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Statement - Deutschlands Industriestrategie: Den Blick vom Rückspiegel lösen

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Prof. Dr. Moritz Schularick (https://www.ifw-kiel.de/de/unsere-
expertinnen-und-experten/detail/moritz-schularick/), Präsident des Kiel
Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) kommentiert die heute
veröffentlichte Industriestrategie des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Klimaschutz (BMWK):

„Der Fokus auf strategische und sicherheitspolitische Fragen in der
Industriestrategie des BMWK trägt den geopolitischen Entwicklungen der
letzten Jahre Rechnung. Die Bedeutung von Forschung und Entwicklung für
den Industriestandort Deutschland wird ebenso betont wie die Notwendigkeit
qualifizierter Zuwanderung, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Positiv
ist auch die erklärte Absicht, unnötige Bürokratie abzubauen und Planungs-
und Genehmigungsprozesse zu vereinfachen und Industriepolitik im
europäischen Kontext zu verankern. Dies sind zweifellos wichtige Schritte,
um die Rahmenbedingungen zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Industrie zu fördern und den zukünftigen wirtschaftspolitischen
und geoökonomischen Herausforderungen zu begegnen.

Wenn Deutschland allerdings die Herausforderungen der Zukunft meistern
will, dann muss die Politik den Blick auch in anderen Bereichen vom
Rückspiegel lösen und nach vorne schauen. Das größte Risiko der
vorgelegten Strategie ist, dass sie zu rückwärtsgewandt ist. Der Staat ist
zwar nicht gut darin, die Gewinner von morgen zu finden, aber ganz sicher
finden die Verlierer von gestern den Staat. Gerade bei dem in der
Strategie prominent genannten Instrument des Brückenstrompreises ist dies
zu befürchten. So ist nicht klar, für welche Industrien der Brückenstrom
sinnvoll ist und gelten soll. Hier entsteht potenziell ein Einfallstor für
Lobbyinteressen von Sektoren, die an die öffentlichen Fleischtöpfe wollen,
ohne dass für den Standort Deutschland oder Europa etwas gewonnen wäre.
Denn es ist bereits heute klar, dass die energieintensiven Industrien
nicht die Wachstumsmotoren von morgen sein werden. Der Brückenstrompreis
könnte dann sogar das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt ist, und
zu einer Bremse für den notwendigen Strukturwandel und künftiges Wachstum
werden. Denn im allergrößten Teil der Industrie hängt die
Wettbewerbsfähigkeit nicht an billiger Energie, sondern an Innovation und
Technologie. Neue Branchen, nicht die von gestern, müssen im Zentrum einer
modernen Industriepolitik stehen.“