„Selten allein“ – Kunst und neue Strukturen machen Betroffenen Mut


Gemeinsam mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE e.V.)
und fünf Einkaufsbahnhöfen sowie 21 Zentren für Seltene Erkrankungen in
Deutschland setzt das UniversitätsCentrum für Seltene Erkrankungen (USE)
am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden die bundesweite Aktion
„Selten Allein“ fort. Die Ausstellungen mit Bildern Betroffener werden
nach und nach in den füng teilnehmenden Bahnhöfen eröffnet. Neben Dresden
sind dies die Hauptbahnhöfe in Erfurt, Mainz und Mannheim sowie der
Bahnhof Berlin Südkreuz. In Dresden startet die zweite Ausstellung
pünktlich zum Welttag der Seltenen Erkrankungen (SE) am heutigen Dienstag
(28. Februar).
Neben den Kunstwerken gibt es für viele Menschen mit seltenen Erkrankungen
einen weiteren Lichtblick: Dank der mit 40 Krankenkassen geschlossenen
Selektivverträge zur besonderen Versorgung ist die Finanzierung modernster
hochauflösender genetischer Untersuchungen zur Diagnostik seltener
Erkrankungen für die entsprechend Versicherten zunächst gesichert. Das
eigens hierfür am Dresdner Universitätsklinikum gegründete Zentrum für
Klinische Genommedizin konnte dadurch zu Beginn des Jahres 2022 seine
Arbeit aufnehmen. Mit Hilfe der genomweiten genetischen Untersuchung
wurden bereits bisher ungelöste Krankheitsursachen entdeckt. Für die
Patientinnen und Patienten ließ sich dadurch die Diagnose stellen und die
weitere Behandlung darauf ausrichten.
Mit großem Stolz fieberte Anke Schmidt dem Welttag der Seltenen
Erkrankungen entgegen. Die an Mukoviszidose erkrankte 25-Jährige ist
leidenschaftliche Hobbykünstlerin und stellt eines ihrer Bilder zum ersten
Mal öffentlich aus – und das gleich bundesweit an fünf Orten. Mit Pinsel
und Farben, aber auch mit Buntstiften setzt sie sich mit Ihrer Erkrankung
und ihren Folgen auseinander. Anke Schmidt will sich nicht auf ihre
Mukoviszidose reduzieren lassen, sondern aktiv am Leben – auch am
Arbeitsleben – teilnehmen. Die von der Sebnitzerin gemalten Lungenflügel
künden auf der einen Seite von ihren krankheitsbedingten Limits und auf
der anderen Seite von einem aufblühenden Dasein. Ihr Optimismus hat auch
einen medizinischen Grund: Eine innovative Medikamentenkombination sorgt
dafür, dass sich ihre Lungenfunktion drastisch verbesserte. So konnte die
in Erwägung gezogene Lungentransplantation ad Acta gelegt werden und einer
Schwangerschaft stand damit nichts mehr im Wege. Seit eineinhalb Jahren
ist Anke Schmidt nun stolze Mutter eines Sohnes.
Anke Schmidt alias Loky ist nur eine von vielen Personen, die auf
künstlerische Weise ihre gesundheitliche Situation, ihre Hoffnungen und
Wünsche aber auch ihre Nöte in Bildern ausdrücken. Aus den berührenden
Kunstwerken wurden zwölf ausgewählt, die stellvertretend für die
teilnehmenden Zentren für Seltene Erkrankungen stehen. Die anderen Werke
sind online unter www.seltenallein.de zu sehen. Höhepunkt der
Ausstellungsaktion ist der 28. Februar – der 16. weltweite Tag der
Seltenen Erkrankungen. Bereits im Vorfeld dieses Tages präsentieren einige
fünf teilnehmenden Einkaufsbahnhöfe die künstlerischen Selbstportraits,
die Menschen mit Seltenen Erkrankungen in den letzten Monaten gemalt,
gezeichnet oder fotografiert haben. Diese Bilder sind zusammen mit einer
kurzen Selbstauskunft zur Person und ihrer Krankheit vor Ort zu sehen. Ein
zu den Bildern gehörender QR-Code ist mit der Website www.seltenallein.de
verlinkt. Dort sind ebenfalls Informationen zu seltenen Erkrankungen zu
finden. Zudem sensibilisiert die Seite Besuchende für das Thema und bietet
direkt oder indirekt Betroffenen die Gelegenheit, sich zu vernetzen.
Umfassende genetische Diagnostik ermöglicht Chance zur Diagnose
Die interdisziplinäre Arbeit verschiedenster Fachdisziplinen steht im
Mittelpunkt der Arbeit des Zentrums für Klinische Genommedizin am
UniversitätsCentrum für Seltene Erkrankungen (USE). Die
Indikationsstellung für die moderne Diagnostik erfolgt in einer
gemeinsamen Fallkonferenz, ebenso wie die Bewertung der Ergebnisse. Damit
wird die oft langjährige Odyssee der Menschen mit einer seltenen
Erkrankung auf dem Weg zur Diagnose erheblich kürzer. Mit der Klärung der
Diagnose durch eine genomweite Exomsequenzierung wird es oft auch möglich,
die richtigen und adäquaten Therapie-, Vorsorge- und Versorgungsmaßnahmen
zu definieren. Den Weg für die auskömmliche Finanzierung für diese
aufwändigen genetischen Untersuchungen, die am Institut für Klinische
Genetik ausgeführt werden, hat das vom Innovationsfonds mit Bundesmitteln
finanzierte Projekt „Translate NAMSE“ geebnet, an dem sich auch das USE
Dresden beteiligte. Das positive Gesamtresümee des mehrjährigen
Versorgungsprojekts überzeugte den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und
damit auch die Krankenkassen. Sie ermöglichen bei Vorliegen des Verdachts
auf eine seltene Erkrankung ohne Diagnosestellung seit Anfang 2022 die
Finanzierung der erweiterten genetischen Diagnostik. Derzeit haben sich 40
Krankenkassen, unter anderem fast alle Allgemeine Ortkrankenkassen (AOK)
einige Ersatzkassen und etliche Betriebskrankenkassen, angeschlossen. Das
Projekt läuft vorerst bis Ende 2023.
Seit Anfang Februar des vergangenen Jahres werden wie schon bei Translate
NAMSE mindestens einmal wöchentlich, multidisziplinäre Fallkonferenzen
durchgeführt, in denen Ärztinnen und Ärzte verschiedenster Disziplinen
Patientinnen und Patienten mit Verdacht auf eine seltene Erkrankung bei
bisher unklarer Diagnose vorstellen und diese mit anderen Expertinnen und
Experten bewerten. Lässt sich in diesem Expertengremium keine Diagnose
stellen, aber das Vorliegen einer genetisch bedingten Erkrankung erscheint
wahrscheinlich, besteht die Möglichkeit der erweiterten genetischen
Diagnostik. Bis Ende des Jahres haben die Expertinnen und Experten
insgesamt 186 Fälle diskutiert, wobei bei 108 Patientinnen und Patienten
einer genetischen Diagnostik mittels genomweiter Exomsequenzierung zur
Diagnosefindung zugestimmt wurde. Bei rund 30 Prozent der untersuchten
Patientinnen und Patienten konnte damit eine auf dem Ergebnis der
genetischen Analyse basierende genaue Diagnose gestellt werden. „Damit
konnten wir bei einem Drittel der Patientinnen und Patienten den Weg für
gezieltere Therapien ebnen – dies wäre ohne Translate NAMSE und dem
Selektivvertrag nicht möglich gewesen. Das ist ein großer Erfolg unserer
bundesweiten Initiative“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer
Vorstand des Dresdner Uniklinikums.
Zentren und Netzwerke stehen für eine umfassende Versorgung
Um Menschen flächendeckend und unabhängig vom Krankheitsbild zu versorgen,
bedarf es weiterer Anstrengungen. Dazu wurden vor allem an den deutschen
Uniklinika in den vergangenen Jahren entsprechende Zentrumsstrukturen
aufgebaut und bundesweite Netzwerke geschaffen. Auch das Dresdner
Uniklinikum hat frühzeitig die Initiative ergriffen und im November 2014
das UniversitätsCentrum für Seltene Erkrankungen (USE) gegründet. Als
sogenanntes A-Zentrum nach den Empfehlungen des Nationalen Aktionsplans
für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) erfüllt das USE
koordinierende und krankheitsübergreifende Aufgaben und ist zuständig für
unklare Krankheitsfälle. „Entscheidend für den Erfolg unserer Arbeit in
dem Zentrum ist das Zusammenwirken vieler Expertinnen und Experten in
interdisziplinären Fallkonferenzen, wie es nur in einer solchen Struktur
vorgehalten werden kann“, sagt Prof. Reinhard Berner, Sprecher des USE und
Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin.
Was ist eine seltene Erkrankung?
In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr
als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Da es mehr als 6.000
unterschiedliche seltene Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der
Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen hoch. Allein
in Deutschland leben Schätzungen zufolge etwa vier Millionen Menschen mit
einer seltenen Erkrankung. Seltene Erkrankungen bilden eine Gruppe von
sehr unterschiedlichen und zumeist komplexen Krankheitsbildern. Die
meisten dieser Erkrankungen verlaufen chronisch und gehen mit
gesundheitlichen Einschränkungen beziehungsweise eingeschränkter
Lebenserwartung einher. In der überwiegenden Mehrzahl bilden Betroffene
bereits im Kindesalter Symptome aus. Etwa 80 Prozent der seltenen
Erkrankungen sind genetisch bedingt oder mitbedingt, selten sind sie
heilbar.
Wie lassen sich seltene Erkrankungen besser diagnostizieren und behandeln?
Das Ziel der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit seltenen
Erkrankungen ist es, ihnen trotz und mit ihrer Erkrankung ein möglichst
beschwerdefreies Leben zu ermöglichen. Deshalb bedürfen sie einer
besonders zeitintensiven ärztlichen Zuwendung und oft einer aufwendigen
Spezialdiagnostik. Denn seltene Erkrankungen weisen einige Besonderheiten
auf: Dazu zählen vordringlich die geringe Anzahl an Betroffenen mit einer
bestimmten seltenen Erkrankungen und die weit über das ganze Land
gestreute Verteilung der Betroffenen, was nicht nur die ärztliche
Versorgung, sondern auch wissenschaftliche Untersuchungen – etwa in Form
von Studien – erschwert. Darüber hinaus gibt es meist nur eine geringe
Anzahl von Expertinnen und Experten, die Menschen mit der jeweiligen
seltenen Erkrankung versorgen und die Erkrankung weiter erforschen können.
Auch sind die Wege zu guten Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten
nicht immer auf Anhieb ersichtlich. Dies kann dazu führen, dass die
Betroffenen sich mit ihrer Erkrankung allein gelassen fühlen und die
Diagnose erst deutlich verzögert gestellt wird.
Die Seltenheit der einzelnen Erkrankungen erschwert also aus medizinischen
und ökonomischen Gründen häufig die medizinische Versorgung und die
Forschung für die betroffenen Patientinnen und Patienten. „Diagnose und
Therapie der Erkrankungen stellen alle Beteiligten – Betroffene,
Angehörige, medizinisches, therapeutisches und pflegerisches Personal –
vor besondere Herausforderungen“, sagt der Kaufmännische Vorstand, Frank
Ohi: „Deshalb hat das Dresdner Uniklinikum mit dem UniversitätsCentrum für
Seltene Erkrankungen Strukturen etabliert, um bei unklaren
Krankheitsfällen die Chancen auf eine Diagnose deutlich zu verbessern.“