Zum Hauptinhalt springen

TU intern: Straßenplanung wie zu Adenauers Zeiten?

Pin It

Ein neues Diskussionspapier des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung
analysiert den Einfluss der Forschungsgesellschaft für Straßen- und
Verkehrswesen auf die Verkehrsplanung in Deutschland in der Vergangenheit
und Gegenwart

Warum sieht das Straßenbild in westdeutschen Städten so aus, wie es
aussieht – dem Auto-Verkehr viel Raum gebend, der Rad- und Fußverkehr ist
nachgeordnet. Und ist die Straßenplanung, die zu diesem Ergebnis führte,
noch zeitgemäß? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das neue
Diskussionspapier „Straßenplanung wie zu Adenauers Zeiten? Die technischen
Regelwerke der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen im
historischen Kontext“ von Henning Horst. Es ist unter Leitung von Prof.
Dr.-Ing. Oliver Schwedes, Gastprofessor für Verkehrsplanung und -politik
an der TU Berlin, erschienen.

Hoheitliche Aufgaben übernimmt ein privater Verein
Um die Fragen zu beantworten, analysierte Henning Horst die Geschichte,
aktuelle Verfasstheit und die Rolle der Forschungsgesellschaft für
Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) und ihrer technischen Regelwerke in der
Straßenplanung. Eine seiner Erkenntnisse ist, dass die FGSV maßgeblich an
der Umsetzung des nach dem Zweiten Weltkrieg apostrophierten Leitbildes
von der autogerechten Stadt beziehungsweise von der autozentrierten
Verkehrs- und Stadtplanung beteiligt war, da die von ihr erarbeiteten
Regelwerke diesem Leitbild folgten. Das zeigt sich zum Beispiel in den
„Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen 1953 Teil I“ oder in der
aktuell geltenden „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen 2006 (RASt
06)“. Das Entscheidende jedoch, so Horst, sei, dass diese technischen
Regelwerke einen nahezu offiziellen und für Planende verbindlichen
Charakter erlangt hätten. In gerichtlichen Auseinandersetzungen würde sich
auf diese als „objektiver Stand der Technik“ bezogen. Daraus folge eine
herausgehobene Stellung der FGSV in der landesweiten Verkehrsplanung „Dazu
muss man jedoch wissen, dass die FGSV ein privat organisierter Verein ist.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht nachvollziehbar, dass ein privater
Verein so viel Einfluss auf die Planung des öffentlichen Raumes hat und
hoheitliche Aufgaben übernimmt, die eigentlich in die Verantwortung
staatlicher Stellen gehören, und das seit Jahrzehnten“ sagt Henning Horst.

Autozentrierte Relikte
Er kritisiert zudem, dass die Regelwerke allein unter technokratischen
Gesichtspunkten erstellt würden, Bezugsgrößen und Werte in den Regelwerken
nur unzureichend nachvollziehbar seien und sie nach wie vor Relikte
autozentrierter Straßenplanung enthielten. Das zeige sich zum Beispiel
daran, dass die FGSV darüber nachdenke, die Größe der Parkräume an die
immer größer werdenden Autos anzupassen oder dass für den Radverkehr oft
die minimale Spurbreite von 1,60 Meter angewandt wird, für den
motorisierten Verkehr jedoch nur in seltenen Ausnahmefällen das dafür
angesetzte Minimalmaß. Da die FGSV sich zudem als objektiv handelndes
Fachgremium verstehe und von daher aus seiner Sicht keine streitbaren
Positionen vertrete, sehe die FGSV auch keine Notwendigkeit
zivilgesellschaftliche Agierende in die Ausarbeitung von Regelwerken für
sowohl bauliche Fragestellungen als auch verkehrsplanerische Aufgaben
einzubeziehen.

Die STUFA im Dritten Reich
Das Auto ins Zentrum aller verkehrs- und städteplanerischen Überlegungen
zu stellen – diesen Fokus sieht Henning Horsts bereits in der
Vorläufergesellschaft und in deren Gründungsidee angelegt. „1924 wurde in
Berlin die ‚Studiengesellschaft für den Automobilstraßenbau‘, kurz STUFA,
aus der Taufe gehoben. Der Fokus auf das Automobil und den Straßenbau wird
im Namen offenkundig“, sagt Henning Horst. Dass sich die STUFA im
Folgenden als Lobbyist für den Ausbau von Straßen für Automobile verstand,
zeigte sich sowohl bereits im Namen als auch darin, dass es als die
wichtigste Aufgabe erachtet wurde, ein leistungsfähiges Autostraßennetz
aufzubauen. Auch geht Henning Horst auf die Rolle der STUFA im Dritten
Reich ein und die des ehemaligen TU-Professors Bruno Wehner. Die STUFA
wurde 1934 in die Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen (FGS)
umgewandelt. Horst kommt zu dem Urteil, dass die FGS „willfährige Stütze
der nationalsozialistischen Regierung gewesen sei“. So sei Fritz Todt, der
1933 nach der Machtübernahme durch die Nazis zum Generalinspekteur für das
deutsche Straßenwesen ernannt worden war, 1934 Vorsitzender der FGS
geworden. Für den Straßenbau in den besetzten Gebieten wird 1943 eigens
die Arbeitsgruppe „Straßenbau im Osten“ unter der Leitung des späteren TU-
Professors Bruno Wehner eingerichtet. „Dass die FGS sich der
Zusammenarbeit mit dem NS-Regime nicht entzog oder gar verweigerte, zeigt
sich unter anderem in dem 1944 veröffentlichten neuen Regelwerk
‚Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen‘, die bereits mit RASt
abgekürzt werden. Hierbei handelt es sich um einen direkten Vorgänger der
heutigen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06. Inhalte
dieser Richtlinie standen im Kontext des Wiederaufbaus zerstörter Städte
und der Erschließung von neuen Siedlungen und man kann davon ausgehen,
dass sich diese Erschließung 1944 auch auf potentiell eroberte Gebiete
bezog“, sagt Horst.

Modernisierungstendenzen in den 1970er- und 1980er-Jahren
Der Alliierte Kontrollrat löste die FGS im Oktober 1945 auf. 1947 erfolgte
ihre Neugründung unter Beibehaltung ihres alten Namens und ihrer
Ausrichtung auf das Primat des Autos in der Straßenplanung. Das änderte
sich mit Modernisierungstendenzen in der westdeutschen Gesellschaft in den
1970er- und 1980er-Jahren. Die FGS benennt sich 1983 in
Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen“ um und
signalisierte damit, auch andere Verkehrsteilnehmende wie Radfahrer,
Fußgänger und den ÖPNV in ihren Regelwerken stärker zu berücksichtigen und
„sie nicht nur als Hindernis für den Autoverkehr wahrzunehmen“.

„Bei all meiner Kritik ist aber auch festzustellen, dass die FGSV einen
beeindruckenden Erneuerungsprozess durchlebt: Künftig soll in allen
Regelwerken der Aspekt der Nachhaltigkeit verankert werden. Auch
beinhalten die vorliegenden Regelwerke durchaus progressive Ansätze, die
sich aber noch zu selten in den konkreten Lösungsvorschlägen widerfinden“,
erläutert Horst.

Die Discussion-Paper-Reihe des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung
versteht sich als Forum, in dem aktuelle Themen der Verkehrs- und
Mobilitätsforschung diskutiert werden und eine Debatte auslösen sollen.
Zur Diskussion gestellt werden Beiträge aus laufenden Arbeitsprozessen wie
auch Themen, die nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
des Fachgebiets stärker als bisher diskutiert werden sollten. „Damit
stellen wir einerseits Zwischenergebnisse unserer Forschungsarbeit zur
Diskussion und regen darüber hinaus zukünftige Forschungsaktivitäten an,
die wir gerne zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern in die Wege leiten würden. In jedem Fall handelt es sich
bei den Diskussionspapieren um unabgeschlossene Produkte, deren offener
Charakter interessierte Kolleginnen und Kollegen dazu einladen soll, sich
zu beteiligen“, sagt Prof. Dr. Oliver Schwedes.

Link zum Discussion-Paper:
<https://www.tu.berlin/ivp/forschung/discussionpaper>