Energie aus der Toilette
Abwasser steht im Geruch, zu nichts Nutze zu sein – zu Unrecht!
Waschwasser ist durchschnittlich 30 Grad warm. Aus Toilettenwasser könnten
nicht nur Biogas und Dünger sondern auch wertvolle Ressourcen gewonnen
werden, die ungenutzt den Bach runtergehen. Schlimmer: An
Durchfallerkrankungen durch falschen Umgang mit Abwasser sterben jährlich
über zwei Millionen Menschen. Wie diesen Missständen begegnet werden kann,
daran forschen die Experten der „Wasser-Energie-Gruppe“ am Karlsruher
Institut für Technologie (KIT).
Obwohl etwa 72 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt sind, eignet
sich nur 0,3 Prozent davon als Trinkwasser. „Angesichts dessen ist
Abwasser kein Abfall. Es enthält thermische Energie, chemische Energie in
Form von Kohlenstoffverbindungen und wertvolle Pflanzennährstoffe. Jetzt
gilt es, Verfahren zu entwickeln, die es erlauben, diese Ressourcen zu
nutzen“, sagt Helmut Lehn vom Institut für Technikfolgenabschätzung und
Systemanalyse (ITAS). Die Abwärme häuslichen Abwassers könne zum Beispiel
mittels Wärmetauschern in Kanalrohren verwertet werden. „Noch effektiver
ist es, das warme Abwasser aus Waschmaschine und Bad direkt im Haus zu
nutzen, um etwa frisches Wasser zum Duschen vorzuwärmen“, ergänzt Witold
Poganietz, der gemeinsam mit Lehn die Forschungsgruppe leitet. Eine solche
Anlage sei in einem Berliner Wohnblock bereits in Betrieb.
Eine Grundvoraussetzung, um die Ressource Abwasser intelligent
auszuschöpfen, sei die Trennung der Abwasserströme aus Toilette
(Schwarzwasser) und Bad sowie Küche (Grauwasser), erläutert Lehn. Würden
Exkremente separat und unverdünnt abtransportiert – zum Beispiel durch
Vakuumtoiletten wie im Flugzeug oder ICE – ließen sich aus einem Liter
Abwasser drei Liter Biogas gewinnen. „Durch die Zugabe von Biomüll könnte
die Energieausbeute sogar noch gesteigert und die Biotonne im Haushalt
eingespart werden“, sagt Lehn. Darüber hinaus sei „Urin ein idealer
Pflanzendünger. Denn es enthält Stickstoff, Kalium und Phosphor.“ Da
Letzteres als nicht-erneuerbare Ressource gilt, die im Übrigen vermutlich
noch vor Kohle und Erdöl zur Neige gehe, werde intensiv daran geforscht,
es aus kommunalem Abwasser und Klärschlamm zurückzugewinnen. So ließe sich
auch die Nachfrage nach Kunstdünger, dessen Herstellung sehr
energieintensiv ist, vermindern.
Während bei bestehender Infrastruktur die gemischten Abwässer wohl
weiterhin aufwendig gereinigt werden müssten, biete sich die Trennung der
Abwasserströme bei Neubaugebieten an, meint Franka Steiner vom ITAS.
Gleiches gelte für die immer weiter wachsenden Ballungsräume in Schwellen-
und Entwicklungsländern. „Denn hier gibt es oft überhaupt noch keine
Sanitärsysteme“, sagt die Geoökologin, die wie Lehn weltweit unterwegs
ist, um Akteure wie Stadtverwaltungen bei der Planung von Abwassersystemen
zu beraten. Ein Trennsystem, das sowohl Energie als auch Nährstoffe aus
dem Abwasser mehrerer tausend Einwohner gewinnt, erprobe zur Zeit die
Stadt Hamburg in einem Konversionsgebiet. Ein Projekt, das die ITAS-
Forscher mit großem Interesse verfolgen.
UN-Weltwassertag erinnert an Millionen Tote durch falschen Umgang mit
Schmutzwasser
Um auf die weltweite Abwasserproblematik aufmerksam zu machen, haben die
Vereinten Nationen den alljährlichen „United Nations World Water Day“
(„Tag des Wassers“), der seit 1993 immer am 22. März begangen wird,
diesmal unter das Motto „Wastewater“ also Abwasser gestellt. Mit gutem
Grund: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO verursachen
Durchfallerkrankungen, die mit dem unsachgemäßen Umgang mit Abwasser in
Verbindung gebracht werden, vier Prozent aller Todesfälle weltweit –
Tendenz steigend
.
Viele der über zwei Millionen Opfer pro Jahr seien Kinder, die in
Entwicklungsländern leben, sagt Lehn. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 starben
rund 440.000 Menschen an Malaria (halb so viele wie 15 Jahre zuvor) und
1,1 Millionen Menschen an AIDS. Einen Grund für den Anstieg der tödlichen
Durchfallerkrankungen sieht ITAS-Forscher Lehn in der fortschreitenden
Urbanisierung mit immer mehr Menschen, die in städtischen Slums eng
gedrängt und ohne hygienische Abwasserbehandlung leben.
ITAS informiert wie Bürger Abwasser schon heute nutzen können
Aus erster Hand über die Nutzungsmöglichkeiten von Abwasser informieren
können sich Besucher am Donnerstag, 11. Mai, von 18 bis 21 Uhr, im ITAS-
Gebäude (Karlstraße 11, 76021 Karlsruhe). Es sprechen Experten der
„Wasser-Energie-Gruppe“ sowie Praktiker der Abwasserwirtschaft und der
Entwicklungszusammenarbeit. „Bürger können hier selbst eine Einschätzung
gewinnen, wie es um unser derzeitiges Abwasserbehandlungssystem bestellt
ist, welche Nutzungsmöglichkeiten alternativer Abwassersysteme jedem
Einzelnen schon heute offenstehen und welche ein gemeinsames Vorgehen von
Hausbesitzern und Kommunen erfordern, sagt Helmut Lehn.
Zusammenhänge zwischen Wasser, Energie und Abfall: ITAS-Planspiel auf der
Weltwasserwoche
Auf der World-Water-Week in Stockholm vom 27. August bis 1. September
2017, zu der unter dem Motto „Water and waste – reduce and reuse“ mehr als
3.000 Besucher aus aller Welt erwartet werden, präsentiert die Wasser-
Energie-Gruppe des ITAS ein Planspiel. „Dabei sollen technoökonomische
sowie soziokulturelle und ökologische Zusammenhänge zwischen Wasser,
Energie und Abfall beleuchtet und Konzepte für unterschiedliche urbane
Kontexte entworfen werden“, sagt Jasmin Friedrich, die zum Thema Wasser-
Energie-Nexus forscht.
KIT bildet Spezialisten im nachhaltigen Umgang mit Wasser aus
Einen weiteren Beitrag zur Lösung der weltweiten Wasserprobleme leistet
das KIT mit dem Masterstudiengang „Water, Science & Engineering“. Das KIT
bietet hier eine interdisziplinäre, forschungsorientierte Ausbildung an
der Schnittstelle wasserbezogener Ingenieur- und Naturwissenschaften. Das
Studium vermittelt fundierte Fachkenntnisse in wasserbezogenen Ingenieur-
und Naturwissenschaften. Dazu gehören Wassertechnologie und
Siedlungswasserwirtschaft, Wasserbau und Hydraulik sowie
Umweltsystemwissenschaft und Wasserressourcenmanagement. Der Studiengang
ist international ausgerichtet und ein großer Teil des Lehrangebots ist
englischsprachig. Absolventinnen und Absolventen qualifizieren sich für
eine verantwortungsvolle Tätigkeit in Planungs- und Ingenieurbüros,
Industrieunternehmen, im Öffentlichen Dienst, der internationalen
Entwicklungszusammenarbeit und der Wissenschaft.