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Entwicklungshilfe zur Reduktion von Migration: kostspielig und teils ineffektiv

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Entwicklungshilfe ist weitgehend ineffektiv bei der Reduzierung
irregulärer Migration. Eine neue umfassende Studie des Kiel Instituts für
Weltwirtschaft (IfW Kiel) kommt zu dem Ergebnis, dass Entwicklungshilfe
die Zahl der Asylsuchenden nur vorübergehend senken kann – in den
instabilsten Ländern wirkt sie zu diesem Zweck überhaupt nicht. Im Laufe
der Zeit führt Entwicklungshilfe zu einem Anstieg regulärer Migration, zu
der Arbeits-, Studien- und Familienmigration gehören.

„Da die Flüchtlingszahlen stark steigen, stehen europäische und
amerikanische Politikschaffende unter Druck, Lösungen zu finden, um die
Zahl der Flüchtlinge und anderer Asylsuchender zu begrenzen. Fast täglich
werden neue Vorschläge zur Eindämmung irregulärer Migration diskutiert. Ob
sie wirksam sind, ist oft unklar, da Belege fehlen“, sagt Moritz
Schularick, Präsident des IfW Kiel. „Aus diesem Grund haben unsere
Forscher den Einfluss von Entwicklungshilfe auf Migration mit neuen und
außergewöhnlich detaillierten Daten erneut untersucht – und dabei eine der
sehr häufig in der Politik vertretenen Annahmen widerlegt.“

Hilfe bremst irreguläre Migration nur temporär, erhöht reguläre Migration

Die Studie (Fuchs et al., 2023) verwendet national repräsentative Umfragen
des Gallup World Poll. Die Umfrage deckt fast eine Million Menschen in 106
Ländern ab und wurde mit regional zugeordneten Daten zur Zuweisung von
Weltbank-Hilfsprojekten zwischen 2008 und 2019 verbunden. Das ermöglicht
eine beispiellos detaillierte Untersuchung. Auswirkungen von
Entwicklungshilfe lassen sich so einzeln mit Blick auf verschiedene
Aspekte der Migration auswerten: auf die Migrationsambitionen,
-fähigkeiten und tatsächlichen Migrationsmuster der Menschen.

In den vergangenen Jahren haben Europa und die USA Milliarden an Euros und
Dollars für Entwicklungshilfe ausgegeben, um die Migration aus ärmeren
Ländern zu bremsen. Die Idee ist einfach: Entwicklungshilfe soll die
Ursachen irregulärer Migration in den Herkunftsländern verringern wie
Armut, mangelnde Chancen und Unsicherheit. Mit besseren Lebensbedingungen
vor Ort würde die Auswanderung weniger attraktiv, so die Annahme.

Entgegen eines scheinbaren Konsens unter politisch Verantwortlichen in den
wohlhabenderen Ländern stellen die Autoren der Studie fest, dass sich
Migrationsbewegungen durch Entwicklungshilfeprojekte allenfalls kurzzeitig
verringern. Weltweit senkten die Hilfszahlungen die Migration von
Asylsuchenden. Im Falle eines durchschnittlichen Herkunftslands und der
durchschnittlichen jährlichen Entwicklungshilfezahlung von 130 Millionen
US-Dollar finden wir in den folgenden zwei Jahren eine Reduktion der Zahl
der Asyl-Erstanträge um je 8 Prozent. Dieser dämpfende Effekt verschwindet
jedoch bereits nach zwei Jahren. Darüber hinaus ist die Entwicklungshilfe
in Subsahara-Afrika zu diesem Zweck unwirksam und senkt die Zahl der
Asylsuchenden gar nicht.

Längerfristig betrachtet kann Entwicklungshilfe, sofern sie wichtige
Migrationsursachen wie den Lebensstandard und das Einkommen der Menschen
erhöht, Migrationsmöglichkeiten vergrößern, da mehr Menschen die damit
verbundenen Kosten tragen können. Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist,
dass sich dies – entgegen den Erwartungen – im globalen Mittel nicht in
höheren Zahlen von Asylsuchenden niederschlägt. Stattdessen nimmt zwei bis
drei Jahre nach den Zahlungen die reguläre Migration zu, da mehr Menschen
sicher, mit Arbeitsvisum, fürs Studium oder die Familienzusammenführung
migrieren können.

Kein Allheilmittel für irreguläre Migration

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass nur eine unrealistisch starke
Erhöhung der Entwicklungshilfe einen Großteil der irregulären Migration
verhindern würde. Die Wirkung der Entwicklungshilfe gegen irreguläre
Migration ist daher nicht das Allheilmittel, wie es politische
Entscheidungsträger oft darstellen oder sich erhoffen, und sollte nicht
überschätzt werden.

„Das Problem ist komplex – und erfordert daher einen umfassenden,
mehrschichtigen Ansatz“, sagt Tobias Heidland, Leiter des
Forschungszentrums „Internationale Entwicklung“ und Mitautor der Studie.
„Man kann versuchen, irreguläre Migration mit Entwicklungshilfe
einzudämmen, aber man muss realistisch hinsichtlich der Wirksamkeit sein.
Entwicklungshilfe ist nicht die Lösung. Zäune zu bauen und Grenzen zu
überwachen wird irreguläre Migration ebenfalls nicht vollständig stoppen –
insbesondere angesichts der Situation am Mittelmeer.

Wir müssen mehr Flüchtlingsschutz in der Nähe von Konfliktzonen bieten und
gleichzeitig die Anreize für irreguläre Migration senken. Stattdessen
sollten wir dafür mehr legale Kanäle öffnen. Die wissenschaftliche Evidenz
zeigt, dass viele der derzeit eingesetzten Mittel nicht sehr wirksam sind.
Wir brauchen ein Bewusstsein für evidenzbasierte Politik mit
kosteneffektiven, kombinierten Ansätzen, um eine maximale Wirkung zu
erzielen, anstatt Werkzeuge isoliert einzusetzen.

Das primäre Ziel der Entwicklungshilfe ist die Förderung nachhaltiger
Entwicklung und die Reduzierung der Armut in den Empfängerländern –
unabhängig von indirekten Auswirkungen auf die Migration. Wenn sie auch
irreguläre Migration bremst, indem sie einige der Ursachen der Migration
reduziert, ist das großartig, aber es sollte nicht das Hauptmotiv für
Entwicklungshilfe sein.“

Jetzt lesen:

- Wirtschaftspolitischer Beitrag  „Does Foreign Aid Reduce Migration?“
(https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/reduziert-entwicklungshilfe-
migration-32084
)

- Forschungspapier „The Effect of Foreign Aid on Migration: Global Micro-
Evidence from World Bank Projects“ (https://www.ifw-kiel.de/publications
/the-effect-of-foreign-aid-on-migration-global-micro-evidence-from-world-
bank-projects-32087/
)