Zum Hauptinhalt springen

Notfallversorgung auf dem Prüfstand: Dresden übt erfolgreich den Ernstfall

Die Einsatzkräfte der Feuerwehr sowie Ärzte und Pflegekräfte des Uniklinikums lagern gemeinsam einen Patientendarsteller, der in der Notaufnahme eingetroffen ist.

Ein Flugzeug stößt bei einer Notlandung auf dem Dresdner Flughafen mit
einem Bus zusammen. Es gibt 33 Verletzte, 15 davon schwer. – Mit diesem
Übungsszenario sahen sich am Samstag, dem 16. September, zahlreiche
Einsatzkräfte in Dresden konfrontiert. Gemeinsam mit dem Flughafen Dresden
International und der Dresdner Feuerwehr probten stellvertretend für das
Traumanetzwerk Ostsachsen das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und
das Städtische Klinikum Dresden am Standort Friedrichstadt erfolgreich die
Abläufe bei einer Großschadenslage.

Gemeinsam stehen diese dem regionalen Traumanetzwerk Ostsachsen vor,
dessen zwölf Kliniken durch die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie
zertifiziert sind und gemeinsam bei der Versorgung von Unfallopfern im
ostsächsischen Raum zusammenarbeiten. Im Rahmen der MANV-Übung
(Massenanfall von Verletzten) gelang es, den Weg der Patienten vom
Unglücksort bis zum OP-Saal nachzustellen und so die internen Abläufe bei
Einsätzen mit einer großen Anzahl an Verletzten weiter zu verbessern.

„Katastrophen-Übungen sind ein essentielles Mittel, um die Fähigkeiten der
Einsatzkräfte für den Ernstfall zu trainieren“, erklärten die beiden
Sprecher des Traumanetzwerkes Ostsachsen, Prof. Klaus-Dieter Schaser,
Ärztlicher Direktor des UniversitätsCentrums für Orthopädie und
Unfallchirurgie (OUC) am Uniklinikum Dresden und Prof. Felix Bonnaire,
Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am
Städtischen Klinikum Dresden, Standort  Friedrichstadt. „Hier können alle
am Einsatz beteiligten Institutionen neben den eigenen Abläufen auch die
Abstimmung untereinander trainieren. Die Ergebnisse der diesjährigen
Krankenhauskatastrophenübung zeigen, dass die beiden überregionalen
Traumazentren für den Krisenfall gut gewappnet sind“, so die erfahrenen
Unfallchirurgen weiter. Im Rahmen der Übung wurden ins
Universitätsklinikum Dresden 22 und ins Städtische Klinikum Dresden 11
verletzte Patienten  eingeliefert und behandelt. Dabei gelang es den
Ärzten und Pflegekräften an beiden Standorten während der fast
70-minütigen Übung den kontinuierlichen Zustrom von neuen Patienten so zu
managen, dass stets die am schwersten verletzten Patienten priorisiert
behandelt werden konnten.

„Im Ernstfall kommt der Sichtung, also der medizinischen Einschätzung des
Gesundheitszustandes eintreffender Patienten eine hohe Bedeutung zu“,
erklärt Prof. Bonnaire die Herausforderung der Notfallmediziner.
„Lebensgefährliche Verletzungen haben oberste Priorität – unabhängig vom
Zeitpunkt der Einlieferung der Patienten. Jeder Patient wird bei seiner
Aufnahme anhand eines Algorithmus und seiner Verletzungen analysiert und
die Versorgungsprioritäten anhand der Ergebnisse angepasst. Mit diesem
System gelingt es auch im Katastrophenfall, trotz einer hohen Auslastung
der OP-Säle lebensbedrohlich verletzte Patienten einer unmittelbaren
Therapie zuzuführen und so zu stabilisieren“, ergänzt Privatdozent Dr.
Christian Kleber, ärztlicher Leiter der Chirurgischen Notaufnahme und
geschäftsführender Oberarzt des UniversitätsCentrums für Orthopädie und
Unfallchirurgie. Die durch die Rettungsdienste gestellten Freiwilligen,
waren als Patienten gemäß ihrem Krankheitsbild geschminkt und ermöglichten
den allein am Uniklinikum 50 Ärzten und Pflegenden so eine realistische
Katastrophenübung.

„Das Uniklinikum Dresden beteiligt sich gern an Übungen mit anderen
Institutionen, denn nur so kann die Zusammenarbeit für den Ausnahmefall
trainiert werden“, betont auch Prof. Michael Albrecht, Medizinischer
Vorstand des Universitätsklinikums Dresden. „Mit Eröffnung der neuen
Chirurgischen Notaufnahme in Haus 32 im Frühjahr 2018 werden dem
Uniklinikum in Zukunft erweiterte Ressourcen zur Verfügung stehen, die das
Notfallmanagement zusätzlich verbessern“, erklärt der Vorstand.
„Ereignisse wie das Elbehochwasser 2002 oder auch die Anschläge in Madrid,
London und Berlin verdeutlichen das steigende Risiko für medizinische
Großschadenslagen und zeigen die Notwendigkeit notfallmedizinischer
Vorsorgeplanungen. Das Städtische Klinikum Dresden  ist als überregionales
Traumazentrum mit der für den Notfall geplanten Aufnahmekapazität und
unter Nutzung aller verfügbaren Ressourcen für den Großschadensfall sehr
gut aufgestellt.“, betont Prof. Bonnaire, Chefarzt der Klinik für Unfall-,
Hand- und Wiederherstellungschirurgie am Friedrichstädter Standort. In
Zukunft sollen die Übungen auch auf die anderen zehn Kliniken des
Traumanetzwerkes ausgeweitet sowie grenzübergreifend im Rahmen
europäischer Verbundprojekte realisiert werden.

Traumanetzwerk Ostsachsen

Ein zentraler Baustein der umfangreichen Notfallversorgung in Dresden und
im gesamten ostsächsischen Raum ist die Mitgliedschaft und regelmäßige
Aktivität von insgesamt zwölf zertifizierten Traumazentren im Rahmen des
2013 gegründeten Traumanetzwerks Ostsachsen. Durch den Austausch im
Netzwerk,  die enge Abstimmung der Kliniken und Notärzte untereinander und
vor allem die genau abgestimmte Kooperation mit der Dresdner Berufs- und
Flughafenfeuerwehr sowie den Hilfsorganisationen gelingt es, Unfallopfer
bestmöglich zu versorgen und auch in Ausnahmesituationen eng
zusammenzuarbeiten.

Kontakt für Journalisten

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
UniversitätsCentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie
Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Schaser
Tel. 0351/ 458 3777
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

  • Aufrufe: 283

Bypass – Lebensbrücke für das Herz; keine Angst vor der Herz-Operation

Dr. Andreas Beckmann, Herzchirurg und Geschäftsführer der DGTHG

Unser Herz: faustgroß, ca. 350 Gramm schwer und unermüdlicher Motor des
menschlichen Körpers. Im Laufe eines Menschenlebens pumpt dieses
faszinierende Hohlorgan mit bis zu drei Milliarden Schlägen etwa 250
Millionen Liter Blut durch den Körper. Eine der häufigsten Herz-
Erkrankungen in den westlichen Industrieländern ist die Koronare
Herzkrankheit (KHK). Herzchirurg und Geschäftsführer der Deutschen
Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Dr. Andreas Beckmann,
gibt Antworten zur Koronaren Herzkrankheit und zu einer der invasiven
Behandlungsmaßnahmen: der Bypass-Operation des Herzens.

Erklären Sie kurz die Koronare Herzkrankheit

Unter der Koronaren Herzkrankheit versteht man die Erkrankung der Arterien
die den Herzmuskel mit Blut versorgen den sog. Herzkranzgefäßen. Auslöser
ist oftmals die Arteriosklerose die durch Ablagerungen an den Gefäßwänden
über Plaque Bildungen in Gefäßverengungen mündet und letztlich zu einer
dauerhaften Gefäßverkalkung führt. Dadurch wird die Sauerstoffversorgung
des Herzmuskels gefährdet und es entsteht ein Missverhältnis zwischen
Sauerstoffangebot und -bedarf. Am Ende dieses meist schleichenden
Prozesses kann es zu einem lebensbedrohlichen Verschluss der
Herzkranzgefäße kommen. Patienten mit einer KHK können keine Symptome
aufweisen, berichten jedoch häufig über Symptome wie Brustenge, die sog.
Angina pectoris, oder Luftnot in Ruhe bzw. bei Belastung. Weitere
alarmierende Symptome können von Herzrhythmusstörungen bis hin zu einem
lebensbedrohlichen Herzinfarkt reichen. Der Herzinfarkt entsteht durch
einen akuten Herzkranzgefäß-Verschluss, auf dem Boden einer zuvor
vorhandenen Engstelle der Arterie, was dann zu einer anhaltenden
Durchblutungsstörung einer Region des Herzmuskels führt.

Was sind Sinn, Zweck und Ziel der Therapie?

Zunächst sollte erwähnt werden, dass die Koronare Herzkrankheit nicht
heilbar ist. Allerdings stehen heutzutage für die betroffenen Patienten
sehr gute Therapiemöglichkeiten zur Verfügung die ihnen exzellente Chancen
bieten mit der Erkrankung dauerhaft gut leben zu können. Je nach Schwere
der Erkrankung und Grad bzw. Art der Gefäßverengungen sind
unterschiedliche Therapien indiziert, die grob in invasive und nicht
invasive Behandlungsansätze unterschieden werden können. Wesentliche Ziele
der Behandlungen der KHK sind jegliche Symptome zu beheben, das
Fortschreiten der Gefäßverkalkungen zu minimieren und die negativen Folgen
wie Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche und Herzinfarkte gänzlich zu
verhindern, um dadurch die Überlebenschance der betroffenen Patienten zu
verbessern. Invasiv bedeutet in diesem Kontext einen Eingriff in den
Körper, also in dem Falle, in dem eine rein medikamentöse Behandlung der
Krankheit nicht oder nicht mehr ausreicht.

Eine invasive Therapieform ist der Koronar-Bypass. Wann benötigt der
Patient eine solche Gefäßbrücke?

Leitlinien wie die deutschsprachige „Nationale Versorgungsleitlinie -
chronische KHK“ oder die englischsprachige Leitlinie „Guidelines on
myocardial revascularization“ europäischer Fachgesellschaften geben
Empfehlungen zur Behandlung der KHK auf dem Boden anerkannter
wissenschaftlicher Erkenntnisse. Beispielsweise ist eine komplexe
Verengung des Anfangsteils der linken Herzkranzarterie, die sog.
Hauptstammstenose, eine klare Indikation für eine koronare Bypass-
Operation. Dies gilt auch bei komplexeren Verengungen aller drei
Herzkranzgefäße, auch dann ist die koronare Bypass-Operation die erste
Empfehlung und somit die vorrangige Wahl für den Patienten, sowohl in
Hinblick auf das zu erwartende Überleben, als auch auf die Lebensqualität.
Diese Empfehlungen ergeben sich aus den Ergebnissen diverser medizinischer
Studien.

Was ist das Ziel einer koronaren Bypass-Operation und wann ist eine
Operation sinnvoll?

Die koronare Bypass-Operation dient dazu, das sauerstoffreiche Blut hinter
die Verengung der Herzkranzgefäße zu transportieren und damit die Folgen
der Minderdurchblutung des Herzmuskels zu beheben. Der Koronar-Bypass ist
somit eine Überbrückung der Gefäßengstelle, quasi eine operativ angelegte
Umgehungsstraße bzw. Umleitung. Oberstes Ziel der Operation ist es, die
Durchblutung des Herzmuskels mit genügend sauerstoffreichen Blut wieder
erheblich zu verbessern. Ob eine Herz-Operation sinnvoll ist, hängt von
verschiedenen Faktoren ab. Daher muss jeder Patient individuell befragt,
untersucht und auf Grundlage medizinischen Fakten und persönlichen
Gegebenheiten beraten werden um zu einer Therapieempfehlung gelangen zu
können. Nur so kann die für ihn geeignete und individuell bestmögliche
Therapie gewählt werden. In diesem Zusammenhang ist es daher besonders
wichtig, dass die beteiligten Fachärzte (z.B. Hausarzt,
Allgemeinmediziner, Kardiologe und Herzchirurg) „Hand im Hand“ zum Wohle
der Patienten zusammenarbeiten.

Woraus ist der Koronar-Bypass gefertigt und wie lange hält er?

Für den Bypass am Herzen werden eigene Blutgefäße des Patienten verwendet,
die einerseits groß genug sind um als Gefäßbrücke zu dienen und
andererseits an der ursprünglichen Stelle des Körpers entbehrlich sind.
Das Blutgefäß kann eine Arterie der Brustwand sein oder auch eine Vene aus
dem Bein des Patienten sein. Die Offenheit und Funktionstüchtigkeit eines
Koronar-Bypasses hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, üblicherweise
funktionieren die Gefäßbrücken ca. 15 bis 20 Jahre.

Welche Untersuchungen finden vorher statt?

Vor der Operation findet eine Allgemeinuntersuchung statt sowie
bildgebende Diagnostik. Dazu zählen Laborwerte, Röntgen, Herzultraschall
und ein EKG.

Wie lange dauert eine Koronare Herz-Operation und wie groß ist das
Operations-Team?

Eine Herz-Operation dauert ca. 3-4 Stunden. In der Regel besteht das Team
aus einem Operateur, also dem erfahrenen Facharzt für Herzchirurgie, ein
bis zwei Assistenzärzten in Weiterbildung, einem Facharzt für Anästhesie
(der sogenannte Narkosearzt), zwei fortgebildeten OP-Schwestern bzw.
-pflegern, einer fortgebildeten Anästhesie-Schwester und einem
qualifizierten Kardiotechniker.

Wie lange dauert der Krankenhausaufenthalt für den Eingriff?

In Abhängigkeit von der Diagnostik und dem Allgemeinzustand des Patienten
sowie dem Verlauf vor und nach der Operation, dauert ein
Krankenhausaufenthalt 14 Tage. Eine anschließende Rehabilitation ist
sinnvoll und wird in der Regel auch gemacht.

Wann ist man wieder fit und arbeitsfähig, kann also ein „normales“ Leben
führen?

Die Regeneration und Rehabilitation ist von Patient zu Patient
unterschiedlich. Nach dem Krankenhausaufenthalt und den sich
anschließenden Maßnahmen ist ein normales Leben in der Regel möglich.
Vorhandene Risikofaktoren sollten möglichst minimiert werden. Sport und
regelmäßige Bewegung wirken sich zum Beispiel sicher positiv auf den
Gesundheitszustand aus.

Welche Risikofaktoren sollten besonders minimiert werden – bitte nennen
Sie diese?

Zunächst gilt es festzustellen, dass der Patient nicht alle Risikofaktoren
für Herzerkrankungen beeinflussen kann da diese vererbbar bzw. familiär
bedingt sind. Hingegen Rauchen, hoher Blutdruck, Fettstoffwechselstörungen
(erhöhtes Cholesterin), Diabetes mellitus, Übergewicht und auch
Bewegungsmangel sowie Stress sind bekannte Risikofaktoren die durchaus
beeinflusst werden können. Generell gilt natürlich ein gesunder
Lebenswandel als gute Voraussetzung für ein gesundes Herz-Kreislauf-
System, ein Garant ist dies jedoch auch nicht.

Wie oft muss der Patient nach der Herz-Operation zur Kontrolle?

Auch dies muss patientenindividuell entschieden werden. In der Regel ist
zunächst eine halbjährliche Untersuchung ausreichend. Hier betreut der
Hausarzt und/oder der Kardiologe.

Können Sie sagen, wie viele Herzoperationen bzw. der koronare Bypass-
Operationen pro Jahr in Deutschland durchgeführt werden?

Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie erhebt
alljährlich aktuelle Zahlen zu allen Herzoperationen. 2016 wurden rund
100.000 Herzoperationen in den 78 Fach-abteilungen für Herzchirurgie in
Deutschland durchgeführt. Hiervon waren rund 52.000 Koronar-Bypass-
Operationen allein oder in Kombination mit anderen Eingriffen am Herzen.

Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG)
vertritt als medizinische Fachgesellschaft die Interessen der über 1.000
in Deutschland tätigen Herz-, Thorax- und Kardiovaskularchirurgen im
Dialog mit Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

8.678 Zeichen inkl. Leerzeichen

Weitere Informationen unter www.dgthg.de und unter

Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG)
Regina Iglauer-Sander
Pressereferentin DGTHG
Erdmannstr. 6
10827 Berlin
Fon 030/788904-64
Fax 030/788904-65
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

  • Aufrufe: 304

"Das Schöne ist doch, dass jeder selbst Vorsorge treffen kann"

Bis zu 50 Prozent der Krebsfälle wären einfach zu verhindern, belegen
Studien. Trotzdem ist die Zahl der Krebsneuerkrankungen im
Zehnjahreszeitraum bis 2015 weltweit um über 30 Prozent gestiegen. Die
Vorsorge nimmt eine Schlüsselrolle ein bei der Eindämmung von Krebs,
erklärt Prof. Stefanie Klug, Inhaberin des Lehrstuhls für Epidemiologie an
der Technischen Universität München (TUM). Klug befasst sich unter anderem
mit der Krebsfrüherkennung. Im Interview spricht die Professorin über
Krebsscreenings, Vorsorgemuffel und was jeder Einzelne gegen Krebs tun
kann

Prof. Klug ist seit 2011 Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und
hat an den Empfehlungen zur Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV)
maßgeblich mitgewirkt.

TUM: Wie hoch ist denn die Teilnahme an der Krebsvorsorge – können Sie
dazu generelle Aussagen treffen?
Prof. Stefanie Klug: Nehmen wir zum Beispiel den Pap-Abstrich (Anm.:
Abstrich vom Muttermund der Frau, um mögliche Krebszellvorstufen von
Gebärmutterhalskrebs frühzeitig zu erkennen): Dieser ist harmlos und viele
spüren ihn nicht einmal, dennoch liegt die jährliche Teilnahmerate nur bei
50 bis 60 Prozent.

Woran liegt es denn, dass so viele nicht zur Vorsorge gehen?
SK: Einige Menschen kennen diese Angebote nicht. Andere haben Angst vor
einer Krebsdiagnose oder kein Vertrauen in den Arzt. Doch das ist
gefährlich: Wenn eine Erkrankte mit dem Arztbesuch zu lange wartet, kann
die Krankheit unter Umständen so fortgeschritten sein, dass nicht mehr
viel zu retten ist. Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, Wege aufzuzeigen,
wie solche Personen motiviert werden können, trotz ihrer Ängste zur
Untersuchung zu gehen.

Wie können Menschen dazu motiviert werden, zu Vorsorgeuntersuchungen zu
gehen?
SK: Wir haben vor einiger Zeit eine Studie namens MARZY durchgeführt,
dabei ging es um die Teilnahme an der Krebsfrüherkennung. Es war eine
Studie mit insgesamt über 5000 Teilnehmerinnen. Heraus kam, dass gerade
bei älteren und sozial schwächeren Frauen eine persönliche Einladung zu
der Untersuchung viel bewirkt. Das ist aufs Darmkrebsscreening vermutlich
genauso übertragbar. Teilweise wissen viele nicht, dass
Vorsorgeuntersuchungen kostenlos sind, da könnte eine Erinnerung vom
Hausarzt viel helfen.

Wie oft sollte jemand zu einem Krebsscreening gehen?
SK: Das hängt vom Alter und von der Screeninguntersuchung ab. Im Jahr 2013
wurde auf der Basis des Nationalen Krebsplanes das Krebsfrüherkennungs-
und registergesetz vom Bundesministerium für Gesundheit erlassen, das im
Bundestag verabschiedet wurde. Bis 2018 soll nun ein organisiertes Krebs-
Screeningprogramm für Gebärmutterhals- und Darmkrebs mit einem
Einladungsschreiben eingeführt werden. Die Eckpunkte für das
Gebärmutterhalsscreening: Für Frauen zwischen 20 und 34 Jahren bleibt es
beim jährlichen Pap-Abstrich, Frauen ab 35 sollen nur noch alle drei Jahre
den Pap-Abstrich machen lassen. Aber – und dafür haben wir lange gekämpft
– es wird zusätzlich für diese älteren Frauen ebenfalls alle drei Jahre
einen HPV-Test geben. Denn wir wissen, dass HPV die Ursache für diese
Krebsart ist und die allermeisten Frauen sind negativ. In dem Fall liegt
bei Frauen kein Risiko für die Erkrankung vor. Die wenigen HPV-positiven
Frauen in diesem Alter – es sind weniger als zehn Prozent – müssen dagegen
engmaschig beobachtet werden. Auch bei Darmkrebs soll es wiederum künftig
eine persönliche Einladung zur Darmspiegelung (Koloskopie) im 55.
Lebensjahr geben. Ist alles in Ordnung, dann erfolgt eine Wiederholung
zehn Jahre später. Wer familiär vorbelastet ist, der hat natürlich die
Möglichkeit, früher zum Screening zu kommen.

"Ein Screening ist immer nur eine Sekundärprävention"

Für eines Ihrer Forschungsprojekte zum Thema Hautkrebsscreening wurden
Daten von rund 60.000 Patienten überprüft von 2002 bis 2011. Zwar wurden
Tumore im frühen Stadium öfter erkannt, aber die späten Tumorstadien waren
nicht rückläufig. Was lässt dieses Ergebnis für Rückschlüsse zu?
SK: Genau, das Ziel des Hautkrebsscreenings ist es, dass die Sterberate
(Mortalität) zurückgeht. Heraus kam aber, dass es (bisher) nicht dazu
beiträgt. Tatsächlich ist das Hautkrebsscreening sehr umstritten, wir hier
sind das einzige Land in Europa, das ein Hautkrebsscreening anbietet,
während andere Länder das gar nicht im Programm haben. Australien etwa hat
sich gegen ein Hautkrebsscreening ausgesprochen, obwohl sie viele
hellhäutige Einwohner, eine starke Strahlung und Häufigkeit (hohe
Inzidenz) von Melanomen haben. Möglicherweise ist es noch zu früh, um
einen Rückgang der Mortalität zu erkennen, hier muss weiter evaluiert
werden.

Was machen denn dann andere Länder?
SK: Primäre Prävention. Es wird davon abgeraten, sich zu stark der Sonne
auszusetzen. Wer in die Sonne geht, sollte Hautcreme auftragen, lange
Kleidung und Hüte tragen sowie die Mittagssonne meiden – das wäre auch für
uns vermutlich der bessere Weg. Denn ein Screening ist immer nur eine
Sekundärprävention, bei der eine möglicherweise bereits vorhandene
Veränderung festgestellt werden soll. Das Schöne ist aber doch die
Vorsorge, die jeder selbst treffen kann, wie etwa eine Impfung oder Sport
als auch das Verhindern von Sonnenbrand, wodurch ein Tumor gar nicht erst
entsteht.

Wie kommen Sie bei Ihren Studien an die Daten?
SK: Wir gehen über die Einwohnermeldeämter, denn wir wollen eine
bevölkerungsbezogene Stichprobe etwa von allen Frauen zwischen dem Altern
von 30 und 40 haben. Wir möchten alle Gruppen in der Bevölkerung darin
abbilden. Die Personen aus dieser Stichprobe laden wir dann per Brief ein,
an unseren Studien teilzunehmen. Bei der Studie MARZY etwa haben wir Daten
von fast 10.000 Frauen aus Rheinland-Pfalz ausgewertet, um einen guten
Querschnitt durch die weibliche Bevölkerung zu erhalten.

Welche Verbindung hat Ihr Fachgebiet, das sich mit der Häufigkeit
bestimmter Krankheiten in der Bevölkerung befasst, mit dem Sport?
SK: Gerade im Bereich der Prävention liegt die Verknüpfung mit der
Epidemiologie. Das betrifft nicht nur mich und meinen Fachbereich, sondern
die gesamte Fakultät. Alle hier widmen sich auch dem großen übergreifenden
Thema Prävention. Inwieweit kann Sport als vorbeugende Maßnahme gegen die
Volkskrankheiten von Diabetes über Herz-Kreislauf bis zu Krebs eingesetzt
werden? Das muss noch näher erforscht werden.

Welche Pläne haben Sie für neue Studienprojekte?
SK: Wir planen größere Studien mit sportlichen Interventionen, bei denen
versucht wird, die Leute zu Bewegung zu motivieren. Dazu gibt es schon
viel mit Kindern, aber es wäre genauso wichtig, das mit Erwachsenen zu
erforschen. Es reicht nicht, die Kinder zum Sport zu bewegen, sondern auch
im höheren Alter müssen Menschen Sport treiben. Denn Bewegungsmangel wird
bereits jetzt als „die Zigarette von morgen“ bezeichnet, weil er ein
dramatischer Risikofaktor ist für die heutigen Zivilisationskrankheiten
ist, genau wie Rauchen und Lungenkrebs.

„Alles, was einen vom Sofa runter bringt, ist gut“

Zum Schluss eine allgemeine Frage: Was für Empfehlungen können Sie geben?
SK: Eigeninitiative durch primäre Prävention. Jeden Tag Bewegung – vom
Treppen steigen über das Spazierengehen bis zum Putzen und Sport treiben –
alles ist gut, was einen mehrmals pro Woche vom Sofa runter treibt und zum
Schwitzen bringt!

  • Aufrufe: 68

Die Pharmaindustrie überzieht bei neuen Arzneimitteln die Preisschraube. Dabei bleibt der Nutzen für den Patienten überschaubar.

 

Neue Arzneimittel: teuer und wenig innovativ

Düsseldorf, 20. September 2017. Hohe Preise, wenig Innovation - so lautet die Beurteilung für die meisten neu auf den Markt gekommenen Arzneimittel. Das zeigt der Innovationsreport 2017, der heute von der Techniker Krankenkasse (TK) vorgestellt worden ist. In Nordrhein-Westfalen verordnen Ärzte am häufigsten neue Medikamente, die für den Patienten keinen Zusatznutzen gegenüber bereits vorhandenen Präparaten haben.

Im Innovationsreport wurden 32 Wirkstoffe untersucht, die 2014 auf den Markt gekommen sind. Dabei wurden folgende Fragen gestellt: Verbessert das neue Medikament eine bestehende Therapie? Hat es einen Zusatznutzen für die Patienten? Und: Bleiben die Kosten im Rahmen? Bewertet wurden die Wirkstoffe nach dem Ampelschema: von "Grün" bis "Rot". Das Ergebnis fiel recht eindeutig aus: Die Mehrzahl der Medikamente stellt keine echten Innovationen dar. Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr keine grüne Ampel vergeben. 17 Präparate erhielten eine gelbe Ampel, 15 sogar eine rote.

Dem insgesamt geringen Zusatznutzen stehen enorme Preissteigerungen gegenüber. Der durchschnittliche Preis pro Packung eines neuen Medikaments stieg innerhalb eines Jahres um 73 Prozent - von 1.400 auf knapp 2.500 Euro. "Für uns steht im Sinne unserer Versicherten an erster Stelle, dass mit neuen Präparaten auch wirkliche Fortschritte in der Therapie erzielt werden", sagt Günter van Aalst, Leiter der TK-Landesvertretung in NRW. "Hohe Preise ohne Innovation und therapeutischen Nutzen sind nicht gerechtfertigt und gehen zu Lasten aller Beitragszahler." Die Ausgaben im Bereich der Arzneimittel steigen weiter.

Der Innovationsreport zeigt außerdem, wie oft neue Arzneimittel ohne Zusatznutzen in Deutschland verordnet werden. NRW ist Spitzenreiter im Bundesdurchschnitt. Demnach bekamen 3,7 von 1.000 TK-Versicherten im Jahr 2015 Präparate mit einer roten Ampel verschrieben. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 2,2. "Erstaunlich ist auch, dass neue Wirkstoffe bereits nach kurzer Zeit trotz geringen therapeutischen Fortschritts und negativer Bewertungen in den Leitlinien der Fachgesellschaften auftauchten", so Günter van Aalst.

  • Aufrufe: 63