliches Handeln auf unsere Ozeane auswirkt. Gefördert von
der deutschfranzösischen Forschungsinitiative „Make Our Planet Great
Again“ untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der U
Bremen Research Alliance das Ausmaß der Erderwärmung in tropischen
Gewässern.

--- 100.000 Jahre alt sind die ältesten Korallen, die Dr. Henry Wu am ZMT
untersucht. ---

Der unterarmdicke weißliche Bohrkern, den Dr. Henry W u vom Leibniz-
Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in der Hand hält, hat eine weite
Reise hinter sich. Er stammt von einer Steinkoralle aus der Küstenregion
vor Rotuma, einer Insel der Republik Fidschi, mehr als 15.000 Kilometer
von Bremen entfernt. Die ältesten Korallen, die der Paläoklimatologe
untersucht, sind mehr als 100.000 Jahre alt. In ihnen haben sich im Laufe
ihres Lebens viele Informationen angesammelt.

Korallen wachsen im Durchschnitt wenige Millimeter pro Jahr. Sie fühlen
sich am wohlsten in sauberem Wasser und leben bis zu 50 Meter unter der
Meeresoberfläche, wo die Sonnenstrahlen sie noch erreichen. Wie die
Jahresringe von Bäumen erzählen die Mikroproben aus ihrem Kalkskelett von
den sich wandelnden Umgebungsbedingungen: von Temperaturschwankungen,
Niederschlägen, der Versauerung des Wassers und dem Salzgehalt – und das
auf Monate genau.

--- „Wenn wir die Vergangenheit kennen, können wir bessere Vorhersagen
über die Zukunft machen.“ ---

Diese Archive des Meeres nutzt Wu im Rahmen seines auf fünf Jahre
angelegten Forschungsprojekts. „Das Klima hat sich auf natürlichem Weg
immer wieder verändert. Wir wollen wissen: Wie tiefgreifend waren diese
Veränderungen? Welchen Einfluss hat die Industrialisierung seit Beginn des
19. Jahrhunderts?“, erzählt der Wissenschaftler. „Wenn wir die
Vergangenheit kennen, können wir bessere Vorhersagen über die Zukunft
machen.“

OASIS hat der 40-Jährige das Projekt genannt. Das Kürzel steht für
„Witnesses to the Climate Emergency: Ocean acidification crisis and global
warming observations from tropical corals”. Der Titel hat zudem eine
wörtliche Bedeutung: „Für mich sind Korallenriffe wie Oasen in der Wüste:
Sie sind Orte voller Leben.“ Nirgendwo in den Ozeanen existieren so viele
verschiedene Arten wie in den tropischen Korallenriffen, schätzungsweise
sind es eine Million. Sie sind nicht nur ein bedeutsames Ökosystem,
sondern zählen zu den schönsten und spektakulärsten Lebensräumen der Erde.

Dass Wu mit seinem Team diese bedrohten Oasen erforschen kann, hat auch
mit Donald Trump zu tun. Der amerikanische Präsident schuf ungewollt die
politischen Voraussetzungen für OASIS. Als eine Reaktion auf den Ausstieg
der USA aus dem Pariser Klimaabkommen gründete der französische Präsident
Emmanuel Macron im Jahr 2017 die Forschungsinitiative „Make Our Planet
Great Again“. Ihr schlossen sich das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) an.
Rund 300 Forschende bewarben sich um die Förderung, eine Experten-Jury des
DAAD wählte in Deutschland 13 Projekte aus – darunter für den Bereich
„Erdsystemforschung“ das Vorhaben Wus am ZMT, das mit einer Million Euro
gefördert wird.

--- „Wir ergänzen uns sehr gut und profitieren etwa von der gemeinsamen
Nutzung der Forschungsinfrastrukturen und dem Fachwissen hier am
Standort.“ ---

Bei dem Projekt arbeitet Wu mit Kolleginnen und Kollegen vom Zentrum für
Marine Umweltwissenschaften (MARUM) der Universität Bremen und dem Alfred-
Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven zusammen. Beide Institutionen
gehören wie das ZMT der 2016 gegründeten U Bremen Research Alliance an,
welche die Universität Bremen und die elf außeruniversitären
Forschungsinstitute im Land Bremen miteinander verbindet. „Wir ergänzen
uns sehr gut und profitieren etwa von der gemeinsamen Nutzung der
Forschungsinfrastrukturen und dem Fachwissen hier am Standort“, erzählt
der Wissenschaftler.

Die Ozeane absorbieren etwa 90 Prozent der überschüssigen Wärme, die bei
der Erwärmung der Erde durch den Klimawandel entsteht. Sie nehmen zudem
rund ein Drittel des Klimagases Kohlendioxid (CO›) auf. Überschüssiges CO›
reagiert mit Wasser zu Kohlensäure, der pH-Wert des Meerwassers sinkt. Das
saurere Milieu erschwert es kalkbildenden Organismen wie einigen
Planktonarten, Muscheln und Korallen, ihr Kalkskelett zu bilden. Diese
Zusammenhänge sind bekannt. Aber das Wissen über die praktischen
Auswirkungen der Ozeanversauerung in den Tropen ist begrenzt; es fehlt an
Langzeitmessungen.

Wie sehr sich der pH-Wert des Meerwassers verändert hat, lässt sich an der
Analyse von Bor-Isotopen in den Bohrkernen der Korallen feststellen. Bor
ist ein natürlicher Bestandteil von Meerwasser, die Korallen nehmen es
auf, während sie ihr Kalkskelett bilden. Der pH-Wert bestimmt hierbei, in
welchem Verhältnis die Bor-Isotope in das Skelett eingebaut werden. Die
Forschenden wollen aber nicht nur die Veränderungen des pH-Wertes vor und
seit der Industriellen Revolution bestimmen, sondern auch die damit
einhergehende Veränderung der Meeresoberflächentemperatur und der
Wasserchemie. Dies geschieht weltweit in Regionen des Atlantiks, Pazifiks
und des Indischen Ozeans. Zu den Forschungsstandorten gehören unter
anderem Indonesien, die Andamanen in Indien, Fidschi, Kuba und Costa Rica.

Die Isotopenanalyse des Kalkskeletts wird im Labor von Prof. Dr. Simone
Kasemann vom MARUM durchgeführt, ein aufwendiges Verfahren, das einen
Reinraum benötigt. In den Laboren des AWI untersucht Henry Wu gemeinsam
mit Prof. Dr. Jelle Bijma die Korallenbohrkerne auf Spurenelemente wie
Lithium, Bor, Magnesium und Barium. „Unsere Expertise am ZMT liegt in der
Ökologie“, erklärt der Klimaforscher.

Der in Taiwan geborene Henry Wu kennt das MARUM sehr gut: Es war sein
erster Arbeitgeber in Deutschland nach Studium und Promotion in den USA.
Warum er dieses für so viele Wissenschaftler innen und Wissenschaftler
gelobte Land verlassen hat? „Als ich die Möglichkeit hatte, als Postdoc
nach Bremen zu kommen, habe ich nicht gezögert. Die Einrichtungen der
Meeres-, Polar- und Klimaforschung in Bremen haben weltweit einen
ausgezeichneten Ruf.“ Nach einer Zwischenstation am French National Centre
for Scientific Research (Centre national de la recherche scientifique,
CNRS) in Paris kehrte er 2017 zurück nach Bremen, diesmal ans ZMT. Dort
leitet er die Nachwuchsarbeitsgruppe Korallen-Klimatologie.

--- 1,5 Grad Celsius im Durchschnitt: So sehr haben sich die Ozeane seit
dem 19. Jahrhundert erwärmt. ---

Neben den Einrichtungen der Forschungsallianz sind an OASIS auch
internationale Partner verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen aus den
USA, Puerto Rico und Neukaledonien beteiligt, die teilweise eigene
Bohrkerne in das Projekt einbringen. „Für eine nachhaltige Forschung
greifen wir wie bei den Kernen aus Rotuma auf vorhandene Proben zurück“,
erzählt Wu. Werden neue Bohrkerne gewonnen, werden die Löcher in den
Korallen zum Schutz gegen Mikroorganismen und Tiere mit Beton verfüllt.
Die Korallen wachsen unbeeinträchtigt weiter.

Bereits in früheren Projekten hat sich Henry Wu mit Korallen und den
Auswirkungen des Klimawandels auf Riffe beschäftigt. Seine bisherigen
Erkenntnisse zeichnen ein wenig ermutigendes Bild. Die Ozeane haben sich
seit dem 19. Jahrhundert erheblich erwärmt, im Durchschnitt um 1,5 Grad
Celsius. Zugleich sind die Meere saurer geworden, der pH-Wert ist um 0,2
gesunken. „Das sind Unmengen an CO₂, die diesen Effekt verursacht haben“,
so Wu.

--- „Ich habe Gigabytes an Daten, welche die von Menschen verursachte
Erwärmung der Ozeane belegen.“ ---

In jüngster Zeit waren die Korallen noch nie ähnlichen Belastungen
ausgesetzt. Die heutigen erhöhten Wassertemperaturen führen zur
Korallenbleiche und zum Absterben der Korallen. „Das Ausmaß und die
Geschwindigkeit, mit der sie eingehen, sind beispiellos“, betont Henry Wu.
„Das ist deprimierend zu sehen.“ Sterben die Korallen, hat dies
weitreichende negative Folgen für das gesamte Ökosystem mit seiner Flora
und Fauna. Dennoch wird es bei einer fortschreitenden Ozeanversauerung
auch einzelne Gewinner geben. Bestimmte Steinkorallen sind robuster, sie
passen sich eher an. „Die Diversität nimmt allerdings ab, daran besteht
kein Zweifel.“

Am Klimawandel an sich könne es daher keine Zweifel geben, obwohl sie von
manchen immer noch geäußert werden. Diese Leute könnten sich bei ihm vom
Gegenteil überzeugen, betont Henry Wu: „Ich habe Gigabytes an Daten,
welche die von Menschen verursachte Erwärmung der Ozeane belegen.“

Originalpublikation:
Impact – Das Wissenschaftsmagazin der U Bremen Research Alliance

In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und
zwölf Forschungsinstitute der vier deutschen Wissenschaftsorganisationen
sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz - alle mit
Sitz im Bundesland.

Das seit 2019 erscheinende Forschungsmagazin Impact dokumentiert die
kooperative Forschungsstärke der Allianz und ihre gesellschaftliche
Relevanz. „Korallen – Zeugen des Klimawandels“ wurde in Ausgabe 2
(07.2020) veröffentlicht.

https://www.uni-bremen.de/fileadmin/user_upload/sites/research_alliance
/Impact___2__Juli_2020_Das_Wissenschafts-
Magazin_der_U_Bremen_Research_Alliance.pdf

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Hochwasserrisiken wurden deutlich unterschätzt

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Abschätzung der überfluteten Fläche (> 75 % betroffene Fläche) für den Kreis Ahrweiler, besonders entlang der Ahr. (Abbildung: Andreas Schäfer, CEDIM/KIT) Andreas Schäfer CEDIM/KIT

Um Hochwassergefahren besser einschätzen zu können, sollen Gefahrenkarten
historische Daten einbeziehen. Dafür plädieren Forschende am CEDIM –
Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology des
Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Das CEDIM hat einen ersten
Bericht zur Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen
vorgelegt. Was die Rolle des Klimawandels betrifft, birgt die Kombination
aus mehr verfügbarem Wasser in der Atmosphäre und einer zunehmenden
Beständigkeit von Großwetterlagen ein steigendes Potenzial für extreme
Niederschlagsereignisse.

Die Hochwasserkatastrophe in der vergangenen Woche hat in Deutschland mehr
als 170 Todesopfer gefordert (Stand: 21. Juli 2021). Immer noch werden
Menschen vermisst. Die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur lassen sich
erst grob bestimmen und gehen in die zweistelligen Milliarden – davon
allein mindesten zwei Milliarden Euro für Verkehrsinfrastrukturen.
Inzwischen hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft
e.V. (GDV) den versicherten Schaden auf vier bis fünf Milliarden Euro nur
in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen geschätzt. Wie kam es zu den
Überflutungen, die vor allem Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen
betrafen? Wie lassen sich Hochwassergefahren – besonders seltene, extreme
Ereignisse – vorab besser abschätzen? Mit diesen Fragen hat sich die
Forensic Disaster Analysis (FDA) Group des CEDIM befasst und einen ersten
Bericht vorgelegt.


Wie die Forschenden erläutern, führten enorme Niederschlagsmengen dazu,
dass beispielsweise der Pegel an der Ahr (Altenahr) seinen bisherigen
Rekord von 2016 (3,71 Meter, Abfluss: 236 m³/s) deutlich überstieg.
Überflutungsbedingt fiel die Messstation bei einem Wert von 5,05 Metern
(Abfluss: 332 m³/s) allerdings aus. Das Landesamt für Umwelt Rheinland-
Pfalz kalkulierte aus Modellrechnungen für die Katastrophennacht einen
Pegel von bis zu sieben Metern, basierend darauf schätzten die Expertinnen
und Experten einen Abfluss zwischen 400 bis 700 m³/s ab.


Mehrere Faktoren führten zu den extrem hohen Niederschlagssummen

Aus meteorologischer Perspektive führten verschiedene Faktoren zu den
extrem hohen Niederschlagssummen. „Innerhalb von 48 Stunden fiel in Teilen
von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz mehr Regen, als dort
üblicherweise im gesamten Monat Juli niedergeht; der Hauptanteil ging
sogar innerhalb von nur rund zehn Stunden nieder“, berichtet CEDIM-
Sprecher Professor Michael Kunz. Außerdem verstärkte das stark gegliederte
Gelände der betroffenen Regionen, besonders im Landkreis Ahrweiler, mit
teils tief eingeschnittenen Flusstälern den Oberflächenabfluss. Der
bereits annähernd gesättigte Boden durch teils kräftige Niederschläge in
den vorangegangenen Tagen verschärfte die Situation zusätzlich.

Um die Überflutungsflächen in den am schwersten betroffenen Gebieten Kreis
Ahrweiler und Rhein-Erft-Kreis abzuschätzen, kombinierte das
Forschungsteam Satellitendaten mit Luftaufnahmen von (Amateur-)Drohnen und
Helikoptern sowie Fotos aus sozialen Medien. Nach diesen geschätzten
Überflutungsflächen befinden sich in den betroffenen Gebieten knapp über
19 000 Gebäude mit einem Wert von rund neun Milliarden Euro. In Verbindung
mit empirischen Daten vergangener Hochwasserkatastrophen
(Infrastrukturschäden, Elementarschäden und andere Schäden) schätzten die
Forschenden einen Gesamtschaden zwischen elf und 24 Milliarden Euro (erste
CEDIM-Schätzung: 21. Juli 2021). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen,
dass die Überflutungsflächen nur einen Teil der gesamten betroffenen
Fläche ausmachen.


Mehr verfügbares Wasser in der Atmosphäre und zunehmende Beständigkeit von
Großwetterlagen steigern Gefahr

Ob ein einzelnes Extremereignis oder die Abfolge mehrerer Extreme bereits
auf den Klimawandel zurückzuführen sind, lässt sich nach Aussage der
Karlsruher Katastrophenforschenden weder exakt belegen noch komplett
verneinen, besonders wenn es um Ereignisse auf kurzen Zeit- und Raumskalen
geht, die stark von lokalen Faktoren beeinflusst sind. Für die
großräumigen Prozesse in der Atmosphäre, die zur Entstehung von
Extremereignissen führen, gilt jedoch: Die Kombination aus mehr
verfügbarem Wasser in der Atmosphäre infolge der Temperaturzunahme und
einer zunehmenden Beständigkeit von Großwetterlagen mit einem sich
tendenziell nach Norden verlagerndem Jetstream, dem Starkwindband in der
oberen Troposphäre, birgt ein hohes Gefahrenpotenzial. „Da für diese drei
Faktoren ein positiver Trend zu erwarten ist, wird auch das Potenzial für
extreme Niederschlagsereignisse in Zukunft zunehmen“, erklärt Kunz.


Bereits 1804 und 1910 bedeutende Hochwasserereignisse im Ahrtal

„Im Ahrtal gab es bereits in der Vergangenheit zwei besonders bedeutende
Hochwasserereignisse, nämlich 1804 und 1910. Ein Vergleich mit
historischen Aufzeichnungen lässt annehmen, dass die diesjährigen Werte
allerdings niedriger einzuordnen sind als die von 1804“, sagt der
stellvertretende CEDIM-Sprecher Dr. James Daniell. Für das
Hochwasserereignis von 1804 wurde der Abfluss von der Universität Bonn
bereits auf ca. 1 100 m³/s geschätzt. Das diesjährige Ereignis könnte
hydrologisch betrachtet ein ähnliches Ausmaß wie das von 1910 mit einem
Abfluss von 500 m³/s gehabt haben. „Die aktuellen Hochwasserkarten für das
Ahrtal basieren derzeit auf einer Abflussstatistik mit Daten seit 1947, da
seit diesem Zeitpunkt homogene Messreihen zur Verfügung stehen. Dadurch
werden die beiden historischen Ereignisse bei der Gefährdungsabschätzung
bisher jedoch nicht berücksichtigt“, sagt Dr. Andreas Schäfer, Erstautor
des Berichts. So liegt die aktuelle Schätzung eines hundertjährlichen
Hochwassers als Bemessungsgrundlage für den Hochwasserschutz für die Ahr
bei 241 m³/s.


Die FDA Group des CEDIM plädiert dringend dafür, in Hochwasser-
Gefahrenkarten historische Daten einbeziehen, auch aus der Zeit vor der
kontinuierlichen Messaufzeichnung, um Hochwassergefahren besser abschätzen
zu können. „Zwar müssen wir bei den Analysen und Interpretationen der
Daten grundsätzlich beachten, dass sich sowohl Infrastrukturen als auch
Hochwasserschutzmaßnahmen in den vergangenen Jahren verändert haben. Daher
lassen sich die Messwerte direkt schwerer vergleichen, und wir sollten uns
weniger auf die Pegelstände fokussieren“, erklärt Daniell. „Wir können die
Pegelstände von 1804 und 1910 als indirekte Anzeiger heranziehen, um
Hochwasserjahre zu identifizieren. Messwerte zum Abfluss, über die
zeitliche Entwicklung und über die Niederschlagsummen sind für die
Interpretation jedoch wichtiger. Letztendlich sollten aber beide
historische Größen – Pegel und Abfluss – beim Erstellen von Gefahrenkarten
einbezogen werden.“ (or)

Kontakt für diese Presseinformation:

Sandra Wiebe, Pressereferentin, Tel.: +49 721 608-41172, E-Mail:
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und
vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den
globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie,
Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 600
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in
Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften
zusammen. Seine 23 300 Studierenden bereitet das KIT durch ein
forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle
Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die
Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und
Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und
Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der
deutschen Exzellenzuniversitäten.

Originalpublikation:
Andreas Schäfer, Bernhard Mühr, James Daniell, Uwe Ehret, Florian Ehmele,
Katharina Küpfer, Johannes Brand, Christina Wisotzky, Jens Skapski, Lukas
Renz, Susanna Mohr, Michael Kunz: Hochwasser Mitteleuropa, Juli 2021
(Deutschland). Bericht Nr. 1 „Nordrhein-Westfalen & Rheinland-Pfalz“.
CEDIM Forensic Disaster Analysis (FDA) Group. KIT, 2021. DOI:
10.5445/IR/1000135730

https://www.cedim.kit.edu/download/FDA_HochwasserJuli2021_Bericht1.pdf

https://publikationen.bibliothek.kit.edu/1000135730

Projekt Systemsprenger II: Studierende untersuchen Situation wohnungsloser Jugendlicher in Wiesbaden

v. l.: Veronika Weiler, Lars Riedel und Saskia Ullius.  © Hochschulkommunikation | Hochschule RheinMain.
v. l.: Veronika Weiler, Lars Riedel und Saskia Ullius. © Hochschulkommunikation | Hochschule RheinMain.

Anhaltende Streitigkeiten mit den Eltern, Kriminalität, Suchtverläufe –
unterschiedliche Ursachen können dazu führen, dass Jugendliche in
Obdachlosigkeit leben. Junge Menschen auf der Straße stellen besondere
fachliche und persönliche Anforderungen an die Gesellschaft, ihr soziales
Umfeld und nicht zuletzt an die Fachkräfte der Sozialen Arbeit. In
Kooperation mit der EVIM Jugendhilfe haben sich Studierende an der
Hochschule RheinMain in Projektarbeiten intensiv mit der Thematik
auseinandergesetzt und Lösungskonzepte entwickelt.

Der regionale Träger EVIM (Evangelischer Verein für Innere Mission in
Nassau) entwickelt unterschiedliche niedrigschwellige Angebote für
Jugendliche in Obdachlosigkeit und solche, die davon bedroht sind. So gibt
es beispielsweise Notschlafstellen in Taunusstein, Wiesbaden und Mainz,
oder ‚upstairs‘, ein buntes Wohnmobil, in dem junge Menschen in Not einen
Ort finden, an dem sie ohne Vorleistung Hilfe erhalten können. Jedoch gibt
es immer wieder Herausforderungen in diesem Kontext. Zum Beispiel, welche
Angebote betroffene Jugendliche überhaupt in Anspruch nehmen können, oder
wie die Gesetzeslage bei bestimmten gesundheitlichen oder auch
persönlichen Fragestellungen aussieht. Welche Möglichkeiten bleiben
fachlicher, zielorientierter und reflektierter Sozialer Arbeit im Kontext
sogenannter Systemsprenger:innen?

Drei projektierte Fragestellungen

„Die Studierenden haben in diesem Kontext drei projektierte
Fragestellungen in sieben Gruppen bearbeitet: Ein Teil hat sich dem Thema
über Biografien betroffener Jugendlicher genähert, weitere Gruppen haben
fachlich-konzeptionelle Angebote der Jugendhilfe entwickelt. Andere
Studierende haben das Thema mit den entsprechenden theoretisch-
methodischen Brillen aus der Profession Sozialer Arbeit unter
Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen bearbeitet“, so Dr.
Carsten Homann, Professor für Recht in der Sozialen Arbeit. Die Umsetzung
der Teilprojekte fand in enger Zusammenarbeit mit Vertreter:innen aus der
regionalen Praxis von EVIM statt.

In einer Biografie-Arbeit entwarf eine Gruppe eine Collage zu Geschichten,
Lebensläufen und Hintergründen von jungen Wohnungslosen. „Das Projekt hat
mir sehr geholfen in die Praxis hineinzukommen. Man konnte die gelernte
Theorie direkt erproben und neue Sachen lernen“, sagt die Studentin Hannah
Bickelmann.

Lars Riedel war Teil einer anderen Studierendengruppe, die ein
Arbeitspapier zum idealen Weg zwischen den Zuständigkeiten der
Leistungsträger und Leistungserbringer erarbeitet hat. „Es war unheimlich
spannend, in diesen Praxisbereich der Sozialen Arbeit reinzuschauen und es
hat auf jeden Fall Spaß gemacht. In dem Projekt waren besonders auch die
rechtlichen Aspekte sehr wichtig“, so Riedel.

„Studierende lernen in Echtzeit und die Fachwelt profitiert“

Einen Film wie ‚Systemsprenger‘, der den Auftakt und den Titel zum
gemeinsamen Projekt gegeben hat, zu erleben und dabei noch die zahlreichen
Kolleg:innen aus den angrenzenden Disziplinen zu treffen, hat Simone
Wittek-Steinau von EVIM tief beeindruckt. „Wie bereits im Semester zuvor
haben die Studierenden Instrumente und Handreichungen für die Praxis
erarbeitet. Ein fruchtbarer Ansatz: Die Studierenden lernen sozusagen in
Echtzeit und die Fachwelt profitiert von Handreichungen, Workshops,
Umfragen und vielem mehr,“ so die Referentin für Personalentwicklung und
Kooperation, Projektkoordination der EVIM Jugendhilfe.

Auch Prof. Dr. Homann ist begeistert von der Kooperation und hofft auf
eine Fortsetzung der Reihe ‚Systemsprenger‘: „Der Bezug zur Praxis und
ihren Fragen ist mir sehr wichtig. Ich hoffe sehr, dass wir trotz der
besonderen Pandemiebedingungen die Studierenden abholen und für das Thema
begeistern konnten und so einen guten Beitrag für ihre Ausbildung und
Professionalisierung geleistet haben.“

Über 70 Studienangebote an zwei Studienorten mit einem internationalen
Netzwerk – das ist die Hochschule RheinMain. Rund 13.600 Studierende
studieren in den Fachbereichen Architektur und Bauingenieurwesen, Design
Informatik Medien, Sozialwesen und Wiesbaden Business School in Wiesbaden
sowie im Fachbereich Ingenieurwissenschaften in Rüsselsheim am Main. Neben
der praxisorientierten Lehre ist die Hochschule RheinMain anerkannt für
ihre anwendungsbezogene Forschung.

https://www.hs-rm.de | https://www.facebook.com/HSRheinMain |
https://www.youtube.com/HochschuleRheinMain |
https://twitter.com/RheinMain_HS | https://www.instagram.com/hs_rheinmain/

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Wissenschaftsminister Björn Thümler begleitet Forschungsfahrt des Projekts „Gute Küste Niedersachsen“

Vor der Abfahrt nach Spiekeroog (v.l.): Prof. Dr. O. Zielinski, Universität Oldenburg, Wissenschaftsminister Björn Thümler, Prof. Dr.-Ing. T. Schlurmann, Leibniz Universität Hannover, Dr. T. Badewien, Uni Oldenburg u. Dr.-Ing. O. Lojek, TU Braunschweig
Vor der Abfahrt nach Spiekeroog (v.l.): Prof. Dr. O. Zielinski, Universität Oldenburg, Wissenschaftsminister Björn Thümler, Prof. Dr.-Ing. T. Schlurmann, Leibniz Universität Hannover, Dr. T. Badewien, Uni Oldenburg u. Dr.-Ing. O. Lojek, TU Braunschweig

Forschungsverbund von drei Universitäten zeigt „Reallabor“ für
ökosystemstärkenden Küstenschutz bei Spiekeroog
Was ist eine gute Küste, an der wir sicher vor Naturgefahren, im Einklang
mit der Natur und eingebettet in die gewachsene Kulturlandschaft
nachhaltig und verantwortungsbewusst leben und wirtschaften können? Dieses
ist die zentrale Frage, mit der sich das Projekt „Gute Küste
Niedersachsen“ beschäftigt, ein Forschungsverbund der Leibniz Universität
Hannover (Sprecherfunktion), der Universität Oldenburg und der Technischen
Universität Braunschweig. Derzeit läuft eine umfangreiche
Sommermesskampagne des Projekts an der Nordseeküste, über das sich jetzt
der niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler,
informiert hat. Die Projektverantwortlichen haben Björn Thümler am
heutigen Donnerstag auf dem Forschungsboot Otzum die Messtätigkeiten in
der Harle, dem Seegatt zwischen Wangerooge und Spiekeroog, und der Otzumer
Balje, dem Seegatt zwischen Spiekeroog und Langeoog, erläutert. Die
aufwendigen Datenerhebungen dienen der Erfassung und Beschreibung
typischer Einwirkungen von Seegang und Tideströmungen und dadurch
ausgelösten Transportprozessen.

„Für Niedersachsen mit einer Küstenlinie von rund 750 km ist der
Küstenschutz eines der zentralen Themen“, so Niedersachsens
Wissenschaftsminister Björn Thümler. „Die jüngsten Hochwasserereignisse im
Süden und Westen Deutschlands haben uns erneut vor Augen geführt, wie
abhängig die Menschen von Schutzbauwerken sind. Die Auswirkungen der
Klimakrise sind mittlerweile überall zu spüren und stellen diese Bauwerke
vor besondere Herausforderungen. Ich freue mich deshalb, dass
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Verbundes ‚Gute Küste‘ diese
hochrelevanten Themenfelder im Rahmen transdisziplinärer Forschung und in
Kombination mit der Erforschung nachhaltiger Lösungen bereits aufgegriffen
haben. Effektiver Küstenschutz und intakte Natur müssen kein Widerspruch
sein. Deshalb fördert das Land das Projekt mit fünf Millionen Euro aus
Mitteln des Niedersächsischen Vorab.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der drei Universitäten
entwickeln vor dem Hintergrund des Klimawandels in bedarfsorientierter
Forschung gemeinsam mit den zuständigen Landesbetrieben und der
Bevölkerung umfangreiche Handlungs- und Managementmöglichkeiten im
Küstenschutz. Die Gegend um Spiekeroog ist eines der „Reallabore“
innerhalb des Projekts. Hintergrund der dortigen Messungen ist die
geplante Erneuerung eines großen Küstenschutzwerkes, einer Buhne, in der
Harle. Die Messkampagne dient dazu, die Strömungsverhältnisse im Nahfeld
der Buhne besser zu verstehen und zu untersuchen, ob sich beispielsweise
Schadstoffe an bestimmten Stellen ansammeln. Im direkten Vergleich mit den
Messungen im unverbauten Seegatt will sich das Projektteam einen Überblick
über den jetzigen Umweltzustand verschaffen, um daraus Schlussfolgerungen
der ausgelösten Veränderungen zu ziehen.

„Durch die enge Einbindung der relevanten Behörden, der Zivilgesellschaft
und führenden Forschungseinrichtungen sollen die Grundlagen dafür
geschaffen werden, dass unsere Forschungsfragen bereits während der
Konzeption und Umsetzung von ergänzenden, ökosystemfördernden Maßnahmen
nicht nur auf Akzeptanz treffen, sondern wechselseitig Wissen erzeugen und
nach Ablauf des Projekts gegebenenfalls sogar breite Nachahmung auch über
die Grenzen Niedersachsen hinaus finden“, erläutert Sprecher Prof.
Dr.-Ing. Torsten Schlurmann vom Ludwig-Franzius-Institut für Wasserbau,
Ästuar- und Küsteningenieurwesen (LuFi) der Leibniz Universität Hannover
(LUH).

„Mithilfe innovativer Technologien und Messstrategien, die wir im
Küstenobservatorium Spiekeroog einsetzen, liefern wir eine fundierte
Datengrundlage, um Maßnahmen für einen ökologisch nachhaltigen
Küstenschutz zu entwickeln und zu bewerten“, sagt Prof. Dr. Oliver
Zielinski, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Sensorsysteme am Institut für
Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität Oldenburg. „Die von
uns entwickelten Oberflächendrifter ermöglichen es uns beispielsweise, den
Einfluss von Küstenschutzbauten auf die komplexen Strömungsverhältnisse im
Wattenmeer zu untersuchen“, ergänzt ICBM-Wissenschaftler Dr. Thomas
Badewien.

Gemeinsam mit den Behörden vor Ort wie dem Wasserstraßen- und
Schifffahrtsamt Wilhelmshaven (WSA) und dem Niedersächsischen
Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), der
Nationalparkverwaltung und verschiedenen Naturschutzverbänden sollen
anschließend Konzepte dafür entwickelt werden, wie die Buhne künftig so
gestaltet werden kann, dass sowohl der Küstenschutz als auch der Schutz
des Ökosystems gestärkt werden. „Die Wechselwirkungen zwischen unseren
Küstenschutzwerken und der umgebenden Natur, wie etwa Salzwiesen,
Dünenstrecken und Wattboden, müssen stärker noch als bisher ganzheitlich
gedacht werden. Das Ziel ist Einklang von Infrastruktur, Mensch und
Natur,“ sagt Prof. Dr.-Ing. Nils Goseberg vom Leichtweiß-Institut für
Wasserbau der Technischen Universität Braunschweig.

Die Sommermesskampagne 2021 ist Teil des Arbeitspaketes „Beobachtung und
Analyse“ innerhalb von „Gute Küste Niedersachsen“. Um die Wechselwirkungen
zwischen den Küstenschutzelementen, dem Watt und der Nordsee zu verstehen,
sind sowohl Dauermessungen als auch Einzelkampagnen zu verschiedenen
Jahreszeiten notwendig. An den Messungen vor Spiekeroog sind Institute der
LUH, der Universität Oldenburg und der TU Braunschweig beteiligt. Neben
den eigenen Messbooten Otzum und Seekatze ist außerdem der Forschungs-
Katamaran Egidora der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel dabei.

Das Verbundvorhaben „Gute Küste Niedersachsen“, das mit fünf Millionen
Euro aus dem Niedersächsischen Vorab der VolkswagenStiftung finanziert
wird, befasst sich mit dem Spannungsfeld, in dem sich die Menschen in
Küstenregionen seit jeher befinden, wie Dr. Jan Visscher, Oberingenieur am
Ludwig-Franzius-Institut in Hannover, erläutert: „Wie können wir uns vor
der Kraft des Meeres schützen und gleichzeitig seine Ressourcen nutzen und
die wertvollen ökologischen Funktionen erhalten?“ Der Erfahrungsschatz
spiegelt sich heute in der Disziplin des Küsteningenieurwesens wider und
ist in Generalplänen zum Küstenschutz gesetzlich verankert. Neben dem
Schutz von Lebens- und Wirtschaftsräumen stellt sich zunehmend die Frage
nach einem ökosystemstärkenden Küstenschutz. In den Reallaboren von „Gute
Küste Niedersachsen“ werden exponierte Deichabschnitte oder Deichvorländer
untersucht. Diese werden durch ökosystemfördernde Elemente und Systeme wie
Salz- oder Seegraswiesen ergänzt, um regulierende Ökosystemleistungen wie
Wellendämpfung oder Sedimentakkumulation zu etablieren und gleichzeitig
deren Wirkung zu untersuchen.

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