Heimvorteile für die Olympia-Gastgeber - Leiden die Medaillenchancen unter der Abwesenheit des Publikums?
Die Olympischen Spiele 2021 in Tokio sind die ersten modernen Olympischen
Spiele der Geschichte, die ohne Zuschauer stattfinden. Das hat auch
Auswirkungen auf die japanischen Gastgeber, denn während sich deren
Athleten auf frenetische Anfeuerung gefreut hatten, müssen sie nun vor
leeren Rängen konkurrieren. Die Historie der Olympischen Sommerspiele hat
aber gezeigt, dass sich die jeweiligen Gastgeber noch auf andere
Heimvorteile verlassen können.
Zahlreiche Forschungen (z.B. Forrest et al, 2016; Pollard 2010; Rewilak
2021) der jüngeren Vergangenheit haben sich damit befasst, ob und in
welchem Maße die gastgebende Nation von einem Heimvorteil bei den
Olympischen Sommerspielen profitiert. Dabei haben sich insbesondere vier
Faktoren herauskristallisiert, die einen Heimvorteil begründen:
• Die Athleten des Ausrichterlandes müssen nicht oder deutlich
weniger reisen,
• sind bereits mit den Bedingungen vor Ort vertraut,
• Schiedsrichter fällen, häufig durch das heimische Publikum unter
Druck gesetzt, für sie tendenziell vorteilhaftere Entscheidungen und
• das Heimpublikum in den Arenen treibt die eigenen Athleten zu
Höchstleistungen an.
Zumindest auf den letzten Faktor müssen die japanischen Olympioniken in
diesem Jahr verzichten. Dennoch hat sich in der Vergangenheit gezeigt,
dass dennoch ein signifikanter Heimvorteil existiert. Teilweise gibt es
allerdings deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Sportarten und
auch zwischen den Geschlechtern.
Forscher der WHU – Otto Beisheim School of Management, der Universität
Reading und der Universität Aston haben im Rahmen einer statistischen
Analyse u.a. beobachtet, dass die Gastgeber der Olympischen Sommerspiele
im Durchschnitt einen um etwa zwei Prozentpunkte höheren relativen Anteil
am sportlichen Erfolg erwarten können. Dies gilt in dieser Form sowohl bei
den Herren als auch bei den Damen und über alle Disziplinen hinweg. Lässt
man Finalisten und Bronzemedaillengewinner außen vor, bedeutet dies in
etwa, dass Japan in Tokio vermutlich trotz der fehlenden Fans jede siebte
Silbermedaille in eine goldene verwandeln können wird – und dies nur
deshalb, weil das Team zu Hause antritt.
Bei den vergangenen drei Olympischen Sommerspielen in Rio (2016), London
(2012) und Peking (2008) schnitten die Heimmannschaften jeweils
ungewöhnlich und überdurchschnittlich gut ab. Sowohl bei den Herren als
auch bei den Damen waren die Ausrichternationen – gemessen an der Anzahl
der insgesamt errungenen Medaillen sowie der im Rahmen der Wettkämpfe
erzielten Finalteilnahmen – relativ erfolgreicher als bei den Spielen
zuvor, die jeweils in anderen Ländern stattgefunden hatten. Betrachtet man
beispielsweise nur die Anzahl der insgesamt gewonnenen Goldmedaillen, so
stieg diese bei Brasilien zwischen 2012 und 2016 von drei auf sieben, bei
Großbritannien zwischen 2008 und 2012 von 19 auf 29, und bei China
zwischen 2004 und 2008 sogar von 32 auf 48. Der sogenannte Spill-Over-
Effekt sorgt außerdem dafür, dass die Gastgeber-Nation auch bei den
unmittelbar vor und nach der Olympiade zu Hause stattfindenden Wettkämpfen
deutlich besser abschneidet als bei allen übrigen Spielen.
- Aufrufe: 1