Silvester-Spaß mit brutaler Sprengkraft: Handchirurgen des Dresdner Uniklinikums warnen vor Leichtsinn
Die erste schwere Explosionsverletzung dieses Winters registrierte das
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bereits in der ersten
Dezemberwoche. Ein in der Hand explodierter Silvester-Knaller sorgte bei
einem Jugendlichen für schwerste Verletzungen. In einer mehr als
zehnstündigen Operation konnte die linke Hand erhalten werden. Prof.
Adrian Dragu, Direktor für Plastische und Handchirurgie am
UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfall- und Plastische Chirurgie
(OUPC) befürchtet auch aufgrund der in den beiden vergangenen
Jahreswechseln erlassenen Verbote einen Nachhol-Effekt beim Einsatz der
Pyrotechnik zu Silvester und damit verbunden einen Anstieg an schweren
Verletzungen.
Die ohnehin durch Infektionswellen und Personalengpässe belasteten
Krankenhäuser geraten durch den Wegfall des Verbots unnötigerweise unter
zusätzlichen Druck. „Das Schicksal des 14-Jährigen sollte alle
feuerwerkbegeisterten Menschen zu einem sehr bedachten, vorsichtigen und
rücksichtsvollen Gebrauch von Feuerwerksartikeln mahnen“, sagt Prof.
Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Uniklinikums. „Zwar
ist das Uniklinikum als Maximalversorger immer da, um schwerste
Verletzungen und Erkrankungen mit höchster Expertise optimal zu behandeln,
aber für den einzelnen Menschen und das Gesundheitswesen ist jeder dieser
leicht vermeidbaren Unfälle einer zu viel! Bitte schränken Sie deshalb den
Einsatz von Feuerwerksartikeln ein und seien Sie besonders rücksichtsvoll
und vorsichtig.“
Um durch Explosionen hervorgerufene Verletzungen erfolgreich zu behandeln,
bedarf es einer hohen Expertise spezialisierter Mikrochirurginnen und
Mikrochirurgen sowie der Pflegeteams in den OP-Sälen und im Nachgang auf
den Stationen. Dies wird auch an dem Fall des 14-Jährigen deutlich. Bei
der Explosion sind mehrere Finger und Teile der linken Hand abgerissen
worden. Aufgrund der komplexen Verletzungen ist es notwendig solche
Operationen trotz des akuten Handlungsbedarfs genau zu planen. „Wir nutzen
dabei die modernsten und komplexesten Behandlungsmethoden die es aktuell
gibt. Je nach Umfang der Verletzungen nutzen wir für die Rekonstruktion
körpereigene Transplantate wie Knochen, Sehnen, Haut, Gefäße und Nerven“,
sagt Prof. Adrian Dragu.
Die Operation des Opfers aus der Oberlausitz dauerte rund elf Stunden und
wurde vom damals diensthabenden Handchirurgen Dr. Seyed-Arash Alawi
geleitet. Der Facharzt ist unter anderem auf schwere Hand- und
Amputationsverletzungen sowie bionische Prothesenversorgung spezialisiert:
„Im OP-Saal und unter Vollnarkose wurde der Gesamtzustand der Hand
nochmals eingehend geprüft, um zu klären, ob sie trotz der schweren
Verletzungen erhalten werden kann oder nicht. Hier spielen viele Faktoren
eine Rolle. Etwa das Alter, Nebenerkrankungen, der Beruf und natürlich
auch die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten.“ Prinzipiell versucht das
Dresdener Team der Abteilung für Plastischen und Handchirurgie immer
alles, um den maximalen Erhalt der abgetrennten Gliedmaßen zu erreichen.
Mit der für den 14-Jährigen geleisteten Operation, sei das Dresdner Team
weit über die in vielen anderen Kliniken möglichen Therapiekonzepte
hinausgegangen. „Dazu braucht es enorme Expertise, Geduld und gleichzeitig
viele Ressourcen aus der Gesundheitseinrichtung“, sagt Dr. Alawi. Das
wichtiges Hilfsmittel im OP ist das Mikroskop, um die Millimeter kleinen
Strukturen von Blutgefäßen und Nerven hochpräzise operieren zu können.
Um die Hand so umfassend wie möglich zu rekonstruieren, gehen die
Mikrochirurginnen und Mikrochirurgen schrittweise vor. Erst gilt es, die
Knochen auf den verschiedenen Ebenen zu stabilisieren und mit Drähten,
Schrauben und Platten an der richtigen Position zu fixieren. Danach geht
es darum, die Sehnen wiederherzustellen. Blutgefäße und Nerven werde als
empfindlichste und feinste anatomische Strukturen zu Letzt
mikrochirurgisch versorgt. Ein ebenso wichtiger Schritt besteht darin, die
bei Explosionen häufig verbrannte Haut zu ersetzen, um die Wunden
erfolgreich zur Abheilung zu bringen. Bei diesen Prozessen müssen
gegebenenfalls Knochen, Sehnen, Gefäße, Nerven und Haut von anderen
Körperregionen des Patienten verwendet werden. Im Fall des 14-Jährigen
wurden kleine Venen aus dem Fuß genutzt, um damit die arterielle
Blutversorgung an der betroffenen Hand und den Fingern wiederherzustellen.
Medizinische Blutegel und modernes Wundmanagement unterstützen
Heilungsprozess
Der langfristige Erfolg bei einer Rekonstruktion schwer verletzter
Gliedmaßen hängt nicht nur von der Operation selbst ab, sondern
insbesondere auch von den postoperativen Behandlungskonzepten. Hierbei
spielt die Pflege aber auch die spezialisierte Handphysio- und
ergotherapie und eine innovative Orthopädietechnik eine sehr große Rolle.
Sollte in den ersten Stunden nach der Operation das Blutverhältnis
zwischen Einstrom und Ausstrom in die replantierten Finger nicht im
Gleichgewicht sein, nutzt das Team der Plastischen und Handchirurgie
medizinische Blutegel. Sie stabilisierten auch bei dem 14-jährigen
Patienten den venösen Abfluss und verbesserten dabei auch die
Durchblutung.
Verletzungen durch Feuerwerkskörper belasten die Notaufnahmen enorm
Für die Teams der Krankenhaus-Notaufnahmen führen die von unsachgemäßem
Gebrauch verursachten Verletzungen traditionell über den Jahreswechsel zu
einem überdurchschnittlichen Anstieg der Notfälle. Deshalb werden
beispielsweise die Teams der Notaufnahmen des Dresdner Uniklinikums in der
Silvesternacht personell aufgestockt. Auch für die Weiterbehandlung stehen
mehr Teams bereit als an anderen Wochenenden üblich. Das betrifft nicht
nur das UniversitätsCentrum für Orthopädie, Unfall- und Plastische
Chirurgie, sondern weitere Fächer wie die Augenheilkunde, bei der
ebenfalls deutlich mehr Verletzungen behandelt werden müssen. Auch hier
ist zum Jahreswechsel der unsachgemäße Gebrauch von Feuerwerksartikeln der
Hauptgrund.
„Es vergeht kein Tag, an dem die Medien nicht über die enorme Belastung
der Krankenhäuser berichten. Die Wellen von Influenza-, RSV- und Covid-
Neuerkrankungen mit schweren Verläufen sorgen in Kombination mit
Personalknappheit dafür, dass die Krankenversorgung an ihre
Kapazitätsgrenzen stößt“, sagt Prof. Dragu. Eine hohe Zahl an Verletzungen
durch Feuerwerksköper könne das Fass nun zum Überlaufen bringen. „Für mich
und auch für viele meiner Kolleginnen und Kollegen ist es deshalb
unverständlich, dass das Verkaufsverbot von Feuerwerksartikeln anders als
in den beiden Vorjahren nicht weiterhin gilt“, so Prof. Dragu weiter. Es
bleibe leider nur der eindringliche Apell, freiwillig auf potenziell
gefährliche Feuerwerkskörper – insbesondere Knaller und Raketen zu
verzichten oder zumindest die Sicherheitshinweise der Hersteller im
Vorfeld zu lesen und sich daran auch zu halten. „Das Beispiel unseres
14-jährigen Patienten macht noch einmal deutlich, welche Gefahren vom
unsachgemäßen Gebrauch der Silvesterknaller ausgehen!“