„Musik war in den Weltreligionen durchaus umstritten“
Neue Reihe „Musik und Religion“ des Exzellenzclusters mit Vorträgen und
Konzerten – Liederabend mit dem renommierten Bariton Benjamin Appl,
orthodoxe Vesper und Konzert mit Islam-Musik – Forscher untersuchen
religiöse Musik von der Antike bis heute
Die Musik hat in den Weltreligionen von der Antike bis heute
Wissenschaftlern zufolge eine zentrale, aber auch umstrittene Rolle
gespielt. „In Ritualen dienten die verschiedensten Arten der Musik dem
Gebet, dem Bekenntnis, der Gemeinschaft, dem religiösen Erleben und der
Glaubensreflexion. Vor allem konnte die Musik emotionalisieren – was
religiöse Gruppen oder Gelehrte zuweilen fürchteten und bekämpften, als
Konkurrenz zu ihren Glaubenssätzen“, sagt der Islamwissenschaftler Prof.
Dr. Thomas Bauer vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni
Münster. An der Art der Musik ließen sich oft religiöse Strömungen
erkennen: „In manchen Gemeinden des liberalen Judentums wird im
Gottesdienst die Orgel gespielt, was für orthodoxe nicht in Frage kommt.
Im Christentum wurde erst durch die Reformation das volkssprachliche
Kirchenlied zu einem zentralen Element des kirchlichen Ritus. Im Islam
prägen Musik und Tanz den Sufismus, fundamentalistische Strömungen dagegen
lehnen sie als unzulässige Neuerung ab.“ Der Kulturwissenschaftler
kündigte eine Ringvorlesung „Musik und Religion“ mit Vorträgen und
Konzerten an. Der erste Vortrag ist am 25. April.
Das Spektrum der interdisziplinären Ringvorlesung am Exzellenzcluster
„Religion und Politik“ reicht von der Musik in Judentum, Islam und
Hinduismus über die christliche Kirchenmusik bis zum Klavierlied des 19.
Jahrhunderts und der Popmusik der Gegenwart. Neben die Vorträge tritt das
Erleben: an einem Liederabend mit dem renommierten Bariton Benjamin Appl,
in einer orthodoxen Vesper und in einem Konzert mit Islam-Musik des
Ensembles Ayangil aus Istanbul. Der Eintritt ist frei. An den Vorträgen
beteiligt sind Musik-, Religions- und Islamwissenschaftler sowie Theologen
und Soziologen. Sie untersuchen das vielschichtige Verhältnis von Musik
und Religion seit der Antike bis heute, in Europa und Nordamerika, in
Indien und im Nahen Osten.
„Ebenso vielfältig wie die religiösen Traditionen sind ihre klanglichen
Elemente“, erläutert Musikwissenschaftler Dr. Dominik Höink. „Das reicht
vom einstimmigen Gesang wie der Gregorianik bis zu hochartifiziellen
mehrstimmigen Messkompositionen, vom Einsatz ritueller Instrumente, wie
den Zimbeln bei den Kopten, bis zu melodischen Koran- oder Psalmen-
Rezitationen im Islam oder Judentum.“ Auch im Hinduismus werden
Sakralliteraturen liturgisch gestaltet, so Religionswissenschaftlerin
Prof. Dr. Annette Wilke. „Sie werden auswendig gelernt, deklamiert,
gesungen, getanzt und aufgeführt. Die Texte werden so zum Ereignis und
schaffen gemeinsame Erfahrungsräume.“
Musik als Propagandainstrument
Jede Religion hat eine lange Musikgeschichte, wie Liturgiewissenschaftler
Clemens Leonhard ausführt, die nicht ohne Auseinandersetzungen verlief.
„Schon in der Antike diente Musik auch als Propagandainstrument. Etwa
komponierte der West-Syrer Jakob von Sarug (gestorben 521) hymnische
Texte, um die Gläubigen von den Lehren der ostsyrischen Tradition
wegzulocken, so beklagen es die ostsyrischen Zeitgenossen. Der Ostsyrer
Narsai von Nisibis komponierte dagegen Melodien zu aus seiner Sicht
korrekten Texten seiner Tradition.“ Im späteren 4. Jahrhundert versuchte
die Synode von Laodizäa, selbstgeschriebene Hymnen für die Liturgie zu
verbieten und nur die theologische Welt der Psalmen zuzulassen. „Doch
danach nahm die Produktion der Hymnen, die bis heute erhalten sind, erst
richtig Fahrt auf.“
Weitere historische Beispiele: Als im 15. Jahrhundert weltliche
Liedmelodien als Grundlage geistlicher Werke verwendet wurden, etwa in
Guillaume Dufays Missa Se la face ay pale, rief dies Kritiker wie den
Theologen und Musikgelehrten Conrad von Zabern auf den Plan, der 1474 in
„De mode bene cantandi“ für den Choral und gegen die weltlichen „cantus
firmi“ das Wort ergriff. Im 16. Jahrhundert dann, so Höink, befasste sich
das Trienter Konzil mit der Kirchenmusik und mahnte mehr Verständlichkeit
des Messtextes in mehrstimmigen Kompositionen an – und forderte den
Ausschluss „alles Lasziven und Unreinen“. Im 19. Jahrhundert lehnte der
Cäcilianismus, eine katholische kirchenmusikalische Restaurationsbewegung,
eine zu theatralisch gewordene Kirchenmusik ab und wollte zurück zum
Choralgesang ohne Instrumente.
„Nicht zuletzt war Musik auch ein wirkmächtiges Mittel zur Verbreitung
kirchenkritischer Positionen“, so Höink. „Dies führte so weit, dass sich
1868 die Römische Inquisition mit Giuseppe Verdis Oper Don Carlo
beschäftigte, da man die Sorge hatte, die Oper könne, so der Gutachter,
‚eine unsägliche Emotion, ein Ressentiment und einen Hass gegen die
Inquisition und ihre Diener hervorrufen’.“ Heute lassen sich Höink zufolge
regelrechte antireligiöse Motive in Pop, Hip-Hop und Heavy Metal finden.
„Andererseits nutzen christliche Gruppen dieselben musikalischen Genres
zur Verbreitung ihrer Überzeugungen, etwa die ‚Contemporary Christian
music‘ in den USA.“
Götter und Engel musizieren
Wie hoch die Religionen die Musik in der Geschichte wertschätzten, zeigen
viele bildliche Darstellungen und religiöse Texte, in denen gar die Götter
selbst oder auch Engel musizieren, sagt Thomas Bauer. Zum vielschichtigen
Verhältnis zu dieser Kunstgattung gehöre auch, dass Musik religiösen
Inhalts im Verlauf der Geschichte den Sakralraum verließ: „Ein frühes
Beispiel ist das deutsche Kunstlied des 19. Jahrhunderts, eine bürgerliche
Gattung, zunächst für das heimische Wohnzimmer, später für den
Konzertsaal.“ Die Lieder thematisieren nicht nur Liebe, Natur und
Schicksal, sondern auch Religiöses wie das Ave Maria von Schubert, die
Gellert-Lieder von Beethoven oder die Meditationen von Peter Cornelius
über das Vaterunser. Die Lieder und auch Messen wurden zunehmend im
säkularen Raum aufgeführt und erhielten so noch mehr Öffentlichkeit.
„Schließlich wird Musik in der Moderne bisweilen selbst zur Religion, der
Kunstgenuss zum Gebet und der säkulare Aufführungsort zum Tempel.“
Die Vorträge der Ringvorlesung sind vom 25. April bis 18. Juli 2017
dienstags um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz
20-22 in Münster zu hören, die Konzerte und die Vesper in der benachbarten
Petrikirche. Veranstalter der Reihe sind der Musikwissenschaftler Dr.
Dominik Höink, die Islamwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Bauer und Dr.
Monika Springberg-Hinsen, der katholische Theologe und
Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Clemens Leonhard und die Leiterin der
Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster, Viola van Melis. Den
ersten Vortrag am 25. April hält der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef
Pollack unter dem Titel „‚Begreifen, was uns ergreift‘. Das musikalische
und das religiöse Erleben im Vergleich“. (vvm)
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2017/apr/PM_Ringvorlesung_Musik_und_Religion.html