Unter dem Hashtag #ALSbewegtuns rufen die Spezialambulanz für
Motoneuronerkrankungen der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums
Carl Gustav Carus Dresden sowie Betroffene und deren Angehörige zu einer
Benefiz-Aktion auf. Die Initiierenden der Aktion bitten darum, im Zeitraum
vom 17. September bis 17. Oktober 2021 körperlich aktiv zu werden, die
dabei zurückgelegten Strecken zu registrieren und für jeden Kilometer
einen selbst festgelegten Betrag zu spenden. Die Art der Bewegung ist den
Teilnehmenden selbst überlassen: laufend zu Fuß, schwimmend, skatend oder
fahrend, egal ob im Rollstuhl, auf dem Fahrrad oder im Boot.
Mit den eingehenden Spenden wird die psychologische Begleitung der an ALS
Erkrankten, ihrer Familien und ihnen Nahestehenden am Uniklinikum
finanziert. Diese Form der psychosozialen Unterstützung ist für die
Betroffenen und ihre unmittelbaren Bezugspersonen eine bedeutsame Stütze,
gehört jedoch nicht zur regulären und damit krankenkassenfinanzierten
Versorgung. Der Spendenlauf soll eine solche professionelle Begleitung in
der Spezialambulanz der Neurologischen Klinik am Uniklinikum Dresden
weiterhin ermöglichen und ausbauen. Selbstverständlich kann auch ohne
sportliche Aktivitäten unter als-spendenlauf.de gespendet werden.
„ALS, diese drei Buchstaben, erfüllen die Betroffenen und ihre Angehörigen
mit gewaltiger Angst und Sorge“, sagt Dr. René Günther, Leiter der
Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen der Klinik für Neurologie.
„Angst und Sorge über das, was ihnen unvermeidbar bevorsteht: die
Unfähigkeit sich zu bewegen, zu sprechen, sich selbst zu versorgen und
demnach der Verlust Ihrer Selbstständigkeit, Teilhabe am Leben und
scheinbar all dem, was ihr Leben erfüllt und lebenswert macht.“ Die
Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose bedeutet für die Betroffenen eine
fortschreitende Lähmung des gesamten Körpers einschließlich des Sprechens
und Atmens. Eine tödliche, unheilbare Erkrankung, die das Leben und alle
Zukunftspläne der Patientinnen und Patienten, aber auch ihrer Angehörigen
von einem Tag auf den anderen über den Haufen wirft, sie überfordert und
in Angst und Trauer zurücklässt.
„Doch nicht nur die Erkrankten selbst, sondern auch ihre Angehörigen
belastet ALS immens und erschüttert ihr Leben in den Grundfesten. Zugleich
sind diese Menschen die wichtigste Stütze für die Patientinnen und
Patienten. Sie leisten jeden Tag die körperlich und emotional
anspruchsvolle Pflege und Unterstützung und stellen ihre eigene Gesundheit
und ihre Bedürfnisse hinter dieser Fürsorge zurück“, sagt Elisa Aust,
Psychologin an der Spezialambulanz. Deshalb spielt neben der medizinischen
Versorgung die psychosoziale und psychologische Unterstützung von
Patientinnen und Patienten, ihren Familien und weiteren nahestehenden
Personen eine entscheidende Rolle für das übergeordnete Ziel der
Versorgung: „Es geht vor allem darum, die Lebensqualität, das Wohlbefinden
und größtmögliche Autonomie zu wahren – trotz der schweren Einschränkungen
und der ernsten Prognose“, sagt Prof. Heinz Reichmann, Direktor der Klinik
für Neurologie am Dresdner Uniklinikum. „Deshalb ist es so wichtig, das
Angebot einer psychosozialen Versorgung zu stärken. Ich hoffe deshalb auf
viele Menschen, die den Spendenlauf und damit unser Anliegen
unterstützen!“
Zu den Initiierenden des Laufs gehört auch die Familie Günther aus
Dresden. „Die psychosoziale Betreuung bestärkt uns darin, die Freude am
Leben und nicht das erwartbare Leid durch die Krankheit in den Vordergrund
zu rücken“, sagt die Ehefrau des am Dresdner Uniklinikum betreuten ALS-
Patienten. Die gesamte Familie war von Anfang an von der Idee fasziniert,
sportliche Aktivitäten mit einer konkreten Spendenaktion zu verbinden. Die
Initialzündung kam von Tochter Raphaela. Sie wollte etwas gegen die
Skepsis unternehmen, die ihre Eltern gegenüber dem Extremsport ihres
Bruders Timon hegen: Er läuft Ultramarathons – das sind Wettkämpfe über
Distanzen jenseits der 42,195 Kilometer. Werden bei solchen Rennen aber
auch bei privaten Touren für jeden gelaufenen Kilometer ein oder zwei Euro
gespendet, lässt sich die anvisierte Spendensumme von 25.000 Euro sicher
erreichen. Jedenfalls ist Timon Günther bereits in Vorleistung gegangen.
Er startete vergangenes Wochenende bei den „100 Miles of Istria“ und kam
nach 27 Stunden, 3 Minuten und 42 Sekunden ins Ziel. Dabei bewältigte er
168,4 Kilometer und 6.730 Höhenmeter.
Die Menschen mit der Erkrankung nicht allein zu lassen, ist ein wichtiges
Anliegen der psychosozialen Angebote der Spezialambulanz. Neben
Einzelgesprächen ist auch der Austausch von Angehörigen ganz wichtig. Sie
können sich gegenseitig mit Tipps unterstützen, voneinander lernen und
Bestätigung finden. Das ist in den Fällen umso wichtiger, in denen die ALS
sehr schnell voranschreitet. Eine Ehefrau sagt: „Die ALS hat uns
überfahren“. Sie vergleicht den Krankheitsverlauf mit einem Wettlauf.
Zunächst reichte es, in der Wohnung alle Teppiche und Stolperstellen zu
beseitigen. Doch bald kam der Antrag für einen Rollator und schnell auch
die Verordnung eines Rollstuhls. Dann folgten die Stützen an der Toilette
und Dusche. Diese Hilfsmittel kamen nach den Bearbeitungszeiten sehr oft
zu spät – zu einem Zeitpunkt, an dem die nächste Stufe notwendig geworden
war. Trotz dieser schnellen Abfolge blieb Zeit für gemeinsame positive
Erlebnisse. Und doch viel zu wenig, um sich auf den unausweichlich nahen
Tod einzustellen. Deshalb bedarf es auch psychosozialer Angebote für die
Hinterbliebenen.
Obwohl der hohe Stellenwert einer unkompliziert und schnell zugänglichen
psychologischen Begleitung für die Betroffenen bekannt ist, fehlt sie in
den aktuellen Versorgungsstrukturen. Dies liegt vor allem darin, dass
diese Leistungen durch die Krankenkassen nicht finanziert werden. Um
diesen unhaltbaren Zustand entgegenzuwirken, gründete die Spezialambulanz
für Motoneuronerkrankungen am Uniklinikum Dresden vor drei Jahren in
Eigeninitiative eine psychologisch begleitete Angehörigengruppe zum
Gedankenaustausch und Unterstützung. „Wir haben in der Versorgung immer
wieder erlebt, dass die Angehörigen sowohl emotional, als auch
organisatorisch durch die Herausforderungen der Erkrankung überfordert
sind. Die damals initiierten Angehörigentreffen waren eine erste Antwort
auf dieses Problem. Heute möchten wir diese Betreuung entsprechend des
großen Bedarfs mithilfe des Spendenlaufs aufrechtherhalten und wesentlich
erweitern – auch für die Patientinnen und Patienten selbst“ sagt Dr.
Katharina Linse, die als Psychologin an der Spezialambulanz gemeinsam mit
Elisa Aust die Angehörigengruppen leitet.