Schnappschüsse von zuckenden Molekülen
Mit ultrakurzen Lichtimpulsen macht der Berliner Experimentalphysiker
Thomas Elsässer winzige Bewegungen der Materie sichtbar. Was er mit seinem
Team erforscht, ist von großem praktischem Nutzen für die Entwicklung
neuer Werkstoffe, für Medizin und Biologie – und für ein schnelles,
stabiles Internet.
Lange war es nur eine Vision, heute ist es möglich: Elektronenbewegungen
in Festkörpern oder auch die Abläufe chemischer Reaktionen in Echtzeit zu
verfolgen. Dafür erzeugen Wissenschaftler ultrakurze und ultraintensive
Lichtimpulse und untersuchen deren Wechselwirkung mit Materie. So können
sie extrem schnell ablaufende Prozesse in Atomen und Molekülen abbilden
und genau untersuchen.
Doch es geht nicht nur ums Beobachten: „Mit maßgeschneiderten ultrakurzen
Lichtimpulsen können wir Prozesse auch gezielt steuern, um beispielsweise
chemische Reaktionen zu optimieren“, sagt Professor Thomas Elsässer,
Direktor am Berliner Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und
Kurzzeitspektroskopie. Der renommierte Experimentalphysiker vertritt das
Fach Physik in der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ)
und berichtet auf der deren Website über seine Forschungsprojekte und
Zukunftspläne.
Wenn Thomas Elsässer von ultrakurzen und ultraintensiven Lichtimpulsen
spricht, meint er in Lasern erzeugte Lichtblitze von wenigen Femtosekunden
Dauer, in denen eine Leistung von mehreren Millionen Megawatt konzentriert
ist. Eine Femtosekunde entspricht einem Milliardstel einer Millionstel
Sekunde. Für Laser dieser Art gibt es viele Anwendungen im technischen und
medizinischen Bereich und es kommen laufend neue hinzu. Elsässer: „Ein
Beispiel ist das Internet, dessen Hauptstrang derzeit aus Glasfaserkabeln
besteht. Dort werden riesige Datenmengen mit Lichtimpulsen im
Pikosekundenbereich – eine Pikosekunde ist ein Millionstel einer
Millionstel Sekunde – übertragen.“ In der Medizin trage die Forschung auf
seinem Gebiet zu immer genaueren Bildgebungsverfahren und Lasertherapien
bei, etwa für das Netzhautschweißen in der Augenheilkunde.
Aktuell konzentriert sich die Arbeitsgruppe von Thomas Elsässer auf das
Projekt BIOVIB, für das er 2019 seinen zweiten ERC-Grant mit einer
Fördersumme von 2,5 Millionen Euro erhalten hat. Im Rahmen von BIOVIB
versuchen die Wissenschaftler, dynamische elektrische Wechselwirkungen in
biologischen Makromolekülen aufzuklären. Im Fokus steht dabei die
Transfer-RNA oder kurz: tRNA, die in Körperzellen maßgeblich zur
Herstellung von Proteinen beiträgt. Elsässer: „Die Struktur der tRNA wird
durch elektrische Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung stabilisiert, und
das möchten wir im Detail verstehen. Wenn wir hier die richtigen
Ansatzpunkte finden, sind auch gezielte Veränderungen im Sinne eines
Moleceular Engineering denkbar.“
In Berlin, wo Thomas Elsässer seit Anfang der 1990er-Jahre forscht, habe
er viel Unterstützung bekommen, sagt Elsässer. Wissenschaftlich genieße er
alle Freiheiten, die Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen in
der Region sei hervorragend und die Grundfinananzierung durch Bund und
Land gut. „Was uns jedoch Probleme bereitet, ist die zunehmende
Regelungsdichte in Forschung und Verwaltung und die Mittelknappheit an den
Berliner Unis, die sehr wichtige Partner für uns sind“, kritisiert der
Forschungsmanager.
Er blicke gern über den fachlichen Tellerrand hinaus, sagt Elsässer. An
der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften setzt er sich uns
mit Wissenschaftsfreiheit und Cancel Culture im akademischen Bereich
auseinander, also mit dem Trend zum Ausschluss von Wissenschaftlern mit
abweichenden Meinungen. In der GDNÄ will er junge Leute noch stärker
einbeziehen: „Die jetzt schon hervorragenden Programme für Schülerinnen
und Schüler können wir sicher noch weiter ausbauen. Zum Beispiel mit
kostenfreien Zoom-Vorträgen für junge Leute – daran würde ich mich sofort
beteiligen.“
Zur Person
Prof. Dr. Thomas Elsässer ist Direktor am Max-Born-Institut für
Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie in Berlin-Adlershof und
Professor für Experimentalphysik an der Humboldt-Universität. Nach Berlin
kam er im Jahr 1993, als Adlershof noch „wie eine Sandwüste mit DDR-
Gebäuden aussah“, erinnert sich der gebürtige Tübinger im Interview. Er
hatte sich bewusst für die Pionierarbeit im Berliner Südosten entschieden
und Rufe an die Universitäten Zürich und Stuttgart abgelehnt. Im Jahr 1991
hatte Thomas Elsässer sich habilitiert – an der Technischen Universität
München, wo er nach dem Physik-Diplom mit einer Arbeit im Bereich der
Pikosekunden-Spektroskopie promoviert und einige Jahre geforscht hatte.
1990 verbrachte er als Postdoc an den berühmten Bell-Labs in New Jersey.
Der heute 63-jährige Wissenschaftler erhielt viele Preise und
Auszeichnungen, darunter zwei der begehrten Advanced Grants des European
Research Council (ERC) in den Jahren 2009 und 2019. 2013 lehnte Thomas
Elsässer ein Angebot aus Stanford ab. Er ist Mitglied der Berlin-
Brandenburgischen Akademie. In der GDNÄ engagiert er sich seit 2014 als
Fachvertreter Physik.
Über die GDNÄ
Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e. V. (GDNÄ) ist die
einzige wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland, die breit über die
naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen
hinweg allen an ihrer Zielsetzung Interessierten, auch Schülern, Studenten
und naturwissenschaftlichen Laien für eine Mitgliedschaft offensteht.
Insofern ergänzt und bereichert die GDNÄ die von Akademien und
Fachgesellschaften geprägte Landschaft wissenschaftlicher Gesellschaften
in Deutschland.
Wichtige Ziele der GDNÄ sind:
Förderung des wissenschaftlichen Austauschs über die Grenzen der
naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Fachdisziplinen
hinweg.
Vermittlung von Faszination und Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnis
gegenüber einer informierten Öffentlichkeit und besonders auch jungen
Menschen.