Berliner Barock Solisten | Reinhard Goebel | Solisten, KKL Luzern, 20.8.2021, besucht von Léonard Wüst

Besetzung und Programm:
Berliner Barock Solisten
Reinhard Goebel Musikalische Leitung
Michael Hasel Flöte
Christoph Hartmann Oboe
Reinhold Friedrich Trompete
Roberto González-Monjas Violine und Viola
Raphael Alpermann Cembalo
«300 Jahre Brandenburgische Konzerte»
Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046
Konzert | Tonart | BWV | Besetzung |
---|---|---|---|
1. Konzert | F-Dur | BWV 1046 | 2 Hörner, 3 Oboen, Fagott, Violino piccolo, Streicher, Continuo |
2. Konzert | F-Dur | BWV 1047 | Trompete, Violine, Blockflöte, Oboe, Streicher, Continuo |
3. Konzert | G-Dur | BWV 1048 | 3 Violinen, 3 Violen, 3 Celli, Continuo |
4. Konzert | G-Dur | BWV 1049 | Violine, 2 Blockflöten, Streicher, Continuo |
5. Konzert | D-Dur | BWV 1050 | Cembalo, Violine, Traversflöte, Streicher, Continuo |
6. Konzert | B-Dur | BWV 1051 | 2 Violen, Violoncello, 2 Gamben, Violone, Continuo |
Als John Lennon, auf dem Höhepunkt der „Beatlemania“, an einem Sonntag nach dem Besuch einer Bachmesse eine Londoner Kirche verlässt, wird er natürlich gleich von einer Schar Reportern umlagert und einer fragt ihn, was er denn da gemacht hätte, worauf ihm Lennon antwortete: Ideen geklaut! Kaum etwas versinnbildlicht mehr, wie fast alle Musiker der letzten 500 Jahre Johann Sebastian Bach als den Übervater der modernen Musik bewundern und verehren. Umso gewichtiger, dass diese Aussage, von einem der grössten und erfolgreichsten Musiker der Neuzeit stammt. Bachs Brandenburgische Konzerte, vor 300 Jahren komponiert, sind unterschiedlich lang, zwischen 9 bis 16 Minuten und werden auch mit wechselnder Anzahl Musikern aufgeführt.
Wir erlebten eine Bachblütentherapie der besonderen Art im KKL Luzern
Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046

Das erste ist eine mit Hörnern Holzbläsern und Streichern, insgesamt total 17 Musiker*innen ungewöhnlich groß besetzte Komposition, die in der Literatur allgemein als eines von Bachs frühesten konzertanten Werken angesehen wird. Sie ist das erste in einer Sammlung von sechs Konzerten, die Bach im März 1721 unter dem Titel Six Concerts avec plusieurs instruments in Partitur an den Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt sandte. Aus Anlass der Widmung komponierte Bach die einzelnen Konzerte dieser Sammlung nicht etwa neu, sondern stellte die Partitur aus vorhandenen Werken zusammen. In Besetzung, Umfang und Charakter weisen die Einzelstücke große Unterschiede auf.
Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050

Hier reduziert sich die Anzahl der Ausführenden auf 10.Das Konzert für Solocembalo, Flöte, Violine und Streichorchester gehört zu den frühesten Beispielen eines solistischen Tasteninstruments mit Orchester. Innerhalb der aus Italien stammenden Konzertform spielt die sehr modern wirkende, ganz die Außenstimmen betonende Satzweise mit ihren ständigen Triolen deutlich auf den französischen Geschmack an. Auch die Verwendung der gerade aufkommenden Traversflöte weist in diese Richtung. Alle drei Sätze führen nach einiger Zeit eine durch Seufzer Motive geprägte Melodik ein, die ebenfalls auf Modelle französischer Komponisten verweist. So kann dieses Konzert als ein Beispiel für das Bestreben deutscher Komponisten des Hochbarock gelten, die Nationalstile Italiens und Frankreichs miteinander zu verbinden. Die Instrumente werden über weite Strecken recht gleichwertig eingesetzt; in der zweiten Hälfte des ersten und dritten Satzes treten dann aber zunehmend virtuose Partien für das Cembalo auf, die die anderen Instrumente stellenweise etwas in den Hintergrund drängen und im ersten Satz in ein umfangreiches Solo münden. Wegen der hier dominierenden Rolle des Cembalos wird das Konzert manchmal als das erste Cembalokonzert der Musikgeschichte gesehen. Nach dem Tutti-Ritornell führen sich die Solisten mit einem eigenen Thema ein und entwickelt aus diesem kontrastierenden Thema schnell eine durch Seufzer Motive geprägte Melodik. Umfangreiche Solopassagen werden strukturiert durch häufige Orchestereinsätze, Couplets, mit dem Ritornell Beginn.

Nach einem kurzen Intro der Streicher bringt sich zuerst der Soloflötist ins Spiel, kurz darauf gefolgt von Raphael Alpermann am Cembalo. Im dritten Satz übernimmt dann auch die erste Geige, Roberto Gonzalez Monjas, eine immer gewichtigere Rolle und etabliert sich, nebst Flöte und Cembalo, als dritte Solostimme, immer eingebettet im Klangteppich des äusserst souveränen Gesamtensembles.
Fugenartiger Schlusssatz

Der Schlusssatz beginnt wie eine Fuge – zunächst in den Soloinstrumenten, schließlich auch im Ensemble –, doch wird die thematische Arbeit schnell aufgegeben. Dieser Satz ist deutlich dreiteilig, mit identischen Außenteilen und einem kontrastierenden Mittelteil doppelter Länge in der parallelen Molltonart. Auch dieser mittlere Satzabschnitt führt gleich zu Beginn ein ganz neues Thema ein, das durch seinen großen Bogen und gesanglichen Charakter einen deutlichen Gegensatz zum Bisherigen bildet und von Bach ausdrücklich als cantabile bezeichnet wurde. Nachdem jedes Soloinstrument es einmal gespielt hat, wird es auch von den Oberstimmen des Orchesters übernommen; die Grenzen zwischen Soloinstrument und Orchesterinstrument verschwimmen hier stellenweise in einem dichten Geflecht. Etwa ab der Mitte des Satzes wird dann das Cembalo wieder deutlich als Solist herausgestellt, dem Flöte und Violine einerseits und Orchesteroberstimmen andererseits als geschlossene Gruppen entgegentreten. Der Abschnitt endet in h-Moll, dann beginnt der Satz überleitungslos wieder von vorne, also mit der wörtlichen Wiederholung des ersten Abschnitts. Die drei Solisten agierten auf höchstem Niveau, das Orchester bot ihnen den soliden, anspruchsvollen Klangteppich, auf dem sie sich in Szene setzen konnten, dementsprechend dann auch der stürmische Applaus
Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048

Bei diesem sind wieder 11 Musiker*innen auf der Bühne, dazu der Dirigent sitzend im Hintergrund. Der erste Satz zieht seine Spannung vor allem aus der Gegenüberstellung der dreistimmigen Violinen gegen die ebenfalls dreistimmigen Violen. Die Celli werden erst im weiteren Verlauf und nur stellenweise geteilt. Etwa ab der Mitte stellen sich Instrumente auch solistisch vor; dies betrifft vor allem die erste und zweite Violine sowie die erste Bratsche. Dieses Konzert kennt keinen ausgeführten langsamen Satz, sondern nur zwei gehaltene überleitende Akkorde einer phrygischen Kadenz; die deutliche Schreibweise des Autographs lässt nicht vermuten, dass Bach hier beim Abschreiben etwas vergessen hat. Man geht meist davon aus, dass hier ein kleines improvisiertes Solo, etwa von Cembalo oder erster Violine, zu den Akkorden hinführte oder diese verband und hält aus Proportionsgründen die Länge dieser Improvisation mit drei Takten für richtig. Nachdem Bach aber am Schluss der Mittelsätze des ersten und vierten Konzerts derartige Soli ausschrieb und keine zeitgenössische Beschreibung einer derartigen improvisierenden Praxis existiert, verzichten inzwischen viele Interpreten darauf, nicht aber die Berliner Barock – Solisten. Wegen des dominantischen Schlussakkords sollte der nächste Satz dann jedenfalls unmittelbar anschließen. Diese furiose Interpretation wurde mit langanhaltendem Applaus und Bravorufen belohnt.
Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049
Ungestüme Geige im Kopfsatz

Für dieses Konzert standen 13 Musiker*innen und der Dirigent auf der Konzertbühne. Im Allegro-Kopfsatz steigt das Flötenduo ganz ohne großes Orchestervorspiel direkt ein: mit einer munteren, sich im Dreiertakt hin und her wiegenden Melodie. Etwa ab der Satzmitte mischt sich dann die Geige ungestüm in das Geschehen ein – mit sprudelnden Tonleitern, Doppelgriffen und gebrochenen Akkorden. Das ist fast ein Violinkonzert für sich.
Trauer und Melancholie im Mittelsatz

Die gelöste Stimmung des Kopfsatzes weicht im Mittelsatz (Andante) einer dramatischen Ausdrucksstärke. Das Tongeschlecht kippt nach Moll. Die musikalischen Linien sind ausgedehnter und weisen oft nach unten. Trauer und Melancholie sind hier gedanklich nicht weit entfernt. Das Verhältnis zwischen Solisten und Orchester ist sehr ausgewogen. Die Echowirkung tritt hier besonders hervor.
Strenger Schlusssatz
Das Konzert endet mit einem vergleichsweise strengen Schlusssatz, der Elemente der Fuge mit Elementen des damals neumodischen, italienischen Concerto auf meisterhafte Weise verbindet.
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B-Dur BWV 1051

In Bachs sechstem Brandenburgischen Konzert fehlen nicht nur die Bläser, sondern auch die Geigen. Solisten sind hier zwei Bratschen. Instrumente, die Bach oft und gerne selbst spielte. Unterstützt werden sie von zwei Gamben und einer Continuo-Gruppe, es fehlt also komplett eine ganze Farbe in diesem Ensemble.

Das hat natürlich Auswirkungen auf den Klang. Die Klangfarbe ist dunkel, Bach wählt sie bewusst, er weist auf die Vergänglichkeit des Menschen hin. Dennoch sind der erste und dritte Satz lebendig und virtuos gestaltet und als Mittelsatz erblüht ein inniger Dialog der beiden Bratschen Mit rasanten Tempi und federndem Schwung führte Dirigent Reinhard Goebel die gut aufgelegten Barock Solisten durch die Partitur
Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047

Im zweiten der sechs Konzerte entzündete sich Bachs Fantasie an den Farben von Blockflöte, Oboe, Geige und Trompete. Dafür fanden sich wieder 15 Musiker*innen auf der Bühne ein. Komponiert hatte er diese Musik vermutlich schon in seiner Zeit am Hof in Weimar. Reinhold Friedrich, auch Solotrompeter im Lucerne Festival Orchestra, erhielt hier ausreichend Gelegenheit, mit seinem Instrument zu brillieren, stand dabei auch einer ebenbürtigen Oboe und einer grandiosen ersten Geige gegenüber. Das Auditorium belohnte diesen Ohrenschmaus mit langanhaltendem, stürmischem Applaus und klatschte die Musiker so noch einige Male auf die Bühne zurück, ohne dass es ganz für eine stehende Ovation gereicht hätte. Erstaunlich, wie frisch und aktuell die Werke Bachs auch nach 300 Jahren noch sind. Um auf meine Einleitung zurück zu kommen: Ich glaube nicht, dass «Imagine» oder eine andere Komposition von John Lennon im Jahre 2321 noch oft auf den Konzertbühnen dieser Welt gespielt werden, im Gegensatz zu den zeitlosen musikalischen Geniestreichen des Johann Sebastian Bach.
Kleine Fotodiashow von Patrick Hürlimann:
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch Patrick Hürlimann
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