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So lassen sich Viren als Impfstoffe nutzen

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HZI-Forscher haben herausgefunden, wie sie entschärfte Viren besonders
effektiv als Impfstoff einsetzen können

Viren sind lästige und häufig gefährliche Krankheitserreger, viele von
ihnen bleiben aber gut versteckt und verursachen nur milde bis gar keine
Krankheiten. Diese Viren können in veränderter Form als Hilfsmittel zum
Schutz vor anderen Erregern dienen. Ihre infektiösen Eigenschaften machen
sich Forscher zunutze, indem sie die krankmachenden Bestandteile
ausschalten, die entschärften Viren mit Bruchstücken anderer, gefährlicher
Krankheitserreger beladen und dieses Konstrukt mittels Impfung in den
Körper einbringen. So lernt der Körper die Moleküle der gefährlichen
Erreger kennen – die Abwehrzellen bilden ein immunologisches Gedächtnis.
An sich harmlose Viren können somit den Immunschutz gegen tödliche
Infektionserreger vermitteln. Kommt der Körper nochmals mit dem Erreger in
Kontakt, erkennt das Immunsystem die Moleküle schnell wieder und
neutralisiert den Erreger, bevor er eine Krankheit auslöst.
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in
Braunschweig haben nun herausgefunden, dass für die Stärke der
Immunantwort entscheidend ist, an welcher Stelle die Bruchstücke in den
Trägervirus eingebracht werden und welches die optimale Position dafür
ist. Diese Erkenntnisse sind entscheidend, um den Einsatz von Viren als
Impfstoff weitgehend zu optimieren und Impfstoffe mit geringem
Gefahrenpotenzial zu entwickeln. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die
Wissenschaftler im Fachjournal „PLOS Pathogens“.

Herpes-Viren bilden eine große Familie aus mittlerweile über 200 bekannten
Mitgliedern. Neun davon befallen gezielt den Menschen und verbleiben nach
der Erstinfektion meist ein Leben lang im Körper. Eines dieser Viren ist
das Cytomegalievirus (CMV), das mindestens 40 Prozent aller Erwachsenen in
Deutschland in sich tragen. Meist bleibt es inaktiv, kann aber zum
Beispiel durch eine Immunschwäche aktiviert werden und Schäden an
verschiedenen Organen verursachen. Das Virus löst eine sehr starke
Reaktion des Immunsystems aus, bei der eine große Anzahl bestimmter
Immunzellen – sogenannte T-Zellen – gegen das Virus gebildet wird. Dabei
merken sich die Immunzellen bestimmte Bausteine der Viren, die sie bei
einer erneuten Infektion erkennen und somit gleich die passende
Abwehrreaktion einleiten können. Diese Eigenschaften können Forscher
nutzen, um CMV für Impfungen einzusetzen: In das Erbmaterial künstlich
abgeschwächter Cytomegalieviren bauen sie Genfragmente anderer Viren ein
und schleusen sie in den Körper. Dort veranlasst CMV, dass das eingebaute
Genfragment in Proteine übersetzt wird, die der Körper als fremd erkennt
und T-Zellen gegen sie bildet. Dabei dienen immer nur kurze Abschnitte als
Erkennungssequenz, und nicht alle führen zu einer starken Bildung von
Abwehrzellen.

„Was dazu führt, dass manche Sequenzen eines Proteins eine starke
Immunantwort auslösen, andere aber nicht, war bislang nicht genau
bekannt“, sagt Prof. Luka Cicin-Sain, der am HZI die Arbeitsgruppe
„Immunalterung und chronische Infektionen“ leitet. Um das Rätsel zu lösen,
hat das Team um Cicin-Sain eine Erkennungssequenz des Herpes simplex-
Virus, das unter anderem den Lippenherpes auslöst, an verschiedenen
Stellen eines Cytomegalievirus eingebaut und damit Mäuse infiziert.
Anschließend haben die Wissenschaftler anhand der gebildeten Immunzellen
die Stärke der Immunantwort bestimmt. „Wir konnten feststellen, dass die
Reaktion des Immunsystems auf eine Erkennungssequenz davon abhängt, wo
genau im CMV diese Sequenz eingebaut ist“, sagt Cicin-Sain. In weiteren
Untersuchungen konnten die Wissenschaftler auch einen Grund dafür
aufdecken: War die Sequenz an einer bestimmten Position im CMV eingebaut,
wurde das von ihr abgeleitete Protein in besonders vielen Zellen des
Körpers weiterverarbeitet und für die Bildung spezifischer Abwehrzellen
genutzt.

Dahinter steht eine Art Recycling-Maschinerie der Zellen, die Proteine in
kleine Fragmente zerschneidet und diese für den Aufbau neuer Proteine zur
Verfügung stellt. Der Körper – ob Mensch oder Maus – besitzt zwei
Ausführungen dieser Maschinerie, eine universelle in allen Zellen und eine
spezielle, die nur in Immunzellen vorkommt. Dringen Krankheitserreger in
den Körper ein, zerschneidet die Recycling-Maschinerie auch ihre Proteine
in kleine Fragmente, die dann als Erkennungssequenz für Abwehrzellen
dienen können und von diesen als Erinnerungsmerkmal verwendet werden. „Wir
konnten in unseren Experimenten zeigen, dass je nach Position im CMV die
eingebaute Sequenz entweder nur von der Recycling-Maschinerie der
Immunzellen oder von beiden Maschinerien erkannt wurde“, sagt Cicin-Sain.
„Im zweiten Fall entstehen einfach viel mehr Proteinfragmente, wodurch das
Immunsystem auch viel mehr spezifische T-Zellen bilden kann.“

Ob die so verstärkte Abwehrreaktion des Immunsystems auch die Wirkung
einer Impfung verbessern würde, haben die Wissenschaftler am Beispiel des
Gebärmutterhalskrebses getestet: Dieser Tumor wird ausgelöst durch Humane
Papillomviren, gegen die bereits eine Impfung etabliert ist. Bestimmte
Genabschnitte der Humanen Papillomviren haben die HZI-Forscher an
verschiedene Stellen von CMV eingebaut und Mäuse mit diesen Konstrukten
geimpft. Einige Monate nach der Impfung haben sie die Mäuse mit Zellen des
Gebärmutterhalskrebses infiziert. Dabei bestätigten sich die vorherigen
Ergebnisse: Waren die Mäuse mit dem CMV-Konstrukt geimpft, das die meisten
Abwehrzellen entstehen ließ, konnte ihr Immunsystem alle Tumorzellen
beseitigen – die Mäuse blieben gesund. „Die Ergebnisse zeigen, dass CMV
als Transporter bei Impfungen gut geeignet ist und wir wissen nun auch,
wie wir die beste Wirksamkeit erzielen können“, sagt Luka Cicin-Sain. „In
der klinischen Anwendung ist diese Methode in Europa allerdings noch nicht
zugelassen, da weitere Studien zur Absicherung notwendig sind.“

Originalpublikation:
Peptide processing is critical for T-cell memory inflation and may be
optimized to improve immune protection by CMV-based vaccine vectors: I.
Dekhtiarenko, R.B. Ratts, R. Blatnik, L.N. Lee, S. Fischer, L. Borkner,
J.D. Oduro, T.F. Marandu, S. Hoppe, Z. Ruzsics, J.K. Sonnemann, M.
Mansouri, C. Meyer, N.A.W. Lemmermann, R. Holtappels, R. Arens, P.
Klenerman, K. Früh, M.J. Reddehase, A.B. Riemer, and L. Cicin-7 Sain. PLOS
Pathogens, 2016; <http://dx.plos.org/10.1371/journal.ppat.1006072>

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen
Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was
Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll
den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern.
<www.helmholtz-hzi.de>