Pilze, Rosenkohl & Koriander: So entstehen Geschmacksvorlieben
Zwiebelkuchen und Wein, Kürbissuppe mit frisch gebackenem Brot, die ersten
Plätzchen und Glühwein… der Herbst bietet kulinarisch viel. Doch nicht
jeder bricht in Begeisterungsstürme aus, wenn es wieder Grünkohl, Wild
oder Lebkuchen gibt. Was dem einen schmeckt, verabscheut ein anderer. Doch
woran liegt das und wie kann man den Geschmack verändern? Dr. Bianca
Müller, Professorin für Ernährungswissenschaft und Lebensmitteltechnologie
an der SRH Fernhochschule, hat Antworten.
Spätestens im Urlaub ist einem schon einmal die Frage in den Sinn
gekommen: „Und das soll schmecken?“ Doch es braucht gar keinen vergorenen
Fisch oder tausendjährige Eier, um das eigene kulinarische Empfinden auf
die Probe zu stellen. Auch regionale Spezialitäten oder spezielle
Gemüsesorte spalten die Meinungen. Während einem Menschen beim Gedanken an
Grünkohl und Blutwurst das Wasser im Mund zusammenläuft, verursacht allein
der Gedanke an den Verzehr selbiger Brechreiz bei einer anderen Person.
Haben wir einfach gelernt, bestimmte Lebensmittel zu lieben oder gibt es
wirklich so etwas wie das „Koriander-Gen“? Die Frage, warum wir manche
Lebensmittel mögen und andere nicht, kann gar nicht so einfach beantwortet
werden. Denn dabei spielen angeborene als auch erlernte Faktoren eine
Rolle. Prof. Dr. Bianca Müller erklärt:
Überlebenswichtige Vorliebe für Süßes
„Einige Vorlieben und Aversionen werden mit in die Wiege gelegt: Babys
besitzen beispielsweise eine angeborene Vorliebe für die
Geschmacksrichtung „süß“ und eine Abneigung gegen bittere Lebensmittel.
Die Natur hat das schlau eingerichtet. Denn auf diese Weise wird
sichergestellt, dass die süß schmeckende Muttermilch gemocht wird und
giftige bzw. ungenießbare Produkte, die häufig bitter sind, nicht verzehrt
werden.“
Supertaster vs. Normalschmecker
„Der Mensch bringt aber auch individuelle genetische Veranlagungen mit.
Beispielsweise können sogenannte „Supertaster“ Geschmäcker deutlich
intensiver wahrnehmen als „Normalschmecker“. Gerade bei sehr intensiv
schmeckenden Lebensmitteln, wie z. B. Chicorée, Rosenkohl, Feldsalat oder
Rote Bete, kann diese besondere Feinschmecker-Fähigkeit aber auch ein
Nachteil sein: Der Geschmack wird als zu bitter bzw. zu intensiv empfunden
und das Lebensmittel wird abgelehnt. Schade um das gute Wintergemüse, das
uns reichlich mit wertvollen Mineralstoffen, Vitaminen, sekundären
Pflanzenstoffen und Ballaststoffen versorgt!“
Erlernbare Geschmacksvorliebe
Doch es liegt nicht allein in der Genetik, was wir bevorzugen oder
ablehnen. Auch die Erziehung, unser Umfeld und individuelle Erfahrungen
haben einen sehr großen Einfluss darauf, was wir als lecker oder eben
nicht schmackhaft empfinden. Mit der Zeit können wir uns an Geschmäcker
gewöhnen. Prof. Dr. Müller: „Die Prägung beginnt bereits im Mutterleib und
setzt sich beim Stillen, während der Kindheit und bis ins Jugendalter
fort. Babys nehmen über das Fruchtwasser und die Muttermilch
Geschmackseindrücke aus der mütterlichen Nahrung wahr. Da diese Speisen
meist auch später in der Familie auf dem Tisch landen, kommen die Kinder
auch dann wieder mit diesen Geschmäckern und Aromen in Kontakt.“
„Du musst es nur oft genug probieren“ & negative Erfahrungen
Prof. Dr. Müller weiter: „Interessant ist, dass sich Vorlieben schon
allein durch wiederholten Kontakt zu einem Lebensmittel ausbilden. Das
wird als Mere-Exposure-Effekt bezeichnet. Allerdings tritt der nur dann
auf, wenn der Kontakt mit der jeweiligen Speise in einem positiven Kontext
stattfindet. Wenn der Verzehr mit einer negativen Erfahrung in Verbindung
gebracht wird, wie z. B. darauf folgendem Erbrechen oder auch Streit am
Familientisch, können sich auch Abneigungen gegen bestimmte Speisen
ausbilden. Vereinfacht ausgedrückt kann man also schon sagen, dass man ein
Lebensmittel nur häufig genug probieren muss, bis es einem dann irgendwann
schmeckt. Das erklärt, warum die Kultur und das Umfeld, in dem wir
aufwachsen, eine große Rolle im Hinblick auf unsere Essensvorlieben
spielt.“
Und da wären wir wieder bei unseren, eingangs erwähnten, landestypischen
Spezialitäten. Prof. Dr. Müller: „So wird ein Ostasiate bei einem schön
würzig-reifen Weichkäse evtl. ein Ekelgefühl empfinden und das Produkt als
überreif und verdorben empfinden. In Frankreich gilt das gleiche Produkt
als Delikatesse. Umgekehrt verhält es sich vielleicht mit gegrillten
Heuschrecken, die bei den meisten Europäern eher auf Skepsis stoßen.“
Geschmacksvorbilder für Kinder
Abschließend hat Prof. Dr. Bianca Müller noch einen wichtigen Tipp für
Bezugspersonen von Kindern: „Insbesondere Kinder lernen sehr viel über
Beobachtung. Im Hinblick auf die Ausbildung eines gesunden Essverhaltens
ist es also enorm wichtig, dass Eltern, Großeltern, Geschwister,
Erzieher:innen etc. mit gutem Beispiel voran gehen und Rosenkohl & Co ganz
selbstverständlich in die eigene Ernährung integrieren.“
„Grundsätzlich ist es aber auch kein Problem, wenn wirklich einmal etwas
nicht gemocht wird. Das kann unterschiedliche Gründe haben und sollte
akzeptiert werden. Es gibt bei uns so eine große Auswahl an Lebensmitteln
– da ist sicherlich für jeden etwas dabei.“