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Migration: Große Herausforderung, große Chancen? Neue Folge des Videoformats »Gute Frage«

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In der öffentlichen Debatte um Migration stehen häufig die Probleme im
Fokus. Gleichsam bietet Zuwanderung aber auch große Chancen. An der TU
Dresden beschäftigen sich Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen
Perspektiven mit dem Thema: Welche Rolle spielt Zuwanderung beim
Fachkräftemangel? Wie wirkt sich die Migrationsfrage auf gesellschaftliche
Polarisierung aus? Welche ethische Verantwortung hat ein Land wie
Deutschland gegenüber Geflüchteten?

Integration wird häufig als Assimilation, also die einseitige Anpassung
Geflüchteter an das Leben in Deutschland, verstanden. Youmna Fouad
bedauert das und plädiert für ein Integrationsverständnis, das
Immigrierten die Chance ermöglicht, gleichberechtigt und auf Augenhöhe
behandelt zu werden. Das beginne schon bei den Integrationskursen, die von
der Soziologin in ihrer Promotion erforscht werden. „Es sollte nicht Zweck
der Integrationskurse sein, Geflüchtete als ‚anders‘ zu labeln, sie mit
Vorurteilen zu konfrontieren und von ihnen eine Anpassung an den deutschen
Lebensstil zu verlangen.“ Das Problem lasse sich schon in den Lehrbüchern
der Kurse erkennen, erklärt Youmna Fouad, wo Migrant:innen mit
herabsetzenden Stereotypen dargestellt werden. „Realitätsnahe Inhalte wie
Behördengänge oder das Verfassen von Bewerbungen sind viel wichtiger als
die Vermittlung eines idealisierten Bildes von Deutschland, das in den
Kursen gelehrt wird.“

Zuwanderung kann in demokratischen Gesellschaften auch zu Konflikten
führen. Das lässt sich in Dresden eindrücklich am Aufkommen der
rechtsextremen PEGIDA-Bewegung im Jahr 2014 erkennen. „Migrationsfragen
sind solche Fragen, die Gesellschaften in hohem Maße spalten können“, weiß
der Politikwissenschaftler Professor Hans Vorländer. Die Migrationskrise
habe auch rechtspopulistische Parteien stark gemacht und die
gesellschaftliche Polarisierung vorangetrieben. „Die Gründe dafür sind oft
gar nicht so rational,“ erläutert der Direktor des Mercator Forums
Migration und Demokratie (MIDEM) und fügt hinzu: „Da sind viele Emotionen
im Spiel.“ Das führt beispielsweise zu einer starken Ablehnung anderer
Meinungen, insbesondere solcher, die sich für Weltoffenheit und Vielfalt
einsetzen. Geflüchtete werden als fremd oder gar bedrohlich wahrgenommen.
„Solche Vorurteile bauen sich über Begegnungen ab“, erklärt Hans
Vorländer. In der Migrationsforschung wird das als Kontakthypothese
bezeichnet.

Solche Kontakte können unter anderem am Arbeitsplatz stattfinden.
Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels wird Zuwanderung hier wohl in
Zukunft eine entscheidende Rolle zukommen. „Wir werden gut drei Millionen
Erwerbstätige verlieren in den nächsten zehn bis 15 Jahren“, führt
Professor Alexander Kemnitz aus. „Mit den eigenen Köpfen und denen, die
noch kommen werden, ist dieser Rückgang nicht zu decken.“ Potenziellen
Immigrant:innen müssten allerdings auch bessere Perspektiven aufgezeigt
werden. Temporäre Arbeitserlaubnisse, wie bisher üblich, erachtet der
Wirtschaftswissenschaftler nicht für förderlich. Helfen könnte dabei das
geplante Einwanderungsgesetz nach dem kanadischen Vorbild. „Die
Chancenkarte wird das System sicherlich flexibler machen“, prognostiziert
Kemnitz. Zudem müsse sich das grundsätzliche Verständnis von Zuwanderung
in Teilen der deutschen Bevölkerung ändern. „Es geht in den meisten Fällen
darum, Mangel in Branchen wie der Pflege zu beseitigen und nicht darum,
Arbeitsplätze wegzunehmen.“

Aus dem Thema Migration eröffnen sich auch aus philosophischer Perspektive
spannende Fragen: Welche Pflicht hat ein Land wie Deutschland,
Geflüchteten zu helfen? „Es gibt einen großen Konsens, dass wir
Verantwortung tragen“, sagt Dr. Lisa Hecht.„Die strittige Frage ist nur,
wie groß sie ist und wie viel wir helfen müssen.“ Die Philosophin sieht
vor allem zwei Gründe für diese Verantwortung: Eine allgemeine humanitäre
Hilfspflicht und eine Wiedergutmachungspflicht. Letztere greife dann, wenn
ein Land dafür verantwortlich sei, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen
müssen. Die Unterscheidung nach sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“ und
Flüchtlingen mit Anspruch auf Asyl betrachtet Lisa Hecht kritisch. Hier
stelle sich die Frage, ob die herangezogenen Kategorien zu Beurteilung der
Hilfsbedürftigkeit immer zutreffend sind. Gleichzeitig weiß die
Philosophin: „Wenn es um die Aufnahme von Flüchtlingen geht, müssen wir
auch danach schauen, wie viel ein Land leisten kann. Wie hoch ist die
Integrationskapazität, wie politisch stabil ist ein Aufnahmeland?“

Migration stellt sowohl für die Aufnahmeländer als auch die Immigrierten
eine große Herausforderung dar. Die Chancen, die Migration auch bietet,
können durch bessere und lebenswirklichere Integrationskurse verbessert
werden. Dem Fachkräftemangel kann Migration nur entgegenwirken, wenn
Zugewanderten realistische Perspektiven eröffnet werden. Über all diese
Aspekte sprechen die Expert:innen der TU Dresden in der aktuellen Folge
der »Guten Frage« auf dem YouTube-Kanal »TU Dresden entdecken«. Zum Video:
https://youtu.be/8dp4oaVHcfE