Seismograph der Sprachgemeinschaft
Der Umgang mit Fremdwörtern sagt viel über nationale Befindlichkeiten –
Beitrag in „Forschung Frankfurt“
FRANKFURT. Fremdwörter gehören zum Sprachwandel. Immer wieder hat es in
der Sprachgeschichte Wellen fremdsprachiger Einflüsse gegeben, und immer
wieder treten als Reaktion darauf die Fremdwortgegner auf den Plan. Ein
Beitrag der Sprachwissenschaftlerin Dr. Anke Sauter in der aktuellen
Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ widmet sich dem Verhältnis der Deutschen
zu ihren Fremdwörtern.
Auch Wörter wandern ein – so die Wahrnehmung mancher Fremdwortgegner. Wenn
man schon zu Metaphern greift, müsste man jedoch eher sagen: Die Wörter
werden importiert. Denn es ist die Sprachgemeinschaft, die aktiv und aus
freien Stücken Bestandteile fremder Sprachen in die eigene Sprache
übernimmt. Warum sie das tut, dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Ein
Teil der Fremdwörter bleibt und wird zum wesentlichen Element des
Sprachwandels.
Wein, Öl, Fenster – zusammen mit Kultur und Fertigkeiten, die sich aus dem
römischen Reich in der damaligen Welt verbreiteten, kamen auch die
Bezeichnungen in die europäischen Sprachen. Viele sind als Fremdwörter
kaum noch zu erkennen, haben sich der sprachlichen Umgebung vollkommen
angepasst. Aber auch losgelöst davon sind das Griechische und das
Lateinische, das ja bis in die Neuzeit die Sprache der Wissenschaft
geblieben ist, ein wichtiger Quell für Entlehnungen: Bis heute wird man
dort fündig, wenn es darum geht, neue Sachverhalte und Dinge zu benennen,
man denke etwa Wortbildungen mit neo- oder pseudo- oder inter-.
In der so genannten Alamode-Zeit des 17. Jahrhunderts wurden etliche
Wörter aus dem Französischen entlehnt. Kein Wunder: Der Einfluss
Frankreichs war in der Zeit des Absolutismus so groß, dass an europäischen
Höfen bevorzugt Französisch gesprochen wurde. Da wollte auch das Bürgertum
mithalten. Heute hat das Englische den größten Impact. Spätestens seit
1945 gilt es als progressiv, modern, cool. Es reicht schon, wenn Wörter
nur scheinbar aus dem Englischen stammen, um von der Sprachgemeinschaft
akzeptiert zu werden – gängiges Beispiel hierfür ist das Wort Handy, das
in der Bedeutung „Mobiltelefon“ im Englischen nicht existiert.
In der Vergangenheit wurde immer wieder über die „Reinheit“ der Sprache
reflektiert, kreative Köpfe bemühten sich um „Verdeutschungen“. Im 16.
Jahrhundert trug Martin Luther mit seiner Bibelübersetzung dazu bei, die
deutsche Sprache zu einem tauglichen Instrument der Kommunikation zu
machen, später dann ging es um die Etablierung einer einheitlichen
Nationalsprache. Besonders im Vorfeld der Befreiungskriege spielte
Patriotismus als Motivation eine wichtige Rolle – ebenso wie bei den
Sprachreinigern, die sich während und nach dem Ersten Weltkrieg
engagierten und eine Art Stellvertreterkrieg auf sprachlicher Ebene
führten. Einer von ihnen war Eduard Engel, der bis heute zu Unrecht vielen
nur als schriller Fremdwortgegner bekannt ist. Seit 1945 hält sich die
Sprachwissenschaft zurück, dafür formiert sich auf anderer Ebene wieder
Fremdwortkritik. Im Fadenkreuz diesmal: vor allem die Anglizismen.