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Milliardenschwere Geschäfte mit dem Abnehmen – gleichzeitig gehen Diabetes-Patienten leer aus

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Die aktuelle Situation in der medikamentösen Behandlung von Diabetes ist
ein klassisches Beispiel für Über- und Unterversorgung in der Medizin:
Während es bei „echten“ Diabetes-Medikamenten seit Anfang des Jahres immer
wieder Arzneimittelengpässe gibt, werden die Wirkstoffe zunehmend für
Arzneimittel zur Gewichtsreduktion verarbeitet. Die Nachfrage nach diesen
neuen Abnehm-Medikamenten steigt – und die Diabetes-Patienten gehen leer
aus.

Zur empfohlenen Behandlung eines Typ-2-Diabetes gehören – zusätzlich zum
Standardmittel Metformin – auch die so genannten Inkretinmimetika.
Inzwischen gibt es für diese Substanzen eine doppelte Zulassung: Sie
können bei Diabetes verordnet werden – und außerdem auch als Medikamente
zur Gewichtsreduktion. Bereits im Frühjahr hat sich abgezeichnet, dass es
durch diese doppelte Nutzung zu Arzneimittelengpässen kommt. Diese
Situation wird sich durch die steigende Nachfrage nach Abnehm-Pillen
weiter zuspitzen.

„Wir erleben hier eine klassische Art von Fehlallokation in der Medizin:
Eine Patientengruppe wird über-, die andere unterversorgt. Es ist uns als
allgemeinmedizinischer Fachgesellschaft ein dringendes Anliegen, auf diese
Zusammenhänge aufmerksam zu machen“, sagt Prof. Martin Scherer, Präsident
der DEGAM. „Die Substanzen, die wir für die Diabetes-Medikation brauchen,
versickern nun in Medikamenten, die rein zum Abnehmen hergestellt werden –
und entsprechend aggressiv beworben werden. Da die Menge an Wirkstoff, die
zur Verfügung steht, begrenzt ist, ist klar, dass es dadurch Engpässe gibt
– zumal die Arzneimittel zur Gewichtsabnahme ein Leben lang eingenommen
werden müssen, um den Effekt zu halten. Es liegt auf der Hand, dass die
Arzneimittel zur Gewichtsreduktion ein lukrativer Markt sind.“

Dr. Til Uebel, Sprecher der AG Diabetes in der DEGAM, ergänzt: „Natürlich
beraten wir als Allgemeinärzte unsere Patienten mit einem hohen BMI auch
zu den neuen medikamentösen Abnehm-Optionen. Gleichzeitig ist es wichtig,
den Patienten klarzumachen, dass die Mittel dauerhaft eingenommen werden
müssen und natürlich, wie alle Medikamente, Nebenwirklungen haben.“

Die Nutzung dieser Substanzen (müssen meist gespritzt werden) zur
ausschließlichen Gewichtsreduktion wirft also nicht nur Fragen nach der
Patientensicherheit auf (mögliche Nebenwirkungen), sondern auch nach der
sozialen Dimension dieser Entwicklung. „Wir müssen sehr aufpassen, dass
wir nicht in eine Situation geraten, in der Übergewicht als etwas
angesehen wird, dass – die richtige Medikation vorausgesetzt – heute nicht
mehr sein muss“, mahnt Til Uebel.

Diese Medikation ist darüber hinaus ein kostspieliges Unterfangen: Die
Kosten für die Abnehm-Pillen werden als „Lifestyle-Medikamente“ nicht von
der Krankenkasse bezahlt. Die Kosten in Höhe von rund 12.000 Euro – auf
einen 10-Jahreszeitraum betrachtet – tragen die Patientinnen und Patienten
also privat. Trotzdem steigt die Nachfrage auch bei (jungen) Menschen, die
nicht sehr oder gar nicht adipös sind. „Es darf keine Normalität werden,
dass Patienten, die vielleicht gar nicht stark übergewichtig sind, unter
Druck geraten, die Medikamente zu nehmen, um einem gesellschaftlichen
Idealbild um jeden Preis zu entsprechen“, so Martin Scherer.

Hinweis zu möglicher Alternative:

Für Phasen, in denen es Engpässe für die Diabetes-Arzneimittel gibt, weist
die DEGAM abschließend darauf hin, dass die gültigen
Leitlinienempfehlungen besagen, dass bei Patientinnen und Patienten, bei
denen Metformin als Basis-Medikation nicht ausreicht oder nicht vertragen
wird, mit dem etablierten Medikament Glibenclamid eine wirksame und
preiswerte Therapie als Alternative zu Inkretinmimetika zur Verfügung
steht.