Gefäßschutz von Kindheit an: Herzstiftung, DGK und Schwiete Stiftung fördern Studie zur Hypercholesterinämie


Familiäre Vorbelastung früh erkennen, behandeln und Herzinfarkte
verhindern – das ist das Ziel der Studie „Vroni im Norden“
In Deutschland sind bis zu 270.000 Menschen Träger des Gendefekts für eine
Familiäre Hypercholesterinämie (FH). Doch ist diese angeborene Störung des
Lipidstoffwechsels nur bei einem von hundert Betroffenen diagnostiziert.
Das kann fatale Folgen haben. Denn das Tückische der FH ist, dass die
damit verbundenen, teils enorm hohen LDL-Cholesterinwerte bereits im
Kindesalter ihre gefäßschädigende Wirkung durch Ablagerungen an den
Gefäßwänden (Arteriosklerose) entfalten können. Auch wenn dieser Vorgang
meist über Jahre schleichend ohne Beschwerden verläuft, liegt darin ein
großes Gefahrenpotential. Unerkannt und unbehandelt kann dies schon im
frühen Erwachsenenalter zu Gefäßverschlüssen, Herzinfarkten und
Schlaganfällen führen. Das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis ist um
das 5- bis 20-fache erhöht. Daher haben die Deutsche Herzstiftung und das
Bayerische Gesundheitsministerium bereits vor zwei Jahren die Vroni-Studie
unter Leitung des Deutschen Herzzentrums München (DHM) mit unterstützt,
bei der solche Risikopersonen für die lebensbedrohliche Erbkrankheit in
der bayerischen Bevölkerung frühzeitig identifiziert werden. In Bayern
sind so schon 15.000 Kinder gescreent und mehr als 120 betroffene Familien
entdeckt worden. „Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland nach wie
vor Todesursache Nummer eins. Und wir sind bei der Lebenserwartung
insgesamt im westeuropäischen Vergleich eher Schlusslicht“, betont
Kardiologe Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der
Deutschen Herzstiftung. „Frühzeitiger als bisher jene Menschen zu
erfassen, die ein erhöhtes Risiko für eine Herzerkrankung und einen
Herztod haben, könnte uns einen guten Schritt weiterbringen, das zu
ändern.“
Ziel: Aufnahme des FH-Screenings in die Regelversorgung
Dazu startet jetzt – aufbauend auf den Erkenntnissen aus Bayern – die
große Studie: „Vroni im Norden“. Daten aus Niedersachsen und Bayern werden
hierbei zusammengeführt. Ziel ist es, so die bisherige Datenlage zu
erweitern und neue wissenschaftlich relevante Fragen zu beantworten. Dies
soll letztlich auch den Grundstein dafür legen, dass ein FH-Screening
künftig in die Regelversorgung in Deutschland aufgenommen wird. Die
Deutsche Herzstiftung finanziert dieses großanlegte Projekt mit 500.000
Euro zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) im
Rahmen der Nationalen Herz-Allianz und der Schwiete Stiftung. DGK und
Schwiete Stiftung beteiligen sich zu gleichen Teilen an der Förderung der
Studie. „Wir unterstützen gerne patientennahe Forschungsprojekte, die die
herzmedizinische Diagnostik und Versorgung verbessern helfen“, erläutert
Voigtländer. „Das Projekt `Vroni im Norden´ ist ein gutes Beispiel dafür,
wie in einem strukturierten und standardisierten Verfahren vielen Kindern
und ihren Familien langfristig geholfen werden kann mit einer genetischen
Veranlagung umzugehen, die ein hohes Risiko fürs Herz birgt.“ Prof. Dr.
Holger Thiele, Präsident der DGK ergänzt: „Ein solches systematisches
Screening könnte tatsächlich so etwas wie ein Meilenstein zu Reduktion der
Arteriosklerose werden.“
Zwei Formen der familiären Hypercholesterinämie
Die Familiäre Hypercholesterinämie (FH) ist eine angeborene Störung des
Lipidstoffwechsels, die durch eine ausgeprägte Erhöhung des LDL-
Cholesterins (LDL-C) im Plasma charakterisiert ist. Mit einer geschätzten
Prävalenz von 1:250 ist die FH die häufigste monogen vererbte Erkrankung.
Sie wird autosomal dominant vererbt. Das bedeutet, dass statistisch
mindestens die Hälfte der Kinder eines Genträgers ebenfalls erkranken. Bei
der heterozygoten Form überträgt nur ein Elternteil das für die Krankheit
ursächliche Gen auf das Kind. Bei der – viel selteneren und schwerer
verlaufenden – homozygoten Form stammt das FH-Gen von Mutter und Vater.
Nur weniger als fünf Prozent der Betroffenen mit FH adäquat behandelt
Das Fatale an der FH: Schon von Kindheit an erhöht sich dadurch das Risiko
von Gefäßablagerungen und -schäden – meist tritt dies in Form einer frühen
koronaren Herzerkrankung (KHK) zutage. Häufig kommt es schon vor dem 60.
Lebensjahr zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Bei einer homozygoten
FH sterben Betroffenen oft sogar bevor sie das 20. Lebensjahr erreichen.
Das Gute: Eine FH kann durch molekulargenetische und klinische
Untersuchungen zuverlässig diagnostiziert werden. Bei frühzeitiger
Diagnose kann so frühzeitig mit einer Therapie begonnen werden kann. Bei
Kindern mit einer heterozygoten FH lässt sich dann das Risiko auf das
Niveau der Allgemeinbevölkerung senken. Dennoch werden Schätzungen zufolge
aktuell weniger als fünf Prozent der Betroffenen in Deutschland adäquat
behandelt.
Der Vorläufer: Vroni und Fri1dolin
Die Vroni-Studie erprobt Logistik und den Erfolg der frühzeitigen
Diagnostik einer familiären Hypercholesterinämie (FH) inklusive
genetischer Testung bei Kindern in Bayern im Alter von 5 bis 14 Jahren.
Sie startete Anfang 2021 unter Leitung einer Arbeitsgruppe am Deutschen
Herzzentrum München (DHM) und läuft noch bis 11/2024. Die Untersuchung in
Zusammenarbeit mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Bayern
umfasst eine Blutentnahme (200 Mikroliter Kapillarblut) aus dem Finger der
Probanden im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen U9 bis J1 oder bei jedem
anderen Kinderarztbesuch. Im DHM wird anschließend das LDL-Cholesterin
bestimmt. Bei erhöhten LDL-Werten folgt eine genetische Untersuchung.
Im Rahmen der Fr1dolin-Studie wurde in Niedersachsen ebenfalls ein
pädiatrisches FH-Screening (plus Screening auf Typ-1-Diabetes) bereits
erfolgreich erprobt. Hierbei wurden –koordiniert durch das Diabeteszentrum
im Kinder- und Jugendkrankenhaus auf der BULT in Hannover in
Zusammenarbeit mit der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sowie dem
Helmholtz-Zentrum München – Kinder im Alter zwischen zwei und sechs Jahren
untersucht. Im Blutserum wurden dabei das LDL-Cholesterin und
Diabetesantikörper bestimmt mit dem Ziel, frühzeitig intervenieren und
schulen zu können. Start war im Oktober 2016. Die Studie ist inzwischen
abgeschlossen.
Neu: Vroni im Norden
Im Norden Deutschlands mit Studienzentrum in Hannover und unter Nutzung
der etablierten Infrastrukturen der Vroni- und Fr1dolin-Studien soll nun
ein neues FH-Screening-Projekt inklusive genetischer Testung etabliert
werden. Zugleich soll damit in Bayern die Vroni-Studie über 11/2024 für
weitere drei Jahre fortgeführt werden. Im wissenschaftlichen Teil der
Studie wird bei einer der Voruntersuchungen U9 bis J1 oder jedem anderen
Kinderarztbesuch Kindern im Alter von 5-14 Jahren ein Screening auf
Familiäre Hypercholesterinämie angeboten. Im ersten Schritt erfolgt über
eine Kapillarblutabnahme die Bestimmung des LDL-Cholesterins in München.
Bei einem Wert ≥130 mg/dl erfolgt direkt eine genetische Analyse. Außerdem
wird bei allen Kindern mit einem LDL-C von ≥130 mg/dl das Lipoprotein (a)
in einer Zweitprobe bestimmt, da neben einer FH-typischen Mutation weitere
genetische Faktoren das Risiko für eine koronare Herzerkrankung vermutlich
erhöhen. Kindern, bei denen pathogene Varianten festgestellt wurden,
werden anschließend durch Kinderkardiologen bzw. Kinderlipidologen
weiterbetreut. Der wissenschaftliche Leiter der Studie, Professor Heribert
Schunkert, Direktor der Klinik für Erwachsenenkardiologie am Deutschen
Herzzentrum München, hofft, mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse nicht
nur die medizinische Expertise zur Diagnostik und Therapie der FH zu
verbessern. „Es ist uns ein großes Anliegen, generell die Aufmerksamkeit
für die Familiäre Hypercholesterinämie durch PR- und Aufklärungskampagnen
zu steigern. Die Untersuchung sollte in absehbarer Zeit Routine in ganz
Deutschland werden,“ bekräftigt der Kardiologe.
In einem zweiten Schritt, der die Versorgungsmedizin im Fokus hat, geht es
darum, Patienten mit Hypercholesterinämie und monogener FH zahlenmäßig
(epidemiologisch) genauer zu erfassen. Ausgehend vom sogenannten
Indexpatienten – dem Kind – soll dazu ein familiäres Kaskadenscreening
eingeleitet werden. So können weitere Angehörige mit FH identifiziert
werden, da eine Weitervererbung mit einer Häufigkeit von 50 Prozent zu
erwarten ist.
Zu den Zielen gehört neben einer Verstetigung des FH-Screenings als
Regelversorgung (z.B. bei der U9-Untersuchung) das Erfassen wichtiger
Registerdaten, die Diagnostik und Therapiesituation verbessern können.
Außerdem soll auf lange Sicht ein FH-Netzwerk von Kinderkardiologen,
Kardiologen und Schulungszentren aufgebaut werden zur leitliniengerechten
Therapie der FHe bei betroffenen Kindern und deren Familien. „Von diesem
Cholesterin-Screening könnten nicht nur die betroffenen Kinder und ihre
Familien profitieren. Das Projekte könnte auch generell das Bewusstsein
für den Risikofaktor Cholesterin in der Bevölkerung verbessern“, hofft
DGK-Präsident Prof. Thiele.
„Mehr Aufmerksamkeit zu schaffen für Herzerkrankungen und für die
Möglichkeiten ihnen vorzubeugen, ist auch ein zentrales Anliegen der
Deutschen Herzstiftung“, begründet Voigtländer die Unterstützung der
Studie. „Dies ist eine Aufgabe, die wir zudem im Rahmen der Nationalen
Herz-Allianz gerne wahrnehmen zusammen mit allen kardiologischen
Fachgesellschaften. Denn eine starke Allianz für mehr Herzgesundheit
entfaltet auch über die Grenzen von Deutschland hinaus Signalwirkung – bei
Herzpatienten wie auch in der Politik, die wichtige Weichenstellen kann in
der Versorgung.“
Die Studien Vroni und Vroni 2 sind wichtige Vertreter einer europaweiten
Initiative zur Früherkennung der FH, die mit der „Prague Declaration“
unter der tschechischen
Präsidentschaft derzeit in der EU verfolgt wird.
Ratgeber zum Thema Hohes Cholesterin: Was tun?
Ausführliche Informationen zu den Ursachen und Folgen hoher
Cholesterinwerte sowie zu den neuen Therapieempfehlungen finden Sie im
Ratgeber „Hohes Cholesterin: Was tun?“, den Sie unter 069 955128-400 oder
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