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SVR zu sicheren Herkunftsländern: Erweiterung der Liste, aber mit mehr Transparenz

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Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) unterstützt
grundsätzlich die Idee, Asylmigration von anderen
Zuwanderungsmöglichkeiten zu entkoppeln. So kann die Listung eines Staates
als sicheres Herkunftsland steuerungspolitisch gesehen sinnvoll sein. Wo
Restriktionen gelten, braucht es jedoch auch öffnende Elemente – zum
Beispiel in Form von regulären Zuwanderungswegen; hier hat die jüngste
Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes neue Optionen geschaffen.
Bei der Entscheidung, auf welcher Grundlage Staaten als sicheres
Herkunftsland eingestuft werden, mahnt der SVR mehr Transparenz an.

„Die Einstufung eines Staates als sicheres Herkunftsland ist eine
asylpolitische Maßnahme, die durchaus erfolgversprechend sein kann:
Menschen aus Staaten mit sehr niedrigen Anerkennungsquoten sollen von
einem aussichtslosen Asylantrag abgehalten und die Verfahren beschleunigt
werden. Es gilt, sie frühzeitig darüber zu informieren, dass sich eine
irreguläre Einreise nach Deutschland – eine oftmals gefährliche und
kostspielige Unternehmung – nicht lohnt. Ob das Asylsystem auf diese Weise
entlastet werden kann, hängt aber von den Rahmenbedingungen ab“, erläutert
Prof. Dr. Hans Vorländer, Vorsitzender des SVR.

Nach den Plänen der Bundesregierung, die heute im Bundestag zur Beratung
anstehen, sollen Georgien und die Republik Moldau zu sicheren
Herkunftsländern erklärt werden. Grundlage dafür ist etwa die äußerst
geringe Schutzquote von jeweils 0,1 Prozent für Asylantragstellende aus
den beiden Ländern. Der Asylantrag von Personen aus sicheren
Herkunftsländern kann, sofern keine asylrelevanten Tatsachen vorgetragen
werden, im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens als offensichtlich
unbegründet abgelehnt werden; es folgt die unmittelbare Ausreisepflicht.
„Damit ein steuernder Effekt eintreten kann, müssen abgelehnte
Asylbewerberinnen und -bewerber zügig und wirksam zurückgeführt werden.
Dabei müssen menschen- und asylrechtliche Standards gewahrt bleiben“, so
Prof. Vorländer.

Um mit einer entsprechenden Listung einen positiven Steuerungseffekt zu
erzielen, müssen laut SVR jedoch auch Angebote gemacht werden. „Wo
Restriktionen gelten, braucht es gleichzeitig öffnende Elemente, zumal
beide Länder EU-Beitrittskandidaten sind“, ergänzt der SVR-Vorsitzende. Im
Falle von Georgien und der Republik Moldau gibt es schon etliche
Regelungen, die Mobilität ermöglichen: Staatsangehörige der beiden Länder
können im Rahmen eines Schengen-Visums nach Deutschland reisen. Im Bereich
der Erwerbsmigration eröffnet zudem das im Sommer novellierte
Fachkräfteeinwanderungsgesetz neue Chancen. So müssen Fachkräfte mit
ausländischem Abschluss nicht mehr nachweisen, dass ihre Qualifikation
deutschen Standards entspricht – auch Arbeitskräfte ohne anerkannte
Qualifikationen haben jetzt die Möglichkeit, zur Arbeitssuche oder
Arbeitsaufnahme nach Deutschland zu kommen. Menschen aus sicheren
Herkunftsländern, die aus Erwerbsgründen migrieren wollen, sollten hier
entsprechend beraten werden. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass
Georgien und die Republik Moldau aufgrund ihres eigenen Fachkräftebedarfs
derzeit kein Interesse an expliziten Migrationsabkommen mit
Öffnungsklauseln für ihre Staatsangehörigen haben. „Daher sollte der
Eindruck vermieden werden, dass Deutschland hier aktiv anwirbt“, so Prof.
Vorländer.

Zugleich betont der Sachverständigenrat, dass Menschen aus einem sicheren
Herkunftsland weiterhin das Recht haben, in einem Asylverfahren angehört
zu werden. „Wer politisch verfolgt wird, bleibt schutzberechtigt“, sagt
Prof. Vorländer. „In der Praxis gilt aber für Menschen aus
Herkunftsländern, die als sicher eingestuft werden, die sogenannte
Regelvermutung, dass keine Verfolgungsgefahr besteht. Sie müssen daher im
Verfahren selbst darlegen, dass das anders ist. Schutzbedürftige Menschen
aus sicheren Herkunftsländern brauchen deshalb einen verlässlichen Zugang
zu einer unabhängigen Rechtsberatung.“

In punkto Transparenz meldet der SVR Bedenken an. Auf welcher
Entscheidungsgrundlage ein Staat von der Bundesregierung als sicheres
Herkunftsland eingestuft wird, sei bislang zu wenig nachvollziehbar. „Es
wird nicht offengelegt, wie eine Länderbeurteilung zustande kommt, welche
Ereignisse, Daten oder Informationen in die Beurteilung einfließen und wie
diese jeweils gewichtet werden“, erläutert Prof. Dr. Winfried Kluth,
Mitglied im Sachverständigenrat. „Das ist auch aus juristischen
Gesichtspunkten problematisch. Ein Gericht, das nicht weiß, wie eine
Beschlussfassung zustande gekommen ist, kann darauf nicht zurückgreifen;
im Zweifel prüft es stattdessen erneut. Das ist aufwändig und verlangsamt
Prozesse in unserer ohnehin schon überlasteten Justiz“, so Prof. Kluth.

Um mehr Transparenz zu erreichen, könnte etwa eine unabhängige Stelle beim
Bundesverwaltungsgericht geschaffen werden, die entsprechende Grundlagen
für die Einschätzung von Gerichten bundesweit zur Verfügung stellt. Zudem
sollte das Parlament in geeigneter Weise Einsicht in die
Beurteilungsunterlagen erhalten, die der Entscheidung der Bundesregierung
bei der Einstufung von Herkunftsstaaten als sicher zugrunde liegen, zum
Beispiel im Rahmen des Auswärtigen Ausschusses. Dessen Beratungen sind
grundsätzlich nichtöffentlich, ein gewisser Geheimhaltungsschutz ist somit
bei der Behandlung hochsensibler Daten vorauszusetzen. Auch ein
Zusammenwirken des Auswärtigen Ausschusses und des Ausschusses für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist denkbar; ihnen wären die
nationalen und europäischen Lageberichte zugänglich zu machen, auf die
bisher nur behördlich zugegriffen werden kann.

Der SVR erinnert ferner an die Verankerung des Konzepts sicherer
Herkunftsländer im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). Ein 2016
veröffentlichter Vorschlag der EU-Kommission für eine europäische Liste
sicherer Herkunftsstaaten fand damals keine Zustimmung. „Im Kontext der
aktuell diskutierten EU-Asylreform sollte das Ziel einer verbindlichen
gemeinsamen Liste sicherer Herkunftsländer weiterverfolgt werden. Wenn
Asylverfahren harmonisiert und die Solidarität der Mitgliedstaaten
untereinander gefördert werden soll, macht es langfristig wenig Sinn, hier
an nationalen Listen festzuhalten“, erläutert der SVR-Vorsitzende Prof.
Vorländer. „Die regelmäßige Aktualisierung einer solchen Liste ist
angesichts der vielen innen- wie außenpolitischen Dynamiken, die wir
beobachten, wichtig. Insbesondere bei Regimewechseln oder nach dem
Aufbrechen gewaltsamer inner- oder zwischenstaatlicher Konflikte muss die
Einstufung zum sicheren Herkunftsland überprüft werden. Dies würde die
Transparenz und Legitimation des Instruments stärken.“

Als sicheres Herkunftsland definiert das Grundgesetz (Art. 16a Abs. 3 GG)
solche Länder, in denen grundsätzlich keine staatliche Verfolgung zu
befürchten ist und die jeweilige Staatsgewalt vor nichtstaatlicher
Verfolgung schützen kann. Aufgrund des demokratischen Systems und der
allgemeinen politischen Lage sowie vorhandenen und zugänglichen Rechts-
und Verwaltungsvorschriften zum Schutz der Bevölkerung gilt die
Regelvermutung, dass keine Verfolgungsgefahr vorliegt. Diese Vermutung
kann jedoch durch das Vortragen asylrelevanter Tatsachen grundsätzlich
widerlegt werden. Sichere Herkunftsstaaten sind nach deutschem Recht neben
den Mitgliedstaaten der Europäischen Union derzeit auch die
Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo,
Nordmazedonien, Montenegro, Serbien, sowie Ghana und Senegal.

Über den Sachverständigenrat
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges
und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen
Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung
bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen
sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und
Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Hans Vorländer (Vorsitzender), Prof.
Dr. Birgit Leyendecker (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva
Engin, Prof. Dr. Birgit Glorius, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr.
Winfried Kluth, Prof. Dr. Steffen Mau, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof.
Dr. Sieglinde Rosenberger.

Originalpublikation:
https://www.svr-migration.de/wp-content/uploads/2023/10/SVR-
Presseinformation_Sichere-Herkunftsstaaten.pdf