«Raum für Chaos schaffen»
Mit klaren Strukturen und interdisziplinären Teams können Medien
erfolgreich innovativ sein. Und: Nur bei finanzieller Unabhängigkeit von
Verlagshäusern kann der Journalismus überleben. Das sind zwei provokative
Positionen, die an der Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für
Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM) diskutiert wurden.
Datenjournalismus oder der Einfluss von Algorithmen auf die Medienwelt
waren weitere Brennpunkte. Rund 120 Fachleute nahmen daran teil.
«Innovation als Herausforderung» lautete das Tagungsthema der diesjährigen
SGKM-Konferenz. In ihrer Keynote «Raum für Chaos schaffen:
Innovationsmanagement in Medienunternehmen» zeigte Christina Elmer, seit
März 2017 Mitglied der Spiegel-online-Chefredaktion, aufgrund ihrer
eigenen Erfahrungen auf, wie solche Projekte glücken können: «Innovation
braucht im Chaos klare, Strukturen.» Es brauche Ideengeberinnen,
interdisziplinäre Teams, einflussreiche Paten in der Geschäftsleitung –
aber auch die klare Fokussierung auf die Interessen und Wünsche der
Nutzerinnen und Nutzer. Erfahrungsgemäss können von hundert Ideen
vielleicht zehn weiterverfolgt und vielleicht eine umgesetzt werden. «Es
braucht deshalb Raum für glückliche Zufälle.»
«Welche Infrastruktur braucht der Journalismus, damit eine neue,
vielfältige digitale Medienlandschaft entstehen kann?» fragte Hansi Voigt
in seinem Eröffnungsreferat. Voigt ist ehemaliger Chefredaktor der Online-
Redaktion von «20 Minuten» und Gründer des Newsportals «Watson.ch». Seit
April 2016 arbeitet er als selbständiger Medienberater und Entwickler
neuer Projekte. Dass der Journalismus in Bedrängnis ist, bezweifelt in der
Branche heute niemand mehr, auch wenn die Prognosen unterschiedlich düster
ausfallen. Voigt ist überzeugt, dass der Journalismus in Zukunft nur
bestehen kann, wenn er von der finanziellen Abhängigkeit der Verlagshäuser
gelöst werde. Das Projekt R (wie Republik, Rebellion oder Rothaus), das
seit Mitte letzter Woche dank Crowdfunding gestartet werden konnte, ist
für ihn ein Hoffnungsschimmer.
Papersessions, Workshops, Tech-Shows
An der zweitägigen Konferenz präsentierten die Kommunikations- und
Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler Forschungsergebnisse aus
unterschiedlichen Bereichen: Organisationskommunikation, Publikums- und
Medienforschung, Innovation und Qualität, Theorie und Geschichte sind nur
einige Forschungsfelder, in denen sie tätig sind. Insgesamt gab es zehn
Papersessions, ein Nachwuchs-Panel sowie zwei Praxisworkshops. Parallel
dazu wurden neue Dimensionen der Medienwelt präsentiert: «Drohnen und
Aero-Journalismus», «Hologramme» und «Makerspace».
Medien und Bildung: Diskussionsforum mit neuem SRG-Generaldirektor Gilles
Marchand
Als wichtiges Forum zeigte sich der Praxisworkshop «Personalisierung und
Individualisierung von Bildungsangeboten». Auf dem Podium diskutierten
Gilles Marchand (ab 1. Oktober 2017 Generaldirektor der SRG SSR), Ernst
Hafen (Prof. ETH Zürich, Studiendirektor Departement Biologie), Per
Bergamin (Prof. Fernfachhochschule Schweiz, Leiter Forschungseinheit
Fernstudium und E-Learning) und Christian Glahn (Prof. HTW Chur, Leiter
Blended Learning Center). Die Diskussionsleitung hatten Hanna Muralt
Müller (Vizepräsidentin Schweizerische Stiftung für audiovisuelle
Bildungsangebote, alt Vizekanzlerin) sowie Edzard Schade (Prof. HTW Chur)
inne. Kontrovers diskutiert wurde dabei über die Chancen und Risiken von
personalisierten Bildungsdaten, welche z.B. Studierende als digitale Spur
im Laufe ihres Studiums in Online-Lernplattformen hinterlassen. Einerseits
sind durch eine Auswertung solcher Daten mit Hilfe von «Learning
Analytics» Rückschlüsse auf individuelles Lernverhalten möglich, welche
wertvolle Hinweise für Verbesserungen des Lernprozess geben. Andererseits
stellen sich aber auch wichtige Fragen nach dem Datenschutz und der
Privatsphäre, welche zur Forderung führten, dass jede und jeder ein Kopie
seiner personalisierten Bildungsdaten erhalten sollte.
Datenjournalismus und die Macht von Algorithmen
Viel Interesse erhielt der Workshop «Science meets Practice» am Freitag,
28. April 2017, über Datenjournalismus. «Das ist wie Sex an der Uni – alle
sprechen darüber, wenige machen es, und noch weniger machen es gut»,
erwähnte Colin Porlezza in Anlehnung an ein Bonmot, das in seinem
Forschungsbereich häufig zu hören ist. In der Schlussdebatte wurde «The
power of algorithms» (deutsch: Die Macht von Algorithmen) thematisiert.
Einig waren sich Michael Latzer (Universität Zürich), Judith Möller
(School of Communication Research, Amsterdam), René Pfitzer
(Datenwissenschaftler, NZZ), Jens Kaessner (Telecom-Jurist Bundesamt für
Kommunikation Bakom) und Urs Karrer (Digital Consultant IBM Schweiz), dass
die Auswirkungen von Algorithmen auf gesellschaftliche, wirtschaftliche
und politische Gegebenheiten riesig sind. Und dass die Datenmengen (Big
Data), die wir alle täglich bewusst und unbewusst generieren, nur mit der
konsequenten Nutzung von Algorithmen geordnet und einigermassen bewältigt
werden können.
Edda Humprecht (Universität Zürich) wurde für ihre Präsentation über «Neue
Typen von Onlinemedien» mit dem Best Paper Award ausgezeichnet.
Generalversammlung multimedial begleitet
Studierende des Bachelorstudiengangs Multimedia Production der Hochschule
für Technik und Wirtschaft HTW Chur begleiteten die gesamte Tagung
multimedial auf Facebook, Twitter & Co unter dem Hashtag #SGKM2017. Sie
waren dafür besorgt, dass sich die Teilnehmenden auf dem Weg zu den
verschiedenen Hotspots der Tagung problemlos zurechtfanden. «Die
Tagungsteilnehmenden waren begeistert über das vielfältige Programm und
den reibungslosen Ablauf», zog OK-Präsident Urs Dahinden am Schluss
Bilanz.
Der geschäftliche Teil der SGKM-Generalversammlung fand am Donnerstag, 27.
April 2017, im Hauptgebäude von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha (RTR)
statt. Dabei stellte sich auch die Universität Lugano USI vor, an der die
nächste SGKM-Konferenz am 12./13. April 2018 stattfinden wird.
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