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Public Climate School“ an der THWS: Nachhaltigkeitstage für Hochschulangehörige und die Öffentlichkeit Vom 5. bis 7. November finden zahlreiche Veranstaltungen in Würzburg und Schweinfurt online und in Präsenz statt Im Rahmen der bundesweiten „Public Cl

Public Climate School“ an der THWS: Nachhaltigkeitstage für
Hochschulangehörige und die Öffentlichkeit

Vom 5. bis 7. November finden zahlreiche Veranstaltungen in Würzburg und
Schweinfurt online und in Präsenz statt

Im Rahmen der bundesweiten „Public Climate School“ (PCS) organisieren das
Nachhaltigkeitsteam und Dozierende der THWS vom 5. bis 7. November 2024
erstmals Aktionstage zur Nachhaltigkeit. Die PCS ist eine
Bildungsinitiative, die von „Students for Future“ ins Leben gerufen wurde,
um Bildung rund ums Klima in den Vordergrund zu rücken und das Bewusstsein
für die Dringlichkeit der Klimakrise zu schärfen.

Während der Aktionstage rücken nachhaltige Themen noch stärker in den
Fokus der Lehraktivitäten. Interessierte können an den THWS-Standorten in
Würzburg und Schweinfurt an einem vielfältigen Veranstaltungsprogramm
online und in Präsenz teilnehmen, um verschiedenste thematische Facetten
zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit zu erfahren und zu erleben. „Eine
tolle Möglichkeit sich auszutauschen in einem Themenfeld, das für die THWS
als nachhaltig orientierte Hochschule wesentlich ist“, so Prof. Dr. Ulrich
Müller-Steinfahrt, Nachhaltigkeitsbeauftragter der THWS Es werden
unterschiedliche Formate, zum Teil auch in englischer Sprache, von
Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten der Hochschule angeboten.

Zu den Programmpunkten gehören unter anderem Planspiele wie
„Klimaanpassung spielerisch lernen: Innovative Strategien und Lösungen für
Unternehmen ableiten“ in Würzburg oder „Wärmeplanung 360°: Rollenspiel zur
zukünftigen Wärmeversorgung Deutschlands“ in Schweinfurt. Es gibt außerdem
Vorträge und Workshops zu Themen wie klimaangepasstes Bauen,
Nachhaltigkeit in Produktion und Logistik, Verständnis und Wahrheiten zu
„Green Products“ und „Green Washing“ oder soziale Nachhaltigkeit.

Alle Studierenden, Hochschulangehörigen und sowie die interessierte
Öffentlichkeit sind zu den kostenlosen Veranstaltungen herzlich
eingeladen. Das detaillierte Programm sowie die Anmeldung sind auf der
THWS-Webseite zu finden.

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Preisträgerin Cristina Murer entdeckte das Grab-Recycling der Spätantike

Der diesjährige Marie Heim-Vögtlin-Preis geht an Archäologin Cristina
Murer. Der SNF verleiht ihr die Auszeichnung für ihre Forschung zu
Grabplünderungen in der Spätantike, einer Zeit des Umbruchs.

Gerade in Zeiten des Umbruchs und während Krisen müssen Ressourcen durch
Kreativität, Recycling und Kreislaufwirtschaft geschont werden. Oftmals
besinnen sich Gesellschaften dann auf lokale Ressourcen in nächster Nähe
zurück. Das ist heute so – und war in der Spätantike nicht anders, wie
Cristina Murer mit ihrer Forschung zeigen konnte. Allerdings bediente man
sich damals sogar bei den Toten.

Als Ambizione-Projektleiterin an der Universität Bern erforschte sie
dieses Grab-Recycling. Dafür erhält sie vom Schweizerischen Nationalfonds
(SNF) den Marie Heim-Vögtlin-Preis 2024. Die Preisverleihung findet am 12.
November in Bern statt.

Zerstörung hiess Bewahrung

«Die Spätantike steht nicht für den Niedergang der menschlichen
Zivilisation, sie war eine Zeit des Übergangs», sagt Murer. Damals war der
Handel von Marmor zusammengebrochen. Neue Bezugsquellen fand man in den
prachtvollen, inzwischen herrenlosen römischen Gräbern vor Ort. «Ich
konnte zeigen, dass ihre Plünderung und Zerstörung Teil wichtiger
Recyclingprozesse in Städten war; ein kreativer Prozess, aus dem Neues
entstand. Die Gräber wurden also nicht, wie bisher angenommen, von
Christen im Zuge antiheidnischer Massnahmen zerstört.»

Zerstörung bedeute also nicht automatisch das Ende. Ganz im Gegenteil:
Überhaupt erst durch die kreative Wiederverwendung sei somit der Schmuck
antiker Grabbauten über die Zeit erhalten geblieben. «Fast alles aus der
Spätantike, was nicht recycelt und umfunktioniert wurde, ist heute
zerstört.»

Minutiöse Archivarbeit mit alten Tagebüchern

Neben der Arbeit mit den archäologischen Befunden legte Murer grossen Wert
darauf, diese interdisziplinär auszuwerten und in ihren umfassenderen
historischen Kontext zu stellen. «Viele Informationen zum Grabraub in der
Spätantike habe ich Gesetzestexten und literarischen Quellen der Zeit
entnommen. Zudem kämpften wir uns in minutiöser Archivarbeit durch die
italienischen Ausgrabungstagebücher des frühen 20. Jahrhunderts. Das wird
heute kaum noch gemacht, ist aber von grossem wissenschaftlichem Wert.»
Früher habe man kein Interesse an den spätantiken Schichten gehabt und sie
einfach abgetragen. «Mit den alten Grabungstagebüchern konnten wir diese
aber ansatzweise rekonstruieren.»

Murers Interesse an der Epoche begann, als sie sich in ihrer Doktorarbeit
mit Ehrenstatuen von wohlhabenden Frauen im öffentlichen Raum
beschäftigte. Sie fand heraus, dass viele Statuen aus der Kaiserzeit in
der Spätantike wiederverwendet, also recycelt wurden. Oftmals stammten die
Kunstwerke aus alten Gräbern. «Das hat mir zunächst niemand geglaubt – bis
ich es schliesslich beweisen konnte. Dann wollte ich wissen, was noch
alles hinter dem Phänomen steckt.»

Bloss Quotenfrau?

Jetzt den Marie Heim-Vögtlin-Preis zu erhalten, bedeutet Cristina Murer
viel. «Ich freue mich besonders, dass ich diesen Forschungspreis für ein
Orchideenfach wie die Klassische Archäologie erhalte.» Explizit als Frau
ausgezeichnet zu werden, sei ebenfalls sehr wichtig, um Forscherinnen in
ihrem Fachgebiet weiter sichtbar zu machen. «Ich wurde immer nur von
Männern unterrichtet und jetzt bin ich die erste Professorin am Institut
in Tübingen.»

Dieser Wandel sei für die Studierenden wichtig. Auch kämen Studentinnen
mit frauenspezifischen Anliegen jetzt zu ihr, der Vertrauensperson. Der
Vorwurf, eine Quotenfrau zu sein, ist Cristina Murer zwar schon begegnet.
Da müsse man aber drüberstehen, sagt sie. Ihre Tipps? «Ein gesundes
Selbstvertrauen entwickeln, sich mit anderen Forscherinnen und Forschern
in internationalen Netzwerken vernetzen und lernen, sich besser zu
verkaufen.» Um letzteres zu fördern, hat Murer kürzlich für ihre
Studentinnen eine Rhetorikschulung organisiert.

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Auszeichnung für exzellente Forscherinnen

Mit dem Marie Heim-Vögtlin-Preis würdigt der SNF jedes Jahr eine
hervorragende Nachwuchsforscherin. Die Gewinnerinnen sind inspirierende
Vorbilder. Während der Laufzeit ihres SNF-Förderbeitrags konnten sie
bemerkenswerte Resultate erzielen und ihre Karriere entscheidend
vorantreiben. Seit 2020 geht der Preis an eine ehemalige
Beitragsempfängerin der Förderinstrumente MHV, Doc.CH, Postdoc.Mobility,
Ambizione oder PRIMA.

Marie Heim-Vögtlin, die Namensgeberin des Preises, wurde 1868 als erste
Schweizerin an der Universität Zürich zum Studium an der medizinischen
Fakultät zugelassen. Nach dem Abschluss des Studiums eröffnete sie eine
Praxis für Gynäkologie, die sie nach der Geburt ihrer zwei Kinder
weiterführte. Sie zählt zu den Vorreiterinnen im Kampf für den Zugang der
Frauen zu akademischer Bildung.
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Wege zur Sanitär- und Nährstoffwende

Handbuch des Forschungsprojekts »zirkulierBAR« präsentiert Ansätze für
eine innovative Kreislaufwirtschaft

Nach drei Jahren interdisziplinärer Zusammenarbeit hat das Fraunhofer IAO
gemeinsam mit den Partnern des Projekts »zirkulierBAR« Lösungsansätze und
Forschungsergebnisse zur Sanitär- und Nährstoffwende in einem Handbuch
veröffentlicht. Im Fokus stehen technische und ökologische Möglichkeiten
zur Kreislaufführung menschlicher Ausscheidungen als Recyclingdünger. Das
Handbuch ist ein Praxisleitfaden für kommunale Mitarbeitende, Planende,
Landwirtschaft und alle Interessierten.

Wie können wir den Boden nachhaltig verbessern, Nährstoffe recyclen und
den Verbrauch von Erdgas und Rohphosphat verringern, und zudem im großen
Stil Trinkwasser sparen und die Belastung der Gewässer reduzieren? In
Recyclingdüngern aus Inhalten von Trockentrenntoiletten steckt viel
Potenzial. Das Forschungsprojekt zirkulierBAR hat gezeigt, dass es
technisch machbar und ökologisch sinnvoll ist, menschliche Ausscheidungen
zu Dünger aufzubereiten und diesen landwirtschaftlich zu nutzen.

Akzeptanz in der Bevölkerung
Mit einem systemischen und interdisziplinären Ansatz konnte zirkulierBAR
in den letzten drei Jahren die Herstellung und Anwendung von
Recyclingdüngern unter verschiedenen Aspekten erforschen. Das Fraunhofer-
Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat im Kontext des
Projekts beleuchtet, welche Voraussetzungen für ein funktionierendes
Innovationsökosystem notwendig sind. Darüber hinaus hat das Forschungsteam
die Akzeptanz in der Bevölkerung sowie die Perspektive potenzieller
Stakeholder erhoben. »Die Ergebnisse unserer Befragung bestätigen eine
bereits hohe Akzeptanz von ressourcenorientierten Sanitärsystemen in der
Gesellschaft. Jetzt braucht es einen rechtssicheren Rahmen, um
Pflanzennährstoffe in einem Kreislauf zu führen. Dadurch können wir Wasser
sparen, Schadstoffe reduzieren und Ressourcen schonen«, sagt Felix
Bickert, Projektleiter des Fraunhofer IAO. Damit aus dem zirkulierBAR-
Reallabor des Landkreises Barnim in Eberswalde Wirklichkeit wird, müsste
u.a. das Düngemittel- und Abfallrecht  angepasst werden. Ein Beispiel:
Damit menschliche Ausscheidungen in die Düngemittelverordnung aufgenommen
werden können, müssen sie als Bioabfall gelten – das ist momentan noch
nicht der Fall.

Forschungsergebnisse und praktische Anwendungen
Die im Handbuch publizierten Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung
bilden eine fundierte Grundlage, auf der diese Zukunftstechnologie jetzt
skaliert und breiter eingesetzt werden kann. Das Handbuch zeigt auf, wie
ganz konkrete Transformationsschritte in Richtung regionale
Kreislaufwirtschaft aussehen könnten.

Aus dem Inhalt:

- Wie gelang der Aufbau der Recyclinganlage in Eberswalde? Sie ist die
deutschlandweit erste Anlage, in dem Urin und Fäzes gesammelt,
hygienisiert und mit
wissenschaftlicher Begleitung als Recyclingdünger wiederverwertet werden.
- Untersuchungen im Rahmen der Qualitätssicherung haben gezeigt, dass die
Recyclingdünger gesundheitlich unbedenklich sind und die fachlichen
Anforderungen
an Düngemittel erfüllen.
- Eine Umfrage unter Bio-Anbau-Verbänden zeigt, dass der Einsatz von
Recyclingdüngern in der ökologischen Landwirtschaft positiv bewertet wird.
- In einer repräsentativen Studie wird deutlich, dass eine
gesellschaftliche Akzeptanz da
ist: über 50 Prozent der Befragten zeigten sich offen für Trenntoiletten
und
Recyclingdünger.
- Welche institutionellen Gestaltungsfragen ergeben sich hinsichtlich
einer öffentlichen,
ressourcenorientierten Sanitärversorgung? Erfahrungen aus Kommunen, die
eine
zentrale Rolle in der Sanitärwende einnehmen.
- Welche rechtlichen Veränderungen sind notwendig, um einen adäquaten
Rechtsrahmen für den Einsatz ressourcenorientierter Sanitärsysteme zu
schaffen?
- Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte und am
Leibniz-
Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau (IGZ) koordinierte Projekt
zirkulierBAR wird
mit dem Jahr 2024 zu Ende gehen.

Die Präsentation des Handbuchs
Auf der zirkulierBAR Abschlussveranstaltung am 17. Oktober 2024 in Berlin
wurde das Handbuch zur Sanitär- und Nährstoffwende vorgestellt und an
Vertreterinnen und Vertreter aus dem Netzwerk der beobachtenden Kommunen
und weitere Stakeholder aus dem Innovationsökosystem übergeben.

Stimmen zum Handbuch und zur Sanitärwende

Michael Kellner, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und
Klimaschutz sagte in einem Video-Grußwort:
Mich treibt die Frage um, wie wir in allen Lebensbereichen
Kreislaufwirtschaft umsetzen können. zirkulierBAR ist hier mit dem
Recycling von Nährstoffen neue Wege gegangen, dafür bedanke ich mich.«

Marco Schlüter, Referent und Koordinator für öffentliche Sanitäranlagen
der Stadt Leipzig und Mitglied im Netzwerk beobachtender Kommunen sagte in
seinem Statement:
Ich bin mittlerweile fest davon überzeugt, dass die Etablierung
ressourcen-orientierter Sanitärsysteme richtig ist. […] Ich nehme dieses
Handbuch und die gesammelten Erfahrungen der letzten Jahre mit und mache
mich hoffnungsvoll auf den Weg in eine Zukunft, in der wir sparsam mit
kostbarem Trinkwasser umgehen, unsere Umwelt schützen und wertvolle
Nährstoffe regional und effizient recyceln.«

Über die Entstehung des Handbuchs erzählten Anna Calmet und Annika
Grebener von der Kontaktstelle Kommunen des Projekts zirkulierBAR:
Auf 124 Seiten haben wir nahezu alle Erkenntnisse aus unseren 3 Jahren
Forschung zusammengefasst. Das Handbuch ist eine Anleitung, vom stillen
Örtchen aus etwas fürs Klima zu tun. Es soll aus dem "Pfui" ein "Hui"
werden lassen, zum Nachahmen und Weiterforschen anregen.«

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Inspiriert von der Natur: Biophysiker aus dem Projekt InCamS@BI entwickelt neuartige Mikroplastikfilter im Labor

Heutzutage ist es überall zu finden: Mikroplastik. Es wird insbesondere
durch die Luft und durchs Wasser in die entlegensten Winkel der Erde
transportiert. Eine der großen Fragen lautet: Wie können wir verhindern,
dass Mikroplastik in unsere Gewässer und damit in die Umwelt gelangt?
Einer, der einer Antwort ganz nah ist, ist Biophysiker Tim Robertino
Baumann. In InCamS@BI, einem gemeinsamen Projekt der HSBI und Universität
Bielefeld, entwickelt er ein neuartiges Filtersystem für die kleinen
Partikel. Schließlich ist Plastik aus unserer Gesellschaft nicht mehr
wegzudenken.

Bielefeld (hsbi). Majestätisch schwimmt er durch die tropischen Ozeane:
der Riesenmanta. Mit wellenförmigen Schwingungen seiner Flossen bewegt
sich der bis zu acht Meter lange und sieben Meter breite Meeresbewohner
fort – ein bisschen wie ein Vogel mit seinen Flügen. Diese Art
Teufelsrochen kann bis zu zwei Tonnen wiegen und ernährt sich unter
anderem von winzigem Zooplankton. Das filtert der Riese während seiner
Wanderung einfach aus dem Wasser. Damit das möglich ist, hat er in seinem
Inneren ein ausgeklügeltes System, wodurch er die Kleinstlebewesen vom
Wasser trennt.

Genau dieses Filtersystem ist aus biophysikalischer Sicht hoch spannend
für die Separation von Mikroplastik aus Flüssigkeiten. Tim Robertino
Baumann, Doktorand an der Universität Bielefeld, beschäftigt sich jetzt
seit fast zwei Jahren damit, diese Methode zu übertragen. Der Biophysiker
ist zusätzlich Technologiescout im Transferprojekt InCamS@BI, dem
Innovation Campus for Sustainable Solutions der Hochschule Bielefeld
(HSBI) und der Universität Bielefeld. Die Idee für seine Forschung hat er
aus einer wissenschaftlichen Publikation aus den USA, doch die
Forscher:innen dort haben ihren Ansatz bisher nicht weiter verfolgt.
Baumann sah mehr Potenzial als seine amerikanischen Kolleg:innen – und das
zu Recht. In seinem Projekt „Bluewater“, wie er seine Masterarbeit nannte,
konnte er zeigen, dass die Methode funktioniert. Jetzt will er „seine“
Filter optimieren.

Mikroplastik im Wasser: der größte Emittent ist Kleidung

Zur Einordnung: Als Mikroplastik werden feste und in Wasser unlösliche
Partikel und Fasern bezeichnet, die aus synthetischen oder biologischen
Polymeren bestehen und häufig mit Additiven versetzt sind. Ihr Durchmesser
beträgt einen Mikrometer bis fünf Millimeter – alles, was kleiner ist,
gehört zur Kategorie Nanoplastik. Auf der in der Regel recht rauen
Oberfläche der Partikel können sich sogar Kontaminanten, wie pathogene
Erreger oder Toxine, anlagern. Da Mikroplastik mit herkömmlichen
Filtermethoden durch Kläranlagen flutscht, ist es mittlerweile fast
überall nachgewiesen: In landwirtschaftlich genutzten Böden, in
Klärschlämmen, in Meeres- und Flusswässern, in der Atmosphäre, im Schnee,
in arktischem Eis und der Tiefsee.

Wo soll man da anfangen? Tim Robertino Baumann hat sich entschieden: im
Wasser. Schaut man sich das Mikroplastik im Meer an, lässt sich
feststellen, dass 35 Prozent der Partikel aus synthetischer Kleidung
kommen, 28 Prozent vom Reifenabrieb und 24 Prozent aus städtischem
Feinstaub. Der Rest entspringt u.a. Straßenmarkierungen,
Schiffsbeschichtungen und Kosmetik. Der größte Emittent ist also Kleidung.
Studien zufolge besteht diese heute aus 60 Prozent Kunstfasern.
Insbesondere, wenn die Textilien gewaschen werden, können sich Partikel
und Fasern lösen und so ins Wasser gelangen. Laut Umweltbundesamt geraten
bis zu 2.000 Kunstfasern aus Fleece-Kleidungsstücken pro Waschgang über
Fließgewässer in die Meeresumwelt. Wie man dem entgegenwirken kann:
Verbraucher:innen könnten zum Beispiel weniger schleudern, die Textilien
weniger heiß waschen und vermeiden, Fleece-Stoffe mit „harten“
Kleidungsstücken wie Jeans zu waschen. Am größeren Hebel sitzt in dem
Kontext jedoch die Industrie: Sie könnte – wie in Frankreich ab 2025
vorgeschrieben – Waschmaschinen mit Mikroplastikfiltern anbieten. Doch
dafür braucht es eine sehr gut funktionierende Technik.

Sekundäres Mikroplastik ist eine Gefahr für Menschen und Tiere

Das Projekt InCamS@BI, in dem Baumann zusätzlich zu seiner Promotion tätig
ist, ist sehr interdisziplinär und hat sich auf die Optimierung der
zirkulären Wertschöpfungskette – insbesondere im Hinblick auf Kunststoffe
– spezialisiert. Mikroplastikfilter passen thematisch perfekt dazu, da
Mikroplastik oft ein Enderzeugnis von Kunststoffen ist – und dessen
Wiederbeschaffung ist nicht trivial. Werden Kunststoffprodukte nicht
fachgerecht entsorgt, enden die Produkte schlimmstenfalls in der Umwelt
und degradieren hier zu Mikroplastik. So entstehende Partikel werden als
sekundäres Mikroplastik bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird primäres
Mikroplastik schon so klein hergestellt und beispielsweise in Kosmetika
oder Scheuermitteln eingesetzt.

Mikroplastik ist ein akutes allgegenwärtiges Risiko – nicht nur für die
Umwelt, sondern auch für Tiere und Menschen. Laut
Weltgesundheitsorganisation WHO hat Mikroplastik Auswirkungen auf das
Verdauungs-, Atemwegs-, Herzkreislauf- und Fortpflanzungssystem, auf
Nieren, Leber und Schilddrüse. Da es weder chemisch in Wasser gelöst, noch
biologisch abgebaut werden kann (außer von speziellen Bakterien oder
Pilzarten), verweilt Mikroplastik sehr lange im Kreislauf und lagert sich
im Laufe der Zeit in und um Zellen sowie an zellulären Bestandteilen an.
Dies ist besonders kritisch, wenn sich am Kunststoff angelagerte Toxine
und Erreger oder schädliche Additive herauslösen und so zu Entzündungen
führen. „Ohne gezielte Versuche der Rückgewinnung bleibt Mikroplastik im
Wasser und stellt ein totes Ende im Kunststoffkreislauf dar“, verdeutlicht
Tim Robertino Baumann. „Mit zielgerichteter Grundlagenforschung jedoch
kann dieser Teil des Kreislaufs geschlossen und durch den anschließenden
Transfer von der Forschung in die Industrie übertragen werden. So können
wir Probleme direkt am Ansatz lösen.“

Der vom Manta inspirierte Filter: ein System aus Kanälen und Lamellen

Seit seiner Entscheidung hat Tim Baumann viele Monate in den Laboren der
Fakultät für Physik an der Universität Bielefeld verbracht. Der Anfang war
für den 26-Jährigen am schwierigsten: „Ich habe so viele Materialien
ausprobiert, mit verschiedenen Klebemethoden gearbeitet, bin einem Fehler
nach dem anderen auf den Grund gegangenen – das war oft sehr
frustrierend“, erinnert er sich. „Aber dann kam dieser eine Tag nach neun
oder zehn Monaten Arbeit, an dem ich bei meiner damaligen Mentorin Dr.
Martina Viefhues im Büro saß, richtig demotiviert, weil nichts geklappt
hat. Sie riet mir, weiterzumachen, war immer optimistisch. Ich bin dann
also zurück ins Labor –  und auf einmal hat es funktioniert. Ich war
sprachlos und sehr glücklich“, berichtet Baumann von seinem Durchbruch.

Die Filter, die er hergestellt hat, sehen etwas ungewöhnlich aus und
ähnelt einem Kanalsystem: Zwischen einem eigens hergestellten und
geformten Silikon und einer Glasplatte befindet sich der Strömungskanal,
durch den das mit Mikroplastik versetzte Wasser von einer Seite mit zehn
bar Druck – vier bis fünf Mal so viel wie in einem Autoreifen – gepumpt
wird. Die Partikel wandern geradeaus durch den Kanal und landen zusammen
mit etwas Wasser im „Waste“-Behälter. Das restliche, reine Wasser, sucht
sich einen anderen Weg und zwar links und rechts der Mitte um eine Art
Lamellen herum. Aufgrund des Drucks fließt es nicht wieder zurück, sondern
in ein zweites Gefäß, den „Filtrat“-Behälter.

Am PC fertigt Baumann zunächst ein Modell an und simuliert den
Wasserdurchfluss. Wenn am Computer alles funktioniert, startet er die
reale Produktion. Das bedeutet, er erstellt zunächst eine Maske, mit der
er einen sogenannten Masterwafer mittels Photolithographie erzeugt.
Dadurch entsteht ein negatives Relief der Struktur, das mit weichem
Silikon abgeformt wird, Das Material mischt der Wissenschaftler selbst an.
Anschließend wird das Silikon zurechtgeschnitten, gestanzt und mit einem
speziellen Verfahren auf ein Glas geklebt, das Plasmaoxidation genannt
wird. Danach kann das eigentliche Experiment losgehen: Mit hohem Druck
wird die Probe durch den Filter getrieben. Sie besteht aus Wasser, das mit
Mikroplastikpartikeln versetzte ist. Zum Schluss wird die
Partikelkonzentration der Filterausgänge, also der „Waste“ und das
„Filtrat“, miteinander verglichen.

Die menschengemachten Auswirkungen auf die Umwelt sind nicht unter
Kontrolle

Aktuell können mit der Methode etwa 81 Prozent der Partikel aus der Probe
gefiltert werden. Die beiden Behälter (sauber und verunreinigt) sind nach
den Versuchen stets ungefähr gleich voll. 25 Milliliter Flüssigkeiten
werden pro Minute durch den Filter „gejagt“. In Zukunft möchte Baumann
zeigen, dass die Technik auch mit einem geringeren Wasserdruck
funktioniert. Denn: Im Haushalt fließt das Wasser in der Regel mit etwa
2,5 Bar, also nur einem Viertel dessen, was er aktuell in den Experimenten
nutzt. Sein zusätzliches Ziel ist es, noch mehr sauberes Wasser zu
erhalten.

Mittlerweile hat er Unterstützung im Labor: Ioannis Gkekas schreibt
zurzeit seine Bachelorarbeit bei Tim Robertino Baumann. Gkekas verändert
verschiedene Parameter im Filter, passt zum Beispiel die Lamellenform an
oder variiert die Abstände. „Die Forschung hier ist cool, weil viel
Potenzial in den Filtern steckt. Ich habe mir die Arbeit bewusst
ausgesucht, weil die Belastung unserer Umwelt mit Mikroplastik
gesellschaftlich einfach relevant ist“, so Nachwuchswissenschaftler
Gkekas. Das wissenschaftliche Forschungsgebiet, auf der ihre Arbeit fußt,
ist die sogenannte Mirkofluidik.

Baumanns Masterarbeit ist abgeschlossen, jetzt promoviert er bei Prof. Dr.
Dario Anselmetti zu dem Thema und ist in Teilzeit als Technologiescout im
Transferprojekt InCamS@BI tätig. Dario Anselmetti erklärt, warum der
Transfer von Forschung so wichtig ist: „Der Austausch von Wissen und der
Transfer von Forschungsergebnissen sind die Grundlage für die langfristige
und nachhaltige Weiterentwicklung unserer Bildungsgesellschaft auf Basis
der faktenbasierten Wissenschaftlichkeit. Es ist eine der Hauptaufgaben
der Hochschulen und ihrer Wissenschaftler:innen als Teil dieser
Gesellschaft, ihre neuen Erkenntnisse nicht nur in wissenschaftlichen
Journalen zu veröffentlichen, sondern diese ebenfalls möglichst direkt den
Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und der Zivilgesellschaft zur
Verfügung zu stellen“, so der Prorektor für Studium und Lehre der
Universität Bielefeld. Erst das ermögliche die anwendungsorientierte
Umsetzung des Wissens in innovative Produkte und Dienstleistungen und
trage damit zur Stärkung der Wirtschaft und der Schaffung neuer
zukunftsorientierter Arbeitsplätze bei. „Heute haben wir längstens
erkannt, dass unser oft noch zu ressourcenintensiver Lebensstil unsere
eigene Lebensgrundlage gefährdet, wobei der Mensch selbst zu einer Art
geologischem Faktor geworden ist. Ein Ausdruck davon ist die Belastung
unserer Umwelt mit Mikroplastik, die vor zehn Jahren kaum bekannt war.
Hier innovative, das bedeutet schnelle und praktikable, Lösungen
anzubieten ist herausfordernd und wissenschaftlich extrem spannend. Und da
setzt auch die Arbeit von Tim Baumann an“, erklärt der Experte. Sein
Doktorand, Mikrofluidik-Experte Baumann, fügt hinzu: „Als Wissenschaftler
will ich den Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen, sondern in sie
hineinblicken.“

Das Ziel ist eine großflächige Anwendung in Kläranlagen, Haushaltsgeräten
und Aufbereitungsanlagen

Baumann ist überzeugt: „In diesem Job muss man einsehen: Alles beginnt mit
einem Problem und endet mit einem neuen.“ Wenn das Filtersystem dann mit
verbesserten Eigenschaften im Labor funktioniert, muss die Technik
natürlich den Weg in die Anwendung schaffen. Baumanns Traum ist es, so
lange an den Filtern zu forschen, bis sie tatsächlich in Kläranlagen,
Wasch- oder Spülmaschinen, Wiederaufbereitungsanlagen oder als
Eingangsfilter für Hauswasserleitungen eingesetzt werden können.
„Vielleicht gründe ich dann ja auch ein Unternehmen, wer weiß?“, überlegt
er. Sein großes Ziel: eine gute und günstige Lösung für den Masseneinsatz
zu entwickeln, bei der der Durchsatz möglichst hoch ist und eine große
Bandbreite von Partikelgrößen extrahiert wird. Können in Zukunft auch
Teilchen im kleinsten Mikrometerbereich gefiltert werden, sind auch
Anwendungen abseits von Mikroplastik denkbar, zum Beispiel als
Trinkwasserfilter gegen Mikroorganismen.

Für Baumann bis heute faszinierend: „Die Natur liefert oft die Lösung für
Probleme, die sie betrifft“ – ohne das Vorbild der Riesenmantas wäre die
Forschung vielleicht gar nicht auf diese Idee gekommen. Denn wenn Baumanns
Filter irgendwann eingesetzt werden können und weniger Mikroplastik in die
Meeresumwelt gelangt, profitieren nicht nur wir Menschen – sondern auch
die Riesenmantas.

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