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Berliner Barock Solisten | Reinhard Goebel | Solisten, KKL Luzern, 20.8.2021, besucht von Léonard Wüst

Berliner Barock Solisten Foto Frederic Brenner
Berliner Barock Solisten Foto Frederic Brenner

Besetzung und Programm:
Berliner Barock Solisten
Reinhard Goebel  Musikalische Leitung
Michael Hasel  Flöte
Christoph Hartmann  Oboe
Reinhold Friedrich  Trompete
Roberto González-Monjas  Violine und Viola
Raphael Alpermann  Cembalo

 

«300 Jahre Brandenburgische Konzerte»

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046
 
Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050
 
Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048
 
Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049
 
Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B-Dur BWV 1051
 
Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047
 
 
 
Konzert Tonart BWV Besetzung
1. Konzert F-Dur BWV 1046 2 Hörner, 3 Oboen, Fagott, Violino piccolo, Streicher, Continuo
2. Konzert F-Dur BWV 1047 Trompete, Violine, Blockflöte, Oboe, Streicher, Continuo
3. Konzert G-Dur BWV 1048 3 Violinen, 3 Violen, 3 Celli, Continuo
4. Konzert G-Dur BWV 1049 Violine, 2 Blockflöten, Streicher, Continuo
5. Konzert D-Dur BWV 1050 Cembalo, Violine, Traversflöte, Streicher, Continuo
6. Konzert B-Dur BWV 1051 2 Violen, Violoncello, 2 Gamben, Violone, Continuo

 

Als John Lennon, auf dem Höhepunkt der „Beatlemania“, an einem Sonntag nach dem Besuch einer Bachmesse eine Londoner Kirche verlässt, wird er natürlich gleich von einer Schar Reportern umlagert und einer fragt ihn, was er denn da gemacht hätte, worauf ihm Lennon antwortete: Ideen geklaut! Kaum etwas versinnbildlicht mehr, wie fast alle Musiker der letzten 500 Jahre Johann Sebastian Bach als den Übervater der modernen Musik bewundern und verehren. Umso gewichtiger, dass diese Aussage, von einem der grössten und erfolgreichsten Musiker der Neuzeit stammt. Bachs Brandenburgische Konzerte, vor 300 Jahren komponiert, sind unterschiedlich lang, zwischen 9 bis 16 Minuten und werden auch mit wechselnder Anzahl Musikern aufgeführt.

Wir erlebten eine Bachblütentherapie der besonderen Art im KKL Luzern

Brandenburgisches Konzert Nr. 1 F-Dur BWV 1046

Reinhard Goebel  Musikalische Leitung  Foto Christina Bleier
Reinhard Goebel Musikalische Leitung Foto Christina Bleier

Das erste ist eine mit Hörnern Holzbläsern und  Streichern, insgesamt total 17 Musiker*innen ungewöhnlich groß besetzte Komposition, die in der Literatur allgemein als eines von Bachs frühesten  konzertanten Werken angesehen wird. Sie ist das erste in einer  Sammlung von sechs Konzerten, die Bach im März 1721 unter dem Titel Six Concerts avec plusieurs instruments in Partitur an den Markgrafen  Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt sandte.  Aus Anlass der Widmung komponierte Bach die einzelnen Konzerte dieser Sammlung nicht etwa neu, sondern stellte die Partitur aus vorhandenen Werken zusammen. In Besetzung, Umfang und Charakter weisen die Einzelstücke große Unterschiede auf.

 

 

 

 

 

Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050

Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann
Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann

Hier reduziert sich die Anzahl der Ausführenden auf 10.Das Konzert für Solocembalo, Flöte, Violine und Streichorchester gehört zu den frühesten Beispielen eines solistischen Tasteninstruments mit Orchester. Innerhalb der aus Italien stammenden Konzertform spielt die sehr modern wirkende, ganz die Außenstimmen betonende Satzweise mit ihren ständigen Triolen deutlich auf den französischen Geschmack an. Auch die Verwendung der gerade aufkommenden Traversflöte weist in diese Richtung. Alle drei Sätze führen nach einiger Zeit eine durch Seufzer Motive geprägte Melodik ein, die ebenfalls auf Modelle französischer Komponisten verweist. So kann dieses Konzert als ein Beispiel für das Bestreben deutscher Komponisten des Hochbarock gelten, die Nationalstile Italiens und Frankreichs miteinander zu verbinden. Die Instrumente werden über weite Strecken recht gleichwertig eingesetzt; in der zweiten Hälfte des ersten und dritten Satzes treten dann aber zunehmend virtuose Partien für das Cembalo auf, die die anderen Instrumente stellenweise etwas in den Hintergrund drängen und im ersten Satz in ein umfangreiches Solo münden. Wegen der hier dominierenden Rolle des Cembalos wird das Konzert manchmal als das erste Cembalokonzert der Musikgeschichte gesehen. Nach dem Tutti-Ritornell führen sich die Solisten mit einem eigenen Thema ein und entwickelt aus diesem kontrastierenden Thema schnell eine durch Seufzer Motive geprägte Melodik. Umfangreiche Solopassagen werden strukturiert durch häufige Orchestereinsätze, Couplets, mit dem Ritornell Beginn.

Raphael Alpermann  Cembalo
Raphael Alpermann Cembalo

Nach einem kurzen Intro der Streicher bringt sich zuerst der Soloflötist ins Spiel, kurz darauf gefolgt von Raphael Alpermann am Cembalo. Im dritten Satz übernimmt dann auch die erste Geige, Roberto Gonzalez Monjas,  eine immer gewichtigere Rolle und etabliert sich, nebst Flöte und Cembalo, als dritte Solostimme, immer eingebettet im Klangteppich des äusserst souveränen Gesamtensembles.

Fugenartiger Schlusssatz
Roberto Gonzalez Monjas Viola und Violine
Roberto Gonzalez Monjas Viola und Violine

Der Schlusssatz beginnt wie eine Fuge – zunächst in den Soloinstrumenten, schließlich auch im Ensemble –, doch wird die thematische Arbeit schnell aufgegeben. Dieser Satz ist deutlich dreiteilig, mit identischen Außenteilen und einem kontrastierenden Mittelteil doppelter Länge in der parallelen Molltonart. Auch dieser mittlere Satzabschnitt führt gleich zu Beginn ein ganz neues Thema ein, das durch seinen großen Bogen und gesanglichen Charakter einen deutlichen Gegensatz zum Bisherigen bildet und von Bach ausdrücklich als cantabile bezeichnet wurde. Nachdem jedes Soloinstrument es einmal gespielt hat, wird es auch von den Oberstimmen des Orchesters übernommen; die Grenzen zwischen Soloinstrument und Orchesterinstrument verschwimmen hier stellenweise in einem dichten Geflecht. Etwa ab der Mitte des Satzes wird dann das Cembalo wieder deutlich als Solist herausgestellt, dem Flöte und Violine einerseits und Orchesteroberstimmen andererseits als geschlossene Gruppen entgegentreten. Der Abschnitt endet in h-Moll, dann beginnt der Satz überleitungslos wieder von vorne, also mit der wörtlichen Wiederholung des ersten Abschnitts. Die drei Solisten agierten auf höchstem Niveau, das Orchester bot ihnen den soliden, anspruchsvollen  Klangteppich, auf dem sie sich in Szene setzen konnten, dementsprechend dann auch der stürmische Applaus

Brandenburgisches Konzert Nr. 3 G-Dur BWV 1048

Michael Hasel  Flöte
Michael Hasel Flöte

Bei diesem sind wieder 11 Musiker*innen auf der Bühne, dazu der Dirigent sitzend im Hintergrund. Der erste Satz zieht seine Spannung vor allem aus der Gegenüberstellung der dreistimmigen Violinen gegen die ebenfalls dreistimmigen Violen. Die Celli werden erst im weiteren Verlauf und nur stellenweise geteilt. Etwa ab der Mitte stellen sich Instrumente auch solistisch vor; dies betrifft vor allem die erste und zweite Violine sowie die erste Bratsche. Dieses Konzert kennt keinen ausgeführten langsamen Satz, sondern nur zwei gehaltene überleitende Akkorde einer phrygischen Kadenz; die deutliche Schreibweise des Autographs lässt nicht vermuten, dass Bach hier beim Abschreiben etwas vergessen hat. Man geht meist davon aus, dass hier ein kleines improvisiertes Solo, etwa von Cembalo oder erster Violine, zu den Akkorden hinführte oder diese verband und hält aus Proportionsgründen die Länge dieser Improvisation mit drei Takten für richtig. Nachdem Bach aber am Schluss der Mittelsätze des ersten und vierten Konzerts derartige Soli ausschrieb und keine zeitgenössische Beschreibung einer derartigen improvisierenden Praxis existiert, verzichten inzwischen viele Interpreten darauf, nicht aber die Berliner Barock – Solisten. Wegen des dominantischen Schlussakkords sollte der nächste Satz dann jedenfalls unmittelbar anschließen. Diese furiose Interpretation wurde mit langanhaltendem Applaus und Bravorufen belohnt.

Brandenburgisches Konzert Nr. 4 G-Dur BWV 1049

Ungestüme Geige im Kopfsatz
Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann
Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann

Für dieses Konzert standen 13 Musiker*innen und der Dirigent auf der Konzertbühne. Im Allegro-Kopfsatz steigt das Flötenduo ganz ohne großes Orchestervorspiel direkt ein: mit einer munteren, sich im Dreiertakt hin und her wiegenden Melodie. Etwa ab der Satzmitte mischt sich dann die Geige ungestüm in das Geschehen ein – mit sprudelnden Tonleitern, Doppelgriffen und gebrochenen Akkorden. Das ist fast ein Violinkonzert für sich.

Trauer und Melancholie im Mittelsatz
Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann
Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann

Die gelöste Stimmung des Kopfsatzes weicht im Mittelsatz (Andante) einer dramatischen Ausdrucksstärke. Das Tongeschlecht kippt nach Moll. Die musikalischen Linien sind ausgedehnter und weisen oft nach unten. Trauer und Melancholie sind hier gedanklich nicht weit entfernt. Das Verhältnis zwischen Solisten und Orchester ist sehr ausgewogen. Die Echowirkung tritt hier besonders hervor.

Strenger Schlusssatz

Das Konzert endet mit einem vergleichsweise strengen Schlusssatz, der Elemente der Fuge mit Elementen des damals neumodischen, italienischen Concerto auf meisterhafte Weise verbindet.

Brandenburgisches Konzert Nr. 6 B-Dur BWV 1051

Christoph Hartmann  Oboe
Christoph Hartmann Oboe

In Bachs sechstem Brandenburgischen Konzert fehlen nicht nur die Bläser, sondern auch die Geigen. Solisten sind hier zwei Bratschen. Instrumente, die Bach oft und gerne selbst spielte. Unterstützt werden sie von zwei Gamben und einer Continuo-Gruppe, es fehlt also komplett eine ganze Farbe in diesem Ensemble.

Reinhold Friedrich  Trompete
Reinhold Friedrich Trompete

Das hat natürlich Auswirkungen auf den Klang. Die Klangfarbe ist dunkel, Bach wählt sie bewusst, er weist auf die Vergänglichkeit des Menschen hin. Dennoch sind der erste und dritte Satz lebendig und virtuos gestaltet und als Mittelsatz erblüht ein inniger Dialog der beiden Bratschen Mit rasanten Tempi und federndem Schwung führte Dirigent Reinhard Goebel die gut aufgelegten Barock Solisten durch die Partitur

Brandenburgisches Konzert Nr. 2 F-Dur BWV 1047

Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann
Berliner Barocksolisten Konzertimpression Foto Patrick Hürlimann

Im zweiten der sechs Konzerte entzündete sich Bachs Fantasie an den Farben von Blockflöte, Oboe, Geige und Trompete. Dafür fanden sich wieder 15 Musiker*innen auf der Bühne ein. Komponiert hatte er diese Musik vermutlich schon in seiner Zeit am Hof in Weimar. Reinhold Friedrich, auch Solotrompeter im Lucerne Festival Orchestra, erhielt hier ausreichend Gelegenheit, mit seinem Instrument zu brillieren, stand dabei auch einer ebenbürtigen Oboe und einer grandiosen ersten Geige gegenüber. Das Auditorium belohnte diesen Ohrenschmaus mit langanhaltendem, stürmischem Applaus und klatschte die Musiker so noch einige Male auf die Bühne zurück, ohne dass es ganz für eine stehende Ovation gereicht hätte. Erstaunlich, wie frisch und aktuell die Werke Bachs auch nach 300 Jahren noch sind. Um auf meine Einleitung zurück zu kommen: Ich glaube nicht, dass «Imagine» oder eine andere Komposition von John Lennon im Jahre 2321 noch oft auf den Konzertbühnen dieser Welt gespielt werden, im Gegensatz zu den zeitlosen musikalischen Geniestreichen des Johann Sebastian Bach.

Kleine Fotodiashow von Patrick Hürlimann:

fotodiashows.wordpress.com/2021/08/24/berliner-barock-solisten-reinhard-goebel-solisten-kkl-luzern-20-8-2021-besucht-von-leonard-wust/

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch  Patrick Hürlimann

Homepages der andern Kolumnisten:  www.noemiefelber.ch

www.gabrielabucher.ch  www.herberthuber.ch

 

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JRF vor Ort: Jüdisches Köln - rechtsrheinisch.

Jüdische Grabinschriften  Axel Joerss
Jüdische Grabinschriften Axel Joerss

Entdeckungen auf dem alten jüdischen Friedhof in Köln-Deutz.
Bei der öffentlichen und kostenlosen Veranstaltung im Rahmen des Jubiläums
1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnern WissenschaftlerInnen
des JRF-Instituts STI – Salomon-Ludwig-Steinheim-Instituts für deutsch-
jüdische Geschichte an die rheinisch-jüdische Geschichte in Köln. Eröffnet
wird die Veranstaltung durch den Vorstandsvorsitzenden der Johannes-Rau-
Forschungsgemeinschaft Prof. Dr. Dieter Bathen und die Institutsdirektorin
des STI Prof. Dr. Lucia Raspe. Im Mittelpunkt stehen im Anschluss drei
zwanzigminütige Führungen über den Friedhof, die Schwerpunkte liegen
hierbei auf den Symbolen, den Grabsteinen und den Gesteinsarten, welche
auf dem Friedhof zu finden sind. Hierzu referieren Dr. Ursula Reuter,
Geschäftsführerin der Germania Judeica – Kölner Bibliothek zur Geschichte
des Judentums, Anna Martin und Nathanja Hüttenmeister, beide
Wissenschaftlerinnen des Steinheim-Instituts und Em. Prof. Dr. Hans
Leisen, Professor für Geologie und Konservierungswissenschaften. Gemeinsam
machen sie die Geschichten hinter den verwitterten Inschriften sichtbar.
Weitere Informationen unter www.jrf.nrw/veranstaltung/1700-jahre

Datum:
Sonntag, 29. August 2021
11:00-13:00 Uhr
Veranstaltungsort:
Jüdischer Friedhof Köln-Deutz
Judenkirchhofsweg 6
50679 Köln
Treffpunkt: vor Eingangstor des Friedhofs
Teilnahme nach Anmeldung, männliche Teilnehmer müssen eine Kopfbedeckung
tragen.

Zu den Veranstaltern:

Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF):
Die JRF ist die Forschungsgemeinschaft des Landes Nordrhein-Westfalen,
gegründet als gemeinnütziger Verein und Dachorganisation für 15
landesgeförderte, rechtlich selbstständige, außeruniversitäre und
gemeinnützige Forschungsinstitute. Unter dem Leitbild „Forschung ‚Made in
NRW‘ für Gesellschaft, Wirtschaft, Politik“ arbeiten die JRF-Institute
fachübergreifend zusammen, betreiben eine gemeinsame
Öffentlichkeitsarbeit, fördern wissenschaftlichen Nachwuchs und werden von
externen GutachterInnen evaluiert. Neben den wissenschaftlichen
Mitgliedern ist das Land NRW ein Gründungsmitglied, vertreten durch das
Ministerium für Kultur und Wissenschaft. Mehr Infos unter www.jrf.nrw

Salomon Ludwig Steinheim-Institut (STI) für deutsch-jüdische Geschichte an
der Universität Duisburg-Essen
Das Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an
der Universität Duisburg-Essen erforscht Geschichte und Kultur der Juden
im deutschen Sprachraum als deutsch-jüdische Geschichte vom Mittelalter
bis in die Gegenwart. Über die Geistes- und Kulturwissenschaften hinaus
liegt dabei ein Akzent auf digitalen Methoden, Digital Humanities und der
Mitwirkung am Aufbau forschungsnaher Infrastrukturen. Mehr Infos unter:
www.steinheim-institut.de/wiki/index.php/Hauptseite

Baustoffe im Kreislauf halten DBU-Online-Salon zur nachhaltigen Neuorientierung der Bauwirtschaft

Angesichts knapper Rohstoffe, gestiegener Materialkosten und
einer hohen Umweltrelevanz ist die Zeit reif für eine Ressourcenwende in
der Bauwirtschaft. Große Chancen für eine Neuorientierung bietet die
Circular Economy, eine umfassende Kreislaufwirtschaft, bei der
beispielsweise schon vor dem Einsatz von Baustoffen überlegt wird, wie sie
am Ende hochwertig wiederverwendet werden. Ob und wie dem Bausektor ein
solcher Richtungswechsel in eine nachhaltige Zukunft gelingen kann,
diskutiert nächsten Dienstag (21.9.) die Deutsche Bundesstiftung Umwelt
(DBU) mit Fachleuten aus Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft in ihrer
Reihe DBUdigital. Der Titel des Online-Salons von 14 bis 16 Uhr: „Circular
Economy in der Bauwirtschaft – Vision und Praxis“. Wer will, ist live
dabei: www.dbu.de/@OnlineSalonBauwirtschaft.

Sorgsamerer Umgang mit den endlichen Ressourcen der Erde durch Circular
Economy

Der Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Erde „ist eine
Schlüsselfrage für die Menschheit“, sagt DBU-Generalsekretär Alexander
Bonde. „Egal ob Energie, Fläche oder Rohstoffe – schon jetzt nutzen wir
mehr als für einen lebenswerten Planeten tragbar ist.“ Das lineare
Geschäftsmuster des Bauwesens – vom Abbau der Rohstoffe über Bau und
Nutzung von Gebäuden bis zum minderwertigen Recyceln im Straßenbau oder
Entsorgen auf der Deponie – sei zwar symptomatisch für viele
Wirtschaftsbranchen. Erforderlich sei aber ein Umdenken. Bonde: „Eine
echte Kreislaufwirtschaft, bei der Wertstoffe so lange wie möglich
aufgearbeitet und hochwertig recycelt werden, hätte einen sorgsameren
Umgang mit den endlichen Ressourcen der Erde zur Folge.“

Bau- und Abbruchabfälle machen mehr als die Hälfte des gesamten
Abfallaufkommens aus

Allein in Deutschland werden nach Angaben des Umweltbundesamtes pro Jahr
mehr als 500 Millionen Tonnen mineralische Rohstoffe gewonnen und verbaut,
darunter Sand, Kies, gebrochene Natursteine, Kalkstein und Gips. Auch der
jährliche Einsatz an Baustahl in Höhe von 5,5 Millionen Tonnen und Zement
mit 33,7 Millionen Tonnen ist erheblich. Gleichzeitig fallen nach Angaben
des Statistischen Bundesamtes jährlich 230,9 Millionen Tonnen Bau- und
Abbruchabfälle an – mehr als die Hälfte des gesamten deutschen
Abfallaufkommens. Zwar werden von den Bau- und Abbruchabfällen statistisch
gesehen 88 Prozent recycelt, jedoch finden etwa Boden und Steine oft nur
als Auffüllmaterial im Straßen- und Tiefbau Verwendung. Eine echte
Kreislaufwirtschaft würde eine qualitativ gleichwertige Wiederverwendung
in der Produktion bedeuten. Hinzu kommt: Bestehende Gebäude weiter zu
nutzen und zu sanieren ist nach Bondes Worten „die effizienteste Art,
Ressourcen zu schonen“. Die Steigerung der Sanierungsrate werde momentan
vor allem noch unter Gesichtspunkten der Energieeffizienz angestrebt.
Dabei werde häufig vergessen, „dass auch der Materialbedarf einer
Sanierung um bis zu zwei Drittel geringer ist als der eines Neubaus“.

Aus alt mach neu: Neubau der Stadtwerke Neustadt in Holstein

Prof. Ingo Lütkemeyer, Geschäftsführer der „IBUS Architektengesellschaft“
sowie Dozent an der Hochschule Bremen, ist am 21. September live beim DBU-
Online-Salon zu Gast und sieht ebenfalls „großes Potenzial in einer
Bauwende“. Als verantwortlicher Architekt und Leiter eines DBU-geförderten
Projekts begleitete er den Neubau der Stadtwerke Neustadt in Holstein.
Neben eingebautem Holz wurden nach Lütkemeyers Worten „gebrauchte Glas-
Trennwandelemente und Fliesen verwendet, ein Teppichboden aus
Recyclingmaterial eingesetzt und Möbel wiederverwendet“. Die
Herausforderung beginne bei der Planung. „Für die drei neuen Gebäude haben
wir alle Bauteile unter dem Aspekt der Wiederverwendung und
Ressourcenschonung untersucht“, sagt der Architekt. Die Besonderheit: Ein
recyclinggerechter Rückbau ist durch die demontierbare Gesamtkonstruktion
von vornherein in den Planungen berücksichtigt worden. Neben dieser
Konzeption im Sinne einer Circular Economy überzeugt der Komplex
Lütkemeyer zufolge überdies mit seiner Energiebilanz: „Durch einen Mix an
Wärmerückgewinnung, Photovoltaikmodulen, Mini-Blockheizkraftwerk, Sole-
Wasser-Wärmepumpe, guter Dämmung und einigem mehr wird unter dem Strich
mehr Energie produziert als verbraucht.“

Gebäude-Stoffpass regelt nachhaltiges Stoffstrommanagement

Wie ein Wiederverwenden von Materialien in Neu- und Altbau mittels eines
Gebäude-Stoffpasses gelingen kann, erklärt im Online-Salon Architekt
Stephan Ott, Wissenschaftler an der Technischen Universität München:
„Damit Gebäude und ganze Bauteile möglichst hochwertig weitergenutzt
werden können, müssen eine gute Identifizierbarkeit, eine einfache
Trennbarkeit und eine Schadstoffunbedenklichkeit der enthaltenen Stoffe
gewährleistet sein.“ Neben den genannten Beispielen fördert die DBU seit
Langem Forschungsprojekte und innovative Modellvorhaben zur Energie- und
Ressourceneffizienz im Bausektor. Im Online-Salon der Deutschen
Bundesstiftung Umwelt referieren darüber hinaus Annette von Hagel,
geschäftsführende Vorständin der re!source-Stiftung, und Dr. Patrick
Bergmann, Geschäftsführer der Firma Madaster Germany. Eine Diskussion mit
den Teilnehmenden schließt sich an.

Geovisualisierung: Visionen der FHWS für Würzburgs Zukunft - ökologisch, klimafreundlich, sozial und lebenswert

Studierende der Geovisualisierung entwickeln ausgefallene Ideen, die das
Stadtbild Würzburgs erheblich verändern könnten

Ein Stadion auf dem Sanderrasen, ein Flussbad im Alten Hafen, ein
Fahrradhighway über der Innenstadt und Salatanbau am Paradeplatz? Sind
solche Ideen undenkbare Spinnerei oder durchaus denkbare Visionen für ein
Würzburg der Zukunft? Mit dieser Frage und damit, wie eine ökologische,
gerechte und soziale Stadt der Zukunft aussehen könnte, haben sich im
vergangenen Sommersemester zwanzig Studierende des Studiengangs
Geovisualisierung an der Hochschule für angewandte Wissenschaften
Würzburg-Schweinfurt (FHWS) beschäftigt. Die Ergebnisse, so die Dekanin
Prof. Dr. Daniela Wenzel, verblüffen, machen Spaß und regen zum
Weiterdenken an.

„Den Rahmen für die kreative Ideenwerkstatt bildete die im vierten
Semester anstehende `Projektbezogene Geovisualisierung`, in der die
Studierenden ihre Fähigkeiten im Bereich Visualisierung erproben und
ausbauen“, berichtet Stefan Sauer, Mitarbeiter im Studiengang
Geovisualisierung. Statt einen standardisierten Arbeitsauftrag zu stellen,
trug der als innovativ bekannte Hochschul-Dozent seinen Studierenden auf,
ein städtebauliches Konzept für die Weiterentwicklung der Stadt Würzburg
zu entwerfen, das den Herausforderungen der Zukunft gerecht wird.

Im Fokus sollten dabei die Aspekte Ökologie, Klimafreundlichkeit, soziale
Gerechtigkeit und lebenswertes Wohnen stehen. „Beispiele, wie eine als
Skipiste genutzte Müllverbrennungsanlage in Kopenhagen, die Stadtseilbahn
von Caracas oder landwirtschaftlich genutzte Hausdächer in New York
zeigen, dass das machbar ist“, machte Sauer den Studierenden im Vorfeld
klar. Nach einem Gang durch Würzburg und einem Workshop mit dem
Architekten Matthias Braun entstanden anhand von Stadtplänen und Fotos
erste Konzepte. Dann folgte die Ausarbeitung mit Planzeichnungen,
Renderings, einem Plakat sowie einer medialen Live-Präsentation.

Dass die Studierenden nah am Puls der Zeit sind, zeigen Ideen wie die
urbane Seilbahn, Park & Ride am Greinberg, die Umgestaltung des
Hauptbahnhofs oder die Renaturierung der Pleichach. Andere wiederum haben
bewusst noch höher hinausgedacht. Georg Novotny etwa träumt unter dem
Titel „Alles im Fluss“ von einer schwimmenden Plattform im Main in
Ammonitenform sowie einem Pavillon an der alten Schleuse und will so neue
Räume mit echter Aufenthaltsqualität schaffen. „Ich fand es schon immer
schade, dass der Mainkai, der ja eigentlich eine Schauseite der Stadt ist,
vom Verkehr überflutet wird“, so Novotny. Die große Freiheit und die
Möglichkeit, das eigene Erleben einzubringen, haben ihn von Anfang an
gereizt.

Dass Novotny mit seiner Idee einen neuralgischen Punkt getroffen hat,
zeigt die aktuelle Diskussion um das Sonntagsfahrverbot am Mainkai.
Christoph Dürr will mit seinem Projekt „Autonom in die Zukunft“ den
Autoverkehr in der Innenstadt verringern, ohne dabei dem Einzelhandel zu
schaden. Sein Mittel der Wahl sind eng getaktete selbstfahrende E-Busse,
die in anderen Städten bereits in der Erprobung sind.

Ein Mehrwert für alle Seiten war die Beteiligung der Stadt Würzburg. Peter
Wiegand und Uwe Kömpel vom Fachbereich Stadtplanung haben den
Arbeitsfortschritt kommentiert und die Studierenden mit progressiven
Anregungen aus der eigenen Denkwerkstatt ermutigt, „über den realen
Horizont hinaus zu denken und undenkbare Ideen weiter zu spinnen“. Warum?
„Es geht darum, feste Denkmuster zu durchbrechen, die Dinge zu
überspitzen, bewusst mal übers Ziel hinauszuschießen. Nur so kommt man in
die Köpfe der Menschen rein, kann man öffentliche Akzeptanz und Phantasie
anregen“, so Kömpel. Auf einen Liebling will sich der Stadtentwickler
nicht festlegen: „Alle Ideen haben ihre Berechtigung und können bei der
Suche nach Lösungen fruchtbar sein“, stellt er klar.

Plakate auf der Messe

Wer sich von den Ideen der jungen Visualisierer inspirieren lassen will,
kann dies in Kürze auf der Mainfrankenmesse tun: Zehn der zwanzig
Präsentations-Plakate sind vom 25. September bis 3. Oktober am Stand der
Stadt Würzburg zu sehen. Außerdem können Besucherinnen und Besucher mit
der „Domstraße vor 1945“ und der „Balthasar-Neumann-App“ zwei weitere
innovative, an der FHWS entwickelte Projekte live erleben.

Für Dozent Stefan Sauer ist das Ziel der Vorlesung mehr als erreicht. „Ich
wollte die jungen Leute zu neuen Ideen ermutigen, an denen sie wachsen und
für die sie sich kreativ und emotional engagieren können“, sagt er. „Wenn
es die Arbeiten dann noch in die Öffentlichkeit schaffen und Menschen vor
den Plakaten stehen und diskutieren, sind wir genau da, wo wir hinwollen.“