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Unstatistik des Monats: Gewalttätige deutsche Ehemänner

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Die Unstatistik beschäftigt sich zum Jahresende mit Meldungen zur Gewalt
in Partnerschaften. Dabei wird anhand der Aussage "Zwei von drei
Tatverdächtigen häuslicher Gewalt sind deutsche Staatsangehörige" gezeigt,
wie Zahlen ohne Grundraten einen falschen Eindruck vermitteln können.

Die Unstatistik beschäftigt sich zum Jahresende mit Meldungen zur Gewalt
in Partnerschaften. Gemäß dem Bundeskriminalamt waren im Jahr 2021 die
häufigsten der über 140.000 Delikte in Partnerschaften vorsätzliche
einfache Körperverletzung, gefolgt von Bedrohung, Stalking und Nötigung,
sowie gefährlicher Körperverletzung. Etwa jeder vierte der
Partnerschaftsgewalt verdächtige Mann stand zum Tatzeitpunkt unter
Alkoholeinfluss, bei tatverdächtigen Frauen – 21 Prozent aller
Verdächtigen sind weiblich - jede fünfte. Zwei von drei Tatverdächtigen
häuslicher Gewalt seien deutsche Staatsangehörige. Das meldete unter
anderem tagesschau.de Ende November und liefert damit ein schönes Beispiel
für das, was man als Ignorieren von Grundraten bezeichnet. Die Anzahl von
Männern und Frauen in Beziehungen ist etwa gleich, nicht aber jene von
solchen mit deutscher oder ausländischer Herkunft.

Die Diskussion über die Neigung zu Gewalttaten je nach Herkunft der
Tatverdächtigen ist hoch sensibel. Umso wichtiger ist es zu verstehen,
dass statistische Angaben zwar mathematisch korrekt sein können, aber
gleichwohl nicht neutral und objektiv sind. Denn die Art, wie sie
kommuniziert werden, liefert einen Kontext, der vom Nutzer der Statistik
mitinterpretiert wird. Das wird als „Framing“ bezeichnet und passiert
mindestens genauso oft unbewusst wie bewusst. Ein wesentlicher Teil von
Statistik-Kompetenz bzw. Statistical Literacy ist es, ein solches Framing
zu erkennen und kritisch zu hinterfragen.

Zahlen ohne Grundraten können falschen Eindruck vermitteln

Die Aussage „zwei von drei Tatverdächtigen häuslicher Gewalt sind
deutscher Herkunft“ wird nicht nur von der Tageschau, sondern auch von
anderen Medien getroffen, darunter die FAZ . Sie ist korrekt, genauso wie
die Aussage, einer von drei Tatverdächtigen sei ausländischer Herkunft.
Sie beantwortet die Frage, wie häufig eine Person, die einer Gewalttat
innerhalb einer Beziehung verdächtigt wird, deutscher oder nicht-deutscher
Herkunft ist.

Diese Information kann interessant sein, wenn es darum geht zu
entscheiden, wie hoch der Bedarf an Dolmetschern bei der Polizei ist;
insbesondere an Dolmetschern, die sensibel genug sind, mit möglicherweise
verängstigten oder gar traumatisierten Frauen zu sprechen.

Sie sagt aber nichts darüber aus, ob sich das Risiko, Opfer einer
Gewalttat innerhalb einer Beziehung zu werden, für Frauen mit einem
deutschen oder ausländischen Partner unterscheidet. Dafür brauchen wir die
Grundrate, also die Verteilung deutscher und ausländischer
(Ehe-)Partnerschaften in Deutschland. Der Einfachheit halber gehen wir
davon aus, dass diese der allgemeinen Verteilung von Deutschen und Nicht-
Deutschen in der Bevölkerung entspricht, Deutsche und Ausländer also
gleich häufig in Beziehungen leben. Der Anteil der Ausländer in der
deutschen Bevölkerung beträgt etwa 15 Prozent.

Natürliche Häufigkeiten helfen bei der Risikobewertung

Man kann sich das Verhältnis dieser Risiken mit Hilfe natürlicher
Häufigkeiten herleiten. Für natürliche Häufigkeiten haben wir schon oft
eine Lanze gebrochen; sie argumentieren mit absoluten Zahlen und nicht mit
schwer vorstellbaren und oft missverständlichen Prozentwerten.

In Deutschland gab es laut Angaben der „Bundeszentrale für politische
Bildung“ im Jahr 2019 etwas mehr als 40 Millionen Menschen, die mit oder
ohne Trauschein in Partnerschaften zusammenlebten. Die eingangs genannten,
gut 140.000 Fälle sind etwa 0,35 Prozent dieser Menschen. Unter je 100.000
Menschen, die in Partnerschaften leben, erwarten wir 85.000 Deutsche und
15.000 Ausländer. Von diesen 100.000 Menschen sind bei einer Quote von
0,35 Prozent 350 Tatverdächtige einer Gewalttat, darunter 233 (2/3)
Deutsche und 117 (1/3) Ausländer. Die folgende Abbildung in natürlichen
Häufigkeiten zeigt, wie sich daraus das Risikoverhältnis berechnen lässt.
Es beträgt 233/85.000 zu 117/15.000 und damit etwa 1 zu 2,8.

Das Risiko, Opfer einer Gewalttat innerhalb einer Beziehung zu werden, ist
mit einem ausländischen Partner/einer ausländischen Partnerin also 2,8mal
höher. Zu beachten ist, dass hierbei wohl auch sozio-ökonomische Faktoren
eine Rolle spielen, beispielsweise Bildungsniveau oder Einkommen. Die
unterschiedliche Rate von Gewalt in Beziehungen kann also auf Grundlage
der vorliegenden Informationen keineswegs kausal mit der Herkunft
verknüpft werden. Zudem ist bei häuslicher Gewalt die Dunkelziffer recht
hoch – nach Bundesfamilienministerin Lisa Paus beträgt sie etwa zwei
Drittel. Nichtsdestotrotz bildet die Aussage, dass zwei von drei
Tatverdächtigen häuslicher Gewalt deutsche Staatsangehörige sind, die
Wirklichkeit nur unvollständig ab. Ein solches Framing von Statistiken, in
dem wie in diesem Beispiel die Grundrate vernachlässigt wird, ist nichts
Neues.  Wichtig ist, dafür sensibilisiert zu sein und zu verstehen, wie
man es durchschauen kann.