Studie belegt Kollision von Finnwal mit Schiff - Lebens- und Leidensgeschichte von Ausstellungsobjekt rekonstruiert


Finnis imposanter Schädel mit der mächtigen Schulterpartie ist im Foyer
des Museums der Natur Hamburg nicht zu übersehen. Wer genau hinschaut,
erkennt am Schulterblatt des Finnwals allerlei ungewöhnlich knubbelige
Verwachsungen. Jetzt belegt eine im Fachjournal PLOS ONE veröffentlichten
Studie des Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB),
dass Finni die Kollision mit einem großen Schiff mit schweren
Knochenbrüchen überlebte und viele Jahre unter posttraumatischen
Haltungsschäden und Arthrose litt. Die Analyse ist die erste detaillierte
Rekonstruktion einer historischen Wal-Schiff-Kollision in den Meeren der
Südhalbkugel, die in die 1940er Jahre zurückreicht.
Mit der Lebens- und Leidensgeschichte des ausgewachsenen Finnwals von
knapp 20 Metern Länge wird mehr als nur ein Einzelschicksal rekonstruiert.
Schiffsunfälle haben sich im 20. Jahrhundert zu einer großen Bedrohung für
Wale entwickelt, da die Größe und Geschwindigkeit der Schiffe und auch der
Verkehr insgesamt stark zugenommen haben. Finnwale gehören zu denjenigen
Arten, die am häufigsten von Schiffen angefahren und schwer verletzt
werden. Anhand des Skeletts von Finni konnten jetzt die Folgen eines
solchen Zusammenstoßes erstmals dreidimensional rekonstruiert werden.
Die Studie beschreibt zudem das Schicksal eines Wales, der als eines der
letzten Opfer in die Geschichte des deutschen Walfangs eingehen dürfte.
Finni wurde nämlich 1952 von der Flotte des griechischen Reeders
Aristoteles Onassis im Südpolarmeer erlegt, in einer Zeit, in der unter
deutscher Flagge eigentlich gar kein Wal mehr gejagt werden durfte. Der
Hamburger Biologe Kurt Schubert war jedoch mit an Bord und sicherte das
Skelett für das damalige Zoologische Museum in Hamburg – heute Museum der
Natur Hamburg. Hier waren die Knochen über Jahrzehnte in der
wissenschaftlichen Sammlung gut verwahrt, bevor sie vor einigen Jahren im
Rahmen eines Forschungsprojektes zur Gesundheit mariner Säugetiere
erstmals wissenschaftlich untersucht wurden.
Für die Analyse der Knochenveränderungen haben die Autoren ein 3D-Modell
der Oberflächen jedes einzelnen Knochens erstellt und das Skelett dann
virtuell wieder zusammengesetzt. Damit wurden alle Abweichungen von der
natürlichen Symmetrie des Körpers vermessbar. Die Diagnose: Finni litt
unter anderem an Arthrose. Einige Rippen und einige Wirbelfortsätze zeigen
verheilte Knochenbrüche. Das rechte Schulterblatt war geradezu
zertrümmert, bevor es in einem langen und schmerzhaften Heilungsprozess
schließlich versetzt und verkürzt wieder zusammenwuchs.
Die verbogenen Wirbelfortsätze deuten auf einen dauerhaften
Haltungsschaden hin, der sich aus einem langanhaltenden Schonverhalten
entwickelt hat und letztlich das Tier für viele Jahre in seiner
Beweglichkeit stark eingeschränkt haben muss. Die Autoren vermuten, dass
das gebrochene Schulterblatt die Bewegung insbesondere des rechten Arms
stark beeinträchtigte. „Da der Wal seine Arme nur schwer schonen kann,
denn ohne sie kann er nicht steuern oder tauchen, konnte das gebrochene
Schulterblatt nur sehr langsam heilen. Wir können also davon ausgehen,
dass der Zeitpunkt der Kollision viele Jahre vor dem Abschuss des Finnwals
im Jahr 1952 liegen muss. Somit wissen wir, dass der Zusammenstoß mit dem
Schiff in den 1940er Jahren stattfand“, sagt Prof. Dr. Thomas Kaiser,
Sektionsleiter Mammalogie & Paläoanthropologie am Leibniz-Institut zur
Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), Museum der Natur Hamburg.
Die Forschenden animierten zudem das digitalisierte Modell und
visualisierten so das Szenario einer plausiblen Schiff-Wal-Kollision und
deren Folgen für den Wal. In Anbetracht der Größe des Tiers erlaubt es nur
ein virtuelles Modell des Skeletts die Kollision und den räumlichen sowie
zeitlichen Ablauf der Verletzungen im Verhältnis zum Schiffsrumpf zu
rekonstruieren“, so Hannah Viola Daume, die die Studie als Abschlussarbeit
maßgeblich mitgestaltet hat.
In der Studie wurden daher verschiedene Techniken der 3D-
Oberflächenmodellierung eingesetzt, um ein virtuelles Modell des gesamten
Finnwal-Skeletts zu erstellen. „Das digitale Modell eignet sich perfekt
zur Visualisierung“, sagt Kaiser. Ein verkleinerter 3D-Ausdruck macht das
riesige Skelett zudem für die Öffentlichkeit erlebbar, denn Platz für das
montierte Original wird es wohl erst im Museumsneubau in der Hamburger
HafenCity geben.