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Wilde Klimawand auf der Messe BAU 2025 in München: Forschende des Fraunhofer IBP entwickeln biodiverse Grünfassade

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Der Klimawandel belastet Mensch und Umwelt. Vor allem in Städten leidet
die Bevölkerung im Sommer unter hohen Temperaturen und der zunehmenden
Trockenheit.

Auch Insekten und Vögel finden im urbanen Raum oftmals
weniger Nahrung, Unterschlupf- und Nistmöglichkeiten. Ein Lösungsansatz
kann die Begrünung von Fassaden und Dächern darstellen. Forschende des
Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP erproben aktuell in Zusammenarbeit
mit dem Institut für Akustik und Bauphysik sowie dem Institut für
Landschaftsplanung und Ökologie der Universität Stuttgart und der HELIX
Pflanzensysteme GmbH ein Forschungsprojekt im Bereich urbaner
Grünfassaden, die Wilde Klimawand

Gemeinsam entwickelt das Projektteam ein biodiversitätsförderndes
Grünfassadensystem, welches einen Lebensraum gezielt für heimische
Wildstauden, Kräuter und Gräser bildet, der Begleitfauna Nahrung sowie
Unterschlupf bietet und zugleich klimaregulierend wirkt. Der Stuttgarter
Klima-Innovationsfonds sowie das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft (BMEL) fördern das auf drei Jahre angelegte
Forschungsprojekt. Die Wilde Klimawand wird am Stand der Fraunhofer-
Allianz Bau auf der Messe BAU 2025 in München (Stand 528 in Halle C2) vom
13. bis 17. Januar präsentiert.

In Städten kann es im Sommer spürbar wärmer sein als in den umliegenden
ländlichen Regionen. Die Temperaturdifferenz resultiert unter anderem aus
dem Mangel an Grünflächen, die Abkühlung durch Verschattung und
Verdunstung schaffen. Im verdichteten städtischen Raum speichern hingegen
die massiven Bauteile, wie Betonfassaden oder Asphaltflächen, die
Sonnenenergie und geben diese zeitversetzt in Form von Wärmeabstrahlung
wieder in den Stadtraum ab. Oberflächen- und Umgebungstemperaturen steigen
durch diesen Effekt im Stadtraum deutlich an. »Unsere Grünfassade wirkt
sich positiv auf das Mikroklima in Städten aus«, berichtet Dr. Pia Krause,
die als wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Forschungsprojekten
arbeitet. »Die bepflanzte Oberfläche kühlt die Bauteiloberfläche effektiv
ab und schafft so einen Beitrag zur Reduzierung des urbanen
Hitzeinseleffektes«.

Förderung heimischer Artenvielfalt

Das Grünfassadensystem unterstützt neben klimaregulierenden
Ausgleichsfunktionen auch das gesunde Wachstum der heimischen
Pflanzenwelt. »Herkömmliche Systeme setzen oft auf nicht-heimische Arten
und monokulturelle Systeme«, erklärt Melina Wochner, die das Projekt
ebenfalls als wissenschaftliche Mitarbeiterin unterstützt. »Wir wollten
aber bewusst einen anderen Weg gehen und haben deshalb heimische Pflanzen
gesucht, die in der Vertikale wachsen können und zugleich Insekten sowie
Vögeln einen Lebensraum und Nahrung bieten.« Und tatsächlich haben sich
bereits wenige Wochen nach Installation der Wilden Klimawand auf dem
Fraunhofer Campus in Stuttgart-Vaihingen unter anderem Amseln und eine
Vielzahl von wichtigen Bestäuberinsekten wie beispielsweise Wildbienen in
den Habitatstrukturen eingenistet.

»Der Verlust von Biodiversität und der Klimawandel sind die großen
Herausforderungen unserer Zeit«, erklärt Krause. Deshalb wollen die
Forschenden gemeinsam mit den Praxispartnern herausfinden, wie
Fassadenflächen als Reaktion auf diese Herausforderungen im Kontext der
städtischen Planung integriert werden können. »Wir erhoffen uns, dass wir
mit der wilden Klimawand einen Lösungsbaustein entwickeln, um den Folgen
des Klimawandels sowie dem Artenverlust im Urbanen aktiv
entgegenzuwirken«.

Technologie und Pflegekonzept

Die Wildstauden, Kräuter und Gräser des Grünfassadensystems werden
zunächst in der Horizontalen im Gewächshaus vorkultiviert, bis sie eine
ausreichende Größe für den Umzug in die Vertikale erreicht haben. »Nach
etwa drei Monaten können wir die Pflanzen in das wandgebundene System
einsetzen«, so Hans Müller, Geschäftsführer der HELIX Pflanzensysteme
GmbH. Die Bauzeit für die über 200 Quadratmeter umfassenden
Grünfassadensysteme betrug durch das modulare System nur vier Tage. Ob der
Pflegeaufwand der Fassade mit herkömmlichen Systemen vergleichbar ist,
erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenfalls im
Rahmen des Projekts. »Wir erwarten, dass im Vergleich zu monokulturellen
Grünfassaden etwas mehr Sorgfalt beim Rückschnitt der Bepflanzung nötig
sein wird«, berichtet Müller.

So müssen beispielsweise vertrocknete und abgestorbene Pflanzen behutsam
zurückgeschnitten werden, um Habitatstrukturen nicht zu zerstören. Die
Bewässerung läuft vollautomatisiert über ein Tröpfchenschlauchsystem, das
zwischen der Fassade und den Pflanzelementen verbaut ist. Der
Wasserverbrauch kann auf diese Weise exakt an die Bedürfnisse der
Bepflanzung und an die klimatischen Gegebenheiten angepasst werden.
Untersucht wird in dem Projekt auch, wie durch die Grünpflege die
Biodiversität weiter erhöht werden kann und die klimaregulierenden
Wirkungen langfristig sichergestellt werden.

Besichtigungsmöglichkeiten für Interessierte

Interessierte sind herzlich eingeladen, die Wilde Klimawand zu
besichtigen, um sich selbst ein Bild vom Artenreichtum und der kühlenden
Wirkung zu machen. Hierfür bieten das Fraunhofer IBP und die Universität
Stuttgart mehrere Möglichkeiten an. Gruppen ab 15 Personen können sich für
einen individuellen Besuchstermin direkt an die Projektverantwortlichen
wenden. Besonders interessant ist dieses Angebot beispielsweise für
Schulklassen. Zudem veranstaltet das Fraunhofer IBP gemeinsam mit der
Universität Stuttgart regelmäßig öffentlich zugängliche Veranstaltungen,
an denen die Forschungsfassaden besichtigt werden können. Auch der
regelmäßig stattfindende »Bürger*innendialog«, der sogenannte Climate Wall
Dialogue, bietet die Möglichkeit, die Wilde Klimawand zu erleben und mit
den Forschenden ins Gespräch zu kommen.