Leises Industriesterben in Deutschland
Leere Schaufenster und verwaiste Ladenlokale nehmen zu – immer mehr
Unternehmen schließen und scheiden aus dem Markt aus. Doch nicht nur
Handel, konsumnahe Dienstleister und Gastronomie müssen aufgeben. Auch das
Baugewerbe und das verarbeitende Gewerbe verzeichnen deutlich steigende
Schließungszahlen. Eine aktuelle Auswertung des ZEW Mannheim in
Zusammenarbeit mit Creditreform zeigt, wie stark die industrielle Basis im
deutschen Mittelstand schwindet.
Allein im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 176.000 Unternehmen
geschlossen. Die meisten davon still und leise, nur 11 Prozent der
Schließungen sind die Folge einer Insolvenz. Im Vergleich zu den
Schließungen im Jahr 2022 bedeutet dies einen Anstieg um 2,3 Prozent – und
zwar über alle Branchen und Unternehmensgrößen hinweg.
Forschungsintensive Branchen fallen zurück
Alarmierend ist, dass damit nicht nur die industrielle Basis schrumpft.
Differenziert man innerhalb des verarbeitenden Gewerbes noch einmal nach
dem Innovationsgrad, so zeigt sich, dass die Zahl der Schließungen in den
forschungsintensiven Wirtschaftszweigen mit plus 12,3 Prozent deutlich
stärker zunimmt als in den nicht forschungsintensiven. „In Branchen wie
der Möbelherstellung oder der Produktion von Spielwaren und Sportgeräten
verzeichnen wir sogar sinkende Schließungszahlen“, berichtet Dr. Sandra
Gottschalk, Wissenschaftlerin im ZEW-Forschungsbereich
„Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“. „In anderen Bereichen, wie
etwa der Chemie- und Pharmaindustrie, dem Maschinenbau und bei
technologieintensiven Dienstleistungen scheiden jedoch mehr Unternehmen
aus dem Markt aus“, so Gottschalk. Dort ist der Effekt zudem besonders
stark, weil den Schließungen stagnierende Gründungen gegenüberstehen.
„Wenn der Bestand nicht nachwächst, steigt die Zahl der Schließungen
überproportional“, erläutert die Expertin.
Sorgenkind Industrie
Der inhabergeführte Herrenausstatter, der Italiener um die Ecke oder der
Traditionsfriseur sind die sichtbarsten Opfer der sich verschlechternden
Wirtschaftslage. Im Jahr 2023 haben rund 37.000 Handelsunternehmen
aufgegeben. Bei den konsumnahen Dienstleistungen waren es gut 51.000
Betriebe. Das sind deutlich mehr als 2018, im Vergleich zum Vorjahr ist
der Trend im Handel (minus 0,8 Prozent) und bei den konsumnahen
Dienstleistungen (minus 0,5 Prozent) leicht rückläufig.
„Verwaiste Ladenlokale und leere Schaufenster treffen die Menschen in
ihrer Umgebung wirtschaftlich und auch emotional. Die Schließungen in der
Industrie aber treffen den Kern unserer Volkswirtschaft“, sagt Patrik-
Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. So
stieg die Zahl der Schließungen im Baugewerbe von 2022 auf 2023 um 2,4
Prozent auf 20.000 Unternehmen – im verarbeitenden Gewerbe um 8,7 Prozent
auf 11.000 Schließungen. Das ist der höchste Stand seit 2004.
Über die Methodik
Für die Untersuchung wird auf das Mannheimer Unternehmenspanel
zugegriffen. Es basiert auf der Unternehmensdatenbank von Creditreform und
ist die umfangreiste Datenbasis zur Gesamtheit der Unter-nehmen in
Deutschland. Aufgrund des hohen Detaillierungsgrads lassen die Daten auch
Einblicke in einzelne Branchen zu.