Leitlinienempfehlungen zur invasiven Behandlung von Patient:innen mit koronarer Herzerkrankung und Hauptstammstenose
Europäische Fachgesellschaften für Herzchirurgie (EACTS) und Kardiologie
(ESC) verabschieden eine aktuelle Bewertung der Leitlinienempfehlungen zur
invasiven Behandlung von Patient:innen mit koronarer Herzerkrankung und
Hauptstammstenose.
Das Herzkranzgefäßsystem besteht aus drei großen Arterien, von denen zwei
aus der linken Herzkranzarterie, dem sogenannten Hauptstamm, entspringen.
Durch den Hauptstamm werden mehr als 60 Prozent des Blutes zum Herzen
transportiert. Daher hat dieser für die Sauerstoffversorgung des
Herzmuskels eine entscheidende Bedeutung. Eine Verengung führt in Folge zu
einer Minderversorgung des Herzmuskels: Bei der koronaren Herzerkrankung
(KHK) führen arteriosklerotische Veränderungen in den Herzkranzgefäßen
(sog. Plaques) zu Verengungen der Blutstrombahn. Unter körperlicher
Belastung reicht der Blutfluss dann nicht mehr aus, und betroffene
Menschen verspüren in Folge Symptome einer Brustenge (Angina pectoris)
oder auch Luftnot. Wenn die arteriosklerotischen Plaques aufbrechen
(rupturieren) und Blutgerinnsel bilden, kann es zu einem akuten
Gefäßverschluss kommen. Dies ist der häufigste Mechanismus für das
Entstehen eines akuten Herzinfarktes.
In diesem Falle ist vor allem die Wiederherstellung der Durchblutung des
Herzmuskelgewebes hinter dem Gefäßverschluss – entweder durch
Wiedereröffnung mittels Intervention (Stentimplantation bei PCI) oder auch
die Überbrückung des Gefäßverschlusses durch eine aorto-koronare
Bypassoperation (ACB) – aktuell die Therapie der Wahl.
Bei Vorliegen einer chronischen KHK besteht die Wirkung von Bypass oder
Stent nicht nur in der Linderung der Beschwerden, sondern dient
insbesondere auch der Prävention zukünftiger Herzinfarkte. Da besonders
bei komplexer KHK (d.h., Plaques in mehreren Gefäßen) die Bypassoperation
das Risiko zukünftiger Herzinfarkte deutlicher reduziert als die
Behandlung durch eine PCI, ist diese bei Patient:innen mit
Hauptstammstenose der Stentimplantation überlegen.
Die von der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie
e.V. (DGTHG) und der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und
Kreislaufforschung e.V. (DGK) gemeinsam erstellten Leitlinien* geben
hierfür Handlungsempfehlungen.
Aufgrund unterschiedlicher Darstellungen von wissenschaftlichen
Ergebnissen in der sog. EXCEL Studie war es vor einiger Zeit zu einem
öffentlichen Diskurs der europäischen Fachgesellschaften für Kardiologie
und Herzchirurgie bezüglich der Interpretation der Daten bei Vorliegen
einer sogenannten Hauptstammstenose gekommen.
Die EXCEL Studie zeigte einen signifikanten Überlebensvorteil für
Patient:innen, die eine Bypass-Operation erhielten gegenüber denen, die
eine Stentimplantation bekamen. Dieser Vorteil wurde in den Leitlinien
jedoch nicht angemessen berücksichtigt. Zur genauen Klärung wurde eine
neutrale Analyse aller verfügbaren Daten aus insgesamt vier verschiedenen
Studien durchgeführt, die die Überlegenheit der Bypassoperation gegenüber
der PCI zwar nicht im Gesamtüberleben, allerdings ein deutlich geringeres
Risiko bypassoperierter Patienten für einen zukünftigen Herzinfarkt
nachwies. Diese und weitere Erkenntnisse aus den letzten Jahren führten zu
einer Aktualisierung (Guideline-Review) der Leitlinien-Empfehlungen aus
dem Jahr 2018 für die Behandlung der Hauptstammstenose bei Patient:innen
mit niedrigem Risiko für beide Verfahren:
Nach dem aktuellen Konsens erhält die koronare Bypassoperation nun die
höchste Empfehlung (Klasse IA), und die Stentimplantation die zweithöchste
(Klasse IIA). Ergänzende Tabellen bilden zudem spezifisch ab, wann welches
Verfahren bevorzugt zum Einsatz kommen sollte. Prinzipiell sollte das zu
erwartende Langzeitergebnis besonders betrachtet werden. Nach Angabe der
DGTHG ist es daher wichtig zu beachten, dass das kurzfristige
Sterblichkeitsrisiko (sog. 30-Tage Sterblichkeit) bei beiden Verfahren
trotz der Unterschiede in der Invasivität gleich niedrig ist. Der Konsens
der beiden Fachgesellschaften betont zudem die gemeinsame
Entscheidungsfindung im sogenannten Herzteam für alle betroffenen
Patient:innen. Dies unterstreicht erneut die Notwendigkeit
patientenindividueller Therapieempfehlungen.
*2022 Joint ESC/EACTS review of the 2018 guideline recommendations on the
revascularization of left main coronary artery disease in p