Aktionsplattform für tierversuchsfreie Kosmetikprodukte
Tierversuche für Kosmetika sind in der EU seit 2013 verboten. Eine Studie
der transatlantischen Denkfabrik t4 („Transatlantic Think Tank for
Toxicology“), an der auch Forschende des mit der Universität Konstanz
assoziierten „Europäischen Zentrums für Alternativmethoden zu
Tierversuchen“ (CAAT-Europe) mitgewirkt haben, zeigt nun, dass dieses
Testverbot von den europäischen Regulierungsbehörden nicht immer umgesetzt
wird. Für kosmetische Inhaltsstoffe werden nach wie vor in großem Umfang
Daten aus Tierversuchen angefordert, ohne dass dies den Verbraucher*innen
bewusst ist. CAAT-Europe plant daher eine Aktionsplattform für mehr
Transparenz bei tierversuchsfreien Kosmetikprodukten.
Laut Kosmetikverordnung der Europäischen Union (EU) sind Tierversuche für
die Risikobewertung kosmetischer Produkte oder deren Bestandteile in der
EU und all ihren Mitgliedsstaaten verboten. Die Verordnung beinhaltet auch
ein EU-weites Vermarktungsverbot von Kosmetika, deren Inhaltsstoffe an
Tieren getestet wurden. Diese richtungsweisende politische Entscheidung
sicherte der EU eine führende Rolle im Tierschutz und hat über die Grenzen
der EU hinaus zu positiven Entwicklungen im Bereich der Alternativmethoden
zu Tierversuchen beigetragen. „Tatsächlich hat sich der Kosmetiksektor zu
einem Motor des Wandels entwickelt, der – durch die europäische
Gesetzgebung befeuert – den Einsatz von Alternativmethoden zu
Tierversuchen auch in anderen Teilen der Welt stark vorangetrieben hat“,
erklärt Dr. Giorgia Pallocca, stellvertretende Direktorin des CAAT-Europe
an der Universität Konstanz.
Verbraucher*innen, die in einem der Mitgliedstaaten der EU
Kosmetikprodukte kaufen, gehen daher in der Regel davon aus, dass für die
Marktzulassung der Produkte keine Tierversuche durchgeführt wurden,
zumindest nicht nach Inkrafttreten der Verbote aus der Kosmetikverordnung
im Jahre 2013. Dass diese Annahme jedoch nicht richtig ist, beschreibt ein
aktueller Bericht der transatlantischen Denkfabrik t4, der gerade in der
Fachzeitschrift ALTEX erschienen ist. Ein Grund hierfür ist eine weitere
EU-Verordnung, die teilweise im Widerspruch zur Kosmetikverordnung steht:
die EU-Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und
Beschränkung von Chemikalien (REACH). Alle Chemikalien, die in Mengen von
mehr als einer Tonne pro Jahr in der EU hergestellt oder in diese
importiert werden, müssen per Dossier mit vollständiger toxikologischer
Bewertung bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) registriert
werden.
Schlupflöcher und widersprüchliche Gesetzgebung
Viele kosmetische Inhaltsstoffe werden auch in anderen Produkten, wie zum
Beispiel Waschmitteln oder Wandfarben, verwendet. In solchen Fällen
unterliegen die Stoffe anderen Vorschriften, die Tierversuche erlauben und
vorschreiben. „Diese Mehrfachnutzung von Substanzen ist eines der
‚Schlupflöcher‘, über das weiterhin Inhaltsstoffe, deren Risikobewertung
teilweise über aktuelle Tierversuche erfolgte, in Kosmetikprodukte
gelangen“, berichtet Dr. Costanza Rovida, Koordinatorin für Gesetzgebung
bei CAAT-Europe.
Doch auch manche Substanzen, die ausschließlich in Kosmetika zum Einsatz
kommen, werden weiterhin im Tierversuch getestet. Dies ist dann der Fall,
wenn die Regulierungsbehörde ECHA um die Gesundheit der
Industriearbeiter*innen, die Kosmetikprodukte herstellen, oder um die
Umweltfolgen (z. B. Fischsterben) von Stoffen, die für die Verwendung in
Kosmetika bestimmt sind, besorgt ist. In derartigen Fällen, in denen sich
die beiden EU-Verordnungen widersprechen, hat die REACH-Verordnung oft
Vorrang, sodass Tierversuche erforderlich sein können.
Trotz Verbot kein Stopp von Tierversuchen
Durch eine Analyse der öffentlich zugänglichen REACH-Dossiers fanden die
an dem Bericht beteiligten Wissenschaftler*innen heraus, dass in der
REACH-Datenbank (Stand: 23. Dezember 2020) 419 Substanzen in ihrem Dossier
die Nutzung in Kosmetika als einzigen Verwendungszweck angaben. Von diesen
beinhalteten 63 – rund 15 Prozent – die Ergebnisse „neuer“ Tierversuche
zur Risikobewertung, also solcher, die nach Inkrafttreten der jeweiligen
Verbote durch die Kosmetikverordnung durchgeführt wurden. In einigen
Fällen wurden zuvor durchgeführte, auf tierversuchsfreien
Alternativmethoden basierende Risikobewertungen sogar abgelehnt und
Tierversuche durch die ECHA ausdrücklich nachgefordert, so der Bericht.
„Dass weiterhin Tierversuche für Stoffe durchgeführt werden, die später in
Kosmetika zu finden sind, ist eindeutig das Ergebnis des Widerspruchs
zwischen REACH und der EU-Kosmetikverordnung. Zum anderen spielen hier
aber auch ein Mangel an Harmonisierung und politischem Willen eine Rolle“,
erklärt Prof. Dr. Thomas Hartung, Co-Direktor des CAAT-Europe.
Da der ECHA aktuell weiterhin eine große Menge an REACH-Dossiers zur
Begutachtung vorliegt, ist es laut den Autor*innen des Berichts
wahrscheinlich, dass auch in Zukunft Tierversuche für die Registrierung
von Inhaltsstoffen für Kosmetika (nach)gefordert werden. Ebenfalls
problematisch daran ist, dass Tierversuche zu kosmetischen Inhaltsstoffen
im Rahmen der REACH-Registrierung im aktuellen (2020) EU-Statusbericht zur
Nutzung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken lediglich als Tests im
Rahmen der Rechtsvorschriften für Industriechemikalien („industrial
chemicals legislation uses“) erfasst wurden. Weil es sowohl für die
Verbraucher als auch die Kosmetikindustrie wichtig ist, dass Kosmetika
„frei von Tierversuchen“ sind, fordern die Wissenschaftler*innen in ihrem
Artikel mehr Transparenz zu den REACH-Tests, solange der Widerspruch
zwischen den beiden EU-Verordnungen nicht gelöst ist.
Aktionsplattform für tierversuchsfreie Kosmetikprodukte
Um genau dies voranzutreiben und zu einer Lösung beizutragen, schafft das
CAAT-Europe mit Sitz an der Universität Konstanz gerade eine
Aktionsplattform für tierversuchsfreie Kosmetikprodukte. Durch sein
inzwischen mehr als zehnjähriges Bestehen als unabhängige Institution
sowie die Zugehörigkeit zum „3R-Netzwerk Baden-Württemberg“ pflegt das
CAAT-Europe umfangreiche Beziehungen zu verschiedenen Interessengruppen
und Entscheidungsträgern und ist offizieller externen Berater des
Europäischen Parlaments in Fragen Zukunftstechnologien in den
Lebenswissenschaften. „Wir möchten auf unserer Aktionsplattform den Willen
einzelner Interessengruppen, wie der Kosmetikindustrie, zur Verwirklichung
von tierversuchsfreien Kosmetikprodukten demonstrieren und gemeinsam mit
Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgern eine Strategie für
das weitere Vorgehen zum Erreichen dieses Ziels entwickeln“, erläutert
Prof. Dr. Marcel Leist, Co-Direktor des CAAT-Europe und Professor für In-
Vitro-Toxikologie und Biomedizin an der Universität Konstanz.
Faktenübersicht:
• Originalstudie: Jean Knight, Costanza Rovida, Reinhard Kreiling, Cathy
Zhu, Mette Knudsen, Thomas Hartung (2021) Continuing testing on cosmetic
ingredients for REACH in the EU. ALTEX. DOI:
https://doi.org/10.14573/altex
• Trotz Verbots laut Kosmetikverordnung der Europäischen Union sind
Tierversuche im Rahmen der REACH-Zulassung von kosmetischen Inhaltsstoffen
in der EU weiterhin erforderlich und werden auch durchgeführt.
• Bericht beleuchtet die Rolle der EU-Chemikalienverordnung zur
Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien
(REACH), die in puncto Tierversuchen zur Risikobewertung teilweise im
Widerspruch zur Kosmetikverordnung steht.
• Europäisches Zentrum für Alternativmethoden zu Tierversuchen (CAAT-
Europe) mit Sitz an der Universität Konstanz plant Aktionsplattform für
tierversuchsfreie Kosmetikprodukte.