Weltweit massive Zunahme der Schlaganfall-Last – DGN fordert zum Weltschlaganfalltag verbesserte Präventionsmaßnahmen
Die globale Krankheitslast durch Schlaganfälle wird bis 2050 um bis zu 50
% ansteigen – so die alarmierende Prognose der WSO („World Stroke
Organisation“) - Lancet Neurology Commission [1]. In Europa scheint es
durch die zunehmend flächendeckenden Versorgungsstrukturen zu einer
Stagnation und in Deutschland sogar zu einer rückläufigen Tendenz zu
kommen. Dennoch muss, da weltweit (auch in „high-income-countries“) die
altersstandardisierte Schlaganfall-Inzidenz in jüngeren Altersgruppen <55
Jahren zunimmt, die Prävention unbedingt einen höheren Stellenwert
erhalten – fordert die DGN zum Weltschlaganfalltag am 29. Oktober.
Schlaganfälle sind weltweit die zweithäufigste Todesursache,
dritthäufigste Ursache für Behinderung und eine der häufigsten Ursachen
für Demenz. Zu den globalen Nachhaltigkeitszielen der WHO Agenda 2030
gehört die Verringerung der globalen Krankheitslast durch Schlaganfälle,
d. h. der Zahl der Menschen, die an Schlaganfällen sterben oder danach
eine Behinderung aufweisen. Kurz vor dem Welt-Schlaganfalltag erschien nun
eine Studie der „Lancet Neurology Commission“, die jedoch eine
ernüchternde Prognose abgibt – sie besagt, dass bis 2050 weltweit die
absolute Zahl der Menschen, die an Schlaganfällen sterben, um 50 % steigen
wird: von 6,6 Millionen im Jahr 2020 auf 9,7 Millionen im Jahr 2050. Da
nicht alle Betroffenen versterben, wird auch die Belastung durch
Behinderung (DALYs/„disability-adjusted life-years“) im gleichen Zeitraum
zunehmen – um 31 % von 144,8 auf 189,3 Millionen. Die Prognosen zur
globalen Schlaganfall-Last basieren auf Schätzungen von Mortalität,
Inzidenz und Prävalenz; wichtige Faktoren bei der Prognose sind auch
Alterung und Wachstum der Bevölkerung.
Die absolute Zahl der Menschen, die von einem Schlaganfall betroffen sind,
hat sich in den letzten drei Jahrzehnten fast verdoppelt. Der größte Teil
der aktuellen Schlaganfall-Last entfällt dabei auf Länder mit niedrigem
und mittlerem Einkommen, nämlich 86% der weltweiten Schlaganfall-
Todesfälle und 89% der weltweiten Schlaganfall-DALYs im Jahr 2020. Bis
2050 werden dort die schlaganfallbedingten Todesfälle von 5,70 auf 8,81
Millionen steigen (und die DALYs von 128,81 auf 173,68 Millionen). Dagegen
ist in Ländern mit hohem Einkommen kein Anstieg, sondern eine rückläufige
Tendenz der Schlaganfall-Last zu erwarten, von weltweit 920.000 auf
910.000 Todesfälle (und von 15,95 auf 15,56 Millionen DALYs) – was die
Kluft zwischen armen und reichen Ländern weiter vergrößern wird. Parallel
zur steigenden globalen Schlaganfall-Last ist ein dadurch verursachter
Kostenanstieg zu erwarten. Die geschätzten direkten (d. h. Behandlung und
Rehabilitation) und indirekten (Produktivitätsverlust) durch Schlaganfälle
verursachten Kosten beliefen sich 2017 weltweit auf über 891 Milliarden
US-Dollar; sie werden bis 2050 auf 2,31 Billionen US-Dollar/Jahr steigen.
Die Analysen deuten darauf hin, so die Kommission, dass unzureichende
Versorgungsstrukturen und ein ungleicher Zugang zu hochwertigen
Präventions-, Akut- und Rehabilitationsmaßnahmen eine große Rolle spielen
– weltweit, jedoch insbesondere in „low income“-Ländern. Besonders
besorgniserregend sei, so die Kommission, dass die altersstandardisierte
Schlaganfallinzidenz weltweit in armen wie auch in reichen Ländern bei
Menschen unter 55 Jahren zunimmt (die Altersstandardisierung dient dem
Vergleich von Krankheitsraten unter Berücksichtigung von Unterschieden der
Altersstrukturen). Diese Zunahme stimme mit dem Prävalenzanstieg von
Diabetes mellitus und Übergewicht in jüngeren Altersgruppen überein.
Vorgeschlagene Lösungen zur Senkung der globalen Schlaganfall-Last
umfassen die Verbesserung des weltweiten Monitorings der
Schlaganfalldaten, z. B. mit nationalen Schlaganfallregistern (derzeit nur
in 31 der 216 WHO-Mitgliedsländer vorhanden). Eine ideale Überwachung, wie
sie die WHO empfiehlt, umfasst landesweit repräsentative Indikatoren der
Schlaganfall-Last, also Daten zur Inzidenz, Prävalenz, Rückfallraten und
den Folgen (Mortalität, Behinderung) sowie zur Qualität der Versorgung von
Schlaganfällen und darüber, ob Risikofaktoren vorlagen. Register dienen
als Basis für die Verbesserung des Schlaganfallmanagements und es können
davon ausgehend Strategien zur Reduzierung der Schlaganfallbelastung
entwickelt werden. Deutschland ist hier relativ gut aufgestellt: 1999
wurde von der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft, der Deutschen
Gesellschaft für Neurologie und der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe
die ADSR (Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Schlaganfall-Register) [2]
gegründet, die 20 evidenzbasierte Qualitätsindikatoren definiert hat und
jedes Jahr ca. 300.000 Datensätze standardisiert auswertet.
Der zweite Ansatz zur Senkung der Schlaganfalllast ist die Stärkung und
Verbesserung der Prävention. Zu den wichtigsten modifizierbaren
Schlaganfall-Risikofaktoren gehören Bluthochdruck, Diabetes mellitus,
Vorhofflimmern, Übergewicht, erhöhte Blutfette und eine ungesunde
Lebensweise (schlechte Ernährung, Bewegungsmangel, Stress, Rauchen,
Drogen/Alkohol), aber auch psychosoziale Faktoren und Umweltfaktoren wie
z.B. Luftverschmutzung. Beispielsweise kann auf Bevölkerungsebene eine
Senkung des systolischen Blutdrucks um nur 2 mm Hg zu einem Rückgang der
Schlaganfallneuerkrankungsrate um etwa 10–24 % führen. Nach Ansicht der
Lancet-Kommission müssten Gesundheitsbewusstsein und -kompetenz der
Bevölkerung verbessert werden; Schwerpunkt präventiver Strategien müsse
demnach eine Änderung des Lebensstils bilden. Ein individuelles
Risikoscreening mit Hilfe digitaler Technologien könne sensibilisieren.
Nach Ansicht der Kommission müsste ein fester Anteil des jährlichen
Gesundheitsbudgets für die Schlaganfallprävention bereitgestellt werden.
„Angesichts der Ergebnisse dieser Erhebung unterstützt die Deutsche
Gesellschaft für Neurologie zum Weltschlaganfalltag die politische
Forderung zur Verbesserung der Schlaganfallprävention weltweit“, so Prof.
Dr. med. Peter Berlit, Pressesprecher der DGN. „Obwohl wir in Deutschland
im weltweiten Vergleich, insbesondere bei der akuten
Schlaganfallversorgung, sehr gut dastehen, ist auch bei uns im Bereich der
Prävention noch viel Raum für Verbesserungen. Gemeinsam mit der Deutschen
Hirnstiftung leisten wir hier gerne unseren Beitrag zur Information der
Bevölkerung.“
[1] Feigin VL, Owolabi MO; World Stroke Organization–Lancet Neurology
Commission Stroke Collaboration Group. Pragmatic solutions to reduce the
global burden of stroke: a World Stroke Organization-Lancet Neurology
Commission. Lancet Neurol. 2023 Oct 6:S1474-4422(23)00277-6. doi:
10.1016/S1474-4422(23)00277-6. Epub ahead of print. PMID: 37827183.
https://doi.org/10.1016/S1474-
[2] https://www.schlaganfallregist