Korallen – Zeugen des Klimawandels


Sie sind die Archive der Meere. An Korallen lässt sich feststellen, wie
stark sich menschliches Handeln auf unsere Ozeane auswirkt. Gefördert von
der deutschfranzösischen Forschungsinitiative „Make Our Planet Great
Again“ untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der U
Bremen Research Alliance das Ausmaß der Erderwärmung in tropischen
Gewässern.
--- 100.000 Jahre alt sind die ältesten Korallen, die Dr. Henry Wu am ZMT
untersucht. ---
Der unterarmdicke weißliche Bohrkern, den Dr. Henry W u vom Leibniz-
Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in der Hand hält, hat eine weite
Reise hinter sich. Er stammt von einer Steinkoralle aus der Küstenregion
vor Rotuma, einer Insel der Republik Fidschi, mehr als 15.000 Kilometer
von Bremen entfernt. Die ältesten Korallen, die der Paläoklimatologe
untersucht, sind mehr als 100.000 Jahre alt. In ihnen haben sich im Laufe
ihres Lebens viele Informationen angesammelt.
Korallen wachsen im Durchschnitt wenige Millimeter pro Jahr. Sie fühlen
sich am wohlsten in sauberem Wasser und leben bis zu 50 Meter unter der
Meeresoberfläche, wo die Sonnenstrahlen sie noch erreichen. Wie die
Jahresringe von Bäumen erzählen die Mikroproben aus ihrem Kalkskelett von
den sich wandelnden Umgebungsbedingungen: von Temperaturschwankungen,
Niederschlägen, der Versauerung des Wassers und dem Salzgehalt – und das
auf Monate genau.
--- „Wenn wir die Vergangenheit kennen, können wir bessere Vorhersagen
über die Zukunft machen.“ ---
Diese Archive des Meeres nutzt Wu im Rahmen seines auf fünf Jahre
angelegten Forschungsprojekts. „Das Klima hat sich auf natürlichem Weg
immer wieder verändert. Wir wollen wissen: Wie tiefgreifend waren diese
Veränderungen? Welchen Einfluss hat die Industrialisierung seit Beginn des
19. Jahrhunderts?“, erzählt der Wissenschaftler. „Wenn wir die
Vergangenheit kennen, können wir bessere Vorhersagen über die Zukunft
machen.“
OASIS hat der 40-Jährige das Projekt genannt. Das Kürzel steht für
„Witnesses to the Climate Emergency: Ocean acidification crisis and global
warming observations from tropical corals”. Der Titel hat zudem eine
wörtliche Bedeutung: „Für mich sind Korallenriffe wie Oasen in der Wüste:
Sie sind Orte voller Leben.“ Nirgendwo in den Ozeanen existieren so viele
verschiedene Arten wie in den tropischen Korallenriffen, schätzungsweise
sind es eine Million. Sie sind nicht nur ein bedeutsames Ökosystem,
sondern zählen zu den schönsten und spektakulärsten Lebensräumen der Erde.
Dass Wu mit seinem Team diese bedrohten Oasen erforschen kann, hat auch
mit Donald Trump zu tun. Der amerikanische Präsident schuf ungewollt die
politischen Voraussetzungen für OASIS. Als eine Reaktion auf den Ausstieg
der USA aus dem Pariser Klimaabkommen gründete der französische Präsident
Emmanuel Macron im Jahr 2017 die Forschungsinitiative „Make Our Planet
Great Again“. Ihr schlossen sich das Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) an.
Rund 300 Forschende bewarben sich um die Förderung, eine Experten-Jury des
DAAD wählte in Deutschland 13 Projekte aus – darunter für den Bereich
„Erdsystemforschung“ das Vorhaben Wus am ZMT, das mit einer Million Euro
gefördert wird.
--- „Wir ergänzen uns sehr gut und profitieren etwa von der gemeinsamen
Nutzung der Forschungsinfrastrukturen und dem Fachwissen hier am
Standort.“ ---
Bei dem Projekt arbeitet Wu mit Kolleginnen und Kollegen vom Zentrum für
Marine Umweltwissenschaften (MARUM) der Universität Bremen und dem Alfred-
Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven zusammen. Beide Institutionen
gehören wie das ZMT der 2016 gegründeten U Bremen Research Alliance an,
welche die Universität Bremen und die elf außeruniversitären
Forschungsinstitute im Land Bremen miteinander verbindet. „Wir ergänzen
uns sehr gut und profitieren etwa von der gemeinsamen Nutzung der
Forschungsinfrastrukturen und dem Fachwissen hier am Standort“, erzählt
der Wissenschaftler.
Die Ozeane absorbieren etwa 90 Prozent der überschüssigen Wärme, die bei
der Erwärmung der Erde durch den Klimawandel entsteht. Sie nehmen zudem
rund ein Drittel des Klimagases Kohlendioxid (CO›) auf. Überschüssiges CO›
reagiert mit Wasser zu Kohlensäure, der pH-Wert des Meerwassers sinkt. Das
saurere Milieu erschwert es kalkbildenden Organismen wie einigen
Planktonarten, Muscheln und Korallen, ihr Kalkskelett zu bilden. Diese
Zusammenhänge sind bekannt. Aber das Wissen über die praktischen
Auswirkungen der Ozeanversauerung in den Tropen ist begrenzt; es fehlt an
Langzeitmessungen.
Wie sehr sich der pH-Wert des Meerwassers verändert hat, lässt sich an der
Analyse von Bor-Isotopen in den Bohrkernen der Korallen feststellen. Bor
ist ein natürlicher Bestandteil von Meerwasser, die Korallen nehmen es
auf, während sie ihr Kalkskelett bilden. Der pH-Wert bestimmt hierbei, in
welchem Verhältnis die Bor-Isotope in das Skelett eingebaut werden. Die
Forschenden wollen aber nicht nur die Veränderungen des pH-Wertes vor und
seit der Industriellen Revolution bestimmen, sondern auch die damit
einhergehende Veränderung der Meeresoberflächentemperatur und der
Wasserchemie. Dies geschieht weltweit in Regionen des Atlantiks, Pazifiks
und des Indischen Ozeans. Zu den Forschungsstandorten gehören unter
anderem Indonesien, die Andamanen in Indien, Fidschi, Kuba und Costa Rica.
Die Isotopenanalyse des Kalkskeletts wird im Labor von Prof. Dr. Simone
Kasemann vom MARUM durchgeführt, ein aufwendiges Verfahren, das einen
Reinraum benötigt. In den Laboren des AWI untersucht Henry Wu gemeinsam
mit Prof. Dr. Jelle Bijma die Korallenbohrkerne auf Spurenelemente wie
Lithium, Bor, Magnesium und Barium. „Unsere Expertise am ZMT liegt in der
Ökologie“, erklärt der Klimaforscher.
Der in Taiwan geborene Henry Wu kennt das MARUM sehr gut: Es war sein
erster Arbeitgeber in Deutschland nach Studium und Promotion in den USA.
Warum er dieses für so viele Wissenschaftler innen und Wissenschaftler
gelobte Land verlassen hat? „Als ich die Möglichkeit hatte, als Postdoc
nach Bremen zu kommen, habe ich nicht gezögert. Die Einrichtungen der
Meeres-, Polar- und Klimaforschung in Bremen haben weltweit einen
ausgezeichneten Ruf.“ Nach einer Zwischenstation am French National Centre
for Scientific Research (Centre national de la recherche scientifique,
CNRS) in Paris kehrte er 2017 zurück nach Bremen, diesmal ans ZMT. Dort
leitet er die Nachwuchsarbeitsgruppe Korallen-Klimatologie.
--- 1,5 Grad Celsius im Durchschnitt: So sehr haben sich die Ozeane seit
dem 19. Jahrhundert erwärmt. ---
Neben den Einrichtungen der Forschungsallianz sind an OASIS auch
internationale Partner verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen aus den
USA, Puerto Rico und Neukaledonien beteiligt, die teilweise eigene
Bohrkerne in das Projekt einbringen. „Für eine nachhaltige Forschung
greifen wir wie bei den Kernen aus Rotuma auf vorhandene Proben zurück“,
erzählt Wu. Werden neue Bohrkerne gewonnen, werden die Löcher in den
Korallen zum Schutz gegen Mikroorganismen und Tiere mit Beton verfüllt.
Die Korallen wachsen unbeeinträchtigt weiter.
Bereits in früheren Projekten hat sich Henry Wu mit Korallen und den
Auswirkungen des Klimawandels auf Riffe beschäftigt. Seine bisherigen
Erkenntnisse zeichnen ein wenig ermutigendes Bild. Die Ozeane haben sich
seit dem 19. Jahrhundert erheblich erwärmt, im Durchschnitt um 1,5 Grad
Celsius. Zugleich sind die Meere saurer geworden, der pH-Wert ist um 0,2
gesunken. „Das sind Unmengen an CO₂, die diesen Effekt verursacht haben“,
so Wu.
--- „Ich habe Gigabytes an Daten, welche die von Menschen verursachte
Erwärmung der Ozeane belegen.“ ---
In jüngster Zeit waren die Korallen noch nie ähnlichen Belastungen
ausgesetzt. Die heutigen erhöhten Wassertemperaturen führen zur
Korallenbleiche und zum Absterben der Korallen. „Das Ausmaß und die
Geschwindigkeit, mit der sie eingehen, sind beispiellos“, betont Henry Wu.
„Das ist deprimierend zu sehen.“ Sterben die Korallen, hat dies
weitreichende negative Folgen für das gesamte Ökosystem mit seiner Flora
und Fauna. Dennoch wird es bei einer fortschreitenden Ozeanversauerung
auch einzelne Gewinner geben. Bestimmte Steinkorallen sind robuster, sie
passen sich eher an. „Die Diversität nimmt allerdings ab, daran besteht
kein Zweifel.“
Am Klimawandel an sich könne es daher keine Zweifel geben, obwohl sie von
manchen immer noch geäußert werden. Diese Leute könnten sich bei ihm vom
Gegenteil überzeugen, betont Henry Wu: „Ich habe Gigabytes an Daten,
welche die von Menschen verursachte Erwärmung der Ozeane belegen.“
Originalpublikation:
Impact – Das Wissenschaftsmagazin der U Bremen Research Alliance
In der U Bremen Research Alliance kooperieren die Universität Bremen und
zwölf Forschungsinstitute der vier deutschen Wissenschaftsorganisationen
sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz - alle mit
Sitz im Bundesland.
Das seit 2019 erscheinende Forschungsmagazin Impact dokumentiert die
kooperative Forschungsstärke der Allianz und ihre gesellschaftliche
Relevanz. „Korallen – Zeugen des Klimawandels“ wurde in Ausgabe 2
(07.2020) veröffentlicht.
https://www.uni-bremen.de/file
/Impact___2__Juli_2020_Das_Wis
Magazin_der_U_Bremen_Research_