„Wohin treibt die Demokratie? Bürgerprotest – Parteienverdruss – Medienschelte“
160 Besucher beim 1. Akademietag der Pallottiner Vallendar 2017
Bei der Auftaktveranstaltung der 41. Akademietage der Pallottiner
Vallendar (Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar, Haus
Wasserburg, Pfarrei Vallendar) am 07.01.2017, 14.00-17.15 Uhr, stand das
Thema "Wohin treibt die Demokratie? Bürgerprotest – Parteienverdruss –
Medienschelte" im Fokus. Rund 160 Besucher waren in die Aula der PTHV
gekommen, um dem Vortrag von Prof. em. Dr. Ulrich Sarcinelli,
Politikwissenschaftler und ehemaliger Vizepräsident der Universität
Koblenz-Landau und dem Impuls von Diplom-Sozialwissenschaftler Philipp
Scherer, Projekt deutsche Wahlforschung an der Goethe-Universität
Frankfurt am Main, zu folgen.
„Die Welt scheint aus den Fugen! Während die Demokratie als
Ordnungsprinzip von der großen Mehrheit der Deutschen bejaht wird, haben
Parteienkritik, allgemeines Politiker-Bashing und Medienschelte bisher
kaum gekannte Ausmaße angenommen“, so Prof. Sarcinell in seinem Vortrag.
Die Frage, „Wohin treibt die Demokratie?“ bewege dabei nicht nur
Deutschland am Beginn eines Jahres mit wichtigen Landtagswahlen und mit
der Bundestagswahl im Herbst 2017. „Nach dem Wahlsieg eines Donald Trump
in den USA schaut man mit Besorgnis auf die anstehenden Wahlen in einigen
europäischen Nachbarländern. Populistische Bewegungen und Parteien haben
Zulauf. Und während die Komplexität von Politik zunimmt, verfestigt sich
der Eindruck eines Steuerungsverlusts von Politik und wächst die Sehnsucht
nach einfachen Antworten.“
„Den Medien kommt Schlüsselrolle zu – soziale Medien werden zur fünften
Gewalt“
In Folge machte Sarcinelli zwei Herausforderungen deutlich, denen sich die
Demokratie zu stellen habe: Zum einen dem Wandel von Staat („Vollendung“
der Deutschen Einheit, Finanz- und Euro-Krise, die EU, Brexit und die
Rolle Deutschlands, unattraktive Aushandlungsdemokratie, Multikulturalität
und nationale Identität, internationaler Terrorismus und Sicherheit,
Globalisierung und internationale Verantwortung; Folge Herausforderung:
starker Staat und offene Gesellschaft) und Gesellschaft (Gesellschaftliche
Modernisierung, Integrationskraft von Parteien, Gewerkschaften, Kirchen…?,
geringere Organisationsbindung: Fitnessstudio“ statt “Verein“,
Bürgerengagement: „Mutbürger“ und „Wutbürger“, lieber unkonventionelle als
konventionelle Beteiligung, „unzufriedene Demokraten“: mitreden wollen
ohne dazu gehören zu müssen; mit Folge: Erosion des
Institutionenvertrauens, steigende Erwartungen an Bürgerbeteiligung und
direkte Demokratie ggf. gepaart mit einer Loyalitätskrise gegenüber
Akteuren und Institutionen) sowie zum anderen der Wandel von Politik und
Medien. Diesen komme eine Schlüsselrolle zu. „Sie waren schon immer und
sind heute mehr denn je ein dynamischer Faktor für den gesellschaftlichen
und politischen Wandel.“ Dabei sollten Medien mehr sein als Organe zur
Bewirtschaftung von Aufmerksamkeit, betonte er. Die Herstellung von
Öffentlichkeit und Transparenz und die Gewährleistung von Freiheit und
demokratischer Willensbildung – alles dies lasse sich nur mit freien
Medien realisieren. Inzwischen aber stehen die Medien selbst im Kreuzfeuer
der Kritik. „Lügenpresse“ wurde zum Unwort des Jahres 2014. „Weit über die
Pegida-Proteste hinaus sehen sich die Massenmedien mit dem Vorwurf eines
kollektiven Versagens konfrontiert“, führte Sarcinelli weiter aus.
Bieten also die Medien noch den Raum, in dem über die für das Gemeinwesen
zentralen Fragen informiert und so demokratische Willensbildung überhaupt
erst ermöglicht werden kann?, fragte sich Prof. Sarcinelli und weiter:
„Folgt auf die viel gescholtene Parteien- und Mediendemokratie im
Zeitalter der digitalen Medien eine Phase der Empörungsdemokratie?“
Sarcinelli zeigte auf, dass die traditionellen Medien ihre Filterfunktion
zu verlieren scheinen und soziale Medien sich zu einer Art fünften Gewalt
entwickeln. „In Zeiten weltweiter digitaler Vernetzung wird die Welt
jedenfalls anfälliger für Manipulation“, stellt Sarcinelli fest. „Schon
ist die Rede vom ‚postfaktischen Zeitalter‘, in dem es angeblich nicht
mehr auf überprüfbare Fakten ankommt.“ Offen lässt Prof. Sarcinelli wohin
die Demokratie treibt. „Und wer treibt die Demokratie wohin?“, fragte er
abschließend. Einfache Antworten gebe es nicht. Vielmehr werde es ankommen
auf die Integrationskraft der Gesellschaft, Überzeugungskraft der
Parteiendemokratie, die Innovationskraft der Zivilgesellschaft, die
Repräsentationskraft der parlamentarischen Demokratie, der Glaubwürdigkeit
der Mediendemokratie und der Anziehungskraft einer europäischen Demokratie
in einer zunehmend globalisierten Welt.
Erfolge der AFD = Protest gegen die etablierten Parteien?
Diplom-Sozialwissenschaftler Philipp Scherer, Projekt deutsche
Wahlforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, ergänzte den
Vortrag von Prof. Sarcinelli um einen Impuls „Protestpartei oder rechte
Alternative? Die Wählerschaft der AfD zwischen der Bundestagswahl 2013 und
den Landtagswahlen 2016“. Darin widmete er sich der Frage, inwieweit die
Erfolge der AfD Ausdruck eines Protests gegen die etablierten Parteien
(CDU/CSU, SPD, Die Linke, Die Grünen und die FDP) in der Bundesrepublik
sind oder aus politischen Überzeugungen sind. Dazu hat er die politischen
Einstellungsmuster der AfD-Wählerschaft mit denen der Wählerinnen und
Wähler etablierter Parteien verglichen. Dazu verwendete er Daten, die im
Rahmen der German Longitudinal Election Study (GLES) erhoben wurden. In
diesem bislang umfassendsten Projekt der deutschen Wahlforschung werden
als Datenbasis Querschnitts- und sowohl kurz- als auch langfristige
Längsschnittumfragen eingesetzt und mit einer Analyse von TV-Duellen sowie
Inhaltsanalysen der Medienberichterstattung kombiniert. Die Auswertung
zeigte Folgendes: Die Wählerinnen und Wähler der AfD zeigen klassische
Motive von Anhängerinnen und Anhängern einer Anti-Parteien-Partei durch
erstens Vorbehalte gegenüber der deutschen Demokratie und ihren
politischen Repräsentanten insbesondere Angela Merkel und zweitens durch
rationale Protestwahl, aber: Die Motive der AfD-Wählerschaft sind jedoch
nicht nur protestgetrieben, sondern basieren auch auf Überzeugungen.
Die Moderation der sich anschließenden Diskussion hat P. Heinz-Willi
Rivert, Hochschulseelsorger an der PTHV, übernommen. Fragen im Rahmen der
Diskussion waren: Wie verhalten sich Mehrheit und Wahrheit? Was ist
überhaupt Wahrheit? Wer bestimmt, was Wahrheit ist? Wer treibt uns und
wohin werden wir getrieben?
Der zweite Akademietag am 14. Januar 2017 widmet sich einem theologischen
Thema: "Störfaktor Gott!? Leben zwischen Komfort und Entschiedenheit."
Referenten sind JProf. Dr. Edward Fröhling SAC, Lehrstuhl für
Fundamentaltheologie und Theologie der Spiritualität an der Theologischen
Fakultät der PTHV, und Lissy Eichert, Pastoralreferentin in der Seelsorge
der Pfarrei St. Christophorus in Berlin-Neukölln und Mitglied im
Sprecherteam von "Das Wort zum Sonntag" (ARD). Die Moderatorin des
Nachmittags ist Elke Heuing-Otterbach, Leiterin des pädagogischen Teams
von Haus Wasserburg.
Die Akademietage werden in gemeinsamer Trägerschaft mit der Katholischen
Erwachsenenbildung Fachstelle Koblenz und der Katholischen
Erwachsenenbildung der Bildungswerke Westerwald und Rhein-Lahn geplant und
umgesetzt. Nach den Veranstaltungen ist Gelegenheit zur Teilnahme an der
sonntäglichen Vorabendmesse gegeben. Eine Anmeldung ist nicht
erforderlich. Der Eintritt ist frei; die Veranstalter bitten um Spenden.
Weitere Informationen bei Frau Stefanie Fein, Institut für
Wissenschaftliche Weiterbildung (IWW) an der PTHV unter der Tel.:
0261/6402-255.
Information zur PTHV:
Die Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar (PTHV) ist eine
kirchlich und staatlich anerkannte wissenschaftliche Hochschule (im Rang
einer Universität) in freier Trägerschaft. Die Gesellschafter der PTHV
gGmbH sind die Vinzenz Pallotti gGmbH und die Marienhaus Holding GmbH.
Rund 50 Professoren und Dozenten forschen und lehren an der PTHV und
betreuen etwa 430 Studierende beider Fakultäten.
Besuchen Sie uns auch im Internet unter: www.pthv.de